.. nein, diese Bewertung lege ich damit nicht nahe. Täuschung ist unser täglich Brot in dieser Gesellschaft, von Selbsttäuschung gar nicht erst angefangen ... ich kenne niemanden, der sich nicht zumindest in einem gewissen Maß täuschen lässt, deutlich mich eingeschlossen. Ok, ich könnte daraus jetzt ableiten, dass Menschen eben Schwachköpfe sind, aber so eine Kategorisierung macht mangels Alternativen eher keinen Sinn.
Es geht nicht darum, dass Hersteller ihre Kunden böswillig täuschen, sondern darum, dass ein Video oder Audio Clip, der einen Amp präsentiert, nunmal zwangsläufig die Komponente der Lautprecher und der Mikrofonierung enthält. Gerade bei High Gain Kram haben diese Komponenten klanglich mehr Anteil als der Amp selbst.
Niemals nicht. Aber gerade bei elektronischen Teilen ist es eben sehr subjektiv, sprich dort, wo ein Hörgeräusch produziert wird. Beim Boss Katana z.b. würde für mich dann nur ein Kauf Sinn machen, wenn ich das Teil mit meiner Gitarre und ggf Effektboard testen kann.
Möglicherweise habe ich mich unklar ausgedrückt. Deshalb noch mal ein Versuch der Klarstellung:
@frankpaush schrieb folgendes: "Aber: auf der Illusion, dies sei möglich, dürfte wohl ein erheblicher Teil des online-Geschäftes mit Musikinstrumenten basieren ...", das heißt also, er unterstellt, dass "ein erheblicher Teil des online-Geschäfts" auf der Illusion beruht, man könne von einem Video darauf schließen, ob einem das, was dort gezeigt wird, persönlich zusagen würde. So weit, so gut.
Aber was heißt das eigentlich, wenn man das mal ganz simpel durchdenkt? Ganz einfach: Wenn ein "erheblicher Anteil" des Online-Geschäfts darauf beruht, dass Leute wegen eines Videos glauben,
hey, das Dingens ist genau das richtige für mich, es kaufen und dann feststellen,
nee, ist es doch nicht (die Illusion zerfällt) und ... hier kommt der springende Punkt ... dann
nicht einfach die Money-Back-Garantie in Anspruch nehmen, sondern das Zeug behalten (denn nur so kommt ein Online-Geschäft zustande; keiner kann von Retouren leben), dann müssten diese Käufer ziemliche Schwachköpfe sein.
Nicht etwa deshalb, weil sie sich aufgrund einer Illusion haben täuschen lassen (da hat
@frankpaush mich, wie man oben sehen kann, ein wenig missverstanden), sondern wenn dazu kommt, dass sie daraus
keine Konsequenzen ziehen, sprich: den Kauf rückgängig machen würden, ergo: erst gar kein Geschäft entsteht. Und wenn man von "erheblich" spricht, dann geht das ja eher in Richtung eines Massenphänomens und nicht vereinzelter Ausnahmen (ich habe ja extra geschrieben, dass ich einzelne Ausnahmen für möglich halte).
@tylerhb: Ich habe auch nicht von "böswilliger Täuschung", sondern - ohne zu werten - von "Verzerrung" gesprochen, und das mit voller Absicht. Wenn ich jemand böswillige Täuschung unterstellen möchte, dann tue ich das auch. Meine Ansicht ist ganz einfach die, dass weder Hersteller noch Online-Händler ein Interesse daran haben, den Grat zwischen vorteilhafter Präsentation und allzu großer Verzerrung zu überschreiten, weil es nichts bringt.
