Hellmut Hattler gehört zum Urgestein der deutschen Musikszene. In den 1960ern begann er seine Karriere als Gitarrist, wobei er damals noch stark von Jimi Hendrix beeinflusst wurde. 1971 gründete er am Bass mit den Wolbrandt-Brüdern die Popgruppe Kraan und 1991 mit dem Trompeter Joo Kraus "Tab Two", die wegweisende deutsche Acid-Jazz Formation, die mit ihren sieben Alben großen Erfolg hatte. Im Jahr 2000 stellte er sein neuestes Projekt Hattler auf die Beine, dessen Album "No Eats Yes" im März 2001 mit dem deutschen Schallplattenpreis ECHO ausgezeichnet wurde.
Außerdem gründete Hellmut Hattler 2001 das Platten-Label Bassball Recordings und hat bisher zwei Bass-Bücher veröffentlicht, zum einen die Schule Hip Bass, die sich vor allem mit der von Hattler selbst entwickelten Plektrum-Technik beschäftigt, zum anderen das Hattler Songbook, das Songs von seinen verschiedenen Projekten in Tabulatur und Notenform darstellt.
Der Bassfanatiker nahm sich die Zeit, den Usern des Musiker Boards 20 Fragen ausführlich zu beantworten.
Du kennst beide Seiten des Musikbusiness, da Du als erfolgreicher Musiker und als Labelinhaber aktiv bist. Wenn Du heute am Anfang Deiner Karriere stündest, würdest Du versuchen, bei einem Label unter zu kommen oder würdest Du eher auf Selbstvermarktung und das Internet setzen?
Hellmut: Gute Frage! Ich bin ja jemand, der sehr intuitiv an alles herangeht. Deshalb sind die meisten solcher Entscheidungen personenbezogen. Das heißt wenn ich jemanden treffe, der mir kompetent und begeistert vorkommt, arbeite ich mit so jemandem lieber zusammen als mit irgendwelchen angestellten Schlipsträgern, die mir den Reibach vorrechnen. Darum vermarkte ich meine Tonträger auch mit ein paar Freunden zusammen, die ich menschlich und fachlich schätze. Wenn Songs von mir zusammengestellt werden, habe ich ja auch direkt mit den betreffenden Labels zu tun und auch da gibt es sehr fruchtbare Zusammenarbeiten.
Grundsätzlich gilt für mich: Lieber arbeite ich im Entstehungsprozess komplett unabhängig von Verwertern aller Art. Sobald die Musik ein fertiges Produkt ist, muss man anders denken. Die Frage ist dann: wer vermarktet das Album? Da kann man sich auch selber einen freien Radio-/Pressepromoter für ca. sechs Wochen mieten und einen Vertrieb suchen, wenn man das album unbedingt im Laden stehen haben will. Kurz: man braucht die Verwertungsindustrie eigentlich immer weniger, aber man kann (und will) ja auch nicht alles ganz alleine schaffen. Also schau, wie du selber strukturiert bist. Wenn dich das Vermarkten interessiert, schau wie weit du kommst. Wenn dir deine Zeit dafür zu schade ist, weil du sie für deine Kunst einstzen möchtest, such dir ein Label. Aber wundere dich nicht, dass da dann meist weniger passiert als du dir erhofft hast.
Was würdest Du tun, um Dich und Deine Musik für ein Label attraktiver zu machen?
Hellmut: Es ist eher so, dass ein Label verstehen muss, was du willst und wie du tickst, wer und wo also deine Zielgruppe sein könnte. Sich zu verbiegen um Erfolg zu haben, also mit dem falschen Song bekannt zu werden, ist die Hölle. Also gib alles was deine Schaffenskraft betrifft, bleib aber so authentisch wie möglich. Gib Vollgas was die Verbreitung deiner Kunst und des Produkts betrifft (aber nur eine bestimmte Zeit lang, sonst wird es peinlich). Besonders ungewöhnliche Musik kann man nicht gegen die herrschenden Gewohnheiten durchpeitschen, da muss man Geduld haben und die hat (oder lernt) man, wenn man das tut, was mit einem selbst zu tun hat.
