Köln Concert - Keith Jarrett

  • Ersteller Ralphgue
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Spannende Diskussion. Zur Eingangsfrage kann/will ich mich nicht äussern, weil mir momentan Zeit & Muße fehlen, die beiden verlinkten Videos komplett durchzuhören.

Stattdessen ein weiterer Denkanstoss. Der Meister selbst über seinen wohl größten Hit:
"Man sollte alle die Aufnahmen einstampfen. Ich meine es ernst. Diese Bestseller sollten nach einer bestimmten Zeit vom Markt verschwinden, auch "Köln Concert". Genauso wie ich glaube, daß wahre Musik aus einem echten Bedürfnis heraus entsteht, so denke ich, daß man Musik auch vergessen muß. Sonst bleiben wir süchtig an Vergangenem hängen."

Würde die Aufgabe für die Nachspieler der Zukunft vmtl. erleichtern ;)
 
Krasser Denkanstoß, hat in mir folgende drei Phasen ausgelöst:

1. Entsetzen/Ablehnung: Was würden uns hierdurch an kulturellen Schätzen verloren gehen?!
2. Reflexion: Könnte es tatsächlich vorteilhaft für unsere kulturelle Entwicklung sein, wenn wir nicht durch tradierte Klassiker in den immer gleichen Vorbildern verhaftet wären? Nicht ganz abwegig, wenn ich mir heute den immer gleichen Müll im Radio abhören muss.
3. Kalter Schauer: War nicht genau die Angst, nicht gegen schon mal Dagewesenes bestehen zu können bzw. sich daran messen lassen zu müssen der Grund, warum man das vor „ein paar“ Jahren schon mal mit Büchern probiert hat?! :eek::eek::eek:

Ich will hier keine politische Diskussion draus machen, aber solche Klassiker und Meisterwerke sind tatsächlich sicher Segen und Fluch zugleich...

Gruß,
glombi
 
Ich denke, dass Jarrett da etwas projeziert, was allein mit ihm und seinen psychischen Problemen zu tun hat. Ob er dabei auch zu Süchten oder Zwangshandlungen neigt oder nicht, er das aber trotzdem für Musikrezipienten befürchtet, weiß ich nicht. Ich denke aber, die Aussage macht außerhalb seines Mikrokosmos keinen Sinn.

Viele der Leute, mit denen Keith Jarett in seinem Leben zusammen gespielt hat sind auch für mich als Hörer wichtige Musiker. Die meisten dieser Musiker leben heute nicht mehr. Wäre ihre Musik mit ihnen verschwunden, rein gar nichts wäre mit dem Vergessen von Kunst und Künstlern gewonnen.

Es gibt genügend Beipiele zur Vernichtung von Kunstwerke als Voraussetzung des kollektiven Vergessens, bekannt ist das als Mittel der Machtpolitik schon seit der Antike und reicht bis in die Gegenwart. Nie sollte das der Freiheit von Menschen dienen, sondern der Repression.
Das Ergebnis ist immer purer Verlust, nie entstand daraus etwas Positives.

Gruß Claus
 
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Der Meister selbst über seinen wohl größten Hit: "Man sollte alle die Aufnahmen einstampfen. Ich meine es ernst. Diese Bestseller sollten nach einer bestimmten Zeit vom Markt verschwinden..."
Wenn ich bösartig wäre, würde ich vermuten, dass das auf Versuche zielt, sowas wie das Kölner Konzert (schlecht) zu re-produzieren, statt die eigenen musikalischen Fähigkeiten produktiv einzusetzen. Aber bin ich ja nicht :ugly:

Interessant finde ich in erster Linie, dass er von Aufnahmen spricht- nicht von schriftlich Fixiertem (Partituren o.Ä.). Insofern ist das auch nicht ohne Weiteres auf andere Kunstgattungen übertragbar.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nach Noten spielen ist m.E. auch produktiv. Auf dem hier geforderten Niveau erfordert es handwerkliches Können, sehr genaue Kenntnis sowie ein Verständnis des Werks plus Überlegungen und Erarbeiten der musikalischen Wiedergabe.
Natürlich kann so ein Versuch in den Ohren der Kritik auch Scheitern, vielfach nachhörbar gehört dieses Risiko zur Musik.

