Aspekte der Tonalität

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Hallo,

wie wäre es etwas interdisziplinärer zu denken? Viele bildende Künstler haben Proportionen von "Schönheit" erforscht und scheinbar unterliegen wir heute immernoch dem selben Ideal. Mathematische Verhältnisse wie z.B. der goldene Schnitt. Pythagoras erforschte die Intervalle. Oktave 1:2, Quinte 1:3, doppelte Oktave 1:4, die Dur-Terz 1:5. Unsere Härchen im Gehörgang unterliegen den selben physikalischen Gesetzen. Es gibt zahllose Beispiele, die belegen, daß wir Menschenwürmer doch sehr stark mit den Naturgesetzen verbunden sind. Diese stehen mathematisch in einem frapierenden Zusammenhang. Gefällt mir auch nicht unbedingt, wobei.. es ist doch beruhigend, daß der Mensch kein so großes Mysterium ist, wie er es sich selber gerne zuschreibt.

Alles ein Resultat der Evolution, glaube ich. Und wenn wir alle die selben Frauen attraktiv finden, dann hat das einen Grund. In anbetracht der Tatsache, daß es Menschen gibt, die kein Rhitmusgefühl haben bzw. tanzen wie n Kühlschrank und singen, daß die Fliegen von der Wand fallen, muß man der Evolution zugestehen, daß Musikalität keine primäre Eigenschaft darstellt, die dem Arterhalt oder einen Vorteil im Paarungsverhalten darstellt. Aber auch da gibts sicher wieder Gegenbeispiele..


cheers, fiddle
 
Eigenschaft
 
vorallem liegt nicht die quinte am nähesten beim goldenen schnitt ? haut doch grad so hin is ja schonmal 1 zu 1,6
der goldene schnitt wäre 1,618
 
Die Quinte hat das Verhältnis 1,5 nicht 1,6. Den goldenen Schnitt mit konsonanten Intervallen zu Vergleichen entspricht im Übrigen in absolut keiner Weise der Natur des goldenen Schnittes. Konsonante Intervalle sind (mehr oder weniger) Proportionen kleiner ganzer Zahlen: Das interessante am goldenen Schnitt hingegen ist, dass er (neben der Tatsache schon einmal eine irreale Zahl zu sein) mathematisch gesehen eine derjenigen Zahlen ist, die am schlechtesten durch harmonische Proportionen angenähert werden können (siehe Küppers: Ordnung aus dem Chaos, 1987, S. 182-188). In anderen Worten: Für keine andere Zahl brauche ich Proportionen grösserer ganzer Zahlen, um sie einigermassen annehmbar anzunähern. Andere irrationale Zahlen wie Pi lassen sich da viel leichter annähern.

Wollte das nur mal erwähnen, weil die Bezeichnung als "harmonische Teilung" leicht dazu verleiten kann, das aufs akustische zu übertragen. Das meint aber etwas ganz anderes.


P.S. Von wegen den ganzen Erklärungen "Wir lösen in einen C-Dur Akkord auf, weil der den akustisch konsonantesten Intervallen entspricht": Einfache Zahlenverhältnisse bzw. eine Minimierung von Schwebungen können von mir aus gerne einen Ursprung unseres Tonsystems erklären. Solche akustische Eigenschaften haben sicherlich in der musikalischen Entwicklung bestimmte Rolle gespielt.

Es wäre allerdings viel zu kurz gegriffen, es dabei zu belassen, oder gar in die Richtung weiter zu gehen und unseren Tonsystemen, wie sie sich seit Jahrhunderten herausgebildet haben eine immanente Natürlichkeit zu attestieren. Denn all diese Erklärungen mögen zwar eine Präferenz von (beispielsweise) einem Dur- gegenüber einem Molldreiklang belegen, lassen allerdings ausser acht, dass wir hier spezifisch von einem Dreiklang reden. Kein derartiges Naturgesetz erklärt diese Dominanz von Dreiklängen in der klassischen westlichen Musik. Wieso lösen wir nicht in Primen auf, was viel konsonanter wäre? Oder zumindest in reine Quinten, Quarten, Terzen? (Man beachte, dass eine reine Quarte, ein akustisch sehr reines Intervall, in der klassischen Musik keine Option für ein auflösendes Ende wäre.) Oder, wenn wir schon in Dreiklänge auflösen wollen, wieso nicht in einen Dur-Quartsextakkord? Oder, um in die andere Richtung zu gehen, wieso lösen wir nicht in grössere Akkorde auf, welche Naturtöne bis zum, sagen wir, 17. enthalten?

Wir sehen hier bereits wie sehr historische Entwicklungen hier eine Rolle spielen. Einst lösten wir tatsächlich nur in die Einstimmigkeit auf, später dann in Quarten und Quinten. Irgendwann dann in Dreiklänge. Und später (auch im Jazz etc.) in Septakkorde. Der Dur-Dreiklang ist also beleibe keine Naturgegebenheit, sondern eine kulturelle Entwicklung. Wenn ein Chor also stets in einen Dreiklang auflöst, können wir schon mal mit Sicherheit sagen, dass hier nicht nur akustische Phänomene eine Rolle spielen, sondern auch kulturelle Prägungen.

Des weiteren (und dies hat nun nichts mehr mit Chorgesang zu tun), sei natürlich auch angemerkt, dass westliche Komponisten immer schon ohne Bedenken dasselbe tonale System auf Instrumente anwendeten, welche keine harmonischen Obertöne haben (Glocken, Xylophone, pizzicato Streicher, etc.) und somit in einem Dur-Akkord nicht konsonant klingen - und nicht etwa dafür plötzlich ganz neue Tonsysteme erfanden. Dies belegt wiederum die Rolle kultureller Prägungen im harmonischen Bereich.
 
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Hi Bach,

netter Versuch, find ich auch recht kreativ, aber ich komme auf: 1,5..
(2/3 der ganzen Saite, 1 : (2/3) = 1:3x2 = 1,5 )


cheers, fiddle

p.s. hopala, da war wohl einer schneller.

Das mit den kulturellen Prägungen, muß ich mir erst noch im Hirn etwas zerkleinern. -> Mahlzeit.
 
