Hallo KingConci,
Ich spüre Anspruchsdenken hinter Deinen Zeilen. Deshalb gestatte mir eine etwas ausführlichere Kritik. Auch weil deine Texte angenehm kurz sind und deshalb auch eine Kritik überschaubar bleibt.
Meine Vorschläge sind weniger als konkrete Verbesserungen gedacht, sondern eher als nett gemeinte Provokationen...
Meine Sicht auf künstlerische Texte (im Gegensatz zu privaten Meinungen oder Fachtexten) ist:
1. Lyrics sollten ein Wort- und Gedanken
spiel Spiel mit Meinungen sein.
2. Lyrics sollten sich um eine überdurchschnittlich hohe Anschaulichkeit bemühen.
Einerseits, weil Anschaulichkeit zur größtmöglichen gedanklichen Klarheit zwingt
Andererseits beinhalten bildliche Gedankenübertragungen (zB. Vergleiche) automatisch neben dem wirklich Gemeinten noch eine Menge ambivalenter Gesichtspunkte.
Das ist wie im Leben. Alles ist "stille Post".
Gestern schrieb ich jemandem: "Der Song überrascht mich. Die Sängerin nicht".
Darauf erwiderte mein Partner:" Schade dass sie Dir nicht gefällt".

Ich hatte aber das Gegenteil gemeint: Mein Partner hatte mich mit einer guten Leistung überrascht. Die Sängerin überzeugte mich wie immer
So gesehen sind mir die meisten Deiner Zeilen noch zu eindeutig, noch zu eindeutig EINE Meinung.
Mal einige Beispiele:
Im ersten Augenblick assoziierte ich, dass die Emotionen wie ein Landmesser etwas vermessen. Aber dann müsste es ja heißen: Emotion vermisst.
Oder man schreibt: Emotionen vermessen. Dann spielt eine neue Doppeldeutigkeit mit: "Vermessen" im Sinne von hochmütig, eingebildet, arrogant, stolz.
Oder nehmen wir:
kein leben... das ist kein leben mehr
ICH würde wohl eher schreiben: Kein Leben ist auch ein Leben. Das hielt ich für intensiver, das wäre für mich mehr Hook.
Celebrieren wir unseren Selbstbetrug
Damit machst Du Deine Fragen zu rhetorischen Fragen. Deine Spannung lässt nach. Warum den Selbstbetrug feiern?
Lass uns etwas spannenderes Feiern. Bereits " Feiern wir unsere Geburtstage" bleibt mMn in Deinem Sinne. Nur das es ein klein wenig dezenter, bescheidener daher kommt. Aber man könnte auch ganz andere Dinge zelebrieren und den sich automatisch ergebenden Doppelsinn genießen. natürlich
nur um mich zu verdeutlichen schrieb:
Selbst das gewöhnlichste Glück
ist unverkäuflich
während wir hier sitzen
Und auf den Kontostand anstoßen
Das ist natürlich noch sehr plump. Normalerweise brauche ich viele Stunden, um so ein Gedankenspiel möglichst elegant und unaufdringlich zu entwickeln. Aber vielleicht verstehst Du dennoch meinen Kritikansatz.
liebe - was ist das schon ?!?
glaubst du noch selber daran??
Hier sieht man am Deutlichsten Dein Dilemma. Deine Satzzeichen sollen Ambivalenz signalisieren. Aber Satzzeichen werden nicht mitgesungen. Also würde ich im obigen Sinne verbal die Ambivalenzen herstellen. Bereits ein "Liebe was ist das" schafft für mich mehr Ambivalenz als dein abfälliges "schon" es vermag.
nach vorn, nach vorn, nach vorn
ist eine lüge
die wir gerne
zu glauben bereit sind
Warum eine "Lüge"? Weißt Du es besser?
warum nicht etwas kleiner: "ein Stoßgebet"... "ein Kreislauf" *das gefiele mir gut*... "zwei harmlose Worte".... "die Weltformel" ...."welch göttlicher Gedanke"... "im Irrgarten, an den..." usw.
Abschließend: Noch mal zur Mehrdeutigkeit. Jeder Gedanke spiegelt sich in jedem Betrachter anders als vom Autoren gemeint. Das drängt Anfänger dazu, besonders eindeutig sein zu wollen.
Natürlich ist auch die eindeutigste Formulierung noch ambivalent. Aber wenn ich diesen Hang zur Eindeutigkeit bemerke, dann spüre ich gleichzeitig auch immer etwas Besserwisserei. Und die mag doch keiner so gern... Verstehst Du, was ich meine?
Widerspruch, von wem auch immer, ist erwünscht.
lg