Stechen bei Deiner langen Karriere als Berufsmusiker Phasen heraus, die Du als besonders schön oder besonders schwierig in Erinnerung hast? Warum war das jeweils so eine besondere Zeit?
Hellmut: Ganz schwierige Frage, weil es am Anfang eines neuen Projektes tolle Aufbruchstimmungen gibt, die sehr kreativ sind. Dann gibt es diese Erfolgsphasen in denen viel getourt, also nach draussen gegangen wird. Dabei büßt das Projekt vielleicht auch etwas von der ursprünglichen Experimentierfreudigkeit ein, weil man ja plötzlich etwas zu verlieren hat. Das gab es bei KRAAN und das gab es auch bei TAB TWO. Meine anderen Sachen waren vielleicht nicht abgehoben genug um in diese Gefahrenzone zu kommen. Aber dir kann wenig passieren, wenn man all das einzuordnen weiß und sich mental unabhängig hält. Dann kann man ein tolles Leben draus machen, egal wo man nun gerade steht.
Ach noch was: Ich glaube am schweirigsten sind die Übergänge zwischen einem sterbenden und einem neuen Projekt. Diesen Zustand sehe ich ein bißchen so, wie wenn zwei Werkstoffe aufeinanderprallen: die übergänge von Holz zu Metall oder von Glas zu Stein zum Beispiel sind immer schwerer zu gestalten als wenn man mit homogenen Materialien und Flächen zu arbeitet. Aber auch wenn mal eine Band richtig abgeht und das Leben eigentlich super einfach sein sollte, kann man überrollt werden und sich selber verlieren. Besonders dann, wenn man den Erfolg nicht als das erkennt, was er wirklich ist, als eine Art Abfallprodukt, das mehr mit den Leuten zu tun hat, die ihn ermöglichen, als mit dir selbst. Falsch verstandener Erfolg kann die Persönlichkeit schlimm verbiegen, sofern du nicht mit dir selber im Reinen bist. Glück und Absturz liegen im Künstlerleben nah beieinander.
Ich sehe inzwischen auch eine Dekade als eine Zeitspanne, in der sich ein Projekt, ein Sound, eine Mode auf- und wieder abbaut. Interessanterweise geht das oft synchron mit anderen Lebensverhältnissen einher. Also, dass man sich verliebt, sich schmerzhaft trennt, Familien gründet, umzieht und so weiter. Ich glaube, wenn man einen Weg findet, sich selber einigermaßen treu zu bleiben, sind alle Phasen gut: denn aufbauen kann man in der Musik ja so gut wie auf alles!
Du bist nun schon sehr lange im Musikbusiness unterwegs und siehst trotzdem noch viel knackiger aus, als viele Deiner Kollegen. Hält Bass spielen fit?
Hellmut: Wenn ich alle paar Jahre mal zu Klassentreffen gehe, vermute ich fast, dass du recht haben könntest. Ich denke aber, dass da ist ja auch viel Gentechnik reinspielt. Wie auch immer: An einer besonders ausgewählten Lebensweise liegt es auf jedenfall nicht in erster Linie... Vielleicht liegt es tatsächlich am Bass.
Du hast in Deiner Karriere eine ziemliche Bandbreite an musikalischen Stilrichtungen abgedeckt und sprengst immer wieder Konventionen. Gibt es etwas, das Du auf keinen Fall spielen würdest oder etwas, das Dich besonders reizt?