Es wäre allerdings viel zu kurz gegriffen, es dabei zu belassen, oder gar in die Richtung weiter zu gehen und unseren Tonsystemen, wie sie sich seit Jahrhunderten herausgebildet haben eine immanente Natürlichkeit zu attestieren.

Der Begriff "Natürlichkeit" beschreibt das, worum es in diesem Zusammenhang geht, wohl nicht sehr passend. "Natürlich" ist auch z.B. das Rauschen eines Baches und das Fauchen einer Raubkatze. Die Natur enthält Bedrohung und Geborgenheit, Lärm und Wohlklang. (Beliebt sind Geborgenheit und Wohlklang.)

Ich denke, die Begriffe "Konsonanz" und "Harmonie", im Rahmen der Mehrstimmigkeit, beschreiben besser, worum es hier geht.

Betrachtet man alle möglichen Tonhöhen von z.B. drei zusammen erklingenden Tönen, so muß man feststellen, daß "konsonanter" "harmonischer" Zusammenklang rein statistisch eher selten ist. Doch genau dieser wurde und wird in der Musik bevorzugt und kultiviert. Vielleicht als Abbild einer idealisierten (harmonischen) Welt? Es wird ja i.d.R. im Leben viel eher Harmonie als Disharmonie angestrebt.
Durch die Verwendung von Harmonien und Disharmonien läßt sich leicht ein Spannungsfeld aufbauen, welches gut nachvollziehbar ist und dem auch viel eher emotionelle Bedeutung beigemessen werden kann, als dies z.B. zwischen verschiedenen Arten von Disharmonien der Fall wäre.

Wieso lösen wir nicht in Primen auf, was viel konsonanter wäre? Oder zumindest in reine Quinten, Quarten, Terzen? (Man beachte, dass eine reine Quarte, ein akustisch sehr reines Intervall, in der klassischen Musik keine Option für ein auflösendes Ende wäre.) Oder, wenn wir schon in Dreiklänge auflösen wollen, wieso nicht in einen Dur-Quartsextakkord? Oder, um in die andere Richtung zu gehen, wieso lösen wir nicht in grössere Akkorde auf, welche Naturtöne bis zum, sagen wir, 17. enthalten?

Richtig, die Prim wäre das konsonanteste Intervall. Unisono-Chor-Gesänge können auch durchaus als Ausdruck hoher Harmonie gelten. Die nächst konsonanten Intervalle wären Oktav, Quint und Quart.
Und ein Gesang genau in diesen Tonabständen erfolgte, als man den Schritt von der Einstimmigkeit zur Mehrstimmigkeit vollzog (einstimmiger Gregorianischer Choral -> Mehrstimmigkeit des Organums).

Der Übergang zur Mehrstimmigkeit erfolgte allmählich. Man wollte zunächst lediglich den einstimmigen Gesang verstärken:

Das erste Dokument, das die Organumpraxis nachvollziehbar beschreibt, war die Musica enchiriadis (gegen 895), ein Traktat, das traditionell (und vermutlich inkorrekt) dem Mönch Hucbald (* um 840; † 930) zugeschrieben wird. Danach war die Organumpraxis gar nicht als Mehrstimmigkeit im modernen Sinn konzipiert: Die hinzutretende Stimme sollte lediglich den einstimmigen Gesang verstärken.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Organum
Das gelingt gut mit Oktav, Quint und Quart. Warum, können wir heute akustisch erklären: Die menschliche Stimme enthält die harmonischen Vielfachen der Grundfrequenz (Obertonreihe). (Je höher die Obertöne sind, desto leiser werden sie gewöhnlich.)

Ein Zusammenklang zweier menschlicher Stimmen verschmilzt um so mehr, je niedriger das entsprechende Intervall in der Obertonreihe (bezogen auf den Grundton) anzutreffen ist. Also Oktav, Quint, Dur-Terz. Dann deckt sich eine maximale Anzahl von Obertönen.

(Diese Technik zur Tonverstärkung wurde alsbald auch im Orgelbau verwendet. Mitunter werden die Obertöne bis zum 14. verwendet (= 15. Teilton). Das funktioniert möglicherweise deshalb so gut, weil wir schon vor der Geburt und auch danach, es gelernt haben, daß die vielen harmonischen Obertöne der menschlichen Stimme zusammengehören und sie schließlich nur als einen "Ton" wahrnehmen, obwohl, entsprechend der Obertöne) ganz viele Orte der Hörschnecke erregt werden.)

Wenn schon auf kulturelle Aspekte abgehoben wird, so besteht m.E. die bedeutendste kulturelle Leistung der Musik in unserer Kultur darin, überhaupt die Richtung der Mehrstimmigkeit beschritten zu haben. Keine andere Kultur ist diesen Weg so konsequent gegangen. Dieser Weg war also nicht "naturgegeben" oder ähnliches.

Allerdings hat dieser Weg zur Konsequenz, daß die Auswahl des Tonmaterials sich viel stärker als in anderen Kulturen daran orientierte, was angenehm, harmonisch, konsonant klang. Eine Mehrstimmigkeit ist, was die konsonanten Intervalle anbelangt, viel sensibler als eine einstimmige Musik.

Gibt es eine hepatatonische Tonleiter, die mehr konsonante Intervalle enthält als unser hepatatonisches System bzw. die Dur-Tonleiter, in der der Grundton auch noch sehr günstig gewählt ist? Falls nein, hätte die Dominanz dieser Tonleiter in unserer Musik handfeste "natürlich-harmonische" Gründe.

Die Dominanz der Dreiklänge (oder dominieren inzwischen eher Vierklänge?) gegenüber Zweiklängen oder der Prim spiegelt vielleicht nur eine kulturelle Entwicklungsstufe wieder. Wer weiß, vielleicht wird nach Oktav, Quint und Terz eines Tages die Naturseptim einbezogen, noch später vielleicht der 11. und der 13. Teilton in die mehrstimmige Musik?
Oder reichen uns die Annäherungen im chromatischen System aus? Oder die eines Vierteltonsystems?

... wieso lösen wir nicht in grössere Akkorde auf, welche Naturtöne bis zum, sagen wir, 17. enthalten?