(cit. Jarrett) Genauso wie ich glaube, daß wahre Musik aus einem echten Bedürfnis heraus entsteht, so denke ich, daß man Musik auch vergessen muß. Sonst bleiben wir süchtig an Vergangenem hängen."
Wenn das richtig zitiert ist, geht es nicht allein um "Aufnahmen".
Von einem Keith Jarrett, der sich mit J.S. Bach bis hin zu Aufnahmen einiger Werke auseinandergesetzt hat, ist das insgesamt schon eine merkwürdige Äußerung.
Daher bin ich überzeugt, das Zitat beleuchtet vor allem Jarretts besonderes Innenleben.

Gruß Claus
 
Noch'n Zitat (Oktober 2020): “I feel like I’m the John Coltrane of piano players,” he said... “Everybody that played the horn after he did was showing how much they owed to him. But it wasn’t their music. It was just an imitative thing.” Of course, imitation – even of oneself – is anathema to the pure, blank-slate invention Jarrett still claims as his method. “I don’t have an idea of what I’m going to play any time before a concert,” he said.

Das "Es war nicht ihre Musik. Es war nur irgend so ne Imitation" scheint irgendwie zum Ausgangspost zurückzuführen und könnte dem TE gefallen.
 
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Ich finde diese Diskussion (um das Vernichten oder Nicht-Vernichten von Kunst unmittelbar nach deren Entstehung) zwar interessant, aber für mich ganz persönlich führt sie zu nichts, bzw. habe ich dazu eine ganz klare Meinung.

Warum sollte man etwas vernichten, was man sich immer wieder gerne anhört/ansieht ?
Warum sollte man allen, die nicht das Privileg hatten, direkt bei der Entstehung dabei gewesen zu sein, dieses Vergnügen vorenthalten ?
Warum sollte man denen, die daraus etwas für ihr eigenes Kunstschaffen lernen wollen, die Chance nehmen, das zu tun ?

Ich finde die Argumente, die dafür sprechen, eigentlich recht schwach.

Ich habe eine Aufnahme von Rhapsody In Blue, in der der Komponist George Gershwin selbst Klavier spielt: grauenvoll. Jede spätere Interpretation ist besser.

Seltsam. Ich habe diese Aufnahme auch, aber ich empfinde genau das Gegenteil.
Aber so ist das halt. De gustibus non disputandum ....

LG
Thomas
 
Der Thread entwickelt sich interessant:
Von der Eingangsfrage ob die Nachfolgeeinspielungen auch als deutlich schwächer empfunden werden hin zur Frage ob Musik im Sinne von einmal aufgeführter und danach stets immer gleich reproduzierbarer Kunst erlaubt bzw. sinnvoll sei oder ob diese irgendwann verschwinden müsse oder solle.
Zur Eingangsfrage nachdem ich mir die beiden Stücke auszugsweise angehört habe: Ich finde Microtiming und Phrasierung weicht sehr oft von Keith Jarrett ab. Okay, dürfen sie, aber mir gefällt es auch deutlich weniger. Da fehlt mir auch der jazzige Groove. (Ich hab auch bloß Ohren und bin kein Pro...)

Zur weiteren Frage: Mag sein dass dies eine Keith Jarrett-eigentümliche Besonderheit ist dass er seine alten Aufnahmen am liebsten verschwinden sähe. Ich würde das aber auch nicht als allgemeingültige Aussage über Kunst an sich ansehen, sondern nur auf die konkrete Aufnahme an sich, deren Noten man ja rausschreiben könnte wie es auch passiert ist.

Man muss sehen, dass K.J. selbst immer wieder sagte, übigens danke für den Link zur Irish Times @saitentsauber, dass er sehr abhängig von den Umständen sei und kaum vorher wisse wie er was vorträgt. Er schöpft offenbar direkt umgebungsreflektierend aus seinem Inneren. Sicherlich eine sehr anstrengende Methode des Kunstschaffens.

Das könnte freilich auch die versteckte (Mit-)Begründung seines Zitats sein: Es reflektiert nur eine kurze Zeitspanne, ein Fragment und ist daher weder allgemeingültig noch soll es offenbar den Status eines auskomponierten Werks erhalten. Schon am nächsten Tag oder kurz vorher (Freiburg Konzert...) hätte und hat er anderes und/oder anders gespielt. Für ihn - bei seiner solistischen Aufführungsmethode - ist es daher plausibel von Produktion und Performance statt Reproduktion zu sprechen. Alte Aufnahmen haben für ihn daher vielleicht keinen oder einen geringeren Wert da er sein Schaffen später selbst nicht mehr so reproduzieren konnte und vermutlich auch nicht wollte.
In seinem, ihm vielleicht eigenen Kunstverständnis zählt mehr das Jetzt als das Vergangene.

