Da stimme Ich dir hundertprozentig zu. Aber bei dir vermute ich etwas mehr Interesse für die eventuellen, theoretischen Hintergründe des Schreibens und wage mich auch in die Niederungen des Fundamentalen.
Da vermutest Du richtig - deswegen springe ich ja auch darauf an.
Ich schaue halt, was noch mit (meinem) konkreten songtext zu tun hat und was mit einem eher allgemeinen, grundsätzlichen Kunstverständnis bzw. Weltsicht. Und die Begriffe, die man halt benutzt, hängen dazwischen und stellen die Verbindung zwischen dem einen und dem anderen dar.
Allwissen erwarte von einem guten Songtext wohl niemand, sondern eher Musik mit einem Kopfkino, welches vor allem der Text strukturiert.
Ich stimme zu, was
bestimmte songtexte angeht. Einige songtexte schreibe ich strukturiert, andere schreiben sich aus mir heraus. Von letzteren entstehen in letzter Zeit mehrere, "Die Tage hängen wie Laub", "Rad im Getriebe" oder eben "Dein Reich ist die Stille" sind einige davon.
Dabei geht es mir in erster Linie darum,
was sich da aus mir herausgeschrieben hat. Das Publikum oder die Wirkung für dieses Publikum stehen gar nicht im Vordergrund. Ich kann auch gut damit leben, dass so songtexte nie veröffentlicht werden - bei anderen songtexten von mir, etwa "Du bist da", "you don´t know me yet", "something in your eyes" oder "Palast seiner Träume" ist das anders.
Insofern ist dieser Text nicht
bewußt strukturiert. Ich versuche, im Nachhinein zu ergründen, was das eigentlich ist, was sich da aus mir herausgeschrieben hat. Deswegen ist es bei diesem songtext auch nicht so, dass ich Bilder oder sonst ein stilistisches Mittel suche oder bewußt einsetze, um etwas zu transportieren. Entweder ich habe ein Bild oder ich habe eben etwas anderes, das sich aus mir rausschreibt.
Die
Wirkung ist - auch wenn ich nicht zielbewußt zu einem Publikum hinschreibe - dennoch sehr interessant für mich, denn sie verrät mir viel darüber, was sich aus mir herausgeschrieben hat. In etwa so wie die Vorgehensweise: Sag mir, was es bewirkt hat, was Du tust und ich sage Dir, was Du wolltest.
Das ist auch ein Grund, warum mir das Feedback von anderen eine große Hilfe ist - denn sie sagt mir etwas über die Wirkung, die ich möglicherweise gar nicht sehe
Interessant finde ich, dass Du auch hier wieder beim Bild landest - Kino ist bewegtes Bild.
Denn ich habe den Eindruck, dass für Dich - mal pointiert gesprochen - gar nichts konkret ist, es sei denn, es ist ein Bild. Wir atmen ist konkret. Ist aber kein Bild.
Klar, ich kann dir gut folgen, aber stimme dir nicht zu. Ich unterscheide zwischen einem Erlebnis und einer Vermutung. Eventuell werden die Inhalte beide Begriffe in verschiedenen Hirnregionen kreiert. Weshalb Erlebnisse im Grunde detaillierbarer formulierbar als Vermutungen, die meist nur vage Andeutungen sind. Und diese Vagheit sorgt dafür, dass eine eVermutung mich schwächer berührt als ein Detail. Das stellt eben (angeblich) Wahr-heit dar, statt nur Wahr-Sagung. So reagierten reagieren auch oft Komponisten und Produzenten, die sich Bilder wünschen statt Abstraktionen.
Ich stimme Dir nicht zu. Der ganze Wahrnehmungsapparat des Menschen stellt ständig Interpretationen und Vermutungen an. Jedes einzelne Detail ist eingewoben in ein Netz aus Interpretationen und Vermutungen. Das ist auch ein Grund, warum ich nicht glaube, dass ein isoliertes Gefühl irgendeine "wahrhaftigere" Wahrheit besitzt als ein nicht isoliertes Gefühl - ein isoliertes Gefühl ist ein Trugschluss, dessen trügerische Qualität gerade darin liegt, dass es einem vorkommt und sich anfühlt wie eine unmittelbare Wahrheit.