Weil jeder der Teiltöne, wenn er gesungen oder auf einem der üblichen instrumente gespielt wird, seine eigene Naturtonreihe mitbringt und der Zusammenklang sehr komplex wäre. Es würde nicht mehr dem Prinzip der Harmonie entsprechen, das ja eher mit einfachen Verhältnissen (kleinen Zahlenverhältnissen) zu tun hat.

Des weiteren (und dies hat nun nichts mehr mit Chorgesang zu tun), sei natürlich auch angemerkt, dass westliche Komponisten immer schon ohne Bedenken dasselbe tonale System auf Instrumente anwendeten, welche keine harmonischen Obertöne haben (Glocken, Xylophone, pizzicato Streicher, etc.) und somit in einem Dur-Akkord nicht konsonant klingen - und nicht etwa dafür plötzlich ganz neue Tonsysteme erfanden. Dies belegt wiederum die Rolle kultureller Prägungen im harmonischen Bereich.

Dazu sollte man anmerken, daß kurze Töne (pizzicato Streicher, Xylophone) für eine harmonische Mehrstimmigkeit von untergeordneter Bedeutung sind. Dennoch ist man bei Xylophonen bestrebt, den Mangel der unharmonischen Obertöne zu beheben. Man fräst die Hölzer auf der Unterseite genau so aus, daß zumindest der erste Oberton in einem harmonischen Verhältnis zum Grundton steht. Die höheren Obertöne sind weniger wichtig, da sie kürzer erklingen.

Bei der Glocke ist man ebenfalls bestrebt, die Teiltöne durch die Glockenform so zu gestalten, daß der Zusammenklang möglichst harmonisch erklingt. Das geschieht durch die Gestaltung der Glocke mit einer entsprechenden Rippe, welche die Form der Glocke bestimmt. Bekannt sind die Moll-Oktav und Moll-Sext-Rippe. Eine Dur-Rippe zu erstellen war den Glockengießern Jahrhunderte lang nicht möglich. Erst durch Computersimulation konnte eine entsprechende Glockenform ermittelt werden. Diese "major-third-bells" erfreuen sich wachsender Beliebtheit an vielen Orten der Welt.

Übrigens ging man in der Gamelan-Musik mitunter den umgekehrten Weg. Man akzeptierte unharmonische Obertöne der verwendeten Metallstäbe und Glocken und wählte die Töne der Tonleiter so aus, daß sich bei Mehrstimmigkeit harmonisch zusammenklingende Töne bzw. Obertöne ergeben.
Wir sind für diese Stimmungen durch unsere ganz anderen musikalischen Erfahrungen weniger empfänglich.

Allerdings ist das harmonische Prinzip, auf dem unsere mehrstimmige Musik aufbaut, universell, weil die menschliche Stimme (und andere eindimensionalen Schwinger) nun einmal harmonische Obertöne hat. Und die gehört, kulturunabhängig, zum Erfahrungsschatz des Menschen.

Kulturell spezifisch ist jedoch die hochentwickelte Mehrstimmigkeit in unserer Kultur, welche auch eine (harmonische) Polyphonie ermöglichte.

Aufgrund unserer, kulturell bedingten, hohen Sensibilität, was (harmonische) Mehrstimmigkeit anbelangt, erscheint es uns ganz natürlich, wenn ein Chor nach Dur auflöst.

Viele Grüße

Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:
hmm die quinte wäre der siebte ton unseres tonmaterieals von 12
(prozentrechnung)
7:12*100=58,3333333%
also 0,583333333 als dezimalzahl
also eher näher drann an 0,6 als an 0,5
 
Hi,

ich finde, nach mathematischen Verhältnissen zu suchen, garnicht so verkehrt. Allesdings denke und überlege ich grundsätzlich pragmatischer.

Wenn man die Obertonreihe auf einer Trompete bläst, dann kommt irgenwann die Dur-Terz. Genauso bei einem Glissando auf nem Streichinstrument. Jetzt kann man natürlich darüber streiten, ob dieser Einfluß/Abhängigkeit von Instrumenten einr/e ist. Ich meine: ja. Man könnte nach anderen Musikkulturen forschen, in denen Blasinstrumente keine so große Rolle in der traditionellen Musik haben. Ich denke hier an die orientalische Musik und die, für mich immernoch, fremdartigen Klänge. (Ein Sas hat seltsame Bundabstände; hab ich mir bislang nicht genauer angeschaut. Ich meine: ne Quart in 2 Tonschritten, oder so ähnlich).

((Einschub: Natürlich gibt es Obertonflöten in der persischen Musik und genauso ist eine Oud (Kurzhalslaute) gleich bundiert, wie es das europäische Ohr gerne hat.))

Allgemein fände ich es fast besser, jemand aus einem anderen Kulturkreis würde diese Frage bei uns untersuchen. Also jemand, der weniger Dur-behaftet ist.

Ein Phänomen ist immerhin: In Japan fährt man total auf unsere westliche Harmonik ab. Ebenso in vielen anderen, weit entfernten Kulturen. Mir fällt momentan kein Beispiel für einen "Musikimport" aus einer total anderen Kultur ein, die einen ähnlichen Erfolg hatte. (logischerweise ohne europäische Wurzeln).

Neue/moderne Musik ist mit ihrer Abkehr von der Tonalität, nach wie vor, nicht erfolgreich und das wird auch so bleiben. Allerdings war das nicht immer so. Strawinski war anfangs gewöhnungsbedürftig und hatte später einen riesen Erfolg. Die Moderne hat sich mit der Totalverweigerung jeder Tonalität selbst abgeschossen.
Da sollte man mal die Verkaufszahlen aus der volktümlichen Ecke betrachten. Über die "Modernen" fällt mir nur der indianische Spruch ein: "Wenn das Pferd tot ist, mußt du absteigen."

Hörgewohnheiten/-erziehung hin oder her: der Musikgeschmack ist anarchistisch. Ich kann nichts anderes finden, als Proportionen und Verhältnisse, denen wir im gleichen Maße unterliegen, wie beim Begriff "Schönheit". Und ich erkenne an, daß die Venus von Milo heute noch den selben Bodymaß-Index besitzt, wie die Mädels in der Endrunde einer Miss-Wahl, wenn V. auch etwas mehr Hüftgold drauf hat.