Hellmut: Ha, da hast du meinen dunklen Fleck beleuchtet. Bis vor zwei Jahren habe ich ja groß rumgetönt, niemals covern zu wollen. Aber plötzlich war es fast zwingend, denn mit SIYOU zusammen spiele ich im Duett ja einige Fremdkompositionen. Wir spielen sie aber so eigen, dass sie mir nicht mehr fremd sind. Jetzt bin ich froh, dass ich die Grenze überschritten habe. Ich weiß, das ist ja nicht genau das, worauf du raus willst, ich sag's ja nur... Also: Ich denke mal Marschmusik aller Art wäre eine klare No Go Area. In der Klassik gibt es dagegen Sachen, wo ich mir Berührungspunkte erträume. Da arbeite ich aber nicht, dran, denn da was übers Knie zu brechen, wäre Murks. Das ergibt sich durch neue Begegnungen oder eben nicht. Aber nochmal zu deiner Bemerkung zur Stilrichtung: Stilistik läuft für mich unter "Verpackung" (und die ist modeabhängig). Die Komposition ist der Inhalt. Deshalb experimentiere ich ja auch gern mit meinen "Labrats" an Stilmischungen und bin begeistert, wenn da urplötzlich Begeisterung auftaucht, also die Lust, da fröhlich weiterzuschrauben.
Da diese Frage immer wieder heiss und Kontrovers im Musiker-Board diskutiert wird: Was bedeutet Groove für Dich und Dein Spiel, was verstehst Du darunger und wie entsteht er?
Hellmut: Tja, kein Wunder wird diese Frage heiß diskutiert. Aber die Diskussion ist schlagartig beendet, wenn es groovt. Der Groove hängt mit der Phrasierung zusammen. Die kann von einer Gesangsline genauso ausgehen, wie von einem Instrumentalisten und manchmal groovt es erst beim Zusammenspiel. Ich denke, es hat mit der Setzung der Akzente innerhalb eines normalen Rhythmus zu tun. Erst wenn die gespielten oder gesungenen Figuren so gesetzt sind, dass der Körper in (gefühlte) Schwingung versetzt wird (und das kann auch von den Pausen ausgehen), sollte man von "Groove" sprechen. Mehr kann ich dazu auch nicht sagen.
Während die meisten Bands der Krautrock-Szene nach einem kurzen Hype von der Bildfläche verschwanden, klingen KRAAN nach ihrer Reunion frischer denn je und Du erfindest Dich auch in anderen Projekten immer wieder neu. Woraus ziehst Du Deine Motivation bei der Komposition und was möchtest Du erreichen?
Hellmut: Erstmal danke - und schön dass du das so erlebst. Für mich ist halt Musik nach wie vor mein Ventil um meinen Stimmungen und Anliegen Ausdruck zu verleihen. Ich erlebe ja immer was und das setzt sich in mir fest. Manche leute schreiben darüber, ich nehm den Bass und versuche diese Sachen in Töne zu packen. Das ist auf jeden Fall eine Transformation. Auch wenn mich gehörte Musik beeindruckt, kommt das irgendwann in Anklängen, also auch transformiert, zum Vorschein und das setzt Gefühle frei, die meine eigenen Erfahrungen transportieren. Es ist eigentlich ein Feedbackprozess. Das frischt ungemein auf und man hat Lust, weiterzubohren und zu sehen, was noch so alles ans Licht kommt. Es ist wie Geschichtenschreiben auf eine nonverbale Art. Ich will damit nichts definiertes erreichen, es ist ein Angebot an Leute, die das hören könnten. Manchmal fühle ich mich wie ein Wissenschaftler, der Leben auf fernen Planeten sucht und Signale aussendet um Kontakt zu bekommen, ohne zu wissen, wer das sein könnte. Wenn dann was zurückkommt, man also verstanden wird, weiß man, dass man nicht allein ist mit seiner Kommunikationsform. Konkreter: Wenn ich nach einem Konzert mit Leuten spreche, die das verstanden oder erlebt haben, was ich gemeint habe, dann kann stellt man oft fest, dass man in extrem vielen Lebensbereiche übereinstimmt und kann sich wunderbar unterhalten. Das ist Glück für mich. Deshalb warne ich immer davor mit den falschen Sachen bekannt zu werden, manche springen dann ja sogar mit einem "hossa" auf den Lippen aus dem Fenster.
Wenn Du mal einen kreativen Tiefpunkt hast, wie motivierst Du Dich, trotzdem weiter zu spielen und woher holst Du Dir neue inspiration?
