Workshop: die AES72 Norm, die 4 Aderpaare im LAN Kabel nutzen

chris_kah
chris_kah
HCA PA- und E-Technik
HCA
Zuletzt hier
01.11.24
Registriert
18.06.07
Beiträge
9.460
Kekse
117.428
Ort
Tübingen
Kürzlich kam eine Diskussion auf zum Neutrik Produkt NA-4I4O-AES72
18313-NA-4I4O-AES72_persp%20front.png


Die Frage war, wie so ein Teil alle möglichen Standards einfach so übertragen kann.
Die Lösung:
Das Gerät ist keine aktive digitale Lösung sondern einfach eine passive Anschlussbox nach dem Standard AES72.
Und ich wollte das schon länger mal dokumentieren.

Ein LAN Kabel besteht ja aus 4 twisted Pair Doppeladern, die ab Cat 5e, (natürlich CAT 6 und CAT 7) einzeln geschirmt sind. Darüber kann man natürlich nicht nur (aber auch) digitale Signale übertragen sondern eigentlich alle analogen differentiellen Signale und natürlich auch Signale nach digitalen Stnadards.
LAN nutzt bis 100 MBit/s 2 der Doppeladern, darüber hinaus 4 Doppeladern. Und diese LAN Kabel sind in Gebäuden schon verlegt, auch in Veranstaltungsräumlichkeiten.
Jetzt kann man über diese differentielle Leitung natürlich auch andere digitalen Signale übertragen. Netterweise haben auch dies Standards die 100 Ohm Wellenwiderstand wie es da LAN Kabel auch hat. Also lässt sich Audio über AES/EBU darüber gut übertragen (1 Paar nötig) oder DMX (auch nur 1 Paar nötig). Und natürlich geht auch Audio direkt. Es ist ja ein meist geschirmtes differentielles Leiterpaar.

Hier kommt der Standard AES72 ins Spiel.
Der Standard AES72 schreibt fest, wie man ein LAN Kabel mit 4 Doppeladern belegt, um diese 4 Leiterpaare universell zu nutzen.


Eine Besonderheit gibt es bei der RJ45 Verbindung. Aus historischen Gründen waren beim Telefon die beiden mittleren Adern (Pins 4 und 5) die beiden Signaladern. Das nächste Paar wurde dann je eins weiter außen angesetzt (Pins 3 und 6). Die weiteren beiden Paare sind dann wieder beieinander 1und 2 bzw. 7 und 8. Die Adern sind entsprechend der Pins so aufgelegt (auch beim LAN, da ist die Norm für 100 MBit/s Paar 1+2 sowie 3+6 -- das würde beim versehentliche Einstecken eines Telefons nichts ausmachen -- die anderen Paare dann wieder wie beschrieben).
All das wurde berücksichtigt, so dass wirklich die Kabelpaare wie in der Norm verwendet werden.

Hier die Steckerbelegung.
PinoutRJ45.png
PinoutXLR3.png

Beispiel: GND geht an alle 4 XLR Verbinder (Stecker oder Buchse, entscheidend ist hier die Pin Nummer)
Signal 1 Sig1_P geht an Pin 2 des ersten XLR Verbinders Sig1_N an Pin 3 des XLR Verbinders für Signal 1 usw.


Das erwähnte Neutrik Produkt NA-4I4O-AES72 ist eine sehr universelle Anschlussbox, die für jedes Kabelpaar sowohl eine XLR Buchse als auch einen XLR Einbaustecker beinhaltet, also einen Anschluss in jede Richtung ermöglicht. Außerdem hat diese Anschlussbox 2 RJ45 Steckverbinder, die es ermögliche, die Boxen hintereinander zu stecken. Bei den Eingängen kann man die Leitungen sogar vertauschen, also die Polarität wechseln. Ground lift ist auch möglich. Also die Eierlegende Wollmilchsau. Leider auch recht teuer.
Gleich eine Warnung: Bei der Applikationsschrift von Neutrik wird z.B. DMX in der mittleren und einer äußeren Anschlussbox angeschlossen. Das ist aber eine unzulässige Verzweigung, da abgehende Kabel auch als Stichleitung mit dran hängen. Wenn schon DMX, dann Einspeisung an der ersten Anschlussbox in der Kette und am Ende der letzten ein Abschluss. Anzapfungen mit Leitungen unter 1m (besser unter 50cm) ohne Terminierung an Zwischenboxen wären noch tolerierbar.