Lena Maier Landroth wird in Oslo keinen Erfolg haben, weil der song in Moll ist! (meine Prognose).


cheers, fiddle

p.s.

Wenn schon auf kulturelle Aspekte abgehoben wird, so besteht m.E. die bedeutendste kulturelle Leistung der Musik in unserer Kultur darin, überhaupt die Richtung der Mehrstimmigkeit beschritten zu haben. Keine andere Kultur ist diesen Weg so konsequent gegangen. Dieser Weg war also nicht "naturgegeben" oder ähnliches.

..aber unvermeidlich. Hätten wir diese Harmonik nicht entwickelt, hätte es eine andere Kultur getan. Nach dem evolutionären Prinzip also äußerst erfolgreich. Naturgegeben vielleicht nicht gerade, aber "unnatürlich" auch nicht unbedingt.
 
Zuletzt bearbeitet:
..aber unvermeidlich. Hätten wir diese Harmonik nicht entwickelt, hätte es eine andere Kultur getan. Nach dem evolutionären Prinzip also äußerst erfolgreich. Naturgegeben vielleicht nicht gerade, aber "unnatürlich" auch nicht unbedingt.

Richtig! Im Rahmen der kulturellen Entwicklung der Menschheit war es letztlich unvermeidlich, irgendwann auch den Weg einer konsequenten Mehrstimmigkeit zu gehen. Das fand nun eben gerade bei uns statt. Warum bei uns? Darüber könnte man spekulieren.

Vielleicht spielt es eine Rolle, daß sich die Musik im Mittelalter maßgeblich als geistliche Musik in Kirchen entwickelt hat. Also in Räumen mit großem Hall.
Hall bewirkt beim einstimmigen Gesang durch die Reflexionen schon eine Mehrstimmigkeit. Unter diesen Bedingungen wird die Sensibilität für harmonische Verhältnisse erhöht und länger andauernde Töne werden begünstigt. Abweichungen von den Konsonanzen sind so viel leichter wahrzunehmen als z.B. beim Gesang im Freien.

Äußerst erfolgreich ist dieses Prinzip einer harmonisch orientierten Musik weltweit zwar einerseits auch durch kulturelle Faktoren. Die Europäer haben in den letzten Jahrhunderten einen immensen Einfluß noch bis in den letzten Winkel des Erdballs gehabt (mit zahlreichen negativen Folgen). Natürlich wurde durch diese Entwicklung auch die Musik aus Europa in der ganzen Welt verbreitet.

Doch eine gewichtige Rolle spielt eben auch, daß sich die europäische Musik, stärker als die vieler anderer Kulturen, auf das allgemeingültige Prinzip der Naturtonreihe bezieht. Die wichtigsten Klangerzeuger (menschliche Stimme, schwingende Luftsäulen und Saiten) folgen nun einmal diesem Prinzip.

Andere Kulturen, die eher einstimmig geprägt sind, nehmen die Idee der harmonischen Mehrstimmigkeit zur eigenen Weiterentwicklung auf, obwohl kulturelle Gründe mitunter sogar dagegen sprechen. Als Beispiel kann die aktuelle arabische Musik gelten, in der sich europäische Harmonik verbreitet, obwohl dort eigentlich eine Rückbesinnung stattfindet:

Heute findet so etwas wie eine Rückbesinnung auf die arabische Tradition statt. Aber es gibt auch Strömungen von modernen Komponisten, die bewusst versuchen, Polyphonie und die europäische Harmonik mit der arabischen Homophonie (Musik), bei der alle Instrumente die gleiche Melodie spielen, zu verknüpfen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Arabische_Musik

Es ist wohl so, daß sobald aus einstimmiger Musik mehrstimmige wird, man unweigerlich auf die starke Rolle der Naturtonreihe stößt und verstärkt Konsonanzen und Harmonien eine Rolle spielen. Bedeutende Prinzipen der mehrstimmigen Musik wurden aber gerade in unserer Kultur erkannt und fanden ihren Niederschlag in Harmonielehren.

Wenn unserere Kultur diesen Weg nicht gegangen wäre, hätte es eine andere Kultur irgendwann getan und wäre auf Dur, Moll, Kadenz, Trugschluss, Stimmführungsregeln usw. gestoßen.

Selbstverständlich ist der Weg einer harmonischen Mehrstimmigkeit nicht der einzige, den Musik beschreiten kann. Es gibt noch die rhythmische, melodische und klangliche Dimension bis hin zur unendlichen Vielzahl von Geräuschen. Doch wenn man den Weg der harmonischen Mehrstimmigkeit geht, kommt so etwas heraus, was in unseren Harmonielehren steht. Es dürfte sich daher lohnen, sich damit zu befassen und unser diatonisches und chromatisches System zu erkunden.

Das Streben nach Harmonie wird bei den Menschen nicht enden. Harmonische Tonverhältnisse werden daher wohl immer eine wichtige symbolische Kraft darstellen, auch als ein Ziel in einem zuvor aufgebauten Meer von Dissonanzen und Geräuschen.

Viele Grüße

Klaus
 
@möchtegernbach: Die Zahl 7:12 hat aber akustisch gesehen für die Quinte keine Relevanz. Darum sprechen wir von Frequenzverhältnissen (eben für die Quinte 3/2) und nicht von Verhältnissen in logarithmischen Skalen. (Ausserdem hast du von 1,6 gesprochen, nicht von 0,6.)

Worauf du hiermit hinauswillst ist mir allerdings schleierhaft. Was hat nun deine 0,583 mit dem goldenen Schnitt zu tun?


@klaus: Ich bin mir nicht ganz sicher, in welcher Hinsicht du mir widersprichst. Die Tatsache, dass wir einst tatsächlich in Primen, dann in Quarten/Quinten, später in Dreiklänge, dann auch in Vierklänge auflösten habe ich bereits erwähnt, und gesagt dass es sich hier um kulturelle Entwicklungsschritte handelte. Dies ist ja genau mein Argument!