Hellmut: Ich motiviere mich gar nicht, weil ich weiß, dass sowas dazugehört. Das ist kein Tiefpunkt, sondern ich sehe das so, als ob der Geist "verschnauft", also eher einatmet. Man kann ja auch nicht nur immer ausatmen. Alle Metamorphosen gehen mit einer Art Stillstand in die nächste Phase über. Das ist nur natürlich und auf alle Entwicklungen übertragbar. In solchen Zeiten kann man ja ganz entspannt seine bisherige Schiene weiterfahren, man sollte halt aufmerksam bleiben und sich möglichst nicht mit irgendwas zuballern.
Wie schreibst Du eigentlich Deine Songs? Gibt es eine bestimmte Technik oder Abfolge oder fliegen Dir die Ideen einfach so zu?
Hellmut: Ich habe natürlich meine Lieblingsharmonien und -phrasierungen die in meinen Kompositionen auch immer wieder durchschimmern, aber ansonsten versuche ich so offen wie möglich zu bleiben. Es gibt bei mir zwei Grundsysteme beim Komponieren. Das eine ist das Jammen auf dem Bass und das Singen dazu (so kamen auch viele der typischen Themen von KRAAN zustande). Seit TAB TWO lasse ich mich aber auch gern von Samples, Loops & Co inspirieren. Deswegen suche ich auch immer die Zusammenarbeit mit Leuten die eigentlich eher aus der DJ-Abteilung als von einer Musikhochschule kommen. Die gehen sehr viel soundbewusster und musikalisch unvoreingenommener, also naiver vor und bieten Sachen an, die ich so nicht in hundert Jahren machen würde. Aber das Zusammenprallen unterschiedlicher Ansätze interessert mich, weil sie mich oft begeistern - und dazu inspirieren harmonische Abläufe, Instrumentalthemen oder Gesangslinien dazu zu erfinden. Der deal bei solchen Kooperationen ist, dass kein Geld fließt (um ohne Druck zu arbeiten), dafür können beide Seiten ihre jeweiligen Versionen veröffentlichen und die GEMA wird brüderlich geteilt.
Für viele Musiker warst Du und untertrennbar mit "dem" Rickenbacker-Bass verbunden. Inzwischen bist Du aber umgestiegen. Was hat Dich denn nach so vielen Jahren veranlasst, dem Riceknbacker untreu zu werden?
Hellmut: Da hast du glaube ich eine etwas verzerrte Wahrnehmung. Die Rickenbacker-Ära war bei mir ja schon anfang der achziger Jahre vorbei, weil die Instrumente einfach zu mau verarbeitet waren. Nachdem ich einige von ihnen verschlissen hatte und jeder neu gekaufte auch noch reichlich anders klang als sein Vorgänger, habe ich es irgendwann frustriert sein gelassen und habe angefangen, mit bässen anderer Hersteller zu experimentieren. Das kann man hier alles auch ganz gut nachlesen:
http://www.danbbs.dk/~m-bohn/kraan/hattlerbass.htm
Da man von Deinem Bass ja als Zuhörer nicht das Innenleben erkennen kann, würde es mich interessieren, ob Du den Bass irgendwie modifiziert hast?
Hellmut: Ja, hab ich. In allen meinen Bässen, also meinem Ritter und meinen Status Bässen, habe ich seit vielen Jahren lediglich einen einzigen Pickup angeschlossen. Es ist das billigste (single coil-) Alembic Replacement Teil mit nur drei Potis dran (für Höhen, Bässe und Laustärke). Die ebenfalls nachträglich eingebauten Tremolo Bridges sind von Kahler (bzw. von Ritter).
Gerade bei so virtuos spielenden Bassisten ist konsequentes Plektrumspiel selten. Wie kamst Du dazu, mit dem Plektrum zu spielen und inwiefern beeinflusst das Dein Spiel und den Groove eines Songs?
