Improvisieren in der Musik ist eigentlich nicht viel anders als in der Sprache. Wenn mich in der Stadt ein Fremder nach dem Weg zum Bahnhof fragt, kann ich ihm antworten, ohne, daß ich auswendig gelernte Sätze abspule. Die einzelnen Wörter habe ich natürlich gelernt. Mein Geist - oder anders ausgedrückt: mein Antwortwille - hat volle Kontrolle über meine Zungen-, Lippen-, Kehlkopf- und Atemmuskulatur (der Sprachapparat) und kann diese im Zusammenspiel dazu veranlassen, für mein Gegenüber sinnvolle Sätze zu kreieren, die diesem helfen, zum Bahnhof zu kommen. Wenn man ein bisschen Übung hat, kann man das sogar in Reimen.
In der Musik - in unserem Fall am Klavier - tritt nun an die Stelle der Sprachorgane der ganze Bewegungsapparat (Arme, Finger, Handgelenke, Füße etc.), der dazu nötig ist, die Klaviertasten und Klavierpedale in Bewegung zu setzen. Wenn der Musiker gelernt hat, sich in der Sprache der Musik auszudrücken, kann dieser ganze Bewegungsapparat seine musikalischen Ideen
unmittelbar in Töne umsetzen, so wie es der Sprachapparat mit der Sprache ja auch macht.
Um diese Sprache zu erlernen, gibt es im Grunde zwei Wege:
- Man lernt es als Kind durch die gesellschaftliche Umgebung, in der man aufwächst. Dann ist Musik wie eine Muttersprache. Das beste Beispiel sind für mich die Manouche, die ihre Musikalität von den Eltern auf die Kinder vererben, wobei wohl die meisten von ihnen keine allzu große Ahnung von Musiktheorie, Notenlehre etc. haben.
- Oder man lernt es wie eine Fremdsprache, in dem man die Grammatik studiert, die idiomatischen Redewendungen lernt etc. In der Musik sind das die Harmonielehre, Tonleitern, stiltypische Wendungen etc.
Dazwischen gibt es wahrscheinlich alle möglichen Arten von Mischformen.
Am schönsten ist Improvisation, wenn man es mit mehreren Musikern gleichzeitig macht. Dann entsteht ein musikalisches Gespräch, eine Kommunikation. Für mich ist das eigentlich die Essenz aller meiner musikalischen Bemühungen. Ich habe das von frühester Jugend immer mit Freunden und Kollegen praktiziert: Ohne vorherige Absprachen oder Festlegungen anzufangen und durch gegenseitiges Zuhören im Spiel aufeinander einzugehen. Dabei entstehen die schönsten Formen und Gespräche ohne Worte. Das geht auch direkt auf der Bühne. Allerdings passiert es durchaus auch, daß man mal aneinander vorbeiredet ...
Viele Grüße,
McCoy