Von wegen Auflösung in Akkorde die Töne bis zum 17. Teilton enthalten: Du sagst, das Resultat wäre in der Mischung aller Instrumente zu komplex. Ja, das ist sicher ein historischer Grund. Aber Komplexität ist kein binäres Ja/Nein-Ding. Für einen mittelalterlichen Mönch wäre da eine Auflösung in einen Dur-maj7 Akkord genauso "zu komplex" gewesen. Die Frage in was wir genau Auflösen ist also immer Ausdruck von graduellen Abstufungen, welche sich kulturell/geschichtlich verändern. Was wir einst als einzig mögliche "reine Auflösung" erachteten, fanden wir zu einem anderen Zeitpunkt (oder in einer anderen Kultur) langweilig und erklärten dafür wieder Dinge als "rein" welche einst als ganz dissonant galten. Die Frage ist also nicht, ob uns die Naturtonleiter einen Ansatzpunkt für Überlegungen zu Konsonanz und Dissonanz liefert (das tut sie sicher, wenn wir von Instrumenten mit harmonischen Spektren reden), sondern wo wir zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Kultur die Grenzen setzen. Eine naturgegebene diskrete Einteilung in "konsonante" und "dissonante" Klänge gibt es nun mal einfach nicht. Nur ein Kontinuum, aus welchem wir dann eine solche Einteilung erzeugen.

Dies ist alles womit ich mit meinem Insistieren auf die Frage nach dem Dreiklang hinauswollte.
 
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@Szrp: Die Zahl 7:12 hat aber akustisch gesehen für die Quinte keine Relevanz. Darum sprechen wir von Frequenzverhältnissen (eben für die Quinte 3/2) und nicht von Verhältnissen in logarithmischen Skalen. (Ausserdem hast du von 1,6 gesprochen, nicht von 0,6.)
Worauf du hiermit hinauswillst ist mir allerdings schleierhaft. Was hat nun deine 0,583 mit dem goldenen Schnitt zu tun?
Beim goldenen Schnitt geht es um Verhältnisse zwischen den Zahlen. Das Verhältnis vom goldenenen Schnitt entspricht 1 zu 1,618
soweit ich weis nähert sich die Fibonacifolge mit jeder Zahl ein Stück näher an den goldenen Schnitt..
also wollte ich vielleicht einen intressanten Gednken loswerden welcher für die Schönheit des GS auch auf die musik übertragbar wäre
unzwar das die quinte die doch so rein klingt wohl am ehestem diesem verhältnis entspricht.
 
@klaus: Ich bin mir nicht ganz sicher, in welcher Hinsicht du mir widersprichst. Die Tatsache, dass wir einst tatsächlich in Primen, dann in Quarten/Quinten, später in Dreiklänge, dann auch in Vierklänge auflösten habe ich bereits erwähnt, und gesagt dass es sich hier um kulturelle Entwicklungsschritte handelte. Dies ist ja genau mein Argument!

Widerspruch wäre ein zu hartes Wort. Im allgemeinen lese ich Deine Beiträge ohnehin mit Interesse. Ich würde lediglich die kulturelle Komponente bei der Entwicklung der europäischen Musik weniger stark betonen als Du und hatte das Gefühl, daß in manchen Beiträgen anderer Teinehmer die akustische/natürliche Komponente in der europäischen Musik zu sehr relativiert wird. Dabei kommt letztere bei einer mehrstimmigen Musik ganz besonders zum Tragen. Insofern dürfte eine "immanente Natürlichkeit" in ihr schon von großer Bedeutung sein.

Die Tatsache, daß wir in Primen, dann in Quarten/Quinten, später in Dreiklänge, dann auch in Vierklänge auflösten ist einerseits Ausdruck einer kulturellen Entwicklung. Doch diese kulturelle Entwicklung fand ja nicht einfach in unerklärlicher, beliebiger Richtung statt. Sondern es zeigt sich, daß sie auf dem schrittweisen Einbeziehen der Naturtöne beruht. Die Oktav war schon wegen des unterschiedlichen Stimmumfangs von Mann, Frau, Kind ganz selbstverständlich. In den Anfängen der Mehrstimmigkeit (Organon) wurde die Quint (davon abgeleitet die Quart) einbezogen, das nächst konsonanteste Intervall und nächster Naturton.

Der nächste kulturelle Sprung erfolgte durch stärkeren Einbezug der Dur-Terz, dem nächsten (neuen) Naturton (davon abgeleitet die Moll-Terz). Deren Konsonanz wurde erkannt, was sogar zur einer mitteltönigen Stimmung führte (rein gestimmte Terz, unreine Quint). Die Konsonanz der Terz war natürlich auch die Voraussetzung für das Dur-Moll-System.

Es sieht also so aus, daß die kulturelle Entwicklung der europäischen Musik entlang wichtiger natürlicher Gegebenheiten erfolgte, nämlich dem schrittweisen Einbezug von Naturtönen. Dieser Zusammenhang kam in den vorangegangen Beiträgen kaum zum Tragen.

Aber Komplexität ist kein binäres Ja/Nein-Ding.
...
Eine naturgegebene diskrete Einteilung in "konsonante" und "dissonante" Klänge gibt es nun mal einfach nicht. Nur ein Kontinuum, aus welchem wir dann eine solche Einteilung erzeugen.

Da sind wir wohl einer Meinung. Der Übergang zwischen Einfachheit, Komplexität, zwischen langweilig, überfordernd, zwischen Konsonanz und Dissonanz ist fließend. Der jeweilige kulturelle Entwicklungsstand (und auch der individuelle) bestimmt die Grenzen. Doch die Grenzverschiebung in der europäischen Musik folgte in wichtigen Teilen entlang der ersten Töne der Naturtonreihe.

Eine Auflösung zur Prim empfinden wir als zu langweilig. Eine Mehrstimmigkeit, die auf parallelen Quinten (oder Quarten) beruht, als zu leer. In den letzten Jahrhunderten hat sich eine Musik, die auf dreistimmigen Akkorden beruht, durchgesetzt. Nicht irgendwelche dreistimmigen Akkorde, sondern die konsonantesten: Dur und dann Moll. Der Chor löst i.d.R. nach Dur auf.
Vierstimmige (viertönige) Akkorde spielen seit 100 Jahren eine größere Rolle und wurden erstmals als Tonika eingesetzt. Ein Chor, der vom Jazz stark beeinflusst ist, darf sich streiten, ob er noch die Sext oder die Septim (klein oder groß) einbezieht. Die Auflösung, wenn man sie so nennen möchte, ist hier nicht so klar festgelegt, wie beim dreistimmigen Dur-Akkord, welcher durch die Naturtonreihe unterstützt wird.

