In diese Diskussion möchte ich mich auch noch mal einmischen.
Da ich selber Arrangements schreibe, kann ich beurteilen, dass Thomas Arrangement handwerklich sehr gut gemacht ist. Ich finde auch die Ausführung durch den Chor beeindruckend, vor allem vor dem Hintergrund, dass ich jetzt weiß, dass es Amateure sind. Derartige komplexe Sätze sind auch für Profis anspruchsvoll.
Beides verdient Respekt, weshalb ich auch genau dieses Wort in meinem ersten Beitrag gewählt hatte.
Aber auch für die Kritik daran habe ich Verständnis, denn ich habe öfter die Erfahrung gemacht, dass eben diese Komplexität nicht jedermanns Sache ist und manche sogar regelrecht abstößt. Für diese ist das dann nur ein wüstes Durcheinander, eben ohne Ruhepunkte und ohne ´echte´ Melodie.
Aber das ist für mich keine formelle, handwerkliche Ebene, sondern eine geschmackliche, eine Ebene des Gefallens und der Vorlieben. Diese hat selbstverständlich auch ihre Berechtigung, aber man kann hier nicht von "richtig" oder "falsch", "gut" oder "schlecht" reden, sondern eigentlich nur von "gefällt mir" oder "gefällt mir nicht". Es steht jedem zu, selber zu entscheiden, was ihm gefällt und was nicht, aber der subjektiven Qualität dieses Urteils sollte sich jeder bewusst sein.
(Nebenbei: mir gefällt solcherart Komplexität meistens sehr gut.)
So ganz neu ist so eine Diskussion im übrigen nicht. Der junge J.S. Bach wurde in Arnstadt, wo er seine erste Anstellung als Kantor hatte von der Gemeinde in ähnlicher Hinsicht kritisiert:
„daß er bisher in den Choral viele wunderliche variationes gemachet, viele frembde Thone eingemischet, daß die Gemeinde darüber confundiret worden.“ Kurzum, ihm wurde vorgeworfen, die Gottesdienstbesucher mit seiner unkonventionellen Musik zu verwirren.
Beispiele dieser Art findet man zuhauf in der Musikgeschichte.
Als Arrangeur/Komponist kann man die Stücke auch immer
anders machen, aber eben auch
so, wie man sie macht.
Es ist letztliche immer eine Entscheidung, die auf ihre Weise auch wieder subjektiv ist. Aber wenn es handwerklich gut gemacht ist (Satz, Harmonik, Form, Rhytmik, Klanglichkeit, etc.), dann ist das Stück erst mal gut - und ich kann es als Hörer-"Experte" dann auch als gut anerkennen, selbst, wenn es mir aus anderen Gründen nicht gefallen sollte.
Was den "Groove" anbetrifft, so scheint er uns Nord-/Mitteleuropäern nicht gerade angeboren und wir scheinen mehr Mühe zu haben, als z.B. die fantastischen Herren der Gruppe "Take Six" (deren Arrangements ich bei Thomas Arrangement wohl als "Pate" ansehen darf?).
Hier ein ähnlich komplexes Beispiel - mit Groove natürlich - von "Take Six":
Es geht aber auch weniger komplex und mit Groove, also mehr in rhythmischem Unisono (harmonisch ist das Stück schon ziemlich komplex und es ist keineswegs leichter zu singen, auch wenn es nicht so ´durcheinander´ arrangiert ist:
Man könnte jetzt noch darüber diskutieren, inwieweit diese Komplexität in Thomas Arrangement für den Groove hinderlich ist, jedenfalls für Amateure, weil sie sich zu stark darauf konzentrieren müssen, überhaupt immer richtig zu singen und zu artikulieren. Aber ich traue diesem Chor zu, auch in diesem Satz schon zu "grooven", wenn sie sich insgesamt noch mehr ´freigeschwommen´ haben, und noch mehr Lockerheit und Routine gewonnen haben.
Da ist eine besondere harmonische Wendung, die mich anspricht, oder ein besonderer melodischer Zugang, ein außergewöhnlicher Spannungsbogen, eine besonders trickreiche und groovende Rhythmik, oder eine besondere Art der Phrasierung … irgendetwas, oder eine Kombination, davon
Das sind für mich zunächst mal alles Kriterien, die für mich ein Stück interessant, hörenswert und ansprechend machen, und im besten Falle auch gut gemacht.
Aber darin erschöpft sich mein Musik-Hören und Musik-Erfahren nicht, denn anders als Du:
Eine Emotionalität jenseits dieser Kategorien besteht für mich nicht, bzw. habe ich sie noch nie kennengelernt.
werde ich durchaus von Musik emotional berührt und manchmal sogar regelrecht ergriffen.
Das sind für mich dann die ganz besonderen Stücke, ist für mich die ganz besondere Musik. Da gibt es dann noch eine sehr intensive Ebene für für mich, die über das bloße handwerkliche, den Konstrukt hinaus geht.
Ohne diese Emotionalität bliebe die Musik für mich leblos und linkshemisphärisch-rational.