Strato Incendus
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Mit diesem etwas sperrigen Titel stoße ich mal eine Grundsatzdiskussion darüber an, wie wir Musik speziell im Kontext des Aufnehmens sehen - und was wir, basierend auf unserer jeweiligen Sicht, für "moralisch vertretbar" halten. Konkret meine ich damit all die Methoden, mit denen man beim Aufnehmen "schummeln" kann, um Performance und/oder Sound als besser darzustellen, als er in Wirklichkeit "ist".
Das fängt bei den "elephants in the room" (Autotune / Melodyne / Quantisieren) an, geht über das Zusammenschneiden / Editieren der besten Stücke einzelner Takes und endet bei der Frage, ob nicht schon ein Equalizer auf den Vocals, der bspw. die nasalen Frequenzen zwischen 1000 und 1200 Hz etwas herausnimmt, "geschummelt" ist, weil er den Sänger besser klingen lässt, als er vielleicht live und akustisch ohne irgendwelche Effekte klingt.
Da ich speziell im Metal unterwegs bin, ist eine meiner häufigsten Anlaufstellen für Recording-Tipps auf YouTube natürlich Glenn Fricker / SpectreSoundStudios - bekannt nicht nur für seine Abneigung gegen Autotune / Melodyne / Quantisierung, sondern auch von Drumsamples - weil man da nicht mehr den Drummer hört, der den aktuellen Song spielt, sondern eben den, der die Samples aufgenommen hat, in einer höchstwahrscheinlich besseren Umgebung, und für gewöhnlich auch als jemand mit besseren Skills. Fricker vertritt Überzeugungen wie "recording real, acoustic drums is what separates the men from the boys", oder auch - gerichtet an Leute, die mit Sample Libraries wie EZ Drummer / Superior Drummer, Addictive Drums, Steven Slate Drums etc. arbeiten: "You're not doing Metal; you're really doing EDM with distorted guitars."
Und schon heben alle Heimproduzenten die Hand und plädieren auf schuldig im Sinne der Anklage. Gleichzeitig sei jedoch gesagt, dass Fricker durchaus Verständnis für den "bedroom musician" hat, und sich in Bezug auf Samples eher konkret darüber aufregt, wenn professionelle Tonstudios, in die man als Musiker eigentlich geht, gerade weil man sein akustisches Schlagzeug vernünftig aufnehmen möchte, dann trotzdem zu denselben "Shortcuts" greifen, die auch dem Heimproduzenten zur Verfügung stehen. Da kann man die Drums aus gleich selbst per E-Drum aufnehmen / per MIDI programmieren und sich das Geld für die Studioaufnahme sparen.
Ich unterscheide hier zwei Sichtweisen, die ich im Folgenden mal als die "Sportperspektive" und die "Filmperspektive" bezeichne.
1) Musik = Sport, Musiker = Sportler
Das "Gatekeeping" darüber, was Metal ist und was nicht, verbunden mit dem Anspruch, nicht zu "schummeln" (weiteres Zitat Fricker: "Pitch Correction - It's like steroids for shitty musicians") verdeutlicht in Summe eine Sicht auf Musik, die vor allem an Sport erinnert. Und übertragen auf ein anderes Genre: Gestern habe ich die Review von YouTube Bassist Adam Neely zum Jazz-Film "Whiplash" gesehen, der ebenfalls die Sportmetapher anführt - allerdings spielt er damit mehr auf den ständigen Wettbewerb zwischen den Musikern an, vor allem auch innerhalb derselben Band.
Diese Beobachtung, dass man den Leuten in dem Film nicht anmerkt, was ihnen eigentlich an der Musik Spaß bereitet - weil doch hauptsächlich der Frust, die Anstrengung und das gegenseitige Niedermachen dargestellt werden - war auch genau meine, als ich den Film gesehen habe. So ging es mir leider auch bei den späteren Staffeln von Glee - am Anfang waren es noch alles Nerds, die die Musik gemacht haben, die ihnen Spaß machte, auch, wenn der Rest der Schule sie dafür uncool fand; am Ende wird dann fast jeder Charakter irgendwie zur Diva. Die Musik selbst wird zu einem Instrument, allerdings im Sinne eines Werkzeugs, das man primär benutzt, um den eigenen Status zu erhöhen und anderen damit etwas zu beweisen - nicht etwas, das man um seiner selbst willen macht, einfach, weil man es liebt.
Um in der Sportmetapher zu bleiben: Es ist eben nicht der Typ, der alleine joggen geht und sich jedes Mal freut, wenn er eine längere Strecke schafft, oder der mit den Hanteln, der sich freut, wenn er schwerere Gewichte heben kann - kurz: der eine intraindividuelle Bezugsnorm anlegt, also sich mit sich selbst vergleicht, über die Zeit hinweg, sein jetziges Level gegen sein früheres Level. Sondern der Wettkämpfer, wir bzw. ich gegen die anderen - wo der Unterschied zwischen dem, was einem selbst nützt und was anderen schadet, manchmal verschwindend gering ist. Es ist eine soziale Bezugsnorm, wichtig ist, wer der Beste in der Rangliste ist, nicht die objektive Qualität dessen, was dann als oberstes auf der Liste steht (wenngleich die natürlich durchaus mit der Rangposition korreliert).