Hellmut: Da habe ich ziemlich viel herumexperimentiert. Auf meinem ersten Höfner Halbakustikbass spielte mit den Fingern. Alles andere ging da klanglich gar nicht. Mein erster richtig toller Bass war ein Fender Telecaster Bass bei dem eine riesige freie Fläche zwischen der Bridge und dem Pickup klaffte. Die bot sich super zum Spiel mit dem Plektrum an. Auch weil das mit dem Bass super klang. Meine heutige Technik etwickelte sich so beim Spielen. Ich war damit plötzlich viel besser in Time und die dadurch entsehenden Dead Notes machten nochmal richtig Perkussion. Das passte gut, macht den Groove aus (und bis heute viel Spaß). Seit ich allerdings verstärkt mit Sängerinnen arbeite, spiele ich auch wieder einige Sachen mit den Fingern, um nicht mit den Gesangsphrasierungen und der Sprachverständlichkeit Gehege zu kommen. Aber das Plektrum liegt dabei immer auf Standby in der rechten Hand bereit.
Da ich selber den Bass mit dem Plektrum spiele und seit Jahren dem Pickboy Carbon Nylon vertraue, wüsste ich gerne, welche Plektren Du verwendest und was das besondere daran ist.
Hellmut: Ich habe mir mal von der Firma Heriba ein Modell gießen lassen, eine etwas dickere Version eines ursprünglichen Gitarrenpleks. Es bestehend aus schwarzem Nylon. Davon habe ich vor Jahren mal einen ganzen Sack gekauft. Meinem ersten Bassbuch war auch je eines dieser Dinger beigelegt. Aber ich hab keine Ahnung ob die überhaupt noch hergestellt werden.
Eure ersten Platten wurden in den 70ern aufgenommen. Wie sind Aufnahmesessions damals üblicherweise abgelaufen? Wieviele Spuren hattet ihr zur Verfügung, habt ihr Live gespielt oder mit Overdubs gearbeitet? Standen die Verstärker bei euch im Aufnahmeraum?
Hellmut: Das Studio in dem die ersten KRAAN Alben aufgenommen wurden hatte lediglich acht Spuren im Angebot. Wir spielten damals alle zusammen und in einem Rutsch ein (bis auf den Gesang, Perkussion und akustische Instrumente). Vor unseren Boxen und dem Schlagzeug standen lediglich gedämpfte Stellwände um das Ärgste Übersprechen auf die jeweils anderen Spuren zu vermeiden. Wenn einer einen falsche Ton erwischt hat, ging es wieder von vorne los, Und das so lange, bis alles gepasst hat...
Schätzt Du das moderne Aufnahme-Equipment und die Arbeit am Rechner oder fandst Du die alte analoge Arbeitsweise besser?
Hellmut: Die ganze Editiererei heute wäre mit den live eingespielten Übersprechungen nur schlecht möglich, obwohl man da heute auch viel machen kann. Ich glaube, man muss das so sehen: Verschiedene technische Voraussetzungen führen immer auch zu unterschiedlichen künstlerischen Ergebnissen. Vor einiger Zeit hab ich mal wieder auf die alte Art etwas aufgenommen. Das war richtig super, weil das Zusammenspiel aufregender ist. Am Rechner kann man natürlich entspannter arbeiten, aber wenn man die Beteiligten Leute in den mittelpunkt stellt, ist all das zweitrangig. Denn man muss klar unterscheiden, ob eine richtige Band aufnimmt die erst ihre gewisse Eigendynamik entwickeln kann wenn alle gleichzeitig spielen oder ob es sich um Musik handelt, die ihre Ästhetik durch andere Arbeitsweisen entwickeln kann. Schichtweises Aufeinanderlegen kann steril wirken, aber es kommt sehr auf den Musikstil an und wie immer gilt hier auch, es gibt keine endgültigen Wahrheiten, man muss das machen, was zu den beteiligten Leuten passt.
Was benutzt Du live für die Signalübertragung zum FOH lieber? Den DI-Ausgang des Bassverstärkers, ein Mikrofon (wenn ja, welches?) oder beides gleichzeitig?
Hellmut: Ich mache das mit drei Kanälen: zweimal DI out (links und rechts) aus dem Preamp und einen Weg direkt aus dem Bass raus per DI Box (die lediglich die unteren Bassfrequenzen zum FOH überträgt, um das Basssignal griffiger zu machen, weil ich ja einen Stereo Chorus Effekt benutze, der bei schwierigen Raumaktustiken schwammig werden kann). Also auf jeden Fall: kein Mikrofon!
