Barockgitarre aus Frankreich, ca. 1760

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Hallo zusammen,

Es gibt sie noch, die berühmten Kellerfunde. In dem Fall etwas was ich mir schon immer gewünscht habe, eine originale Barockgitarre aus der Zeit.

Wir befinden uns im Frankreich der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Wir Gitarristen spielen seit nunmehr 150 Jahren auf unseren Instrumenten mit 5 Saitenchören, in etwa 20 bis 30 Jahren Jahren kommt jemand auf die Idee jeweils nur noch eine einzelne Saite zu verwenden, und eine tiefe E-Saite zusätzlich auf die Instrumente zu spannen. Nochmals etwa 100 Jahre später baut ein findiger Spanier eine Gitarre mit deutlich grösserem Korpus, dünnen Hölzern und kunstvollen Verstrebungen welche der Decke zusätzliche Stabilität verleihen sollen.
Aber davon sind wir hier noch weit entfernt.

Mein neuster Patient hat wohl die letzten 100 Jahre als Wanddekoration verbracht, jedenfalls legt die Nylonschnur die zur Aufhängung gedient hatte dies nahe:

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Ich möchte mich bei allen Vorbesitzern bedanken welche das gute Stück nicht verbastelt oder gar auf 6 Saiten umgebaut haben. Dabei wurde oft sehr viel von der originalen Substanz verändert, und der Rückbau auf die barocke Einrichtung ist sehr mühsam:

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Das Etikett im Innern weist auf eine Reparatur (racomodé) durch einen bekannten Instrumentenbauer und Händler aus Paris hin, Jean Baptiste Deshayes Salomon. Hier auch noch ein Auszug aus dem Werk von Lütgendorff, der Informartionen zu fast allen bekannten Instrumentenbauern zusammen getragen hat:

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Die Bünde aus Elfenbein sind sicher eine nachträgliche Modifikation. Es tut mir schon fast leid das die bei der Restaurierung wieder welchen aus Darm weichen müssen.
Falls ihr mögt kann ich hier gerne Bilder davon zeigen, nach einer längeren Geschäftsreise meinerseits wird es sicher schon erste Resultate geben.

Liebe Grüsse, Michael
 
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Hallo Michael,

Sehr spannend und informativ. Ich freue mich auf Deine Beschreibung der Restaurierung.

Viele Grüße

FunkyDuke
 
Was für ein Fundstück! Das Binding finde ich superschön. Und ja biite, lass uns an dem Projekt teilhaben!

Banjo
 
Liebe alle,

Das werde ich doch sehr gerne tun. Übergabe an den Gitarrenbauer der auch die Stradivari für mich gebaut hat ist nächste Woche,
Hier noch ein kleiner Grössenvergleich mit einer Gitarre wie wir sie heute kennen, ist deutlich handlicher.....

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Liebe Grüsse!!
 
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Toller Fund! Glückwunsch :great:
 
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Hallo Kollegen,

Würde euch gerne ein paar Bilder der restaurierten Gitarre zeigen, allerdings hat sich alles duch Umzüge bei mir und meinem Gitarrenbauer verzögert. Daher habe ich die Zeit genutzt etwas Recherche zu betreiben, gerne lasse ich euch an meinen Erkenntnissen teilhaben. Zu dem Label im Innern der Gitarre lässt sich folgendes sagen:
Aus Lütgendorffs "Die Geigen - und Lautenmacher vom Mittelalter bis zur Gegenwart"

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Ich würde dem Herrn Decombe mal den Umbau auf die Elfenbeinbünde andichten, andere Reparaturen konnte ich bisher nicht finden.
Zum Typus der Gitarre, wir sind hier stark inspiriert von den Instrumenten Voboams, die Familie war aber einige Jahrzehnte vorher tätig und eine echte Voboam ist dann noch schwieriger zu finden. Meine ist ja nun gegen Ende der Barockzeit entstanden.

Gitarrenbauer aus Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts:

Lambert, Deleplanque, Aubert..... Alles Instrumentbauer dieser Ära, und interessant sind hier vor allem die Instrumente von Aubert, der hatte es auch mit diesen mehrstreiffigen Konstruktionen von Boden und Zargen. Beispiel hier: https://vichy-encheres.com/2022/10/10/collection-calas/
Bisserl nach unten scrollen.

Hier eine Nicolas Lambert (bei Sinier de Ridder käuflich zu erwerben):

Aubert hätte sein Werk sicher signiert (oder besser gestempelt), auch sind viele Details einfach anders. Ich habe dann mal etwas weiter gesucht und bin in einem Museum in Edinburgh auf dieses Instrument gestossen:
Übrigens mit schönem Beispiel wie sowas klingen kann. Rein optisch sind wir da schon nahe dran..... Obwohl dieses Exemplar mit seiner rundlicheren Form schon die nahende Zeit der romantischen Gitarre vorweg nimmt.

Kürzlich bin ich dann auf Youtube auf dieses kurze Video aus einem Museum in Venedig gestossen, da sieht man das folgende Instrument:

View: https://youtu.be/EG17HyZu0sk?si=0P0-JOzWorzqQSNr
Auch nicht weit weg, die Rosette würde ich mal als spätere Zutat vermuten da späte Barockgitarren selten eine hatten.

