Ich finde die Eigenheit der Barockflöte, die 4. Stufe (F bzw. B) mit Gabelgriff zu spielen absolut logisch. Kommt halt auf die Betrachtungsweise an.
Aber der Reihe nach:
Ich unterscheide bei der Griffsystematik gewissermaßen "etagenweise". Aber Achtung: "etagenweise" steht hier
nicht synonym für Oktave!
1. Etage:
Solange noch nicht genug offene Löcher unter dem Ton sind, öffnet man das Loch von der um einen Halbton zu erhöhenden Tonstufe ein kleines Stück oder wenn ein Doppelloch gebohrt wurde, eines der beiden Doppellöcher. Das entspricht der Slidingtechnik.
2. Etage:
Beim 3. Ton beginnt die 2. Etage. Ab dort gilt dann für das Spiel von Halbtonschritten von unten nach oben: nächstes Loch auf, 2 drunter zu. Dieses Prinzip passt bei Barockblockflöten auch zum Wechsel von der 3. zur 4. Stufe (e>f / a>b) und macht dadurch deutlich, dass der Schritt von der 3. zur 4. Stufe ein Halbton ist. Nach dem "Stammtonleiter-Halbtonschritt" wird ein "gabelfreier" Griff ( x/xxxxooo ) übersprungen. Danach wird das System weiter fortgesetzt (x/xxxoxxo) (x/xxxoooo) (x/xxoxxoo) (x/xoxxooo) (x/xoooooo)
3. Etage:
Öffnet man das "H-Loch" bzw. "E-Loch" (7. Tonleiterstufe) und schließt dem bislang verfolgten System entsprechend darunter 2 Löcher (x/oxxoooo), landet man bei nahezu demselben Ton. Also wurde ein Loch zu viel verschlossen, das System passt also nicht mehr und muss sich ändern. Es wird nun nur noch ein Loch geschlossen: (x/oxooooo) und man landet folgerichtig beim his/c bzw. eis/f und erkennt einen weiteren "Stammtonleiter-Halbtonschritt".
Für den nächsten Stammton öffnet man nun nicht das "Abdunklungsloch", sondern das Daumenloch (o/oxooooo). Für die chromatische Stufe darunter nutzt man das oberste Fingerloch (o/xxooooo). Dieser Griff erinnert im ersten Moment an das System der 2. Etage. Weil aber der Mittelfinger nicht bewegt wurde, muss klar gemacht werden, dass das nicht dasselbe ist. Für die Abdunklung des Stammtones wurde ja nur ein Loch geschlossen.
4. Etage:
Ab hier wird es wegen der Überblastechnik komplexer. Bei der chromatischen Stufe dis/es bzw. gis/as muss man erst einmal umdenken und die ganze Röhre ohne Daumenloch schließen. Mit der richtigen Überblastechnik bekommt man dann ebenfalls die (bei Barockflöten nicht ganz saubere) Oktav des Grundtones, beim Öffnen des Kleinfingers die None und beim Öffnen des Ringfingers die Dezime. Den Ton zwischen None und Dezime erhält man, indem am oberen Ende ein Loch geöffnet wird. o/oxxxxxo
5. Etage:
Hier wird es wieder einfacher. Es gilt jetzt die Regel: Stammtonloch auf 1 Loch drunter zu. Das entspricht der 2. Etage nur halt eben mit 1 Loch statt 2. Mit diesem System kommt man bis a (Sopr) bzw. d (Alt).
6. Etage:
Hier gilt: Tricksen und Horchen! ;-)
Fazit:
In der Griffweise der Barock-Blockflöte ist durchaus ein logisches System erkennbar, das zumindest für die "grobe" Intonation ausreicht. Die zu entdeckenden Gesetzmäßigkeiten haben aber nichts gemein mit dem Tasten- oder Griffbrettsystem. Deshalb ist es meines Erachtens wichtig, unabhängig von diesen Visualisierungshilfen Hörerfahrungen mit Slidingtechnik zu sammeln, um ein zunächst vages Gefühl für Tonabstände und darauf aufbauend ein allmählich immer besser werdendes Hören und Erkennen der Tonabstände (Ganzton/Halbton und andere Intervalle) zu erwerben. Die Gehörschulung muss bereits in der ersten Flötenstunde beginnen, damit die Schüler lernen, ihr Instrument sauber zu intonieren. Denn die Griffe sind immer nur eine Annäherung an den Ton. Exakt treffen kann man den Ton nur, wenn man gelernt hat, die Intonation gezielt zu steuern. Darüber hinaus muss man wissen, dass je nach dem, von wem und nach welchem Vorbild eine Blockflöte gebaut wurde, dieses Griffsystem bei manchen Tönen etwas korrigiert werden kann/muss, wenn die Intonation beispielsweise auf die reine Stimmung abgestimmt werden soll.
Das grundlegende Verständnis für Flötengriffsysteme wird meines Erachtens verbessert, wenn man ausprobiert, wie verschiedene Flötentypen funktionieren und sich klar macht, warum sich verschiedene Flötentypen entwickelten.
