der Hauptgrund, warum man die "feinen kleinen Muskeln" der Finger nicht sieht, ist der, dass sie nicht existieren.
Es gibt zwei große Gruppen von Muskeln, die nur für die Finger und den Daumen zuständig sind (der Daumen ist anatomisch kein Finger, sondern wegen seines Sattel-Grundgelenks anatomisch eigenständig - im übrigen auch funktional, worauf die Tatsache hinweist, dass es in den motorischen Zentren des Gehirns eigene abgegrenzte Bereiche nur für die Steuerung der Daumen gibt).
Die Motorik der Finger/Hände ist mit die komplexeste, die wir haben. Von den feinsten feimontorischen Bewegungen und Bewegungsabläufen bis hin zu massiven, grobmotorischen und mit großer Kraft vollzogenen Bewegungen ist alles möglich, und alle Abstufungen dazwischen.
Für die Feinmotorik sind die "kurzen" Fingermuskeln zuständig, die in der Mittelhand liegen (natürlich nicht in den Fingern selber, dort insertieren nur deren Sehnen), für die Grobmotorik mehr die langen Fingemuskeln, die im Unterarm liegen.
Hier noch eine weitere Übersicht dazu:
https://www.lecturio.de/magazin/muskulatur-daumen-und-finger/#die-kurzen-fingermuskeln (auch wenn im Titel nur die kurzen Fingermuskeln erwähnt werden, sind in den Grafiken auch die langen Fingermuskeln gut zu sehen).
Aufgrund der funktionellen Aufteilung der Muskelgruppen sollte im Prinzip die Initiative beim Instrumentalspiel mental stets in den Fingerspitzen liegen. Dann fungieren die kurzen Fingermuskeln als
Agonisten, sind also sozusagen die "Chefs" im Bewegungsablauf. Die langen Fingermuskeln werden dann von den motorischen Zentren als
Synergisten angesteuert, also nur als "Helfer" der kurzen Fingermuskeln. Z.B. bei f/ff-Anschlägen, die, je nach geforderter Lautstärke, nicht von den kurzen Fingermuskeln alleine ausgeführt werden können.
Würde man mental die Initiative in Richtung Arm verlagern, würde zusehends der Bewegungsablauf immer grobmotorischer werden, was spätestens dann Probleme in der Spieltechnik nach sich ziehen würde, wenn sich diese grobmotorischen Abläufe verselbständigen und stereotyp werden würden.
Dazu ein Beispiel:
Ein Tuchhändler prüft die Qualität eines wertvolles Tuchs mit den Fingerspitzen, das wird er typischerweise mit einer ganz feinen reibenden Bewegung machen, indem er das Tuch leicht zwischen Daumenspitze und Zeigefingerspitze legt und es feinsinnig anfasst und leicht und ohne Kraft mit den Fingerspitzen am Tuch reibt.
Bewegungen des Arms, um etwa das Tuch näher betrachten zu können und es deshalb näher zu den Augen zu führen, werden völlig ohne Kraft ausgeführt, die Muskeln dort (z.B. der Bizeps um den Arm zu beugen) kontrahieren isotonisch auf einem ganz, ganz niedrigen Level. Die kurzen Fingermuskeln sind die "Chefs" bei dieser sehr leichten Bewegung und das Gehirn steuert die langen Fingermuskeln adäquat an, diese machen bei dieser Aufgabe keine Kraft.
Wenn derselbe Tuchhändler später einen ganzen Stapel mit Stoffballen aus dem Lager holt, der nun mal ein gewisses Gewicht hat, dann wird bei dieser Aufgabe hingegen der Bizeps der Chef sein. Die Steuerung und Kraftentfaltung der Muskeln in den Armen und in den Händen ist diametral zum ersten Beispiel.
Wenn der Bizeps, der ein typischer Kraft-Muskel ist, der "Chef" (Agonist) der Bewegung wird, dann werden sowohl die langen als auch die kurzen Fingermuskeln als "Helfer" (Synergisten) derart eingesetzt (hier speziell die Beuger), dass sie sehr stark bis ggf. maximal kontrahieren. Denn die Hände müssen ja den Gegenstand sicher fassen, so dass er nicht Gefahr läuft, aus den Händen zu fallen. Für die Dauer des Tragens und Haltens sind vor allem die kurzen Fingermuskeln deshalb regelrecht blockiert.
Ein Beispiel, das jeder kennt ist das Tragen einer Kiste mit Wasserflaschen (oder Kiste Bier).
Diese Steuerungsmechanismen funktionieren als Reflexe und werden alleine durch die Intention der Bewegung, durch die Absicht des Ausführenden quasi automatisch abgerufen. Was ja auch absolut sinnvoll ist, man muss nur seine alltäglichen Bewegungen mal beobachten.
Aus diesen Zusammenhängen heraus wird deutlich, dass Bewegungsvorstellungen am Klavier (aber auch allen anderen Instrumenten) möglichst so geartet sein sollten, dass die langen Fingermuskeln und vor allem der Bizeps nie als
Initiatoren der Bewegung fungieren, sondern stets in der für das Ziel der Bewegung angemessen fein abgestuften Innervierung als
Synergisten.
Damit ist auch gewährleistet, dass deren Kontraktionsspannung sich auch immer schnell und möglichst vollständig abbaut nach der Ausführung der Bewegung.
Die Gefahr aller grobmotorischen Bewegungsabläufe am Instrument ist nämlich, dass sich immer mehr eine Haltespannung aufbaut (wegen der oben erläuterten Steuerungs-Mechanismen und Reflexe) und das Spiel immer mehr festläuft, was absolut kontraproduktiv und frustrierend ist.