Vielleicht noch mal kurz etwas zum Thema "Verzerrung", was, wie gesagt, mit Böswilligkeit gar nichts zu tun hat: Das fängt schon damit an, ob man in einem Video oder Soundclip eher einen amp-in-the-room-sound bevorzugt oder einen Amp brav mikrophoniert und dieses Signal verwendet. Ob man ein billiges Multieffekt-Gerät eher in einer billigen Umgebung präsentiert (was z.B.
eytschpi42 schon öfters gemacht hat) oder in einer hochwertigen. Allein die Tatsache, dass man einen hochwertigen Overdrive an einem ebenso hochwertigen Boutique-Amp präsentiert, kann zu einer solchen Verzerrung führen, denn: so schön es klingt, sagt es mir nichts darüber, wie das Ding an meinem eigenen Amp klingt - und das kann ebenfalls ein sehr respektabler, aber halt mit anderem Charakter sein. (Und genau deshalb, wie
@Rotor schreibt, testen die meisten ja auch persönlich.)
"Natürliche" Verzerrungen gibt es also ohne Ende: Aber führen die tatsächlich, wie
@frankpaush behauptet, zu einem "erheblicher Teil des online-Geschäftes mit Musikinstrumenten", weil so viele Leute nicht in der Lage sind, deren Vorhandensein und die Konsequenzen zu erkennen? Nein. Meiner Ansicht nach nicht. Spätestens in dem Moment, in dem man zu Hause merkt, das es doch nicht so klingt wie im Video und unbrauchbar ist, werden die meisten Leute das Equipment wieder zurücksenden -
weil sie eben keine Schwachköpfe sind - und, falls sie den Kauf tatsächlich in einem Zustand von Unerfahrenheit oder anfänglicher Naivität getätigt haben, eine wertvolle Lektion fürs Leben daraus gelernt haben.
Um zum Schluss noch eine eigene These zum Thema "erheblicher Anteil von Online-Geschäften" zu präsentieren: Gerade im Zusammenhang mit günstigem Equipment fallen mir da zwei ganz banale Gründe ein. Erstens haben Anfänger vielleicht einfach nicht so viel Geld, um sich z.B. in vollem Ernst die Frage zu stellen, einen Katana oder einen Friedman zu kaufen (man gönnt sich ja sonst nichts). Zweitens sind viele Anfänger, Hobby-Gitarreros oder whatever in Wahrheit wahrscheinlich
unendlich weniger anspruchsvoll als es so manche geschätzte Forumsmitglieder vielleicht glauben möchten. Das Netz ist voll von Beiträgen und Bewertungen von Leuten, die all das ganze Modelling-Zeug, das in echten Mucker-Kreisen so gerne ausgebuht wird (Marshall MGs oder Codes, Fender Mustang GTs usw.), mit Freuden benutzen, sei es als Bedroom-Warriors oder in kleinen Amateurbands.
Klar, die haben noch nie A/B-Vergleiche mit echten Röhren-Amps gemacht oder die Erfahrungen fein nuancierten Spiels zwischen Volume-Poti und Sweetspot, haben ihr 200-Euro-Floorboard noch nie im Vergleich zu einem 2000-Euro-Profi-Pedalboard gehört ... aber das sind die ganzen Leute, die ziehen sich das Zeug auf YouTube (oder auch im Musikladen um die Ecke) rein und sind zu Hause total happy mit dem "Rocksound", der da raus kommt (die spielen dann "Highway To Hell" mit Metallica-Verzerrung, während der echte Profi weiß, dass da gefälligst ein - sehr lauter - alter Marshall zu verwenden ist). Und auch wenns vielleicht nicht ganz so toll klingt wie erwartet, okay, trotzdem geil genug und gut ist. Manche wachsen mit der Zeit an Erfahrung und Anspruch, andere nicht. Völlig wurst - nicht jeder braucht teures Equipment, nicht jeder rennt kompromisslos dem bestmöglichen "Tone" nach, nicht jeder investiert Tausende von Euros und/oder Stunden in sein Hobby.
Vielleicht noch ein Beispiel aus der Praxis: Ich war vor kurzem im Proberaum einer Band von Bekannten, da spielt der Gitarrist über einen Fender Mustang-Head (alte Version). Kaum zu glauben, aber da waren noch überall die Werks-Presets drauf. Der hat sich da ein paar von ausgesucht, bisschen angepasst und fertig. Der ist damit glücklich, die Band ist glücklich, das Publikum ist glücklich. Das pralle Leben halt ...