Viele junge Bassisten gehen durch ein Arsenal an Instrumenten, Verstärkern und Effekten bevor sie ihr "perfektes"; Setup gefunden haben. War das bei Dir auch so oder hast Du ohne größere Umwege "Dein"; Equipment gefunden? Wenn ja, wie? Zufällig oder durch gründliche Suche und Recherche?
Hellmut: Bei mir ist so ziemlich alles Zufall, weil ich eigentlich nur meinen eigenen Ohren (und ganz sicher keinen Testergebnissen in Musikerzeitschriften) traue. Ich habe mich halt über die Jahre vorgetastet, erst mit dem guten alten Orange Matamp, später mit Craaft und seit Anfang der 90er mit dem unverwüstlichen Glockenklang Bugatti System. Bei den Effekten hab ich mich bei einem alten Multieffektgerät von Digitech festgebissen. Mit diesen Komponenten, guten Saiten und einem sauberen Anschlag geht eigentlich alles. Es ist aber nur so einfach, weil ich halt weiß, dass ich auch ohne den Umweg über teures Gerät auch direkt ins Pult könnte - und dann immer noch gut klinge.
Beobachtest Du die aktuelle Bassisten-Szene? Gibt es da Kollegen, die Deiner Meinung nach besonders hervorstechen?
Hellmut: Bezogen auf deinen ersten Frageteil muss ich leider gestehen: Nein, gar nicht (ich weiss, das ist eigentlich ein Jammer, aber es ist so). Die zweite kann ich deshalb auch nicht beantworten...
Was könnte Dich veranlassen, bei einem Projekt eines anderen Musikers mit zu machen, das Dich hinsichtlich eigener Ideen und Virtuosität wenig fordert?
Hellmut: Die Authentizität des Künstlers! Mich interessieren Menschen, die ihre Kraft aus der Musik schöpfen. auch über eher simple Strukturen kann man mittels Dynamik und Zwischentönen extrem viel Spannung erzeugen. Oft sogar mehr, als das mit hochqualifizerten Musikfachpersonal der Fall ist.
Was hörst Du zur Zeit an Musik, was rotiert bei Dir auf dem Plattenteller, im CD-Player oder auf dem MP3-Player?
Hellmut: ... Oh nein, schon wieder eine hochpeinlich Frage für mich! Denn die Antwort ist: ich habe nichts am Laufen - echt: nichts! Manchmal höre ich ein bißchen Radio bei meiner Freundin zuhause oder auch (aber eher selten) mal im Auto. Klar, den Score wenn ich einen Film gucke höre ich schon auch, fast zu deutlich, ich kann bei Musik nicht mehr weghören, drum gibt es bei mir zuhause auch keinerlei Abspielgerätschaft. Aber das hat den Vorteil, dass ich die Musik in meinem Kopf besser mitkriege.
Vielen Dank für Deine Zeit, wir würden Dir gerne das Schlusswort überlassen.
Hellmut: Oh! Na gut, nach fast vierzig Jahren professionellem und einigermaßen erfolgreichen Bassspiel kann man sich ja schon allmählich mal an Dinge wie Schlussworte wagen - ich probier's. Also, ich finde es ganz großartig, dass ich über den Bass Wege gefunden habe, die mich nicht nur an Studien in Medien- und Sozialwissenschaften, Psychologie, Politik und Sexualkunde, sondern auch an Handwerksberufe wie Elektriker, Schreiner, Plattenboss und Automechaniker herangeführt hat. Und am allerbesten finde ich, dass mich dieses Instrument ganz zu mir selber und gleichzeitig um die halbe Welt geführt hat. Kurz: Ich glaube, dass man als Musiker, und speziell mit diesem Instrument mehr über Menschen und die Welt lernen kann als das durch die allermeisten anderen Berufe möglich ist.
Man muss es ja nicht professionell betreiben, aber es ist einfach ein Hammer-Instrument und ich plädiere hiermit militant dafür, dass in keinem Haushalt weltweit eine spielbereite Bassgitarre fehlen sollte.
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