Whiplash ist da besonders frustrierend (aber eben auch aus Neelys Sicht unrealistisch), weil man eben nicht einmal innerhalb der eigenen Gruppe diesen Kameradschaftsgeist und Zusammenhalt sieht, den man bspw. in einer Mannschaftssportart erwarten würde. Dadurch kann der Höhepunkt des Films eben auch nicht ein gut gespieltes BigBand-Stück sein, sondern das Drum-Solo als Egonummer.
Wer dagegen vor allem den eigenen technischen Fortschritt bewertet, also wie im Beispiel mit dem Jogger oder Gewichteheber, der hat zumindest diesen Wettbewerbscharakter schon einmal weitgehend eliminiert.
Deshalb ist es völlig verständlich, dass man auf Testaufnahmen, die man für sich selbst zur Dokumentation des eigenen Fortschritts macht, nicht schummeln möchte (und auch nicht sollte), denn dann macht man sich ja nur selbst etwas vor. Die Frage ist nur, ob das deshalb auch für das musikalische "Produkt" gelten muss, das man an die Öffentlichkeit herausgibt. Denn die interessiert die Entwicklung der persönlichen Fähigkeiten meist weniger, die bewerten den einzelnen Song, wie er jetzt ist, ohne die Vorgeschichte - dafür aber ggf. wieder im Vergleich mit den Werken anderer.
Das also als etwas ausführlichere Beschreibung der Sportmetapher für Musik. Denn wenn Musik Sport ist, dann ist jede Art von "schummeln" natürlich ein absolutes Nogo. Damit erhöht man ja künstlich seinen Status, basierend auf den simulierten musikalischen Fähigkeiten, im Vergleich zu anderen.
Das bekommen auch Bands zu spüren, die sich maßgeblich eine Fanbasis heranzüchten, die primär an ihren "sportlichen" Fähigkeiten interessiert sind: DragonForce etwa sind ja vor allem erst einmal populär geworden, weil die Leute ihre Geschwindigkeit bewundert haben (und sich selbst dann zu Guitar Hero einen mit "Through the Fire and Flames" abgebrochen haben). Da hat ein betrunkener Auftritt beim Grasspop-Festival 2006 gereicht, um den Respekt vieler Fans auf mehrere Jahre im Handumdrehen wieder zu verlieren (Nickname "Studioforce"). Weil die Musik eben im Großen und Ganzen nicht darauf angelegt war, Emotionen zu erzeugen oder zu vermitteln, weder textlich noch musikalisch, sondern die Songs vor allem als Spielwiese dienten, um sich auf dem Griffbrett auszutoben. Mittlerweile haben DragonForce da etwas mehr die Balance gefunden, schreiben intelligentere Texte (verhältnismäßig ;P ), und haben auch live unter Beweis gestellt, dass Grasspop 2006 mehr ein alkoholbedingter Ausrutscher war als ein genereller Mangel an Live-Fähigkeiten. Nichtsdestotrotz, die Fans werden sie weiter vor allem anhand ihres technischen Könnens beurteilen.
Nun eine zweite Sichtweise mit einem völlig anderen, wenn auch nicht zwangsweise widersprüchlichen Schwerpunkt:
2) Musik = eine Geschichte, Musiker = ein Schauspieler
In dieser Sichtweise ist die reine Notation eines Stücks wie ein (Dreh-)Buch, eine Live-Performance ist wie ein Theaterstück, eine Studioaufnahme als entsprechendes Gegenstück wie ein Film.
Beim Live-Auftritt kommt es - egal ob Singen, Schauspielen oder beides involviert ist - immer mal vor, dass jemand einen Patzer macht. Die Professionalität erkennt man nicht an der vollkommenen Abwesenheit von Patzern, sondern am geschickten spontanen Kaschieren davon durch den Künstler selbst (also kein externes "Schummeln"), oder durch die "Flucht nach vorn" (der Künstler macht alle auf den Fehler aufmerksam, man lacht gemeinsam drüber, und dann macht man es eben nochmal richtig). Live verzeihen einem das die meisten Leute, denn der Patzer ist ein Einmal-Ereignis - kaum passiert, liegt er schon in der Vergangenheit und stört niemanden mehr. Live ist der gelegentliche Fehler "cool, weil authentisch", und gibt einem die Möglichkeit, den gekonnt dargebotenen Rest noch umso mehr zu bewundern.
Bei der Studioaufnahme oder im Film hingegen ist der wichtigste Unterschied die Möglichkeit zum wiederholten Anhören / Anschauen. Wenn da ein Fehler drin ist, macht der Musiker ihn quasi bei jedem Hören noch einmal, und der Zuhörer / Zuschauer muss ihn jedes Mal nochmal "ertragen". Aus dem Flüchtigkeitsfehler und einmaligen Patzer wird durch die wiederholte Präsentation ein systematischer Fehler. Und wie man am Beispiel von am Game-of-Thrones-Set vergessenen Starbucks-Bechern und Wasserflaschen sehen konnte, werden solche Fehler von vielen Fans nicht allzu leicht verziehen, bzw. vom Studio dann trotz der anfänglichen Unterhaltsamkeit des Fehlers schnell noch im Nachhinein begradigt.