Bei einer durchsichtigen zylindrischen Kolbenflöte mit Schnabelmundstück kann man das Tonsystem außen auf die Röhre zeichnen. Beim Beobachten der Bewegungen des Kolbens begreift man rasch die Analogie zum linearen Öffnen und Schließen der Grifflöcher mit Slidingtechnik. Bei undurchsichtigen Kolbenflöten markiert man die Töne auf den Stab, mit dem der Kolben bewegt wird. Auch das ist aufschlussreich. So einfach so gut. Aaaber!
Im Gegensatz zu Instrumenten, die aus einer Summe von einzelnen Klangerzeugern bestehen wie Stabspiele (Klangplatten), Instrumente mit Klaviaturen (Saiten, Pfeifen, Zungen, Stäbe) oder systematisch angeordneten Saiten, und auch im Gegensatz zu Saiten über bundierten Griffbrettern, ist das "Tonänderungssystem" einer Flöte um so schwieriger ersichtlich, je komplexer ihr Innenleben und die Differenzierung der Lochgröße ist. Ein Vergleich verschiedener Schnabelflötentypen (mit verschiedenen Formen der Innenbohrung, verschiedenen Verhältnissen von Länge und Durchmesser, verschiedenen Anordnungen und Größenverhältnissen der Grifflöcher sowie deren Unterschneidung und nicht zuletzt auch deren Anzahl) zeigt deutlich, wie verschieden Flötengriffsysteme sein können und dass diese von mehreren baulichen Eigenheiten abhängen. Der sprichwörtliche Teufel steckt dabei stets in für Laien nicht so ohne weiteres ersichtlichen Details. Blockflötenvirtuosen schätzten die von den Blockflötenbauern erdachten Verfeinerungen der Instrumentenkörper und Grifflochbohrungen vermutlich aus einem ganz einfachen Grund: die perfekte Intonation wurde immer leichter; vorausgesetzt, man beherrscht die zugehörige Grifftechnik.
Die mit Experimenten verknüpfte Betrachtung der Thematik macht Spaß und ist der Grund, warum ich ganz verschiedene Flöten gesammelt habe.
Bleiben noch folgende Probleme, die vor lauter Betrachtung der Griffsysteme etwas aus dem Blickfeld gerutscht ist.
Aus Sicht von Flötenschüler/innen erscheint die Reihenfolge der Tonschritte oft unlogisch.
Mir ist zwar nicht klar, warum, aber egal ...
Ich erkläre unabhängig von irgendeinem Instrument, dass die Reihenfolge der Tonschritte und deren Größe, aus denen sich eine Tonleiter ergibt, sich im Grunde x-beliebig ändern lassen und es in der Welt der Musik mehr als nur das abendländische Tonsystem gibt. Jedes Tonsystem ist das Resultat von Hörgewohnheiten und Traditionen, die oft singend überliefert wurden. Andererseits gab auch die Entwicklung von Musikinstrumenten wichtige Impulse und aus den Möglichkeiten, diese mehr oder weniger flexibel spielbar zu stimmen, ergaben sich verschiedene Stimmsysteme.
Je nach dem, welche Schrittgrößen man zu einer Tonleiter aneinander reiht, ergeben sich aus unserem "abendländischen Baukastensystem" eine Reihe unterschiedlicher Tonleiterstrukturen, für die im Laufe der Musikgeschichte die heute in der Musiklehre gebräuchlichen Bezeichnungen gefunden wurden. Es gab auch Komponisten, die ganz bewusst mit den überlieferten Regeln brachen und für ihre Kompositionen eigene Tonleiterstrukturen erfanden.
Die Reihenfolge der Tonschritte, wie wir sie singen, hat viel mit Hörgewohnheiten und nicht so sehr mit Logik zu tun. Deshalb ist es mir wichtig, Tonleitern zu entdecken (nicht zu pauken), sie (hin) zu nehmen, wie sie sind und sie erst einmal einfach nur zu beschreiben, also ihre Struktur zu analysieren. Dazu teile ich die diatonischen Tonleitern in Tetrachorde ein und beschreibe die Leiterstrukturen nicht mit Stufenzahlen sondern mit Abkürzungen der Halbtonpositionen in den Tetrachorden A= Anfang, M = Mitte, E= Ende, - = Grenze (Schritt zwischen den Tetrachorden). Dann ergibt sich:
Dur/Ionisch E/E,
Dorisch M/M
usw.
Moll M/A
Klappt man die Daumen in die Handfläche und hält dann die Zeigefinger nebeneinander, lassen sich diese Strukturen mit den ausgestreckten Fingern darstellen. Finger, die Töne eines Ganztonschritts symbolisieren, werden gespreizt. An den Positionen der Halbtonschritte sind die Finger geschlossen. Eine Lücke zwischen den Zeigefingern = Ganzton. Zeigefinger aneinander gelegt = Halbton.