Eigentlich müßte ein vierstimmiger Chor zu Dur mit Naturseptim auflösen. Doch da macht uns vorläufig unsere Kultur einen Strich durch die Rechung. Den meisten ist unser 12-Tonsystem komplex genug, das sich aus der Übertragung der Hepatonik in anderen Tonarten ableitet. Im Instrumentenbau und unserer muikalischen Erziehung ist das 12-Tonsystem fest verankert.
Dieses System kennt keine Naturseptim. Also löst kein Chor zu Dur mit Naturseptim auf.

Lediglich Bläser haben noch einen gewissen Begriff von der Naturseptim. Mit der zunehmenden Bedeutung elektronischer Klangerzeuger mag dieses Intervall (und weitere Naturtöne) vielleicht irgendwann eine größere Rolle spielen. Doch die Musik dehnt sich möglicherweise zunächst in andere Räume aus (Rhythmus, Klang, Geräusch).

Viele Grüße

Klaus
 
Gut, in dem Fall sind wir ja ziemlich gleicher Meinung, legen nur unsere Akzente etwas anders :)

@möchtegernbach: Nun, zwischen 0,583 und dem Kehrwert des goldenen Schnittes 0,618 besteht ja schon ein Unterschied. Und wie gesagt bringt es aus akustischer Sicht wenig von Proportionen die in Anzahl Halbtönen gezählt werden zu reden (wie deine 7:12). Das ist eine willkürliche Zahlenoperation ohne wirkliche akustische Bedeutung.

Als Frequenzverhältnis hat übrigens die kleine Sexte die Proportion 1.6, liegt also deutlich näher am goldenen Schnitt als das Frequenzverhältnis der Quinte. Aber ich habe ja bereits erwähnt, dass es ziemlich daneben gegriffen wäre, den goldenen Schnitt mit konsonanten Intervallen zu vergleichen, da er mathematisch so ziemlich das Gegenteil davon ist. Die ihm attestierte "Schönheit" kommt wohl vielmehr gerade daher, dass er nicht eine einfache Zahlenproportion darstellt.

Der goldene Schnitt kann nun durchaus auch in der Musik eine Rolle spielen (wie in formalen Proportionen eines Stücks), aber das auf Intervallgrössen zu übertragen passt nicht wirklich (will sagen: Man kann das zwar tun, die Verbindung wird aber nicht als solche wahrgenommen werden).
 
Da hast du mich glatt an Bartoks Harmonik erinnert
 
Wenn unserere Kultur diesen Weg nicht gegangen wäre, hätte es eine andere Kultur irgendwann getan und wäre auf Dur, Moll, Kadenz, Trugschluss, Stimmführungsregeln usw. gestoßen.

Selbstverständlich ist der Weg einer harmonischen Mehrstimmigkeit nicht der einzige, den Musik beschreiten kann. Es gibt noch die rhythmische, melodische und klangliche Dimension bis hin zur unendlichen Vielzahl von Geräuschen. Doch wenn man den Weg der harmonischen Mehrstimmigkeit geht, kommt so etwas heraus, was in unseren Harmonielehren steht. Es dürfte sich daher lohnen, sich damit zu befassen und unser diatonisches und chromatisches System zu erkunden.
Einige Aspekte unserer Musikkultur mögen relativ sinnvoll für mehrstimmige Musik sein, es gibt aber auch genügend andere die eher willkürlich sind. Eine andere Musikkultur hätte sicher einiges gleich oder ähnlich gemacht, anderes wiederum völlig anders.

Natürlich lohnt es sich dennoch, sich mit unseren Harmonielehren zu befassen, wenn man sich für Musiktheorie interessiert.

Eigentlich müßte ein vierstimmiger Chor zu Dur mit Naturseptim auflösen. Doch da macht uns vorläufig unsere Kultur einen Strich durch die Rechung. Den meisten ist unser 12-Tonsystem komplex genug, das sich aus der Übertragung der Hepatonik in anderen Tonarten ableitet. Im Instrumentenbau und unserer muikalischen Erziehung ist das 12-Tonsystem fest verankert.
Dieses System kennt keine Naturseptim. Also löst kein Chor zu Dur mit Naturseptim auf.
Ich hatte das schon öfter erwähnt, aber wer eine #6 oder eine #2 intonieren kann, der kann auch eine Naturseptime oder septimale kleine Terz intonieren, die Abweichung ist eher gering. Insbesondere als Streicher sollte man über die Differenztöne in der Lage sein können, die kleine septimale Terz zu finden (-> Differenzton liegt eine Duodezime unter dem Grundton). Die Naturseptime liegt genau eine Quinte (= 1 Saite) darüber, man kann sie aber auch sicher über den Differenzton ihres Kehrintervalls (sept. Ganzton 7:8) finden. Ich denke das Problem ist hauptsächlich, dass man im Streichquartett oder im Chor selten Noten hat, in denen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. Wenn solche Stücke populärer wären, dann würden sich auch die Musiklehrer darauf einstellen.