Wo ich Dir zustimme ist, dass es dem
einzelnen Menschen so vorkommt, als sei das die konkrete Wahrnehmung und das konkrete Gefühl oder ein Detail wahrhaftiger, unmittelbarer, echter als komplexe Gefühle oder ein aus Details zusammengesetztes Bild. Wobei man diese zusammengesetzten Gefühle oder Bilder (im Sinne von Weltsicht) dekonstruieren kann und dabei darauf kommt, wie diese spezifische Zusammensetzung, Interpretation oder diese Weltsicht zustande gekommen ist. Dennoch ist auch die einzelne Wahrnehmung - auch die eines Gefühls oder Details - ein immer schon komplexes Gesamtgebilde, an dem Sinne, Verstand, Gefühl, Erinnerungen etc. beteiligt sind - und zwar unbewußt und permanent.
Wo ich Dir auch zustimme ist, dass ein konkretes Bild, ein konkretes Gefühl
mehr auslöst als ein abstrakter Vorgang, eine Überzeugung, eine Weltsicht etc. Es erzeugt eine höhere Betroffenheit, eine intensivere, unmittelbare Form der Beteiligung.
Aber:
Wenn mehrere Menschen „atmen“, ist das für mich eine Prozess, Zeitdauer unbekannt.
Der Fortgang scheint das zu bestätigen.
Hier fängst Du imho an, Dich um Wahrnehmung wie Wahrheit gleichermaßen herumzuschleichen.
Man kann nie einen Prozess so betrachten wie ein Detail oder die Gegenwart. Wahr ist im Grunde nur der Augenblick. Alles andere ist schon etwas Zusammengesetztes aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn wir das ernst nehmen und immer nur die Gegenwart beachten wollten, weil sie unmittelbar wahr ist, wären wir gar nicht lebensfähig. Und wir, mitsamt unseres Körpers und unseren Gefühlen und allem was sonst noch damit zusammenhängt, gehen intuitiv von der Gewissheit aus, dass wir auch den nächsten Atemzug noch nehmen werden und den danach und den darauf folgenden auch.
Und diese Gewissheit ist so intuitiv und unmittelbar, dass sie genau so wahr und gegenwärtig und unhinterfragt ist wie der konkrete einzelne Atemzug.
Du und kein anderer Mensch macht sich konkret Sorgen darüber, ob er auch den nächsten Atemzug noch nehmen wird, keiner denkt darüber nach, keiner stellt Vermutungen darüber an, dass das so sein wird oder nicht so sein wird und keiner würde das als Vermutung bezeichnen oder als Prophezeiung. Dazu ist das Atmen zu banal und existenziell zugleich.
(Wenn ich die ganze Zeit "keiner" sage, stimmt das nur bedingt. Bedingt in dem Sinne, dass es Ausnahmen gibt - beispielsweise der Taucher, der merkt, dass sein Sauerstoffvorrat zur Neige geht, der Astronaut, dessen Luftschlauch reißt oder der Asthmatiker. Aber genau daran wird uns der Charakter einer Ausnahme deutlich: wir alle gehen intuitiv und unbewußt davon aus, dass das Atmen immer weiter gehen wird.)
Es ist gerade umgekehrt: Nur indem ich ein "noch" einfüge oder indem ich die Formulierung "bis unsere Zeit kommt" benutze, wird das Trügerische unserer intuitiven Annahme, dass nach diesem konkreten Atemzug, den wir in der Gegenwart nehmen, ein weiterer folgen wird und noch ein weiterer und noch ein weiterer etc., deutlich. Das, was wir vorher gemacht haben bzw. die ganze Zeit tun, ist die Vermutung - nicht die Kennzeichnung eines "noch" oder "bis ...". Das "noch" oder "bis" macht nur kenntlich, was wir die ganze Zeit tun.
Und weil wir es die ganze Zeit tun, vergessen wir es und nehmen es gar nicht mehr wahr.
Und genau darin liegt eine Unfähigkeit, zu leben bzw. das Leben wahrzunehmen. Indem wir nämlich das uns Gegebene gar nicht (mehr) als das Kostbare wahrnehmen, das es ist, sondern eben das schlichtweg Vorhandene, das halt immer so weitergehen wird.
Es geht gerade darum, innezuhalten und uns der Kostbarkeit des Banalen, uns unmittelbar Zugänglichen und Gewissen, als etwas gleichzeitig ungeheuer Kostbaren bewußt zu werden, um wirklich zu leben und das Leben bewußt zu genießen.
Das hat für mich überhaupt nichts Unkonkretes, nichts Prophetenhaftes, nichts Weissagerisches, nichts Abstraktes nichts Vermutetes (im Sinne von Im Gegensatz zur konkreten Wahrheit des Details stehendes), sondern ist im Gegenteil das Konkreteste und Gewisseste, Banalste und Kostbarste, das es zu sagen gibt.
Und das nur angesichts des Todes uns gewiß wird.
x-Riff