Bei einem Film erwartet also niemand, dass die ganze künstlerische Performance in einem Stück fehlerfrei durchgezogen werden kann. Das ist vom Aufbau der Sets etc. ja auch im Gegensatz zum Theater gar nicht möglich. Dementsprechend müssen auch die Schauspieler nicht ihren gesamten Text an einem Stück auswendig können, sondern fokussieren sich für mehrere Tage auf einzelne Szenen, um diese eben absolut perfekt im Kasten zu haben. Und es wird natürlich geschnitten, was das Zeug hält, das Bild nachbearbeitet, jede Menge CGI eingefügt, das eigentlich gar nicht da ist (damit wird in Filmen heute etwa so viel gekleistert wie mit Autotune in der Musik), und speziell in Deutschland wird bei internationalen Produktionen dann ja sogar noch die Stimme der Künstler ausgetauscht gegen deutsche Synchronsprecher (wie Sample Replacement am Schlagzeug, nur diesmal eben auf die Vocal Performance bezogen ).
Bei Autotune / Melodyne / Quantisierung / Sample Replacement wird gerne behauptet, diese Techniken würden die Emotion eines Stücks verloren gehen lassen. Bei Filmen hingegen würde niemand behaupten, dass CGI oder Synchronisation an sich den emotionalen Impact des Films verringern. Wenn jemand einzelne Takte eines Gitarrensolos zusammenschneidet, die er nicht am Stück gespielt hat, würden viele das in der Musik als Schummeln betrachten - beim geschnittenen Film hingegen nicht. Da zählt ein perfekt (wirkendes) Endergebnis - nicht die Perfektion der einzelnen Teile. Das Gesamtwerk ist mehr als die Summe seiner Teile, und alles, was an den einzelnen Teilen stört, wird weggeschnitten und/oder ersetzt: Sets, die nur so weit gebaut sind, wie man es im Kamerashot sieht, dahinter endet die Illusion bereits; Green- und Bluescreens; Stunt- und Po-Doubles, etc.
Der Film versucht also, "larger than live" zu sein. "Live" hier bewusst mit v geschrieben, denn es geht um den Vergleich mit der Situation auf der Bühne.
Im Film kann ich Dinge passieren lassen, die mit der Realität nicht vereinbar sind, Leuten Superkräfte geben, Fabelwesen erschaffen etc., in einem Detailreichtum und einer Perfektion, an die niemand auf einer Theaterbühne auch nur ansatzweise herankäme.
Auf Studioaufnahmen wäre das Pendant dazu, mehr Backgroundstimmen einzusingen, als man Sänger in der Band hat (Extrembeispiel Bohemian Rhapsody), ein Orchester mit dazuzunehmen, das man live auf Tour nicht mit dabei hat (Nightwish & Co.), mehr Gitarrenspuren aufzunehmen, als man Gitarristen in der Band hat (üblicherweise mindestens 4 im Metal: gedoppelte Rhythmusgitarre + 2-stimmige Leadgitarre). All das sind ebenfalls Dinge, die man live dann nicht so umsetzen kann - hat man deshalb jetzt auf der Aufnahme geschummelt?
Ich glaube, damit wird klar: Eine Studioaufnahme darf ruhig, genau wie ein Film, "larger than live" sein - besser, als was die einzelnen Musiker während einer durchschnittlichen Live-Performance desselben Stücks abzuliefern in der Lage wären. Genau wie ein Film ist die Studioaufnahme vor allem eine Möglichkeit zur Realitätsflucht - etwas, das Menschen auf dem Weg zur Arbeit auf dem Handy hören, oder nach Feierabend auf einer Party, oder auch im Bett vor dem Einschlafen. Beim Eskapismus will man eben gerade nicht an menschliche Schwächen erinnert werden, und an die triste Realität, die sich aus ihnen ergibt.
Und da würde dann auch ein Glenn Fricker wieder zustimmen: "The studio is for capturing something amazing."
Jetzt ist eben nur die Frage, ein beeindruckendes "Was?" Einen beeindruckenden Film? Oder eine beeindruckende sportliche Performance?
Da gibt es kein generelles Richtig oder Falsch - wichtig ist eben nur, dass man sich bewusst ist, was für eine Zuhörerschaft man sich heranzieht, wenn man diesen oder jenen Ansatz wählt.
Die Grenze des "Vertretbaren" verläuft für mich daher auch nicht zwischen denen, die Autotune benutzen oder nicht, oder denen, die Drumsamples benutzen oder nicht - sondern in der Art, wie diese Dinge benutzt werden.
Gerade in der Popmusik wird Melodyne oft "schnell und plump" angewandt: Man zieht einfach die Töne gerade, die der Sänger nicht getroffen hat, oder zieht sogar alle aus Prinzip gerade, einfach nur, um auf der sicheren Seite zu sein. Selbst Stock Plugins wie Flex Pitch in Logic bieten aber darüber hinaus noch weitaus mehr Möglichkeiten, wie bspw. den Verlauf des Tons zu bearbeiten, die Geschwindigkeit des Vibrato, etc. - alles Dinge, die man tun kann, um die Tatsache, dass hier die Tonhöhe verändert wurde, wieder ein Stück weit zu verschleiern. Ich habe Avantasia-Aufnahmen gehört, wo mehrere Männer in hohen Passagio-Lagen unisono singen, alle Töne sind perfekt drauf, trotzdem klingt das nicht nach Autotune. Und da kann mir keiner erzählen, dass die das alle so perfekt eingesungen haben (dafür haben wir ja wieder die Live-Performances als Beleg ). Hier hat sich wohl einfach der Produzent mehr Zeit genommen, etwaige Pitch Corrections dezenter zu machen.