Noch ein Hinweis bei der Nutzung von Phantomspeisung: Viele LAN Kabel sind geschirmt und haben eine durchgeführte Masseverbindung außen am Stecker. Noch besser und zuverlässiger klappt das mit den Neutrik RJ45 Verbindern im XLR Gehäuse. Trotzdem ist Vorsicht angebracht, wenn man Phantomspeisung verwendet, weil dort die Masse die Rückleitung ist (Hinleitung der +48V sind ja die Signaladern). Hat die Masse hier keinen sauberen Kontakt (was bei schlechteren RJ45 Verbindern schon vorkommen kann) dann gibt es fürchterliches Krachen.

Jetzt gibt es natürlich auch noch günstigere Produkte, die das gleiche Prinzip nutzen. Leider ist bei denen meist nicht angegeben, ob sie nach AES72 belegt sind. Mischt man Produkte verschiedener Hersteller, kann es sein, dass die Belegung unterschiedlich ist.
Beispiele (nur so willkürlich gewählt):
the sssnake Cat Snake 3FB

the sssnake Cat Snake 3MC

Stairville RJ45 DMX Split Box FX4


Übersicht
Falls jemand von euch schon so eine Lösung in Betrieb hat, wäre es interessant, ob ihr mit dem Durchgangsprüfer mal kontrollieren könntet, ob das zu AES72 kompatibel ist, oder nicht,

Fazit: prinzipiell eine feine Sache, wenn man mit der nötigen Vorsicht (Masse) zu Werke geht.


Als Goodie noch die Norm Steckerbelegung des 5-poligen XLR für Audio (z.B. an Stereo-Mikrofonen verwendet) und die gängigste SubD 25 für 8 Paare.
PinoutXLR5.png



PinoutSubD25.png

Die Tabelle ist so gestaltet, dass sie die Pinzuordnung und Position abbildet.
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
  • Wow
Reaktionen: 5 Benutzer
Der Standard AES72 schreibt fest, wie man ein LAN Kabel mit 4 Doppeladern belegt

Das ist leider falsch. AES72-2019 listet alle Varianten auf die die Autoren im Markt gefunden haben. Es gibt nicht die "korrekte" Belegung "gemäß AES72"! Es macht nicht einmal eine Empfehlung, welche Variante zu bevorzugen ist - warum auch immer. "Standards are a nice thing - there are so many to chose from!"

Den Pinout den Du beschreibst ist die AES72-2019 Variante "Type 4E" (die vermutlich Gebräuchlichste), die aber neben acht anderen Types in AES72 definiert ist.

Weshalb die Autoren auch fordern, das ein Produkt das AES72 konform sein will, am Steckverbinder entsprechend beschriftet sein muß (z.B. "AES72 Type 4E", ggfs mit Zusatz "not grounded"). Was Neutrik auch tut, Thomann leider nicht.

Die Thomann-Dinger entsprechen übrigens nach der Belegungstabelle im Datenblatt dem Type 1E - d.h. wenn man einen Neutrik-Splitter gegen einen Thomann Splitter verkabelt, werden Kanäle 2+3 vertauscht. Aber wenigstens nicht die Polarität invertiert.

Und die Stairville-Teile sind dem Belegungsdiagramm im Datenblatt nach vom Type 2O. Gegenüber Neutrik (4E) also Kanäle 1+2 vertauscht und auf allen Kanälen die Polarität invertiert.

Ergo: Alle irgendwie AES72, aber eben alle inkompatibel.
 
