Warum sollte ich auf dem Akkordeon langsamer spielen? Manche haben's mir gesagt: "Du, diese Kirche ist groß. Sie hat einen Riesenhall. Spiel langsamer, sonst verfließen die Töne ineinander wie Wasserfarben auf einem zu nassen Papier. Sprich auch langsamer, sonst versteht man dich nicht." Ich hab's mir zu Herzen genommen - halbherzig. Ich lasse mir doch nicht von einem Raum sagen, wie schnell ich spielen soll. Ich will zeigen, was ich drauf habe.
Eine Offenbarung war dann dieses Video:
Glenn Gould, ein Schnellspiel-Prophet, der in seinen jungen Jahren sein Publikum mit seinen irren Tempi verwirrte und gleichermaßen begeisterte, schlug in seinen älteren Tagen ein langsames Tempo ein. Ich sehe: Jeder Ton bekommt seine Bedeutung, Gould fesselt mich mit seiner Behutsamkeit und seiner Exaktheit. Dieses Stück geht mir so zu Herzen, so dass ich meinte, mir ein Herz fassen zu müssen: Langsam ist besser als schnell. Genauso muss man das auf dem Akkordeon auch machen! Daran glaubte ich felsenfest.
Für mich stellte sich heraus, dass das so nicht geht. Der Ton eines Klaviers verklingt, aber der Ton eines Akkordeons steht. Spielt man ein polyphones Barockstück mit der Gouldschen Gelassenheit auf dem Akkordeon, kann aus Gelassenheit Trägheit werden. Alle Stimmen zusammen kriegen zu viel Masse. Zu viele gleich laute Töne stehen im Raum, die führende Stimme verschwindet wie die Kontur eines Baumes im starken Nebel. Wie ein Kaugummi zieht sich das Stück. Und diese Filigranität, wegen der ich Gould feiere, verliert sich. Verzweiflung. Also runter mit den Barockstücken vom Notenpult! Tangos sind sowieso besser! Und dieser schwere Konverter, der diese schwermütigen langgezogenen Töne erzeugt, weg damit! Ein leichteres Instrument muss her, das leichtere und akzentuiertere Süßigkeiten produzieren kann. Ta-taa-taahh-ta! Neben mir stehen jedoch diese in hellerem Leinen gebundenen barocken Offenbarungen des Henle-Verlags. Sehnsucht und Schmerz gleichermaßen.
Was jetzt? Was manche ich mit den Bach-Stücken? Doch schneller spielen? Nein, denke ich mir. Zurzeit versuche ich, eine Stimme des polyphonen Geflechts in den Vordergrund zu stellen. Diese verfolge ich, probiere, sie nach allen Regeln der Kunst zu artikulieren. Die Nebenstimmen sollen zurücktreten - ich kürze die Notenlängen der Begleitstimmen. Wenn ich mit der Artikulation der Hauptstimme die Würde einer Nebenstimme beschneiden muss, so muss das eben geschehen. Um der Wirkung willen. Ich überlege, wie Langsames auch leicht erscheinen kann. Ein Gedanke, eine Idee, die mich gerade nicht mehr loslässt. Was kommt raus? Ich bin gespannt und bereit, das aufzuzeichnen, damit ich das mit älteren Aufnahmen vergleichen kann und den Weg sehe, den ich in den letzten Jahren in diesem Forum zurückgelegt habe.
Mit dem Akkordeon kann man beides, begann @Malineck diesen Thread, man kann artikulieren und man kann schnell spielen. Dieses Spannungsfeld ist das Thema, durch das sich meine Geschichte mit meinem Akkordeon zieht. Ich finde es in allem wieder, was ihr geschrieben hat. Ihr helft mir, das Instrument, das Spannungsfeld und auch mich selber besser zu verstehen. Vielen Dank, Leute.