Das tumbe "Draufziehen" auf den Ton, das den Gesang nach Keyboard mit Vocoder klingen lässt, wäre also auf die Filmmetapher übertragen ein dilletantisch gemachter CGI-Effekt, oder schlechtes Photoshopping auf einem Porträt: Ein Effekt, der einfach auf den ersten Blick bereits so unrealistisch wirkt, dass er den Zuschauer aus der Geschichte herauswirft ("suspension of disbelief" versagt, d.h. man kann sich nicht mehr länger vorstellen, dass das real ist).
Auf diese Art und Weise habe ich schon bei manchen meiner eigenen Takes gedacht, eine Stelle klänge nach Autotune - dabei war gar keine Pitch Correction auf der Spur drauf , nur Chorus / Delay / Hall o.ä. Zu viel von irgendeinem Effekt, egal welchem, lässt es eben immer künstlich klingen.
Dieses "Künstlich-Klingen" ist das, was mMn die Emotionalität einer Aufnahme zerstört.
Auf Drum Samples übertragen passiert das vor allem dann, wenn sie zu wenig Dynamik haben. Der Computer wird das Timing immer exakter treffen als der Mensch, was in den allermeisten Fällen genau das ist, was gewünscht ist. Ausnahmefälle wären Dinge wie Ritardando, das macht der Mensch mit mehr Gefühl (an der Stelle quantisiert man dann eben einfach nicht), oder aber z.B. ein Drummer, der so gut ist, dass er z.B. konstant "laid-back" spielen kann. Die meisten handelsüblichen Musiker haben aber eher zufällige Mikrotiming-Schwankungen in beide Richtungen, spielen also nicht konstant leicht vor oder nach dem Beat. Da braucht der eine nur ein bisschen zu früh, der andere ein bisschen zu spät sein, und die Gesamtabweichung lässt das Zusammenspiel schlimmer klingen als die Abweichung der einzelnen Musiker.
Dynamik hingegen kann der Mensch üblicherweise besser, das einem Schlagzeug einzuprogrammieren dauert viel länger, als das Stück selbst einzuklöppeln.
Wenn man also Drum Samples mit zu wenig Dynamik programmiert bzw. eine akustische Performance im "Eilverfahren" mit Samples konstanter Lautstärke überpinselt, dann zerstört man genau den Teil, für den man den Menschen eigentlich am dringendsten braucht, nämlich die Dynamik.
Mit einer der Gründe, warum ich von den letzten paar Alben einer meiner Lieblingsbands, TEN, immer wieder ein Stück weit enttäuscht werde:
(Musikvideo zur Studioaufnahme mit Filmmaterial von Liveaufnahmen)
Zu guter Letzt nochmal zurück zu Autotune und zum Thema "Ideal vs. Realität":
Ich glaube, ich persönlich hätte noch weitaus weniger gegen die Verwendung von Pitch Correction, wenn sie verstärkt dazu führen würde, dass fähige Komponisten, die vielleicht nicht die besten Sänger sind, aber trotzdem ihre eigens geschriebenen Stücke auch selbst einsingen, erfolgreicher sind - sodass sie auf ähnlichem Level mitspielen können wie fähige Sänger, die aber nicht ihre Stücke selbst schreiben. Ein Song, der von der Person interpretiert wird, die ihn auch geschrieben hat, kann mitunder emotionaler klingen, wenn auch digital aufpoliert, als wenn eine fremde Person die Gefühle bloß "schauspielert", wenn auch technisch perfekt. Ja, ich habe gesagt, in der Filmmetapher ist der Musiker ein Schauspieler - aber die Handlung des Films ist in der Musik üblicherweise autobiografisch.
Ganz oben sollten logischerweise jene stehen, die fähig auf ihrem Instrument sind und als Komponisten.
In der Realität jedoch scheint Autotune vor allem jenen an die Chartspitze zu helfen, die weder gute Songschreiber noch allzu gute Sänger sind, sondern vor allem optisch auf Videos etwas hermachen und tanzen können. Den Song selbst hat dann ein Timbaland, Max Martin, David Guetta oder Avicii geschrieben. Und weil das so oft passiert, wird der künstliche "Mädchenstimme durch Keyboard gepresst"-Sound zu einem Dance-Pop-Klangideal, sodass auch fähige SängerInnen mit mehr Melodyne zugekleistert werden, als sie nötig hätten, einfach, um dem Stil treu zu bleiben. Und das eben oftmals leider auf die "plumpe, schnelle" Weise des Melodyne-Gebrauchs, die in der Tat die Emotionalität killt, weil sie zu künstlich klingt.
Wie seht ihr das? Wollt ihr auf Studioaufnahmen vor allem die Authentizität einer Live-Performance einfangen? Die Atmosphäre wie in einem Musikclub / auf einer Theaterbühne (manche Locations sind ja tatsächlich beides)? Im Idealfall "one mic, one take"?
Oder seid ihr eher Freunde opulenter Arrangements mit mehr Instrumenten, als man live jemals auf eine Bühne bekäme, sodass dementsprechend auch nicht der Anspruch ist, dass das live alles reproduzierbar sein muss?