Ich muss mir doch noch das Budapester Konzert zulegen obwohl Keith ja sagt dass... hm ;)
 
Ich würde das Zitat von Jarret nicht allzu hoch hängen, auch wenn er es nicht nur auf seine eigenen Aufnahmen bezogen haben mag - was im Prinzip sein gutes Recht ist -, sondern vielleicht auch die Aufnahmen anderer im Allgemeinen gemeint haben mag.
Es gab in der Vergangenheit schon öfter Künstler, die entweder Teile ihrer Kunstwerke zerstört haben oder es nach ihrem Tod zerstört wissen wollten. So hatte z.B. Franz Kafka seinen Freund Max Brod beauftragt, er solle nach seinem Tod alle seine Manuskripte verbrennen. Dem Ungehorsam von Max Brod ist es zu verdanken, dass das Werk von Franz Kafka erhalten blieb.

Tatsächlich haben vorliegende Original-Einspielungen wie eben dieses Köln-Konzert, wie auch dieser Thread zeigt den Nachteil, Interpreten in ein enges Korsett zu zwingen, weil sie sich an eben dieser Aufnahme ständig messen müssen.

Das bringt mich auf die Idee, mein Gedankenspiel mal umzukehren:
Welchen Einfluss hätte es auf die nachfolgenden Pianisten gehabt, wenn es schon zu den Zeiten von Mozart, Beethoven, Chopin, Brahms, die alle anerkanntermaßen hervorragende Pianisten und der Überlieferung nach sehr gute Interpreten ihrer eigenen Werke waren, eine gute Aufnahmetechnik gegeben hätte, die ihre Interpretation für alle Zeiten festgehalten hätte?

Dass es von ihnen ´nur´ die Noten gibt, hat ja immerhin die faszinierende Konsequenz, dass man sich wirklich um eine Interpretation bemühen und sich wirklich in die Materie einarbeiten, sich eigene Gedanken machen muss, will man zu einem vorzeigbaren Ziel kommen. Deswegen spielten und spielen die Pianisten diese Werke nicht alle gleich, ganz und gar nicht, sondern nutzen den Interpretationsspielraum, den diese Literatur bietet.
 
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Das ganze Interview, in dem das Zitat vorkommt, kann man hier lesen (Spiegel, 12.10.1992): https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9287098.html

Man sollte auch nicht vergessen, daß das Köln Concert ihm eine ganze Menge Geld in die Kasse gespült hat (ich gönne es ihm von ganzem Herzen), das ihm ein unabhängiges Künstlerleben mit ermöglich hat. Wenn man so ein unabhängiges Künstlerleben führen kann, hat man auch die Zeit, die Sachen, die einem wirklich am Herzen liegen, so zu üben, daß sie auftrittsreif sind, und muß nicht die Sachen üben, die man spielen muß, damit Geld in die Kasse kommt. Wenn man aber letzteres muß, wird man vielleicht den Spruch, den Jarrett im Interview gesagt hat, denken, aber nicht sagen. :gruebel:

Viele Grüße,
McCoy
 
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Das bringt mich auf die Idee, mein Gedankenspiel mal umzukehren:
Welchen Einfluss hätte es auf die nachfolgenden Pianisten gehabt, wenn es schon zu den Zeiten von Mozart, Beethoven, Chopin, Brahms, die alle anerkanntermaßen hervorragende Pianisten und der Überlieferung nach sehr gute Interpreten ihrer eigenen Werke waren, eine gute Aufnahmetechnik gegeben hätte, die ihre Interpretation für alle Zeiten festgehalten hätte?

Dass es von ihnen ´nur´ die Noten gibt, hat ja immerhin die faszinierende Konsequenz, dass man sich wirklich um eine Interpretation bemühen und sich wirklich in die Materie einarbeiten, sich eigene Gedanken machen muss, will man zu einem vorzeigbaren Ziel kommen. Deswegen spielten und spielen die Pianisten diese Werke nicht alle gleich, ganz und gar nicht, sondern nutzen den Interpretationsspielraum, den diese Literatur bietet.

