Das hier ist doch mal ein interessanter Fred.
Musik ist Ansichtssache. Soweit nicht neu. Das den Bohlen keiner gehört haben will und der trotzdem so abgeräumt hat, mutet doch etwas merkwürdig an.
Als die Bohlsche Musik das erste Mal raus kam, habe ich die auch gehört. War melodisch, ging ins Ohr, die Mädels standen drauf, ich gerade frisch verliebt und alles war gut. Man kann auch sagen, der Bohlen hat einen schwachen Moment ausgenutzt um mich mit seinem Schund einzulullen.
Um meine Ehre zu retten möchte ich jedoch anmerken, nie einen Pfennig investiert zu haben. Gehört ja, gekauft nein. Mit der zweiten Kopie vom ersten Hit hatte man sich ja (eigentlich) auch schnell wieder satt gehört.
Meine Frage ist also weniger, wie er es überhaupt schaffen konnte, damit durchzukommen sondern eher, wieso er gleich einige duzend Mal damit durchkommt?
Die Antwort: Der hat halt ein Rezept gehabt, auf das die Masse stand und das hat er so lange durchgezogen, bis selbst der letzte Mohikaner keinen Bock mehr drauf hatte.
So was nennt man Abschöpfen oder Wertschöpfen und ist vollkommen legitim.
Würde wohl so ziemlich jeder von uns so machen, wenn er mal eine musikalische Leier gefunden hat, die ihm für drei oder vier Jahre als attraktive Einnahmequelle dient. Dafür würde ich sogar die Zillerthaler Schürzenjäger covern wenn es Sinn machen würde.
Gleiches Spiel nur deutlich weniger Ausdauernd: Mark Medlock oder wie der heißt.
Schade eigentlich, der hätte deutlich bessere Musik machen können, wie dieses SommerSonneStrand-Gedudel vom Bohlen.
Ich hatte mich damals echt ernsthaft auf einen guten Titel von ihm gefreut. Wollte wissen ob er das Soulige in seiner Stimme herausarbeiten kann. Na ja, was kam kennen wir heute alle mehr oder weniger gut. Massentauglicher Bohlscher Einheitsbrei. Ich habe nie einen Titel von Medlock komplett gehört, weil das einfach unerträglich nichtssagend ist. Mal abgesehen davon ist auch die Musik selbst so trivial und inhaltslos. Für meinen Geschmack einfach zu viel Lalala. Ehrlich gestanden reicht es nicht mal zum Autofahren oder Bügeln. Von anderen "Gelegenheiten" will ich erst gar nicht sprechen
Worauf ich aber eigentlich hinaus will ist, hier im Board sind die meisten Leute stilistisch auf eine bestimmte Richtung geeicht. Was uns hier von der breiten Masse unterscheidet ist das Interesse an der Musik, dem Musizieren und dem damit einhergehenden "Fachverständnis".
Natürlich beurteilen wir Musik nach anderen Kriterien als Oma Hedwig oder Lieschen Müller.
Es ist absolut erstaunlich, wenn man mal die angesagte Musik in der Altersklasse zwischen 14 und 24 betrachtet. Die hören ein Zeug, da falle ich um ob soviel Sinnlosigkeit. Oder machen Texte wie Remmidemmi & Co. einen tieferen Sinn?
Nein, aber der Kram geht auf dem Markt ab wie ein Zäpfchen.
Und hier unterscheidet sich der abgekochte Profi vom Semi oder vom Idealisten.
Die interessiert nicht, ob das was sie machen ihnen auch privat gefällt.
Die müssen nur wissen, dass es Leute gibt da draußen, denen es gefallen wird.
Wollte noch mal kurz erwähnen, dass wir uns über eine riesige Industrie unterhalten.
Da spielt Geschmack wirklich nur eine untergeordnete Rolle!
Nachtrag @Matthias
Mit Bezug auf das Interview mit Bohlen.
Der Bohlen ist, mal abgesehen von seinem Musikgeschmack, eigentlich ein ziemlich lockerer, halbwegs normal denkender Mensch. Und seine Ansichten sind auch nicht alle grundlegend falsch. Die sind mir auf jeden Fall lieber als irgendein hirnloses Gebrabbel von viel Liebe, Frieden und heiler Welt von irgendwelchen durchgeknallten und mit der Brechstange auf Cool getrimmten Youngstern, die gerade ihr erstes Album erfolgreich platzieren aber ansonsten nicht wirklich wissen, was überhaupt ab geht und das auch in der Zeit, in der sie angesagt sind, vermutlich nicht erfahren werden. Und die Musik vom Bohlen muss man sich ja weder antun noch kaufen.