So wie Nightwish Tuomas Holopainen, der erstmal mit 70 Spuren Percussion anfängt, und dann sehen wir mal weiter...
Das fängt bei den "elephants in the room" (Autotune / Melodyne / Quantisieren) an, geht über das Zusammenschneiden / Editieren der besten Stücke einzelner Takes und endet bei der Frage, ob nicht schon ein Equalizer auf den Vocals, der bspw. die nasalen Frequenzen zwischen 1000 und 1200 Hz etwas herausnimmt, "geschummelt" ist, weil er den Sänger besser klingen lässt, als er vielleicht live und akustisch ohne irgendwelche Effekte klingt.
Da ich speziell im Metal unterwegs bin, ist eine meiner häufigsten Anlaufstellen für Recording-Tipps auf YouTube natürlich Glenn Fricker / SpectreSoundStudios - bekannt nicht nur für seine Abneigung gegen Autotune / Melodyne / Quantisierung, sondern auch von Drumsamples - weil man da nicht mehr den Drummer hört, der den aktuellen Song spielt, sondern eben den, der die Samples aufgenommen hat, in einer höchstwahrscheinlich besseren Umgebung, und für gewöhnlich auch als jemand mit besseren Skills. Fricker vertritt Überzeugungen wie "recording real, acoustic drums is what separates the men from the boys", oder auch - gerichtet an Leute, die mit Sample Libraries wie EZ Drummer / Superior Drummer, Addictive Drums, Steven Slate Drums etc. arbeiten: "You're not doing Metal; you're really doing EDM with distorted guitars."
Und schon heben alle Heimproduzenten die Hand und plädieren auf schuldig im Sinne der Anklage. Gleichzeitig sei jedoch gesagt, dass Fricker durchaus Verständnis für den "bedroom musician" hat, und sich in Bezug auf Samples eher konkret darüber aufregt, wenn professionelle Tonstudios, in die man als Musiker eigentlich geht, gerade weil man sein akustisches Schlagzeug vernünftig aufnehmen möchte, dann trotzdem zu denselben "Shortcuts" greifen, die auch dem Heimproduzenten zur Verfügung stehen. Da kann man die Drums aus gleich selbst per E-Drum aufnehmen / per MIDI programmieren und sich das Geld für die Studioaufnahme sparen.
Ich unterscheide hier zwei Sichtweisen, die ich im Folgenden mal als die "Sportperspektive" und die "Filmperspektive" bezeichne.
1) Musik = Sport, Musiker = Sportler
Das "Gatekeeping" darüber, was Metal ist und was nicht, verbunden mit dem Anspruch, nicht zu "schummeln" (weiteres Zitat Fricker: "Pitch Correction - It's like steroids for shitty musicians") verdeutlicht in Summe eine Sicht auf Musik, die vor allem an Sport erinnert. Und übertragen auf ein anderes Genre: Gestern habe ich die Review von YouTube Bassist Adam Neely zum Jazz-Film "Whiplash" gesehen, der ebenfalls die Sportmetapher anführt - allerdings spielt er damit mehr auf den ständigen Wettbewerb zwischen den Musikern an, vor allem auch innerhalb derselben Band.
Diese Beobachtung, dass man den Leuten in dem Film nicht anmerkt, was ihnen eigentlich an der Musik Spaß bereitet - weil doch hauptsächlich der Frust, die Anstrengung und das gegenseitige Niedermachen dargestellt werden - war auch genau meine, als ich den Film gesehen habe. So ging es mir leider auch bei den späteren Staffeln von Glee - am Anfang waren es noch alles Nerds, die die Musik gemacht haben, die ihnen Spaß machte, auch, wenn der Rest der Schule sie dafür uncool fand; am Ende wird dann fast jeder Charakter irgendwie zur Diva. Die Musik selbst wird zu einem Instrument, allerdings im Sinne eines Werkzeugs, das man primär benutzt, um den eigenen Status zu erhöhen und anderen damit etwas zu beweisen - nicht etwas, das man um seiner selbst willen macht, einfach, weil man es liebt.
Um in der Sportmetapher zu bleiben: Es ist eben nicht der Typ, der alleine joggen geht und sich jedes Mal freut, wenn er eine längere Strecke schafft, oder der mit den Hanteln, der sich freut, wenn er schwerere Gewichte heben kann - kurz: der eine intraindividuelle Bezugsnorm anlegt, also sich mit sich selbst vergleicht, über die Zeit hinweg, sein jetziges Level gegen sein früheres Level. Sondern der Wettkämpfer, wir bzw. ich gegen die anderen - wo der Unterschied zwischen dem, was einem selbst nützt und was anderen schadet, manchmal verschwindend gering ist. Es ist eine soziale Bezugsnorm, wichtig ist, wer der Beste in der Rangliste ist, nicht die objektive Qualität dessen, was dann als oberstes auf der Liste steht (wenngleich die natürlich durchaus mit der Rangposition korreliert).
Whiplash ist da besonders frustrierend (aber eben auch aus Neelys Sicht unrealistisch), weil man eben nicht einmal innerhalb der eigenen Gruppe diesen Kameradschaftsgeist und Zusammenhalt sieht, den man bspw. in einer Mannschaftssportart erwarten würde. Dadurch kann der Höhepunkt des Films eben auch nicht ein gut gespieltes BigBand-Stück sein, sondern das Drum-Solo als Egonummer.
