J
Jongleur
Registrierter Benutzer
Lieber x-Riff,
Danke. Wir verstehen uns wieder aufs Wort! - Diesmal rücke ich hoffentlich näher an Deine Position als vorher.
Das mit Dylan könnten wir wiedermal so zusammen fassen: Ich stimme Dir in jedem Wort zu! - Aber warum so hetzen. Wen wir bis jetzt nicht vergrault haben, der will es vielleicht auch konkreter.
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Dylan fasziniert mich wie kein zweiter lebender Dichter. Ist es nicht erstaunlich , wieviel Freiheit des Geistes ein kleines Lied, aber AUCH eine Karriere vertragen kann? Dass man sich vom weltlichen Lob maximal unabhängig machen kann.... ohne finanziell in den Ruin zu treiben - Das in seinem Falle jedes verlorene Publikum nur Platz für ein neues machte
Deshalb führte auch ICH den Dylan in diesen thread ein. Weil dieser regelmäßig alle festen Regeln und Erkenntnisse - historisch gesehen - mit einer kurzen Handbewegung vom Tisch fegte. - Jahrelang tat ich mich schwer mit seinen christlichen Texten. Fand sie unheimlich eng. Bis ich irgendwann erkannte: Das Gefühl der Enge produziert MEIN Hirn, nicht Dylan!
Und auch Tim könnte so seinen Text betrachten: je mehr Leute ihn zu einem breiten Panoramabild drängen wollen, um so größer ist die Möglichkeit, dass er gerade draußen von ner Menge enger Geister umstellt ist:D
ALLERDINGS: Dylans weltweite Anhängerschaft fraß ihm aus der Hand, weil beispielsweise seine ersten Texte mMn etwas vereinten, was bis dahin getrennt marschierte: die sentimentalen Geschichten des Country&Westerns, die coolen und erdigen Sprüche des Blues auf der einen Seite und die unbegrenzte Bilderwelt der europäischen Lyrik (z.B. Brecht oder Rimbaud) auf der anderen.
Dylan enttäuschte später nicht, weil er plötzlich schlechter schrieb, sondern weil er periodisch immer wieder signalisierte: So, ich beginne mich mit mir und Euch zu langweilen. - Das beleidigt natürlich alle Fans, denen er gerade noch festen Boden unter den Füßen geboten hatte.
Und so könnte Tim (oder ich) schlußfogern: Wenn mich mein eigener Textlangweilt, bin ich vielleicht nicht äußerlich, sonder innerlich von Enge umstellt Dann könnte ein Neuanfang anstehen.
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"Eindeutig" sind für mich nur Meinungen - deren Wesen ja gerade darin besteht, dass man selektiert, abstrahiert und bewertet.
"Klar" hingegen sind alle Phänomene, die Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut berühren, bevor sie sich dann im Kopf in subjektive Wahrnehmungen verwandelt.
In einem Text interessiert mich, wie der Autor seine Welt sieht. Das Unwichtigste für mich sind seine Meinungen. Ich möchte am liebsten in sein Hirn kriechen, durch seine Sehschlitze seine Welt sehen, über seinen Ohren Klänge saugen, mit seiner Nase riechen und seiner Zunge schmecken usw. Ich würde so gern mal einige tage in einen fremden Körper schlüpfen, um das verzerrende Spiel der Emotionen besser zu verstehen
"Klar" wird für mich ein Text, wenn er zwischen Meinung (Emotionen) und Beobachtungen zu unterscheiden versucht. Also:
- Eine moderne Atomrakete auf einer Parade strahlt für mich kaum Schrecken aus. Anders als das Bild eines Atompilzes über den Bikini-Inseln aus den 50igern. Aber was ist an einem alten Atompilz gefährlich?
- Ein Unfall wird nicht unblutiger, wenn unter den Toten keine Kinder sind. Wieso sind Kinder bedauernswertere Opfer?
- Sicher ist die "Finanzkrise" eines der häufigsten Schlagworte . Aber wieso konnte mir bisher keiner erklären, wie eine Finanzkrise funktioniert?
- Viele Bewohner der alten Bundesländer behaupten, dass sie gegen das Unrecht in der DDR demonstriert hätten. Wer aber geht heute wegen der steigenden Benzinpreise auf die Straße? - Wann wird Widerstand notwendig?
Was in einem Text ist noch klare Wahrnehmung? Was bereits nichts weiter als eindeutige Meinung, emotionale Bewertung? Die Emotionen steuern nicht nur die Wahrnehmungen, sie verzerren sie auch. Ich erwarte von einem guten Autoren (Vorsicht: unklare Bezeichnung), dass er Freude daran hat, seinen Wahrnehmungen so lange zu misstrauen, wie die verknüpften Emotionen - die Regisseure seiner Kopffilme - noch unbekannt sind. Je emotionsloser wir die Welt beschreiben, umso stärkere emotionale Wirkung können wir hinterlassen.