Die Softwarebranche ist mit den ganzen OpenSource und Freeware Projekten ja im Grunde in die gleiche Richtung unterwegs wie Bohlen das im Interview beschreibt. Die Software (Musik) kostet nix und ist in entsprechenden Portalen downloadbar. Dienstleistungen (Livekonzerte) kosten und da verdient der Programmierer (Musiker) künftig sein Geld. Nicht mit dem Verkauf von Lizenzen (CDs). Verursacht wird das in beiden Fällen durch die Flut von Raubkopien. Diesen Effekt wird man nie mehr wirklich umkehren können.
Daher ja auch die Überlegung, den Mechanismus Geldscheffeln durch Kino-Konzerte wieder zu korrigieren. Also fürs Nixtun doch wieder Geld zu bekommen. Robbie Williams hat entsprechende Ankündigungen bereits getätigt und das mit seinem labilen psychischen Zustand erklärt. Ja klar. Blablabla. Michael Jackson war noch nicht richtig kalt, da lagen nicht nur die Pläne für seinen Film "This is it" (wie passend) auf dem Tisch sondern auch die Absicht der Industrie das Kino als künftiges Medium für die Musik zu nutzen um endlich ein Gegenmittel zu den schwindenden CD-Verkäufen in der Hand zu haben. Genau genommen hat wohl Jackson damit angefangen und die Industrie erst so richtig auf das Pferd gehoben. Das aber nicht ganz freiwillig nehme ich an. Williams ist lediglich der optimale Opener für so ein Konzept, eben weil er mit dem Statement kommen kann, dass seine Nerven nicht mehr so heile sind. Funktioniert der Kram aber und die Leute tragen ihre Ohren und ihr Geld ins Kino, wird es nicht lange dauern und der Rest hüpft ebenfalls auf den Karren.
In Zukunft wird sich der Musikmarkt wohl deutlich liberalisieren und öffnen. Und das kommt uns hier zu Gute. All denen, die Musik machen, in der Hoffnung ein entsprechend großes Publikum ansprechen zu können und Geld damit zu verdienen um sich ausschließlich dem Thema Musik widmen zu können. Dann werden die Unterhaltungsbosse auf die Onlinezahlen von einschlägigen Musik und Artistenbörsen achten und sich dort die künftigen Events holen.
Nix mehr Demotapes an Verlage schicken und darauf hoffen, dass es sich jemand anhört, der an dem Tag nicht nur gut drauf ist sondern vielleicht in der Nacht zuvor auch noch ausreichend Sex hatte.
Das Publikum kann wesentlich selbständiger entscheiden a) was es hören möchte b) wie oft es etwas hören möchte und c) ob es die Musik gut findet oder sich von einer Massenhysterie oder Modeerscheinung anstecken zu lassen, die durch die Werbemaschinerie der Unterhaltungsindustrie injiziert wurde.
Natürlich wird auch hier Marketing eine große Rolle spielen, wenn es darum geht einen Titel einer breiten Masse bekannt zu machen. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass sich die etablierte Industrie Mittel und Wege einfallen lassen wird, hier die Führungsrolle und die Kontrolle zu behalten. Aber es wird deutlich mehr Einfluss durch den Musiker und seine Zuhörer ausgeübt werden, als das bislang der Fall ist.
Nischenmärkte können besser bedient werden, einfach weil die teils recht grobe Selektion durch die Industrie entfällt. Schützen wird es uns vor Bohlen & Co nicht, denn der Massengeschmack wird bleiben, was er im allgemeinen immer war: Tumb! Ergo werden die einfach gestrickten Sachen wohl weiterhin auch sehr erfolgreich bleiben.
Wir müssen allerdings aktiv daran mitarbeiten Einfluss zu gewinnen. Lassen wir uns gehen und sehen das gleichgültig wird die Industrie gewinnen. Denn denen ist das alles andere als egal! Ist so ähnlich wie mit dem Klimaschutz. Da sind in allererster Linie wir gefragt. Nicht die Politik oder die Industrie. Die bewegen sich nämlich nur, wenn sie dadurch entweder mehr Geld einnehmen, Geld sparen oder ihnen die Kunden bzw. Wähler weglaufen. Zweitens reagieren sie sicher nicht im Sinne der Musiker und den Konsumenten sondern einzig zu ihrem Vorteil.
Im Zusammenhang dazu möchte ich noch erwähnen, gibt es sowieso deutliche Anzeichen dafür, dass wir Menschen mehr und mehr Staatssysteme gesellschaftspolitisch zu Volksdemokratien wandeln werden. Sprich: das Volk regiert sich durch Abstimmungen selbst. Das Internet bietet die technische Basis. Das ist natürlich der ultimative Alptraum für jeden pseudodemokratischen, machtgeilen Politiker und auch für so ziemlich jede Industrie. Das ist allerdings ein ganz anderes Thema. Aber auch nicht uninteressant
Hoffen wir einfach das Beste
Wie immer kein kleiner Beitrag sondern ein ausgewachsener Artikel. Sorry dafür. Hoffe das Lesen hat euch trotzdem ein wenig unterhalten und zum Nachdenken animiert.
Grüße Mike