Wer dagegen vor allem den eigenen technischen Fortschritt bewertet, also wie im Beispiel mit dem Jogger oder Gewichteheber, der hat zumindest diesen Wettbewerbscharakter schon einmal weitgehend eliminiert.
Deshalb ist es völlig verständlich, dass man auf Testaufnahmen, die man für sich selbst zur Dokumentation des eigenen Fortschritts macht, nicht schummeln möchte (und auch nicht sollte), denn dann macht man sich ja nur selbst etwas vor. Die Frage ist nur, ob das deshalb auch für das musikalische "Produkt" gelten muss, das man an die Öffentlichkeit herausgibt. Denn die interessiert die Entwicklung der persönlichen Fähigkeiten meist weniger, die bewerten den einzelnen Song, wie er jetzt ist, ohne die Vorgeschichte - dafür aber ggf. wieder im Vergleich mit den Werken anderer.
Das also als etwas ausführlichere Beschreibung der Sportmetapher für Musik. Denn wenn Musik Sport ist, dann ist jede Art von "schummeln" natürlich ein absolutes Nogo. Damit erhöht man ja künstlich seinen Status, basierend auf den simulierten musikalischen Fähigkeiten, im Vergleich zu anderen.
Das bekommen auch Bands zu spüren, die sich maßgeblich eine Fanbasis heranzüchten, die primär an ihren "sportlichen" Fähigkeiten interessiert sind: DragonForce etwa sind ja vor allem erst einmal populär geworden, weil die Leute ihre Geschwindigkeit bewundert haben (und sich selbst dann zu Guitar Hero einen mit "Through the Fire and Flames" abgebrochen haben). Da hat ein betrunkener Auftritt beim Grasspop-Festival 2006 gereicht, um den Respekt vieler Fans auf mehrere Jahre im Handumdrehen wieder zu verlieren (Nickname "Studioforce"). Weil die Musik eben im Großen und Ganzen nicht darauf angelegt war, Emotionen zu erzeugen oder zu vermitteln, weder textlich noch musikalisch, sondern die Songs vor allem als Spielwiese dienten, um sich auf dem Griffbrett auszutoben. Mittlerweile haben DragonForce da etwas mehr die Balance gefunden, schreiben intelligentere Texte (verhältnismäßig ;P ), und haben auch live unter Beweis gestellt, dass Grasspop 2006 mehr ein alkoholbedingter Ausrutscher war als ein genereller Mangel an Live-Fähigkeiten. Nichtsdestotrotz, die Fans werden sie weiter vor allem anhand ihres technischen Könnens beurteilen.
Nun eine zweite Sichtweise mit einem völlig anderen, wenn auch nicht zwangsweise widersprüchlichen Schwerpunkt:
2) Musik = eine Geschichte, Musiker = ein Schauspieler
In dieser Sichtweise ist die reine Notation eines Stücks wie ein (Dreh-)Buch, eine Live-Performance ist wie ein Theaterstück, eine Studioaufnahme als entsprechendes Gegenstück wie ein Film.
Beim Live-Auftritt kommt es - egal ob Singen, Schauspielen oder beides involviert ist - immer mal vor, dass jemand einen Patzer macht. Die Professionalität erkennt man nicht an der vollkommenen Abwesenheit von Patzern, sondern am geschickten spontanen Kaschieren davon durch den Künstler selbst (also kein externes "Schummeln"), oder durch die "Flucht nach vorn" (der Künstler macht alle auf den Fehler aufmerksam, man lacht gemeinsam drüber, und dann macht man es eben nochmal richtig). Live verzeihen einem das die meisten Leute, denn der Patzer ist ein Einmal-Ereignis - kaum passiert, liegt er schon in der Vergangenheit und stört niemanden mehr. Live ist der gelegentliche Fehler "cool, weil authentisch", und gibt einem die Möglichkeit, den gekonnt dargebotenen Rest noch umso mehr zu bewundern.
Bei der Studioaufnahme oder im Film hingegen ist der wichtigste Unterschied die Möglichkeit zum wiederholten Anhören / Anschauen. Wenn da ein Fehler drin ist, macht der Musiker ihn quasi bei jedem Hören noch einmal, und der Zuhörer / Zuschauer muss ihn jedes Mal nochmal "ertragen". Aus dem Flüchtigkeitsfehler und einmaligen Patzer wird durch die wiederholte Präsentation ein systematischer Fehler. Und wie man am Beispiel von am Game-of-Thrones-Set vergessenen Starbucks-Bechern und Wasserflaschen sehen konnte, werden solche Fehler von vielen Fans nicht allzu leicht verziehen, bzw. vom Studio dann trotz der anfänglichen Unterhaltsamkeit des Fehlers schnell noch im Nachhinein begradigt.