Lediglich Bläser haben noch einen gewissen Begriff von der Naturseptim. Mit der zunehmenden Bedeutung elektronischer Klangerzeuger mag dieses Intervall (und weitere Naturtöne) vielleicht irgendwann eine größere Rolle spielen.
Elektronische Klangerzeuger wären sicherlich hilfreich. Wie ich dir ja bereits geschrieben hatte programmiere ich zur Zeit an einem Software-Synthesizer, der aus mikrotonalen Partituren Wave-Dateien generiert. Ich habe mal 3 Wave-Dateien erstellt, und zwar:
  • Die Dur-Tonleiter in 53-Stufiger Stimmung (-> nahezu rein).
  • Die heptatonische 7-limit Skala in 200et, von der ich dir geschrieben habe, als wir darüber diskutiert haben ob es eine heptatonische Leiter gibt, die konsonanter als die Dur-Leiter ist. Töne sind: A B C- C#\ Eb/- E G- A oder A B B#\\ C#\ D#\ E F##\\ A, je nach Interpretation.
  • Die selbe Skala in 12et umgesetzt, also A B C C# D# E G A.
Hier die Dateien: Anhang anzeigen Skalen.zip

Ich denke die 7-limit Skala (200et-Umsetzung) kommt von der Konsonanz her zumindest nah an die Dur-Leiter heran, und ich finde es wirklich schwer objektiv zu beurteilen, was nun konsonanter ist, falls das überhaupt unabhängig vom Instrumentenklang möglich ist. Auch interessant finde ich, wie stark sich die Einfachheit der Intervallverhältnisse auch bei Sinus-Tönen auf die Konsonanz auswirkt, obwohl es keine Reibungen zwischen (nicht-existierenden) Obertönen geben kann; man vergleiche dazu die 200et-Version mit der 12et-Version.

Ansonsten kann ich deinem letzten Beitrag nur zustimmen, auch sehr gelungen finde ich deine Beiträge, Szrp. :great:
 
HëllRÆZØR;4729059 schrieb:
... die kleine septimale Terz zu finden (-> Differenzton liegt eine Duodezime unter dem Grundton). Die Naturseptime liegt genau eine Quinte (= 1 Saite) darüber ...
Das verstehe ich nicht. Wenn du sagst, der Differenzton einer septimalen Terz liege eine Duodezime unter dem Grundton (womit wohl der untere Ton der Terz gemeint ist), dann rechne ich falsch, denn ich komme auf Duodezime plus Oktave.
Ansonsten hat die Naturseptime ja ein Frequenzverhältnis von 4:7. Da
7 minus 4 = 3
ist, liegt der Differenzton eine Quarte (3:4) tiefer als der untere Ton der Sept. Um eine 'natürliche' Sept zu finden, müßte ich also eigentlich nicht erst die Terz bemühen, ich könnte ja gleich auf den Differenzton der Sept lauschen. Interessanterweise ist der Differenzton 7 minus 4 aber auf einem Streichinstrument kaum auszumachen. Mit geübten Ohren ist hingegen der Differenzton, von dem die Töne 4 und 7 Obertöne sind, ganz gut auszumachen, d.h. ich kann auf einer Geige die Töne g und f' so intonieren, daß ich den Differenzton Kontra-G wahrnehme.
Da die Naturseptim für unser Tonsystem kaum eine Rolle spielt, ist das aber eh egal.
 
Ja, ich komme auch auf Duodezime plus Oktave für den Differenzton von 6:7. Die einfachste Möglichkeit für Streicher, eine Naturseptim zu spielen sind natürlich noch immer Flageolets - nur geht so halt nicht jede Naturseptim auf jeder Tonhöhe.

Differenztöne können aber sicher beim intonieren solcher Intervalle helfen. Grundsätzlich wäre es aber auch sonst kein übermässig grosses Problem. Mikrotonale (oder einfach nur nicht-temperierte) Intonation ist einfach Übungssache. Man muss sich nur mal genügend Naturseptimen genau angehört haben, bis man weiss, wie sie zu klingen haben.

"Da die Naturseptim für unser Tonsystem kaum eine Rolle spielt, ist das aber eh egal.": Naja, reden wir denn nicht gerade von Entwicklungen dieses Tonsystems? Es gibt nun beileibe schon genügend Literatur, welche Naturseptimen etc. in Hülle und Fülle verwendet (welche, wohlbemerkt, gespielt wird), so dass man das sicher nicht in "für unser Tonsystem ist das egal" verallgemeinern kann. Klar, es ist immer noch ein Unterschied zwischen einem Komponisten, der Naturseptimen vorschreibt, und einem (Laien-)chor, welcher von sich aus in Naturseptimen auflöst. Aber wie gesagt: Auch dies verändert sich ja die ganze Zeit.
 
Beliebt sind Geborgenheit und Wohlklang.

Zum Wohlklang müssen dann wohl auch schöne Vogel-Konzerte zählen, mit ihren unzähligen Glissandi, Kadenz-losen Verläufen, "mikrotonalen" Tönen und zufälligen Überblendungen. Oder das Rauschen des Meeres. Beides sehr beliebt.
 
HëllRÆZØR;4729059 schrieb:
Einige Aspekte unserer Musikkultur mögen relativ sinnvoll für mehrstimmige Musik sein, es gibt aber auch genügend andere die eher willkürlich sind. Eine andere Musikkultur hätte sicher einiges gleich oder ähnlich gemacht, anderes wiederum völlig anders.

Da würde mich natürlich interessieren, welche Aspekte Du als eher willkürlich bezeichnen würdest und was Deiner Ansicht nach eine andere Musikkultur völlig anders gemacht hätte.

HëllRÆZØR;4729059 schrieb:
Ich denke die 7-limit Skala (200et-Umsetzung) kommt von der Konsonanz her zumindest nah an die Dur-Leiter heran, und ich finde es wirklich schwer objektiv zu beurteilen, was nun konsonanter ist, falls das überhaupt unabhängig vom Instrumentenklang möglich ist.

Durch das einstimmige Spielen von Tonleitern kann man m.E. nicht zuverlässig auf deren Konsonanz schließen. Auch wollen wir wohl nicht nur die Konsonanz der Töne zur einem einzigen Akkord betrachten (septimaler C9 (4:5:6:7:9)). Die entstehende Musik soll abwechslungsreich sein.

Folgendes wäre für mich die Nagelprobe, bei der Beurteilung, welche Skala konsonanter ist:

Die Komposition eines vierstimmigen Chorals und einer dreistimmigen Fuge mit der "heptatonische 7-limit Skala". Vergleich des Ergebnisses im Hinblick auf die Konsonanz mit ähnlichen Kompositionen, welche die Dur-Tonleiter verwenden.

Wie schon früher erwähnt, fehlen bei der "heptatonische 7-limit Skala" (12et) wichtige konsonante Intervalle, insbesondere ist die Quart zum Grundton nicht vorhanden, dafür aber drei Tritoni (A-D#, C#-G, D#-A). Ich denke, das mehrstimmige kompositorische Ergebnis kann nicht so konsonant klingen wie eines, das mit einer Dur-Tonleiter entsteht.

