HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Ich meinte damit z.B., dass man Skalen verwendet, die über 2 Oktaven gehen, und in beiden Oktaven nicht notwendigerweise die selben Töne vorkommen.
Das dürfte nur in Tonleitern vorkommen, mit denen einstimmige Musik gemacht wird, wie z.B. die altgriechische (keine Oktavidentität, sondern Quintidentität) oder der arabischen (Okatve hat anderen Notennamen und anderen Charakter).
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Ich sehe allerdings keine vernünftige akustische oder physiologische Erklärung, warum man bei einem Moll-Dreiklang den tiefsten Ton als Grundton wahrnehmen sollte, das Selbe mit einem m7, m7b5 oder °7. Wenn ein Akkord sich nur schwer aus der Obertonreihe ableiten lässt, ist es dann nicht besser, ihn als Zusammenklang ohne festen Grundton zu betrachten? Und wenn man einen festen Grundton wählt, sollte es nicht der Ton sein, der zu allen Akkordtönen im konsonantesten Verhältnis steht?
Gut, nehmen wir einmal den Moll-Akkord, der sich nur schwer aus der Obertonreihe herleiten läßt bzw. zum passenden Grundton gar nicht.
Ich würde eher von der musikalischen Empfindung ausgehen, die auch bei Moll einen Grundton lokalisiert und versuchen das zu erklären. Die Grundtonempfindung mag schwächer sein als bei einem Dur-Akkord, doch sie ist m.E. ganz eindeutig.
Momentan erkläre ich mir das mit einer Ähnlichkeit zum Dur-Akkord. Letzterer ist ja in der Obertonreihe vorhanden. Moll weicht etwas davon ab, aber nicht in beliebiger Weise, sondern in einer, die ebenfalls Stabilität erzeugt, eine etwas geringere. Die Stabilität erhält der Moll-Akkord wohl dadurch, daß er aus den gleichen Intervallen mit kleinen ganzahligen Frequenzverhältnissen aufgebaut ist (kleine Terz, große Terz), wie der Dur-Akord. Also ein herausragender Fall von Harmonie, bedingt durch die einfachen Zahlenverhältnisse 6:5 und 5:4, welche sich in der Summe zu 3:2 ergänzen. Die umgekehrte Terz-Anordnung läßt ihn nicht ganz so harmonisch erscheinen, denn durch unsere alltägliche Erfahrung der Obertonreihe (insbes. menschl. Stimme) wird er nicht bestätigt. Da er mit dieser nicht so gut harmoniert erscheint leicht "getrübt".
Die Argumentation mit dem "tiefsten Ton" kann ich nicht nachvollziehen, denn bei einem Dreiklang (z.B. Dur oder Moll) können wir alle Oktavierungen über den gesamten Hörbereich gleichzeitig erklingen lassen und empfinden dennoch einen dieser drei Tönen als den wichtigsten - den Grundton.
Die Grundtonerfahrung allgemein ist für mich auch ganz plausibel aus unseren Hörerfahungen ableitbar. Der Dur-Akkord läßt sich als sehr wichtigen Ausschnitt aus der Obertonreihe betrachten, welcher wir täglich ausgesetzt sind. (Die menschliche Stimme ist ein harmonischer Schwinger.)
Selbst wenn der Grundton der Obertonreihe durch technische Mittel weggelassen wird, so empfinden wir ihn dennoch. Wir hören dann z.B. "Bässe" in einem kleinen Lautsprecher, obwohl sie objektiv aus physikalischen Gründen (Wellenlänge) gar nicht vorhanden sein können. Warum hören wir sie dennoch? Weil wir aufgrund unserer Erfahrung ein bekanntes Muster erkennen und automatisch ergänzen. Hier optische Analogien dafür, daß wir leicht zu bereits gelernten Mustern ergänzen:
(Muster nicht mehr abrufbar.)
Wir hören von "unten nach oben". Warum? Weil der Grundton die Frequenzen der Obertöne bestimmt (Vielfaches vom Grundton).
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Es mag sein, dass es viele konsonante Akkorde gibt die auf Terzstapelung beruhen, aber letztendlich sollten die Gründe harmonischer Natur sein.