Ja, genau. Die Tatsache, dass von Komponisten vor ~1880 ausschließlich Abstraktionen ihrer Ideen (also Noten) und keine Ausführungen (also Aufnahmen) existieren, begründet erst den riesigen Interpretationsspielraum. Hätten wir immer Aufnahmen gehabt, wäre nie ein Interpretationsspielraum entstanden, der eine so reiche musikalische Interpretationskultur ermöglicht hat. Die Aufteilung zwischen Komponist und Interpret wäre übrigens auch nicht in der heutigen Form existent - und das wäre ein riesiger Verlust. Denn Komponieren und Interpretieren ist ja, wenn man es ernst meint, jeweils eine Lebensaufgabe. Macht man beides, bedeutet das Abstriche an der maximalen Tiefe und Durchdringung der Tätigkeit.

Ich habe mit genug Komponisten zu tun gehabt, die lausige Interpreten ihrer eigenen Werke waren - aus zwei Gründen: erstens haben sie die Instrumente nicht so beherrscht wie jemand, der nur das macht und zweitens waren sie verständlicherweise zu tief im eigenen Werk drin, um eine produktive interpretatorische Distanz dazu aufzubauen. Viele Werke gewinnen dadurch, wenn jemand anders als der Komponist sie spielt, weil der Zuhörer vom analytischen und emotionalen neuen Zugang eines Interpreten zum Werk profitiert.

Hätten wir von Mozart, Beethoven, Chopin, Brahms Originalaufnahmen, hätten wir eine andere Musikkultur, vielleicht besser, vielleicht schlechter. Ich glaube: schlechter, denn die alten Aufnahmen würden höchstwahrscheinlich unter schlechten Aufnahmebedingungen sowie den beiden eben genannten Defiziten leiden, und gleichzeitig wäre es ein Sakrileg, eigene bessere Aufnahmen zu versuchen.

Aber ich gebe gerne eine Voreingenommenheit zu, ich halte grundsätzlich nicht allzu viel von Musikaufnahmen. Ich halte extrem viel vom Musikmachen. Aber Aufnahmen bringen Qualitätsvergleiche, kapitalistische Produktionsmechanismen, unerreichbar hohe Ansprüche für musikalische Anfänger und stilistische Anpassung und ästhetische Nivellierung mit sich. Die Vorteile von Aufnahmen sind mir natürlich klar, und hier geht es ja um eine Aufnahme von 1975 - aber mich persönlich interessiert immer zuerst das Konzept einer Musik und erst danach dessen Ausführung. Wenn das Konzept gut ist, verträgt es auch eine andere Ausführung (oder gewinnt dadurch sogar). Ist das Konzept schlecht, kann auch eine gute Ausführung nix mehr retten.

Bei einem Improvisationskonzert wie dem Köln Concert kann man das natürlich nicht immer klar trennen, weswegen ein wörtliches Nachspielen kaum Sinn macht. Wenn man das Konzept von der Ausführung trennt (also z.B. Motive/Strukturen von ihrer Verarbeitung), könnte man aus den Strukturen was neues improvisieren. Das würde in meinen Ohren Sinn ergeben.
 
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Ich finde diese Diskussion (um das Vernichten oder Nicht-Vernichten von Kunst unmittelbar nach deren Entstehung) zwar interessant, aber für mich ganz persönlich führt sie zu nichts, bzw. habe ich dazu eine ganz klare Meinung.

Warum sollte man etwas vernichten, was man sich immer wieder gerne anhört/ansieht ?
Warum sollte man allen, die nicht das Privileg hatten, direkt bei der Entstehung dabei gewesen zu sein, dieses Vergnügen vorenthalten ?
Warum sollte man denen, die daraus etwas für ihr eigenes Kunstschaffen lernen wollen, die Chance nehmen, das zu tun ?
Das führt m.E. auf direktem Weg hierzu:
Das bringt mich auf die Idee, mein Gedankenspiel mal umzukehren:
Welchen Einfluss hätte es auf die nachfolgenden Pianisten gehabt, wenn es schon zu den Zeiten von Mozart, Beethoven, Chopin, Brahms, die alle anerkanntermaßen hervorragende Pianisten und der Überlieferung nach sehr gute Interpreten ihrer eigenen Werke waren, eine gute Aufnahmetechnik gegeben hätte, die ihre Interpretation für alle Zeiten festgehalten hätte?
und auch hierzu:
Die Tatsache, dass von Komponisten vor ~1880 ausschließlich Abstraktionen ihrer Ideen (also Noten) und keine Ausführungen (also Aufnahmen) existieren, begründet erst den riesigen Interpretationsspielraum. Hätten wir immer Aufnahmen gehabt, wäre nie ein Interpretationsspielraum entstanden, der eine so reiche musikalische Interpretationskultur ermöglicht hat.