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Praktisch funktioniert das bei mir so: Augenblicklich schreibe ich mit einer jungen Co-Autorin. Sie sagt öfters:"diese Zeile von Dir mag ich nicht! Ich frage natürlich: "Was stört Dich?" - Sie vertritt dann meistens Meinungen wie: "Das fühlt sich nicht gut an... so was sagen Frauen nicht... diese Worte benutzen junge Leute nicht... nicht mehr". Unser Trick besteht nun darin, auf Verteidigungen zu verzichten und statt dessen zu fragen: "Was erwartest DU denn von unserer Idee ?" -
Nun beginnt ein gefährliches Spiel. Man braucht viel Geduld und Zuversicht, um KLARHEIT über eigene, aber auch gemeinsame Ziele zu gewinnen. Vor allem braucht man ein feines Ohr für konkurrierende Emotionen. Sie mag Formulierungen, die weich und zuversichtlich sind. Ich liebe Formulierungen, die das Veränderliche betonen. Wir sind uns leicht einig darin, welche Bilder wir für eine Liebesnacht nehmen würden. Aber völlig uneins über die Worte.
ABER: Wir beginnen uns zu vertrauen. Wir hindern uns daran, unsere Meinungen unwidersprochen zu predigen. Wir zwingen uns, einen Konsens über stimmige Bilder zu suchen. Bilder haben den Vorteil, dass sie den Eindruck von Neutralität vermitteln. Keiner macht den Fotografen dafür verantwort, dass er Grausamkeiten einfängt. Auf diesem Wege haben wir beide den Eindruck, Eindeutigkeit zu verlieren und Klarheit zu gewinnen.
Ist das... ...klar ausgedrückt?
Hätte wir auch probieren können...
Ok. Viele Wege führen nach Rom. Diesen Gedanken Deines letzten Posting unterstreiche ich!! Ich habe fertig.
Danke. Wir verstehen uns wieder aufs Wort! - Diesmal rücke ich hoffentlich näher an Deine Position als vorher.
Das mit Dylan könnten wir wiedermal so zusammen fassen: Ich stimme Dir in jedem Wort zu! - Aber warum so hetzen. Wen wir bis jetzt nicht vergrault haben, der will es vielleicht auch konkreter.
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Dylan fasziniert mich wie kein zweiter lebender Dichter. Ist es nicht erstaunlich , wieviel Freiheit des Geistes ein kleines Lied, aber AUCH eine Karriere vertragen kann? Dass man sich vom weltlichen Lob maximal unabhängig machen kann.... ohne finanziell in den Ruin zu treiben - Das in seinem Falle jedes verlorene Publikum nur Platz für ein neues machte
Deshalb führte auch ICH den Dylan in diesen thread ein. Weil dieser regelmäßig alle festen Regeln und Erkenntnisse - historisch gesehen - mit einer kurzen Handbewegung vom Tisch fegte. - Jahrelang tat ich mich schwer mit seinen christlichen Texten. Fand sie unheimlich eng. Bis ich irgendwann erkannte: Das Gefühl der Enge produziert MEIN Hirn, nicht Dylan!
Und auch Tim könnte so seinen Text betrachten: je mehr Leute ihn zu einem breiten Panoramabild drängen wollen, um so größer ist die Möglichkeit, dass er gerade draußen von ner Menge enger Geister umstellt ist:D
ALLERDINGS: Dylans weltweite Anhängerschaft fraß ihm aus der Hand, weil beispielsweise seine ersten Texte mMn etwas vereinten, was bis dahin getrennt marschierte: die sentimentalen Geschichten des Country&Westerns, die coolen und erdigen Sprüche des Blues auf der einen Seite und die unbegrenzte Bilderwelt der europäischen Lyrik (z.B. Brecht oder Rimbaud) auf der anderen.
Dylan enttäuschte später nicht, weil er plötzlich schlechter schrieb, sondern weil er periodisch immer wieder signalisierte: So, ich beginne mich mit mir und Euch zu langweilen. - Das beleidigt natürlich alle Fans, denen er gerade noch festen Boden unter den Füßen geboten hatte.
Und so könnte Tim (oder ich) schlußfogern: Wenn mich mein eigener Textlangweilt, bin ich vielleicht nicht äußerlich, sonder innerlich von Enge umstellt Dann könnte ein Neuanfang anstehen.