Sie sind harmonischer Natur! Die konsonanten Akkorde kann man aus 5:4 und 6:5 herleiten. Auch 7:6 würde ich dazuzählen. Jedenfalls ist der Septakkord mit Naturseptim konsonanter als der mit gleichstufiger Septim. Letztere kann auch als ungenaues Abbild des ersteren angesehen werden, wenn der Septakkord als konsonant betrachtet wird. Ungenau, bedingt durch die Dominanz der Hepatatonik/Dodekatonik. Letztere hat große praktische Vorteile und von daher eine Berechtigung.
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Bei den Griechen hatte der enharmonische Tetrachord eine besondere Bedeutung, Blues-Leitern haben chromatische Zwischentöne und sind besonders beliebt bei Anfängern, Tonleitern mit 6 oder 8 Tönen (letzteres vor allem mit mikrotonalen Intervallen) wären denkbar - ich finde es alles andere als offensichtlich, dass man beim Tonsystem automatisch auf eine Diatonik kommen sollte.
Griechen, Blues-Tonleitern, Tonleitern mit 6 oder 8 Tönen... Das ist m.E. alles Material, mit dem man melodisch dominierte, gar einstimmige Musik macht. Sucht man ein Tonsystem, mit dem man hochentwickelt harmonisch mehrstimmig komponieren möchte, wird man automatisch auf das diatonische System stoßen.
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Ob es der typische Anfang eines Tonsystems ist, dass man erst einmal die Oktave in eine Quart und eine Quint einteilt, und die sich ergebenden Quarten in einen Tetrachord (oder Trichord)? Ich denke darüber kann man nur spekulieren, aber ich finde es ist zumindest ein interessanter Gedanke.
Ich denke die musikalische Entwicklung ist durch parallele Entwicklungslinien gekennzeichnet, nicht durch ein strenges Nacheinander. Am Anfang würde ich eher die Melodie (und Rhythmus) sehen. Später fand man, daß bestimmte Tönen ein besonderes Verhältnis zu anderen haben - ein harmonisches. Vielleicht lag den Griechen die Quint aus melodischen Gründen näher als die Oktav? Sie bezeichneten die Quinten mit dem gleichen Namen, nicht die Oktaven, was sich auch bei uns bis in das Mittelalter hielt.
Jedenfalls entdeckt irgendwann jede Kultur die harmonischen Verhältnise, wenn sie sich weit genug entwickeln kann. Unsere Kultur schlug die Richtung einer hochentwickelten Mehrstimmigkeit ein. Deshalb spielt das diatonische System bei uns die dominierende Rolle, vor allem Dur. Andere Kulturen entwickelten eine ausgefeilte Melodik mit allerlei Tonleitern oder entwickelten eine differenzierte Rhythmik.
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Ich wusste nicht genau auf welche Harmonielehre du dich beziehst.
Im Prinzip auf alle. Das Phänomen der Harmonie ist so vielschichtig, daß ein einzelnes Buch, ein einzelner Mensch oder eine einzenle Kultur nicht alle Teilaspkete erfassen können. Wertvolle oder zumindest bemerkenswerte Erkenntnisse lassen sich aus vielen Ansätzen gewinnen.
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Ich wollte einfach damit ausdrücken, dass es in einer anderen Musikkultur weniger vorhersehbar sein könnte, wie es weitergeht, oder dass man einfach andere Hörerwartungen hat;...
Ich denke das Spiel mit Erwartung und Enttäuschung/Erfüllung wird in jeder Kultur gespielt. Es zählt wohl zu den stärksten Ausdrucksmitteln. Wird allerdings eine musikalische Struktur zum Klischee, funktioniert das Spiel nicht mehr so gut. Deshalb muß man immer wieder einmal etwas Neues erfinden, um die Musik interessant zu gestalten. Allerdings gibt es auch musikalische Kräfte, die so stark sind, daß man sich ihnen auch nach 1000 Mal hören nicht entziehen kann. Oder es reicht eine bestimmte Veränderung, durch die etwas altbekanntes in neuem Kontext erscheint und die Kräfte wirken, als ob man sie zum ersten Mal erlebt hätte.
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Nichtsdestoweniger kann der Effekt von Quintparallelen auch vom Komponisten erwünscht sein, und da sind mir die Harmonielehren ein wenig zu dogmatisch.
Klar kann der Effekt erwünscht sein. Es sind dann aber Kompositionen, die sich nicht dem Prinzip verpflichtet fühlen, daß alle Stimmen als solche gut erkennbar sein sollen.
