Hallo zusammen,
ich bin in den 90ern durch mein (freilich brotloses) Neben-Studium der Ägyptologie automatisch in Kontakt mit der modernen ägyptischen Kultur gekommen und hatte mich damals ziemlich in die für europäische Ohren gewöhnungsbedürftige (gelinde gesagt) Klang-Ästhetik der arabischen Musik eingehört.
Allen voran natürlich die umwerfende Umm Kulthum, die ein hervorragender Ausgangspunkt für anspruchsvolle arabische Musik war (und von ihrem Orchester gibt es sogar Aufnahmen mit Akkordeon).
Ich bin also eindeutig Ägypten-fokussiert, habe nicht einmal viel Ahnung von den türkischen Varianten. Aber Ägypten ist ja sozusagen das Amerika Arabiens und setzt sozusagen sprachlich wie musikalisch Standards.
Das Akkordeon kam vor ca. 100 Jahren nach Ägypten.
Es wurde zunächst serienbelassen eingesetzt, und war recht beliebt, weil es so "exotisch" war.
Die genannten Umstimmungen kamen erst später.
Grundlegendes zu den Maqamat
Vorausschicken möchte ich ein paar einleitende Bemerkungen zu den arabischen Modi/Skalen, den "Maqamat":
Sie sind - genau wie unsere westlichen Tonleitern -
heptatonisch, bestehen also aus
7 Tönen.
Außerdem haben sie viel Ähnlichkeiten mit unseren klassischen Kirchentonleitern - auch da geht man von einem festen Tonvorrat aus und verschiebt den Grundton. Es gibt bei den Maqamat beispielsweise sogar - genau wie bei den Kirchentonarten - den Begriff "Finalis".
Vorzeichen/Versetzungszeichen kamen ja erst später bzw. fingen ganz harmlos mit dem bekannten Sonderfall b rotundum und b quadratum an, der schließlich zur auch in diesem Board berüchtigten B/H-Diskussion führte.
Und ebenfalls wie in der Gregorianik ist arabische Musik grundsätzlich unisono - auch in einem großen Orchester spielen alle ein und dieselbe Stimme (von der Oktavlage abgesehen). Moderne arabische Popmusik möchte ich hier ausdrücklich ausnehmen.
Diese Instrumente sind eindeutig wechseltönig/diatonisch, also "Steirische, Clubharmonikas, Bandoneons etc.", weil ja bei den Bandoneons die teilweise gleichtönigen Instrumente - und das sind nicht wenige - auch in diese Kategorie fallen.
Im Grunde nicht diatonisch, sondern immer noch chromatisch, wobei lediglich je nach Zugrichtung ein paar Töne abweichend von unserer gleichschwebenden Stimmung ca. einen Viertelton tiefer gestimmt sind.
Für mich also quasi "chromatisch wechseltönig".
Typische Instrumente für arabische Musik
Neben dem Gesang kommen meist Melodieinstrumente zum Einsatz, die "stufenlos regulierbare" Tonhöhen ermöglichen: das geht natürlich hervorragend mit unseren westlichen
Streichinstrumenten.
Und die bei uns vor allem aus Kreuzworträtseln bekannte Oud (arabische Kurzhalslaute - bei dieser Gelegenheit herzliche Grüße an unsere Kurzhalsgiraffe
@okapi) hat ebenfalls
keine Bünde, so dass auch hier Vierteltöne problemlos umsetzbar sind.
Bei
Blasinstrumenten kann der Ton durch den Ansatz oder Blasdruck angehoben oder abgesenkt werden.
Bleiben also wieder mal die Tasteninstrumente als Problembären (und beim Akkordeon helfen diesmal Knöpfe auch nicht).
Moderne Keyboard-Lösungen
Von modernen elektronischen Keyboards (im Sinne von Alleinunterhalter-Tischhupen) gibt es oft auch "oriental"-Ausgaben, die nicht nur typisch orientalische Rhythmus- und Melodieinstrumente oder Begleitstyles bieten, sondern vor allem auch alle benötigten arabischen Skalen erzeugen können, selbst frei programmierbar.
Oft gibt es sogar 12 Knöpfe, die wie die Tasten einer Oktave angeordnet sind, mit denen sich während des Spielens einzelne Tönen einen Viertelton tiefer schalten lassen.
Synthesizer oder Workstations erlauben meist auch, beliebige eigene Skalen zu programmieren.
Bei akustischen Instrumenten geht das natürlich nicht!
Deshalb halte ich die wechseltönige Akkordeon-Lösung für geradezu genial!
Es sind - wie in unserer westlichen Welt - für sich gesehen also "nur" heptatonische Skalen, die sich allerdings nicht alle mit unserem wohltemperierten Tonvorrat spielen lassen.
Klangbutters komplett vierteltönige Lösung sowie diverse Ansätze, Viertelton-Tasteninstrumente zu bauen, ist deshalb für arabische Musik eigentlich übertrieben und überhaupt nicht nötig.