Betrachtet man die Notennamen der Moll-Tonleiter ohne Vorzeichen, entdeckt man, dass die Töne in alphabetischer Reihenfolge benannt wurden: a h/b c d e f g
Beim 8. Ton zählt man wieder von vorne, weil das die Oktave des Grundtones ist, die einerseits aufgrund physikalischer Gesetze gewissermaßen als derselbe Ton empfunden werden kann, andererseits sich ab diesem Ton die Leiterstruktur wiederholt.
Warum nun in unserem Sprachgebrauch das h an die Stelle von b gesetzt wurde, darüber streiten sich die Gelehrten. Interessant ist, dass sich das h ergibt, wenn man den "Boden" des b ausradiert und dass dies der Buchstabe nach dem G ist. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich eine nette "Eselsbrücke".
Obwohl der Kammerton A als Referenzton für das Stimmen festgelegt wurde, werden die Oktavwechsel immer beim C gemacht: C1 bis H1 / C2 bis H2 / usw.
Warum? Man könnte annehmen, weil das C4 bzw. c' im Notensystem die Mitte ist. Oder weil es der Grundton der Dur-Tonleiter aus Stammtönen ist? Also mir ist da die musikwissenschaftliche Erklärung bislang entgangen. Alle Welt scheint das einfach so hinzunehmen. - ? -
Nachdem nun die Benennung der Tonstufen festgelegt war und klar wurde, dass die Tonleitern aus zwei unterschiedlich großen Tonschritten (
diatonisch) bestehen, die sich auf diatonischen Instrumenten nicht transponieren lassen, (für Singstimmen ist das ja bekanntlich gar kein Thema, weil man automatisch in jeder Stimmlage richtig singt
- wenn man es kann - ) baute man gewissermaßen zusätzlich Töne ein, um das Spiel auf Instrumenten flexibler gestalten zu können. Und da gingen dann die Probleme so richtig los, was bekanntermaßen zu verschiedenen Stimmsystemen führte.
Ab hier sind Details für den Flötenunterricht erst dann interessant, wenn es um differenziertes Intonieren geht.
Feinbestimmung von Intervallen
Ergänzend zu den Ausführungen im anderen Post:
Ich baue das Raster für die Darstellung des Tonsystems so auf, dass jede Rückung aufwärts eine Reihe höher und jede Rückung abwärts eine Reihe tiefer abgebildet wird. Enharmonische Verwechslungen stehen in diesem Raster senkrecht übereinander. Dadurch ist gut zu sehen, welche chromatischen Stufen des gleichstufig temperierten Stimmsystems klangleich aber bezugskonträr sind und wann chromatische Töne des gleichstufig temperierten Stimmsystems klangleich mit Stammtönen sind.
An so einem Raster lässt sich dann auch ziemlich einfach erklären, warum beispielsweise eine übermäßige Sekunde wie eine kleine Terz klingt, man sie aber trotzdem nicht als Terz bezeichnet. Das bekommt man mit Klaviatur und bundiertem Griffbrett nicht so einfach hin, weil da die gedanklichen tonalen Bezüge nicht sichtbar werden.
Beim Blockflötenspiel muss beim Bestimmen von Intervallen viel intensiver als bei Tasteninstrumenten oder Stabspielen oder ... geachtet werden auf 1. die Gehörschulung 2. das "Intervall-Lesen" da ein Abzählen an Fingern/Grifflöchern nicht funktioniert.
Das "Intervall-Lesen" kann man schulen, indem man sich die Tonleiter und die Intervalle mit Noten, Klammern und Balken vor Augen führt. Als erstes muss man sich dabei die verschiedenen Grund-Typen von Intervallen klar machen:
1. groß/klein - Sekunde, Terz, Sexte, Septime (2, 3, 6, 7)
2. rein - Prim, Quart, Quinte, Oktave (1, 4, 5, 8)
Warum das so ist, wird klar, wenn man für jedes der Intervalle einen Balken zeichnet, den man an einer 8-stufigen Tonleiter entlang schieben kann. In diesem Fall werden die Tonleiterstufen mit gleichen Abständen aufgeschrieben und die Halbtöne mit einem Bogen markiert. Dann fällt auf, dass man bei Sekunde, Terz, Sexte und Septime (also die groß/klein Intervalle) die Möglichkeit hat, die Balken so zu positionieren, dass 0 oder 1 Halbton bzw. 1 oder 2 Halbtöne überspannt werden. Mit den reinen Intervallen ist das anders. Da ergeben sich immer dieselben Intervallgrößen, ganz gleich, wo man den Balken hin schiebt. Eine Quarte oder eine Quinte enthält also immer einen Halbton, eine Oktave immer zwei. Das funktioniert mit fast allen aus Stammtönen gebildeten diatonischen Tonleiterstrukturen. Lokrisch ist die Ausnahme.
Wurde das grafisch (oder spielerisch mit einem "Tonleiter-/Intervallschieber") vor Augen geführt, sollte sich das Prinzip leichter merken lassen und die Bestimmung dieser Intervalle fortan leichter fallen. Diese "Spielregeln" lassen sich für die Bestimmung von verminderten oder übermäßigen Intervallen sinngemäß erweitern.
Schönen Sonntag und viel Spaß beim Tüfteln!
Lisa