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Bei den alten Griechen ist man mindestens bis zum 13. Teilton gegangen...In der indischen Musik ging man soweit ich weiß bis zum 5. Partialton...
... ob weitere Obertöne in manchen Musikstilen verwendet wurden weiß ich nicht. Weißt du da mehr?
Was die alten Kulturen angeht, so ist es da meist schwer, entsprechende schriftliche oder andere Belege zu finden. Wie sieht der Beleg für die Verwendung des 13. Teiltons bei den Griechen aus? Waren das vielleicht nur Experimente der Pythagoreer, die keinen Eingang in die musikalische Praxis Eingang fanden?
Die Verwendung von Obertönen in der Musik dürfte man am ehesten da finden, wo sie durch entsprechende Techniken begünstigt wird. Also, z. B. die Oberton-Gesangstechnik oder Instrumente, welche die Obertöne gut spielbar machen.
Die Oberton-Gesangstechnik hat
Tradition in Asien, Europa, Nordamerika und Südafrika.
Hier wird eine
Obertonleiter bis zum 16. Teilton gesungen.
Man kann daran sehr schön sehen, daß die Menschen aller Kulturen durch die menschliche Stimme eigentlich ständig mit Akkorden "bombardiert" werden - denen der Obertonreihe. Eine Veränderung der Räume in der Mundhöhle wirkt als Filter, der dann die einzelnen Töne im Obertongesang direkt wahrnehmbar werden läßt.
Hier ein mongolischer Meister:
http://www.youtube.com/watch#!v=0M3YFK3sJ54&feature=related
Einfache, diatonisch orientierte Melodien erhalten ihr Durchschlagskraft bis heute, wohl weil sie in das Muster der Obertonreihe hineinpassen. Hier ein Beispiel, in dem die breit akzeptierte offizielle "Europäische Hymne" (
"Ode an die Freude" von Beethoven)
allein mit den Obertönen eines einzigen Grundtons gesungen wird.
Bei den Instrumenten sind schon früh z.B.
Luren aus Bronze bekannt, auf denen hohe Obertönen leicht zu spielen sind.
Auch Langflöten sind lange bekannt, auf denen bestimmt auch höhere Naturtöne gespielt wurden. Die Chinesen hatten Langflöten (z.B. Xiao). Die
Fujara, eine 170cm grosse,
slowakische Hirtenflöte spielt heute noch eine gewisse Rolle.
Didgeridoos aus Nordaustralien sind ungefähr seit 2500-3000 Jahre nachweisbar.
Doch warum in die Ferne schweifen?
In alten Alphornmelodien, wie auch in den Melodien für Naturtrompeten, kommt dieser Ton (11. Naturton) jedoch ganz selbstverständlich vor, ebenso in modernen Kompositionen. In traditionellen Alphornstücken des 20. Jahrhunderts wird er aber vermieden. Dieselben Ausführungen gelten für den 13. Naturton!
Quelle:
http://www.alphornmusik.de/ALPHORN/alphorn.html
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Ich habe da immer noch so meine Zweifel, ob eine Fuge bei einer Skala mit unregelmäßigen Intervallschritten so sinnvoll wäre, allerdings weiß ich nicht genau, unter welchen Regeln du dir das genau vorstellst, die eingehalten werden müssen.
Die Zweifel habe ich auch, was die Tonschritte anbelangt, die größer als eine Sekunde sind. Als Regeln stelle ich mir nur vor, daß in einer Fuge, die einzelnen Stimmen gut erkennbar sind und daß das Stück harmonisch klingt. Dux und Comes sollen selbstverständlich nacheinander in allen Stimmen auftauchen. Interessant soll das Stück natürlich auch sein. Aber das läßt sich nicht einfach in Regeln fassen.
HëllRÆZØR;4731053 schrieb:
Die Anzahl der großen Terzen ist gleich, meintest du vielleicht die kleinen Terzen? Ich denke wie gesagt immer noch, dass eine bloße Aufzählung der Intervalle nicht viel bringt.
Richtig, ich meinte die kleinen Terzen, Entschuldigung. Naja, die Aufzählung der Intervalle ist schon ein gewisses Maß für die konsonanten Möglichkeiten. Versuche einmal mit der Ganztonleiter oder auch nur im lokrischen Modus eine harmonisch klingende Fuge zu schreiben.
Viele Grüße
Klaus