So, lasst mich mal rein, ich bin Arzt. Nunja, nee, aber ich spiele Open Tunings, richtig oft und dauerhaft und nicht "nur mal so". Fühle mich berufen, hier mal etwas Ordnung reinzubringen:
Ein Open G erlaubt es halt, einen Akkord mit einem Finger zu spielen. Die offenen Saiten sind G, wenn man ein C will dann ist das ein 1-Finger-Barree am 5, Bund, D ist am 7... usw usw. DAS ist schonmal einfach, viel einfacher als klassisches Akkordspiel. Und hinter diesem einen Finger kann man dann noch mit 1-2 Fingern noch Verzierungen in Richtung 7 oder 9 draufsetzen, oder eben gleich noch nen anderen Akkord draus machen. Auch das ist einfach.
Open Tunings leben davon, dass man einfach "irgendwie" in die Saiten hauen kann, und es klingt "richtig". Man kann sehr gut rotzig spielen und es klingt trotzdem, weil ja "in sich" immer stimmig. Im Sinne von Keith also durchaus ergonomisches Spiel! Und weil es einfach geht und schnell gut klingt, hat man auch mal fix ein neues Riff im Kasten ohne dass man gross greifen und denken und sortieren muss.
Wenn man eins tiefer einsteigt - bei Keith kommen gerne mal offene Saiten vor, die ja nun auch wieder anders klingen als gegriffene. Gutes Beispiel ist Brown Sugar - der Erste Akkord im Chorus ist ein "alle Saiten offen" G, und auch danach im Lick/Riff kommt noch mal die "null" vor. Das rumst wirklich fein. Sowas geht halt im Standard-Tuning bei einem Dur-Akkord quasi nicht... und auch genau deshalb ist so ein Stück nicht "authentisch" im Standard-Tuning nachzuspielen. Es klingt einfach immer anders - man muss kontrollierter rangehen, mehr abdämpfen, "besser"/sauberer spielen und sofort ist man in einem anderen musikalischen Territorium. Gilt ebenso und insbesondere so beim Slide-Spiel.
(Ich sage nicht, dass man nicht auch im Standard-Tuning geile Riffs spielen kann - das beweisen ja z.B. auch AC/DC oder ZZ Top und Co. - aber es gibt halt einen besonderen Charakter beim Open Tuning)
(Gegenbeispiel von mir selbst: mir war total unverständlich, dass "La Grange" von ZZ Top nicht in Open A sein sollte, wo das doch quasi ein John Lee Hooker Song ist, und ich dachte das geht nur in Open A... aber anderes Thema).
(Um die Kurve wieder zu kriegen: bei den Black Crowes ist auch Rich Robinson auf vielen klassischen Songs in Open G, das hört man raus, und hier ist der spielerische Ansatz auch ähnlich wie bei Keith - und auch hier sind die Songs z.T. in Standard Tuning nicht wirklich authentisch nachspielbar).
Andererseits... hat Mr Richard ja sowohl vorher als auch nachher durchaus passable Songs/Licks/Riffs im Standard-Tuning geschrieben, also ist das keine 1-zu-1-Verbindung. Open G ist aber in der Tat eine durchaus andere Welt, was Gitarrenspiel angeht, es klappt (fast) nix mehr von dem, was man sonst so gelernt hat. Dafür klingt's eben auch anders und macht Vieles einfacher. Open G Tuning ist halt "eigentlich" auch ein Banjo Tuning, deswegen klingt's immer irgendwie nach Roots/Blues/Country.
Aber Vorsicht - Anderes wird schwerer bis unmöglich! Dur und Dur7 geht bestens, auch mit bisschen sus kann man spielen, aber ein simples Moll ist schon mal idiotisch schwer bis "klingt nicht". Wenn die ganze Gitarre auf G-Dur gestimmt ist, dann ist diese doofe Moll-Terz halt echt nicht zu kriegen! (Aus dem Open D/E hat man dann fix mal ein Open D/E Minor Tuning gemacht, wenn man z.B. diverse Songs von Skip James oder Bukka White spielen will). Open Tunings mit Moll geht halt nur bedingt. Und ueberhaupt, wenn es um Vierklänge geht, ist's auch absolut vorbei mit irgendwelchen Vorteilen, oft ganz im Gegenteil. Klingt nicht, nicht greifbar, nicht sinnvoll, irgendwie oft wirklich nur Krampf.
Auch spannende Solo-Arbeit ... naja, die gelernten Licks klappen nicht, und spannende Laeufe usw. muss man halt neu lernen und sie werden tendenziell dann doof - weil eben alles auf den offenen Dur-Akkord hin optimiert ist und nicht auf flexible "Greifbarkeit". Gibt schon auch einen Grund, warum es wenig richtig geile Gitarrensoli in Open G gibt (ein paar gibt's in Open D, gerade mit Slide, z.B. Duane Allman ... aber da "stimmt" eben auch der Intervall der beiden hohen Saiten).
Zur fehlenden 5. Saite - die ist in der Tat grenzwertig bis unnötig. Du spielst in G, das G hast du 2 Mal am Start, und das D hast du sogar 3 Mal ... auf das ganz unten kann man getrost verzichten, der Bass sitzt ja eh beim untersten G (... 5th String, "A-Saite"). Und gerade wenn noch die Band mit am Start ist, sollte man sich als Gitarrist eh da drunten raushalten. Komme wieder zurück zu oben: Die fehlende tiefe Saite erlaubt nochmal mehr "rotziges" Spiel, man muss hier nix abdämpfen. Einfach druff und gut is'.
Wer mal reinschnuppern will - gerade "Brown Sugar" ist in Open G echt nicht anspruchsvoll, macht schnell Laune, und man hat viele der klassischen Keith-Richards-Techniken und Akkorde in einem Song zusammen. Kann ich nur empfehlen, erweitert den Horizont und macht Freude.