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x-Riff schrieb:Ich weiß nicht, ob ich zusammenbekomme, was für Dich genau der Unterschied zwischen EINDEUTIG und KLAR ist ... außer bei Bildern, bei denen ich Dir beipflichte, dass beispielsweise Bilder, die man im Traum sieht, klar und mehrdeutig sein können ... ich meine aber eher Aussagen, die sowohl klar als auch eindeutig sind: war - what is it good for - absolutely nothing ... -
"Eindeutig" sind für mich nur Meinungen - deren Wesen ja gerade darin besteht, dass man selektiert, abstrahiert und bewertet.
"Klar" hingegen sind alle Phänomene, die Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut berühren, bevor sie sich dann im Kopf in subjektive Wahrnehmungen verwandelt.
In einem Text interessiert mich, wie der Autor seine Welt sieht. Das Unwichtigste für mich sind seine Meinungen. Ich möchte am liebsten in sein Hirn kriechen, durch seine Sehschlitze seine Welt sehen, über seinen Ohren Klänge saugen, mit seiner Nase riechen und seiner Zunge schmecken usw. Ich würde so gern mal einige tage in einen fremden Körper schlüpfen, um das verzerrende Spiel der Emotionen besser zu verstehen
"Klar" wird für mich ein Text, wenn er zwischen Meinung (Emotionen) und Beobachtungen zu unterscheiden versucht. Also:
- Eine moderne Atomrakete auf einer Parade strahlt für mich kaum Schrecken aus. Anders als das Bild eines Atompilzes über den Bikini-Inseln aus den 50igern. Aber was ist an einem alten Atompilz gefährlich?
- Ein Unfall wird nicht unblutiger, wenn unter den Toten keine Kinder sind. Wieso sind Kinder bedauernswertere Opfer?
- Sicher ist die "Finanzkrise" eines der häufigsten Schlagworte . Aber wieso konnte mir bisher keiner erklären, wie eine Finanzkrise funktioniert?
- Viele Bewohner der alten Bundesländer behaupten, dass sie gegen das Unrecht in der DDR demonstriert hätten. Wer aber geht heute wegen der steigenden Benzinpreise auf die Straße? - Wann wird Widerstand notwendig?
Was in einem Text ist noch klare Wahrnehmung? Was bereits nichts weiter als eindeutige Meinung, emotionale Bewertung? Die Emotionen steuern nicht nur die Wahrnehmungen, sie verzerren sie auch. Ich erwarte von einem guten Autoren (Vorsicht: unklare Bezeichnung), dass er Freude daran hat, seinen Wahrnehmungen so lange zu misstrauen, wie die verknüpften Emotionen - die Regisseure seiner Kopffilme - noch unbekannt sind. Je emotionsloser wir die Welt beschreiben, umso stärkere emotionale Wirkung können wir hinterlassen.
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Praktisch funktioniert das bei mir so: Augenblicklich schreibe ich mit einer jungen Co-Autorin. Sie sagt öfters:"diese Zeile von Dir mag ich nicht! Ich frage natürlich: "Was stört Dich?" - Sie vertritt dann meistens Meinungen wie: "Das fühlt sich nicht gut an... so was sagen Frauen nicht... diese Worte benutzen junge Leute nicht... nicht mehr". Unser Trick besteht nun darin, auf Verteidigungen zu verzichten und statt dessen zu fragen: "Was erwartest DU denn von unserer Idee ?" -
Nun beginnt ein gefährliches Spiel. Man braucht viel Geduld und Zuversicht, um KLARHEIT über eigene, aber auch gemeinsame Ziele zu gewinnen. Vor allem braucht man ein feines Ohr für konkurrierende Emotionen. Sie mag Formulierungen, die weich und zuversichtlich sind. Ich liebe Formulierungen, die das Veränderliche betonen. Wir sind uns leicht einig darin, welche Bilder wir für eine Liebesnacht nehmen würden. Aber völlig uneins über die Worte.
ABER: Wir beginnen uns zu vertrauen. Wir hindern uns daran, unsere Meinungen unwidersprochen zu predigen. Wir zwingen uns, einen Konsens über stimmige Bilder zu suchen. Bilder haben den Vorteil, dass sie den Eindruck von Neutralität vermitteln. Keiner macht den Fotografen dafür verantwort, dass er Grausamkeiten einfängt. Auf diesem Wege haben wir beide den Eindruck, Eindeutigkeit zu verlieren und Klarheit zu gewinnen.
Ist das... ...klar ausgedrückt?
Hätte wir auch probieren können...
Ok. Viele Wege führen nach Rom. Diesen Gedanken Deines letzten Posting unterstreiche ich!! Ich habe fertig.
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