Vom Logischen her dürfte es eigentlich nur eine Einstellung geben - die Mitte der schwingenden Saite muss als Flageolett den gleichen Ton ergeben wie die Saite am 12. Bund gegriffen. Oder anders ausgedrückt - damit der Ton im 12. Bund gegriffen genau eine Oktav über dem Ton der leeren Saite ist, muss das 12. Bundstäbchen haargenau in der Mitte zwischen Sattel und Steg sein. Das Flageolett funktioniert eh nur genau in der Mitte der Saitenlänge. Ist diese Mitte nicht über dem Bundstäbchen sondern etwas näher am Sattel, muss der Saitenreiter nach hinten - so lange, bis das Flageolett genau über dem Stäbchen ist. Und natürlich andersrum, wenn zu nah am Steg dann Saitenreiter nach vorne
Da lese ich ja merkwürdige Sachen. Ein exaktes Ergebnis kann diese Vorgehensweise schon deshalb nicht liefern, weil das Oktav-Flageolett über einige Millimeter hinweg erzeugt werden kann. Tatsächlich liegt bei korrekter Oktaveinstellung der Schwingungsknoten des Flageoletts gerade nicht exakt über dem 12. Bundstäbchen. Umgekehrt darf das Bundstäbchen gerade
nicht exakt in der Mitte zwischen Sattel und Steg (in dem Fall Saitenreiter) sitzen. Da es etwas unpraktisch wäre, die Bünde pro Saite zu verschieben, muss man dafür eben den Saitenreiter individuell verschieben.
Wenn die Oktavverstellung quasi nur dazu dienen sollte, die Mitte der Saite zu finden, würde ich lieber nicht hören wollen, wie die Akkorde auf einer so "eingestellten" Gitarre klingen. Im Übrigen erklärt das weder, warum die Einstellung für jede Saite eine andere ist (obwohl der Sattel doch eine gerade Linie bildet), noch den Umstand, dass man die Reiter anders einstellen muss, wenn man die Saitenstärke wechselt.
Richtig ist: Oktavrein ist eine Gitarre dann, wenn der Flageolett-Ton über dem 12. Bund exakt die gleiche Tonhöhe hat wie der gegriffene Ton im gleichen Bund. Das kann man mit etwas Erfahrung und einem guten Gehör ganz ordentlich hinbekommen, mit einem guten Stimmgerät wird es aber in der Regel exakter. Die genaue Einstellung ist dabei vor allem von der Steifigkeit der Saite abhängig, aber zB auch ein wenig von der Saitenlage.
Was die eingangs bemühte Logik betrifft, so gälte diese allenfalls für eine theoretische Idealsaite, die zwischen zwei Auflagepunkten in einer exakten Sinusform schwingt. Dann bräuchte man nämlich gar keine Oktavkompensation, und der Sattel, alle Bünde und Saitenreiter bildeten jeweils parallele, gerade Linien.
Nur gibt es diese Idealsaite eben nicht. Vielmehr verformt sich die Saite ungleichmäßig. Je dicker die Saite ist, desto weiter entfernt sich der Punkt, an dem der Schwingungsbauch real beginnt, vom Auflagepunkt. Wenn Du die E-Saite anschlägst und dann nur ein, zwei Millimeter vor dem Saitenreiter berührst, kannst Du sie kaum abdämpfen - weil sie an der Stelle so gut wie gar nicht schwingt. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Beim gegriffenen Ton ist der nicht schwingende Anteil der Saite im Verhältnis zur Gesamtlänge höher als beim Flageolett. Der Bereich der Saite zwischen Bund und Saitenreiter muss also verlängert werden, damit der real erzeugte Ton wieder der gleiche ist.
Gruß, bagotrix