In jedem Falle wundert mich, dass es Euch so interessiert. Klanglich stößt man damit doch fast ausschließlich auf Ablehnung. Wo immer ich Vierteltöne anbiete, blicke ich angewiderte Gesichter.
Stimmt. Aber dieses Problem hat Neue Musik ja auch ohne Mikrotonalität... War es nicht Helge Schneider, der sinngemäß gesagt hat: "Dat Problem mit der Neuen Musik is, dat die scheiße klingt!"
Die arabische Musik kennt ja allerlei exotische Skalen, die sich nicht alle mit unserer gleichschwebenden Stimmung spielen lassen.
Obwohl man selbstverständlich frei transponieren kann, haben die Maqamat (Singular: Maqam) auch eine typische Finalis, eben wie die Kirchentonarten.
Zum Beispiel der beliebte und häufige Maqam Bayati hat meist Finalis Re (D):
Rot eingefärbt sind die um (ca.) einen Vierteltonschritt abgesenkten Töne e und h (die auch im Ausgangsvideo genannt werden).
Zu beachten ist, dass es Unterschiede zwischen Auf- und Abwärtsbewegung gibt, ähnlich wie bei unserem melodischen Moll.
Ich schreibe bewusst "ca.", weil es regionale Unterschiede gibt und der Vierteltonschritt nur eine (wenn auch sehr gute) Annäherung ist, etwa vergleichbar mit unserer gleichschwebenden Quinte im Verhältnis zur idealen reinen Quinte.
Der Maqam Bayati ist sehr zentral und wird sogar in religiösen Gesängen (gesungene Koransuren usw.) meist als Ausgangsbasis benutzt.
Bemerkenswert wäre meiner Meinung nach, dass die rot eingefärbten Viertelton-Zwischenstufen
genau zwischen ihren beiden Nachbarn liegen: Das Intervall vom D zum abgesenkten E ist genauso groß wie das Intervall vom abgesenkten E zum F. Für das abgesenkte H gilt entsprechendes.
Das ist also durchaus nachvollziehbar, klingt für uns nur sehr gewöhnungsbedürftig.
So ist es - Manfred spielt eine "ganz normale" chromatische Gola. Dass die manchmal orientalisch klingt, liegt am Spieler :-D ...
Wobei man nicht vergessen darf, dass das dann für uns Europäer "orientalisch" klingt, aber unter Umständen für Araber wie Katzenmusik wegen der "schiefen" Töne.
Falls sich Herr Leuchter irgendwo um Vierteltöne herummogelt, wäre das vielleicht zu vergleichen mit den berüchtigten "Blue Notes", die auf dem Klavier ja auch nur als Notbehelf und in Annäherung gespielt werden können, weil sie ebenfalls von unserer gleichschwebenden Temperierung abweichen.
Für die arabische Musikwelt wäre das so ähnlich wie das fernsehtaugliche "Platt" des Ohnsorg-Theaters. Klingt für süddeutsche Ohren wie Platt, isses aber nich.
Es gibt jedoch auch viele Maqamat, die sich exakt mit unserer gleichschwebenden Stimmung spielen lassen: Zum Beispiel der Maqam Hijaz Kar:
Der "orientalische" Eindruck entsteht vor allem durch die Hiatus-Schritte (drei Halbtonschritte) von Des zu E und von As zu H.
"Bei uns" gibt es ja nur Halb- oder Ganztonschritte.
Als letztes Beispiel (keinerlei Anspruch auf Sinnzusammenhang oder Vollständigkeit, es geht nur darum, das Prinzip zu verdeutlichen) haben wir schließlich die dritte E- und H- Variante, nämlich die klassische Absenkung um einen Halbtonschritt:
Diese drei Varianten (erniedrigt um einen Halbtonschritt, einen Vierteltonschritt und nicht ernierdigt) lassen sich dank Wechseltönigkeit perfekt mit einer Standard-Tastatur abbilden. Ist doch toll!
Die sprichwörtliche arabische Uneinigkeit...
... sorgt dafür, dass all das natürlich nicht standardisiert ist: Manchmal kommen das erniedrigte E und das erniedrigte H auf Druck, manchmal auf Zug, manchmal entgegengesetzt. Alles hat Vor- und Nachteile.
Für ein Instrument mit Vierteltönen scheint mir eine dritte etwas zurückliegende Tastenreihe mit allen Vierteltönen am vorstellbarsten aber räumlich für ein Akkordeon abgesehen vom Aufwand nicht machbar.
Ja, schon, ist aber wie gesagt für arabische Musik nicht einmal nötig.
Für eine komplette Viertelton-Sonderanfertigung hätte in Ägypten wohl sowieso niemand das nötige Geld, abgesehen von ein paar geschickten Bettlern, die das Vielfache eines Krankenhausarztes verdienen, weil die Touristen keine Relationen kennen.
Viele Grüße
Torsten