Die Umsetzung im 200et klänge wohl konsonanter. Um es abschätzen zu können, müßt man alle Intervalle dieser Skala auflisten, mit den (angenäherten) kleinzahligen Frequenzverhältnissen.

Ich vermute, daß auch hier die Dur-Tonleiter von den konsonanten Intervallen her überlegen ist.

Man muss sich nur mal genügend Naturseptimen genau angehört haben, bis man weiss, wie sie zu klingen haben.

So sehe ich es auch. Die Differenztöne sollten nur der Kontrolle dienen, wenn man das Gefühl für die Naturseptim verloren hat. Um sie zu etablieren, müßten Kompositionen vorhanden sein, in denen sie eine beeindruckende Wirkung erzeugen. Gibt es vielleicht Choräle, in denen sie überzeugend eingesetzt wird? Würde mich interessieren.

Harry Partch hat sich mit der Erweiterung der Harmonik mit weiteren Naturtönen befasst.

In seiner Arbeit finde ich meinen o.g. Gedanken wieder, die Entwicklung der Harmonik durch die schrittweise Einbeziehung von Naturtönen zu erklären. Er geht allerdings weiter und bezieht Töne ein, die sich durch die "7" im Zähler oder Nenner von Frequenzverhälnissen definieren. Die meiste Musik komponierte er unter Einbezug der "11".

"7-limit" enthält z.B. folgende Töne: 1/1, 8/7, 7/6, 6/5, 5/4, 4/3, 7/5, 10/7, 3/2, 8/5, 5/3, 12/7, 7/4.

"11-limit" folgende: 1/1, 12/11, 11/10, 10/9, 9/8, 8/7, 7/6, 6/5, 11/9, 5/4, 14/11, 9/7, 4/3, 11/8, 7/5, 10/7, 16/11, 3/2, 14/9, 11/7, 8/5, 18/11 5/3, 12/7, 7/4, 16/9, 9/5, 20/11, 11/6.
Quelle: http://tonalsoft.com/enc/l/limit.aspx

Klar, man kann alles mögliche entwickeln und versuchen, damit Musik zu machen. Ich denke allerdings, daß den einzelnen Frequenzverhältnissen eine ganz unterschiedliche Bedeutung zukommt, bis hin zur Bedeutungslosigkeit. Es kommt darauf an, die bedeutenden zu erkennen. Das sind wohl diejenigen, bei denen wir mit unserer Erfahrungswelt etwas verknüpfen können. Hierzu zählt z.B. die Naturseptim 7/1. Die kommt in harmonischen Schwingern vor (Stimme, Luftsäulen, Saiten). 7/2, 7/4, 7/8 als Oktaven sind noch nachvollziehbar. Bei Verhältnissen wie 7/6, 7/5, 12/7 wird es schwieriger. Erst recht, wenn wir entsprechend in die Komplexität der 11 gehen.

Zu den Vogel-Konzerten und dem Meeresrauschen in der Musik:

Das kann selbstverständlich an geeigneter Stelle eingesetzt werden, wie z.B. hier. Also mehr als atmosphärische Untermalung. Wenn es darum geht, musikalisch ein Thema zu entwickeln, also musikalisch bestimmte Ziele zu verfolgen: Das könnten Vogelkonzerte und Meeresrauschen mit ihren stark zufällig bestimmten Strukturen nicht leisten.

Viele Grüße

Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:
Da hier weiter intensiv und interessant disuktiert wird, das Thema aber mittlerweile weit weg vom Threadtitel ist, gedenke ich, ab Post #299 alles in einen neuen Thread im Musikwissenschaftsforum unter dem Titel "Grundlagen der Tonalität" zu schieben. Gegenvorschläge zum Titel? Wenn nein, mache ich das in den nächsten Tagen.

Harald
 
@Harald: "Grundlagen der Tonalität" klingt zu lehrbuchhaft. Das weckt für neue Leser möglicherweise falsche Erwartungen.

Vielleicht eher: "Aspekte der Tonalität"

zur Naturseptim:

Ich habe einmal A-Dur mit und ohne Naturseptim eingespielt, auch nach D-Dur aufgelöst.
Es wurden Sinustöne verwendet und das 12et-System (gleichstufige Stimmung).
Ein Chor und Streicher treffen die reinen Intervalle ja auch nicht ganz genau. Und das wirkt positiv belebend, wenn es in bestimmten Grenzen bleibt.

Selbst bei fehlenden Obertönen (da Sinustöne) fällt auf, daß die Naturseptim sich viel harmonischer in den Dur-Akkord einfügt als die gleichstufige Septim.

Wenn ein Chor in einen Vierklang auflösen möchte, so strahlt die Naturspetim eine viel größere Ruhe und Harmonie aus. Das wollen wir ja im allgemeinen am Ende eines Stückes. Die Naturseptim wäre also dazu viel geeigneter als der heute häufig als Tonika verwendete temperierte Septakkord.

Ich sehe eine gewisse, aber schwächere Parallele zur Emanzipation der Terz. Im Mittelalter war ja die pythagoreische Terz üblich (81 : 64, 407,82 Cent), welche als dissonant galt. Nach 1500 wurde die Konsonanz der Terz erkannt. Sie wurde rein gestimmt (5 : 4, 386,31 Cent) und führte zu mitteltönigen Stimmungen und letzlich zur Harmonielehre, wie sie heute verbreitet ist. Wegen der gesteigerten Bedürfnisse (Transpositionen und Modulationen) wurde schließlich das temperierte System entwickelt, mit der schwächer konsonanten gleichstufigen Terz (
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:1, 400 Cent).

Durch die zunehmend attraktiven Möglichkeiten elektronischer Musikinstrumente könnte die Verwendung einer reineren Terz unter Einbezug weiterer Naturtöne praktikabel gemacht werden. Das könnte eines Tages zu einer breit akzeptierten neuartigen Musik führen, die schließlich auch zu einer erweiterten Harmonielehre führen würde.

Viele Grüße
Klaus
 

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