  • Gefällt mir
  • Interessant
Reaktionen: 4 Benutzer
Aufgrund eines Reviews von @netstalker in 2020 hab ich mir mal ein ssnake Pärchen 3FC/3MC zugelegt. In meinem Fall ging es letztlich nur um eine Anbindung eines Racks mit 4 Sennheiser Funkstrecken an das Hauptpult. Auch das Hauptpult ist in einem Rack verbaut, und in beiden Racks hab ich patchbays, die jeweils eine Neutrik RJ45 D-Norm verbaut haben.
Die Cat Verteiler sind fest im Inneren des Racks verbaut, und ich hab auch die Versionen mit den Kabelpeitschen, so dass ich nicht noch extra Patchkabel brauche. Im inneren hab ich lediglich ein kurzes RJ45 Kabel für die Verbindung zur D-Nrom Buchse. Hat den Vorteil, dass ich lediglich ein kurzes Verbindungskabel, mit dem ich die Racks verbinde:
Das würde sicher auch mit einem längeren CAT Kabel funktionieren, was in meinem Fall gar nicht nötig ist. Aber ich mag diese Option, dass ich nur ein Kabel brauche, anstatt 4 XLR Kabel legen muss. Sicher wäre eine 4er XLR-Kabel-Peitsche günstiger, aber so ist bequemer. Die Verbindung ist sicher, funktioniert einwandfrei ohen Verluste und ohne Störungen.
Einziger Nachteil bei diesen ssnake Boxen ist die Verriegelung, die etwas ungünstig verbaut ist, so dass es etwas frickelig ist, wenn man das an der Box selber ein- und aussteckt. Das fällt aber weg, wenn man die Verbindung von der Box über eine D-Norm Buchse vornimmt, so wie ich es bei mir gelöst habe. Anfangs hatte ich gedacht, die Box direkt am Rack zu montieren, also ohne D-Norm Buchse. Da ich aber eh Patchpanels verbaut habe, war das die elegantere Lösung für mich.

Eine etwaige Problematik mit Phantompower hab ich natürlich nicht.
 
Weiterer Datapoint: Pronomic (Kirstein Hausmarke) NetCore: Type 1M. Ähnlich Type 1O, aber Polarität Kanal 3 invertiert.

Außer Neutrik referenziert keiner AES72 oder gar den konkreten Type... Aber wenigstens haben sie alle den Pinout im Manual/Specsheet.

Vielleicht sollten wir mal eine Liste pflegen...
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 3 Benutzer
Es gibt ja wie bereits angesprochen eine ganze Menge unterschiedlicher Belegungen, die ich in der täglichen Nutzung allesamt als unproblematisch erlebe. Ein möglicher Unterschied zwischen den verschiedenen Belegungen könnte eine abweichende Übersprechdämpfung zwischen den Kanälen sein - nicht alle Hersteller verwenden die Aderpaare des Kabels für Hot/Cold des gleichen Signals. Hat das jemand mal gemessen?
 
nicht alle Hersteller verwenden die Aderpaare des Kabels für Hot/Cold des gleichen Signals

Wer ist das konkret? In AES72-2019 ist kein entsprechender Type definiert. Alle definierten "current uses" benutzen immer die jeweiligen twisted pairs pro channel.
 
Ich kann das nicht mehr genau sagen, als ich mich für eine Belegung für Eigenbauten entscheiden musste, habe ich das Internet nach Belegungen der Hersteller, auch Hausmarken, durchforstet. Aber der kritische Punkt ist eigentlich, dass man sich für Kabel nach TIA A oder B Standard entscheiden müsste, um da konsistent zu sein. Der Charme an diesen Lösungen ist aber ja auch, dass ich mich herzlich wenig darum kümmere, was da für ein Kabel dazwischen steckt.
 
Aber der kritische Punkt ist eigentlich, dass man sich für Kabel nach TIA A oder B Standard entscheiden müsste, um da konsistent zu sein.

Inwiefern? Beide Varianten haben das gleiche Pin Pairing (1+2, 3+6, 3+4, 7+8). Welche Farbe die Leiter im Kabel haben ist dabei ja dann herzlich egal. Was AES72-2019 auch so sieht:

"Because of their identical pair groupings, patch cords terminated in either T568A or T568B may be used interchangeably."
 
  • Interessant
Reaktionen: 1 Benutzer
Stimmt, da hast du recht. Mir fällt leider beim besten Willen nicht mehr ein, bei welchem Hersteller das war.
 
Korrekt, Tappfuhler. Kann nicht mehr editieren.
 

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben