Interessante Frage!
Offensichtlich hast Du Dich mit Deinen "Blödelsongs" anders gegeben, als Du bist. Falsch! Das ist ein Teil von Dir, sonst hättest Du die gar nicht schreiben können. Das führt direkt zu meiner These und Erfahrung: Jeder Mensch hat mehrere Seiten oder Aspekte (um nicht von verschiedenen "Ichs" zu reden). Das alles macht Dich aus: Deine Melancholie, Deine Erfahrungen, Deine Fähigkeit, zu Blödeln, Deine Fähigkeit, Dich zu verschließen oder Dich auf eine bestimmte Art und Weise zu zeigen.
Ich gehe mit diesen unterschiedlichen Facetten, Erfahrungen, Seiten von mir, so um, dass ich mich nicht mehr frage,
welche Seite von mir ich zeige, sondern
wie ich diese Seite zeige.
Dieser Mensch mit verschiedenen Aspekten, Facetten, Eigenschaften etc. bist Du ja im realen Leben auch - genau wie alle anderen Menschen. Bei der Frage des künstlerischen Schaffens gibt es immer die Möglichkeit,
sich (nur) auf eine bestimmte Art und Weise der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Wahl der "Kunstfigur" ist ein mehr oder weniger ein bewußter Schritt, der von vielen Überlegungen abhängt. Nur nicht von der, wer Du "wirklich" bist.
Du wählst immer aus, was Du zeigen willst - das tut man schon im realen Leben.
Die Kunstfigur stellt diese Frage nur viel zielgerichteter. Aber hinter dieser Kunstfigur steckst immer Du und Du wählst und präsentierst sie.
Wenn Du Deine melancholische Seite bislang nicht gezeigt hast, hat das ja einen Grund. Und sei es der, dass Dir selbst melancholische Menschen mit ihrem Weltschmerz eher auf den Zeiger gehen. Von da aus ist es nicht weit zur Überlegung, ob Du auf andere Menschen nicht genau so wirken könntest, wenn Du Dich so zeigst. Eine Art des Umgangs damit ist fundamental und heißt: Na und? Was ist schlimm daran, wenn ein paar oder sogar recht viele Leute Dich nicht verstehen oder wenn Du sie langweilst? Wenn einige was damit anfangen können und sich davon berühren lassen, was Dich berührt - dann ist es doch das, worauf es ankommt. Alle erreichen und umarmen zu wollen, ist ein sinnloses Unterfangen.
Eine andere Art des Umgangs mit der Frage, ob Du mit Deinen Werken nicht langweilst, ist, sich zu fragen, ob die erzeugte Langeweile nicht eher mit der Art der Umsetzung zu tun hat als mit einer Emotion, einem Thema oder einer Erfahrung. Und das ist eine zutiefst künstlerische Frage.
Es gibt schlechte songs über jedes Thema - und es gibt gute songs über jedes Thema. (Unabhängig davon, was man als gut oder schlecht betrachten mag.)
Message in a Bottle ist ein zutiefst trauriger Song über die Einsamkeit - aber er ist gleichzeitig ein verdammt tanzbarer song, der auf überragende Weise mit Bildern arbeitet.
tears in heaven von Eric Clapton ist sein song, in dem er den Tod seines Kindes behandelt - auf einfühlsame, berührende Art und Weise.
knocking on heavens door ist Dylans song über die Sehnsucht, es einfach sein zu lassen und das Ende kommen zu lassen.
nothing compares to you ist ein großartiger song über einen Verlust, über Sehnsucht, über Einsamkeit.
komm großer schwarzer Vogel von Ludwig Hirsch ist ein Lied über den Tod und die Sehnsucht.
Das sind alles hervorragende songs, die melancholische Themen, Verluste, Einsamkeit etc. behandeln. Ich wüßte nicht, wie man sich damit in den Vorwurf begibt, zu langweilen.
Es liegt an der Umsetzung, nicht am Thema.
Und damit ist man bei einer weiteren künstlerischen Frage: Was an dem, was man selbst erlebt hat, ist für andere interessant oder mitteilenswert? Und wie findet man einen Weg, verständlich zu schreiben und gleichzeitig offen zu bleiben? Kurz:
Wie findet man mit seinem Thema einen Weg in die Ohren und Herzen des Menschen, die zuhören mögen?
Das sind künstlerische Fragen, die man angehen kann und bei denen man mit jedem Versuch und jeder Umsetzung mehr lernt - aber nur, wenn man sich tatsächlich auf den Weg macht, textliche und musikalische Ausdrucksformen sucht, erprobt und mit der Zeit findet.
So lange man vor dem Tor steht, und sich fragt, ob man durchgehen soll, ist man draußen. Im Leben und in der Kunst.
Herzliche Grüße
x-Riff