Ausflug in die Dendrochronologie:

Gestern durfte ich beim Dendrochronologischen Labors des Kantons Bern zu Gast sein. Eigentlich wollten mein Freund und ich ein paar Halszithern aus dem Emmental datieren lassen, wir vermuten das es die ältesten in der Schweiz im ländlichen Raum verbreiteten Cistern sind. Leider ist keine datiert, daher die Idee es mit der Dendro zu versuchen. Also habe ich mein Exemplar mit Löwenkopf unter den Arm geklemmt und bei der Gelegenheit gleich auch die Barockgitarre in den Kofferraum gelegt. Mein Kollege hatte ebenfalls so eine Cister dabei, vermutlich das ältere der beiden Exemplare.
Das Team dort am Bielersee war unglaublich freundlich, und bei Kaffee wurde stundenlang über dieses faszinierende Thema gequatscht. Die Patienten lagen also alle vor uns auf dem Tisch:

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Es wurden auch Fotos von meiner Gitarre gemacht (die Cistern waren ein wenig schwieriger weil deutlich kleinere Decken).

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Nach dem Photographieren und dem Vermessen der Jahresringe an meiner Gitarre kam dann die grosse Überraschung.... Sie konnten mit einer nahezu perfekten Übereinstimmung das Holz datieren. In meinem Fall auf eine Herstellung um 1775 oder wenige Jahre davor/ danach, unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Lagerung vor der Verwendung. Das "Pattern" der Jahresringe hat wirklich perfekt zu den in den Datenbanken gespeicherten Vergleichsmustern gepasst.

Alles in allem eine grossartige Erfahrung, auch wenn ich die Stunden für die Recherche wohl lieber ins spielen stecken würde.
Hoffe es war interessant, dereinst gibt es Bilder von der Restauration des Instruments und hoffentlich ein paar Klänge dazu.

Es grüsst euch der Michi
 
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Wie wird das gute Stück denn gestimmt?
 
Rückläufige Stimmung, also die D-Saite oktaviert. Die beiden a's dann abenfalls als Oktave
 
Rückläufige Stimmung, also die D-Saite oktaviert. Die beiden a's dann abenfalls als Oktave
Sry, das verstehe ich gerade nicht.

e' – h – g – d' – a und d sowie a gedoppelt, das wären dann aber nur 7 Saiten. Deine Gitarre hat 10 Stimmwirbel?
 
Die hohe e-Saite ist nur einfach aufgezogen (Chanterelle). Dann h'h, g'g, Dd' und a'a'. Man braucht also bei dieser Stimmung nur 9 der 10 Wirbel, einer ist dann halt aus Gründen der Symetrie unbenutzt. Wer mag kann die hohe e Saite auch chörig aufziehen, in der Praxis macht man das aber nicht.

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Lieben Gruss!!
 
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Fantastisch. Ich finde es wahnsinnig faszinierend, dass dieses Instrument sogar noch vor der französischen Revolution gebaut wurde. Was diese Gitarre alles gesehen hat ... brutal.

Ich mag sowas. Auch deshalb habe ich drei Ukulelen die mittlerweile immerhin schon jeweils knappe 100 Jahre auf dem Buckel haben aber dein Fundstück toppt das natürlich.

Kann man denn sagen wie selten sowas wirklich ist und mit einem groben Wert beziffern? Ich habe gerade ein paar Minuten gegoogelt und finde ein Angebot einer Mandoline von ebenfalls kurz vor der französischen Revolution. Im renovierten Zustand beinahe 7.000€ .... hui. Für die Seltenheit bestimmt angemessen ;)

Und spielst du diese Barockgitarre jetzt auch regelmäßig oder dient sie nach der Renovierung mehr als eine Art Ausstellungsstück? Wenn du sie auch ab und an spielst .... gibt es da zufällig Hörbeispiele?
 
Zuletzt bearbeitet:
SIe ist noch nicht restauriert, seit dem ich sie letztes Jahr gekauft hatte sind wir leider noch nicht dazu gekommen. Aktuell liegt bei meinem Gitarrenbauer noch eine Gitarre aus der Zeit der Romantik auf dem Tisch, deren sehr aufwändige Restaurierung muss erst noch abgeschlossen werden. Dann geht es hoffentlich hier los.
Ziel ist es schon das sie wieder klingen darf, die Substanz ist sehr gut. Nichts grossartig verbastelt wie man es leider so oft sieht, häufig wurden sie schon kurz nach 1800 dem Geschmack der Zeit angepasst und auf 6 Saiten umgebaut. Diese Gitarren waren schon damals teuer, schnell in einen Laden gehen und eine neue Gitarre kaufen (mit 6 Saiten) war nicht so einfach wie heute.

Auf Reverb findest du ein paar Angebote für originale Barockgitarren, alle in etwa der von dir genannten preislichen Region. Der Kreis an Interessenten ist eher überschaubar, die meisten Instrumente liegen dann auch eher hinter Glas in irgendwelchen Museen. David Jacques aus Kanada hat nicht nur eine beneidenswerte Sammlung, er verkauft auch immer wieder mal Gitarren aus dieser Epoche:


Ich finde es auch interessanter die Instrumente live erleben zu dürfen statt sie in einer Vitrine anschauen zu müssen. Wenn der Zustand es zulässt und eine Wiederherstellung der Spielbarkeit ohne zu grobe Eingriffe in die originale Substanz möglich ist gehe ich immer diesen Weg.
Ja, spannend was die Dinger in diesen zweieinhalb Jahrhunderten erlebt haben. Darum liebe ich antike Instrumente, sie erzählen Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit.

Lieben Gruss, Michi
 
Schade, dass die Saiten fehlen...
 
Da sah damals (mit Saiten) nicht wirklich hübsch aus als ich sie abgeholt hatte

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