Bei einem Film erwartet also niemand, dass die ganze künstlerische Performance in einem Stück fehlerfrei durchgezogen werden kann. Das ist vom Aufbau der Sets etc. ja auch im Gegensatz zum Theater gar nicht möglich. Dementsprechend müssen auch die Schauspieler nicht ihren gesamten Text an einem Stück auswendig können, sondern fokussieren sich für mehrere Tage auf einzelne Szenen, um diese eben absolut perfekt im Kasten zu haben. Und es wird natürlich geschnitten, was das Zeug hält, das Bild nachbearbeitet, jede Menge CGI eingefügt, das eigentlich gar nicht da ist (damit wird in Filmen heute etwa so viel gekleistert wie mit Autotune in der Musik), und speziell in Deutschland wird bei internationalen Produktionen dann ja sogar noch die Stimme der Künstler ausgetauscht gegen deutsche Synchronsprecher (wie Sample Replacement am Schlagzeug, nur diesmal eben auf die Vocal Performance bezogen ).
Bei Autotune / Melodyne / Quantisierung / Sample Replacement wird gerne behauptet, diese Techniken würden die Emotion eines Stücks verloren gehen lassen. Bei Filmen hingegen würde niemand behaupten, dass CGI oder Synchronisation an sich den emotionalen Impact des Films verringern. Wenn jemand einzelne Takte eines Gitarrensolos zusammenschneidet, die er nicht am Stück gespielt hat, würden viele das in der Musik als Schummeln betrachten - beim geschnittenen Film hingegen nicht. Da zählt ein perfekt (wirkendes) Endergebnis - nicht die Perfektion der einzelnen Teile. Das Gesamtwerk ist mehr als die Summe seiner Teile, und alles, was an den einzelnen Teilen stört, wird weggeschnitten und/oder ersetzt: Sets, die nur so weit gebaut sind, wie man es im Kamerashot sieht, dahinter endet die Illusion bereits; Green- und Bluescreens; Stunt- und Po-Doubles, etc.
Der Film versucht also, "larger than live" zu sein. "Live" hier bewusst mit v geschrieben, denn es geht um den Vergleich mit der Situation auf der Bühne.
Im Film kann ich Dinge passieren lassen, die mit der Realität nicht vereinbar sind, Leuten Superkräfte geben, Fabelwesen erschaffen etc., in einem Detailreichtum und einer Perfektion, an die niemand auf einer Theaterbühne auch nur ansatzweise herankäme.
Auf Studioaufnahmen wäre das Pendant dazu, mehr Backgroundstimmen einzusingen, als man Sänger in der Band hat (Extrembeispiel Bohemian Rhapsody), ein Orchester mit dazuzunehmen, das man live auf Tour nicht mit dabei hat (Nightwish & Co.), mehr Gitarrenspuren aufzunehmen, als man Gitarristen in der Band hat (üblicherweise mindestens 4 im Metal: gedoppelte Rhythmusgitarre + 2-stimmige Leadgitarre). All das sind ebenfalls Dinge, die man live dann nicht so umsetzen kann - hat man deshalb jetzt auf der Aufnahme geschummelt?
Ich glaube, damit wird klar: Eine Studioaufnahme darf ruhig, genau wie ein Film, "larger than live" sein - besser, als was die einzelnen Musiker während einer durchschnittlichen Live-Performance desselben Stücks abzuliefern in der Lage wären. Genau wie ein Film ist die Studioaufnahme vor allem eine Möglichkeit zur Realitätsflucht - etwas, das Menschen auf dem Weg zur Arbeit auf dem Handy hören, oder nach Feierabend auf einer Party, oder auch im Bett vor dem Einschlafen. Beim Eskapismus will man eben gerade nicht an menschliche Schwächen erinnert werden, und an die triste Realität, die sich aus ihnen ergibt.
Und da würde dann auch ein Glenn Fricker wieder zustimmen: "The studio is for capturing something amazing."
Jetzt ist eben nur die Frage, ein beeindruckendes "Was?" Einen beeindruckenden Film? Oder eine beeindruckende sportliche Performance?
Da gibt es kein generelles Richtig oder Falsch - wichtig ist eben nur, dass man sich bewusst ist, was für eine Zuhörerschaft man sich heranzieht, wenn man diesen oder jenen Ansatz wählt.
Die Grenze des "Vertretbaren" verläuft für mich daher auch nicht zwischen denen, die Autotune benutzen oder nicht, oder denen, die Drumsamples benutzen oder nicht - sondern in der Art, wie diese Dinge benutzt werden.
Gerade in der Popmusik wird Melodyne oft "schnell und plump" angewandt: Man zieht einfach die Töne gerade, die der Sänger nicht getroffen hat, oder zieht sogar alle aus Prinzip gerade, einfach nur, um auf der sicheren Seite zu sein. Selbst Stock Plugins wie Flex Pitch in Logic bieten aber darüber hinaus noch weitaus mehr Möglichkeiten, wie bspw. den Verlauf des Tons zu bearbeiten, die Geschwindigkeit des Vibrato, etc. - alles Dinge, die man tun kann, um die Tatsache, dass hier die Tonhöhe verändert wurde, wieder ein Stück weit zu verschleiern. Ich habe Avantasia-Aufnahmen gehört, wo mehrere Männer in hohen Passagio-Lagen unisono singen, alle Töne sind perfekt drauf, trotzdem klingt das nicht nach Autotune. Und da kann mir keiner erzählen, dass die das alle so perfekt eingesungen haben (dafür haben wir ja wieder die Live-Performances als Beleg ). Hier hat sich wohl einfach der Produzent mehr Zeit genommen, etwaige Pitch Corrections dezenter zu machen.