Ich hatte für einige Zeit einen Lehrer, der die Ansicht vertrat, Noten seien nur entstanden, weil es "damals" keine Möglichkeit gab, Musik hörbar zu konservieren. Deshalb wurde sie aufgeschrieben, notiert, um sie zumindest rudimentär der Nachwelt zu überlassen. (Dass er deshalb lieber nach Gehör spielte als nach Noten, war einer der Punkte, weshalb sich unsere Wege relativ bald wieder trennten - ich bin nämlich a) von Noten abhängig, weil ich zu lange ausschließlich nach Noten gespielt habe und b) der Ansicht, dass gerade Noten mehr Freiraum für eigene Interpretation bieten, wie es hier auch schon angesprochen wurde.)
 
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Tatsächlich haben vorliegende Original-Einspielungen wie eben dieses Köln-Konzert, wie auch dieser Thread zeigt den Nachteil, Interpreten in ein enges Korsett zu zwingen, weil sie sich an eben dieser Aufnahme ständig messen müssen.
Ich bin (weiterhin) nicht sicher, dass der Ausdruck "Original-Einspielung" Jarretts Konzerten gerecht wird. "Einspielung" ist für mich - ganz kurz - die Aufnahme von in fixierter Form vorliegendem Material; eine "Original-Einspielung" wäre die Aufnahme durch oder unter maßgeblicher Beteiligung der Person(en), von denen das Material stammt. Wir hätten dann eine Art Personalunion von KomponistIn und (bei Solokonzerten) InterpretIn, und von jeder weiteren Einspielung würde dann wohl generell erwartet, dass sie versucht, dem Original näher zu kommen.

Diese Sichtweise scheint aber - jedenfalls auf seine Konzerte bezogen - nicht die von KJ zu sein, der nach den Interview zu urteilen seine Konzerte eben nicht als Interpretation (von vorgegebenem Material) ansieht, sondern als Improvisation. Aufführungen und Einspielungen haben letztlich keine Existenzberechtigung, da Faktoren wie das keineswegs nur rezipierende Publikum oder das unterwertigen Instrument in Köln, die sie mitgeformt haben und in sie eingeflossen sind, dann fehlen. Diese Interpretationen sollten daher eher vergessen als stilbildend werden.

Ich vermute mal, dass auf dieser Grundlage die ersten beiden Fragen, die von @turko gestellt wurden, aus Jarretts Sicht beantwortet werden können. Über die dritte wäre sicher noch zu reden.
 
Die Videos zeigen Interpretationen einer Transkription (nicht von Keith Jarrett). Ich nehme an, dass sich beide Klavierspieler auch das Köln Concert mehr als einmal angehört haben.
Wie weit das Ergebnis überzeugt oder auch nicht liegt natürlich am Blickwinkel.

Das oben eingeführte Keith Jarrett Zitat bekam durch den Zeitpunkt und weiteren Kontext (danke für den Link, @McCoy) eine deutliche Konnotationsverschiebung, es wurde für mich dadurch sogar erst nachvollziehbar.

Gruß Claus
 
Ich hatte für einige Zeit einen Lehrer, der die Ansicht vertrat, Noten seien nur entstanden, weil es "damals" keine Möglichkeit gab, Musik hörbar zu konservieren. Deshalb wurde sie aufgeschrieben, notiert, um sie zumindest rudimentär der Nachwelt zu überlassen.
Respekt dafür, dass dieser ehemalige Lehrer sich alles abhört, was er spielt, aber diese Aussage ist trotzdem großer Unsinn.
Wie sollte man jemals Werke für Ensemble, gar große Ensembles wie Orchester, Werke mit Chor und Orchester, Opern, auch BigBand-Literatur, die oft extrem komplex sein kann, wie sollte man das alles aufführen, wenn erst alle Mitwirkenden sich ihre Stimmen erst heraus hören müssten?
Das schließt nicht aus, dass viele dieser Mitwirkenden sich das Material womöglich tatsächlich heraus hören könnten. Aber Noten bringen - und brachten immer schon - wirklich eine enorme Zeitersparnis mit sich für die Ausführenden.
Und wie schon gesagt, legen sie nicht alles gleich zu 100% fest, sondern lassen den kreativen Musikern genug Interpretationsspielräume, was das Musizieren auch spannender macht.

@McCoy, von mir auch noch mal einen Dank für den Link zum ganzen Interview, sehr interessant, wenn auch manchmal etwas sehr kategorisch und streng im Urteil.
 
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