Das tumbe "Draufziehen" auf den Ton, das den Gesang nach Keyboard mit Vocoder klingen lässt, wäre also auf die Filmmetapher übertragen ein dilletantisch gemachter CGI-Effekt, oder schlechtes Photoshopping auf einem Porträt: Ein Effekt, der einfach auf den ersten Blick bereits so unrealistisch wirkt, dass er den Zuschauer aus der Geschichte herauswirft ("suspension of disbelief" versagt, d.h. man kann sich nicht mehr länger vorstellen, dass das real ist).
Auf diese Art und Weise habe ich schon bei manchen meiner eigenen Takes gedacht, eine Stelle klänge nach Autotune - dabei war gar keine Pitch Correction auf der Spur drauf , nur Chorus / Delay / Hall o.ä. Zu viel von irgendeinem Effekt, egal welchem, lässt es eben immer künstlich klingen.
Dieses "Künstlich-Klingen" ist das, was mMn die Emotionalität einer Aufnahme zerstört.
Auf Drum Samples übertragen passiert das vor allem dann, wenn sie zu wenig Dynamik haben. Der Computer wird das Timing immer exakter treffen als der Mensch, was in den allermeisten Fällen genau das ist, was gewünscht ist. Ausnahmefälle wären Dinge wie Ritardando, das macht der Mensch mit mehr Gefühl (an der Stelle quantisiert man dann eben einfach nicht), oder aber z.B. ein Drummer, der so gut ist, dass er z.B. konstant "laid-back" spielen kann. Die meisten handelsüblichen Musiker haben aber eher zufällige Mikrotiming-Schwankungen in beide Richtungen, spielen also nicht konstant leicht vor oder nach dem Beat. Da braucht der eine nur ein bisschen zu früh, der andere ein bisschen zu spät sein, und die Gesamtabweichung lässt das Zusammenspiel schlimmer klingen als die Abweichung der einzelnen Musiker.
Dynamik hingegen kann der Mensch üblicherweise besser, das einem Schlagzeug einzuprogrammieren dauert viel länger, als das Stück selbst einzuklöppeln.
Wenn man also Drum Samples mit zu wenig Dynamik programmiert bzw. eine akustische Performance im "Eilverfahren" mit Samples konstanter Lautstärke überpinselt, dann zerstört man genau den Teil, für den man den Menschen eigentlich am dringendsten braucht, nämlich die Dynamik.
Mit einer der Gründe, warum ich von den letzten paar Alben einer meiner Lieblingsbands, TEN, immer wieder ein Stück weit enttäuscht werde:
(Musikvideo zur Studioaufnahme mit Filmmaterial von Liveaufnahmen)
Zu guter Letzt nochmal zurück zu Autotune und zum Thema "Ideal vs. Realität":
Ich glaube, ich persönlich hätte noch weitaus weniger gegen die Verwendung von Pitch Correction, wenn sie verstärkt dazu führen würde, dass fähige Komponisten, die vielleicht nicht die besten Sänger sind, aber trotzdem ihre eigens geschriebenen Stücke auch selbst einsingen, erfolgreicher sind - sodass sie auf ähnlichem Level mitspielen können wie fähige Sänger, die aber nicht ihre Stücke selbst schreiben. Ein Song, der von der Person interpretiert wird, die ihn auch geschrieben hat, kann mitunder emotionaler klingen, wenn auch digital aufpoliert, als wenn eine fremde Person die Gefühle bloß "schauspielert", wenn auch technisch perfekt. Ja, ich habe gesagt, in der Filmmetapher ist der Musiker ein Schauspieler - aber die Handlung des Films ist in der Musik üblicherweise autobiografisch.
Ganz oben sollten logischerweise jene stehen, die fähig auf ihrem Instrument sind und als Komponisten.
In der Realität jedoch scheint Autotune vor allem jenen an die Chartspitze zu helfen, die weder gute Songschreiber noch allzu gute Sänger sind, sondern vor allem optisch auf Videos etwas hermachen und tanzen können. Den Song selbst hat dann ein Timbaland, Max Martin, David Guetta oder Avicii geschrieben. Und weil das so oft passiert, wird der künstliche "Mädchenstimme durch Keyboard gepresst"-Sound zu einem Dance-Pop-Klangideal, sodass auch fähige SängerInnen mit mehr Melodyne zugekleistert werden, als sie nötig hätten, einfach, um dem Stil treu zu bleiben. Und das eben oftmals leider auf die "plumpe, schnelle" Weise des Melodyne-Gebrauchs, die in der Tat die Emotionalität killt, weil sie zu künstlich klingt.
Wie seht ihr das? Wollt ihr auf Studioaufnahmen vor allem die Authentizität einer Live-Performance einfangen? Die Atmosphäre wie in einem Musikclub / auf einer Theaterbühne (manche Locations sind ja tatsächlich beides)? Im Idealfall "one mic, one take"?
Oder seid ihr eher Freunde opulenter Arrangements mit mehr Instrumenten, als man live jemals auf eine Bühne bekäme, sodass dementsprechend auch nicht der Anspruch ist, dass das live alles reproduzierbar sein muss?
So wie Nightwish Tuomas Holopainen, der erstmal mit 70 Spuren Percussion anfängt, und dann sehen wir mal weiter...
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