Ich hab klassische Gitarre studiert, allerdings nur auf Lehramt.
Da waren die Ansprüche vollkommen anders, als in einem künstlerischen Studium.
Ganz generell:
Das Niveau wird sehr hoch sein und ob man die Aufnahmeprüfung besteht, hängt vermutlich genauso viel davon ab, wieviele Leute sich auf die wenigen verfügbaren Plätze bewerben, als wie gut man selbst spielt.
Ich kenne Leute, die haben z.B. an der Folkwang studiert, wo dann teilweise 30-40 Bewerber auf einen Studienplatz kommen.
Ohne dir Angst machen zu wollen: je nachdem wo du hin willst, wirst du da schon extrem gut performen müssen, um Chancen zu haben.
Die Idee einen Professor zu fragen ist allerdings erstmal genau die Richtige. Der kann live viel mehr Dinge beurteilen, als wir hier per Ferndiagnose über ein Online-Forum.
Von Haltung, Ausstrahlung, Technik, Virtuosität über Interpretation etc..
Es geht darum, wie du dich dort präsentierst. Es kann auch gut sein, dass er nach 30 Sekunden sagt "Danke, das wird nix". Geh da offen ohne Vorbehalte hin, aber hab im Hinterkopf: Die Professoren sind alles super Leute mit viel Erfahrung. Die werden sicherlich häufig um solche Einschätzungen gebeten und können dir halbwegs realistisches Feedback geben.
Was mich etwas skeptisch macht, ist, dass schon dein Lehrer negativ eingestellt ist. Man kann nun schnell, wie das einige hier machen, den Lehrer verteufeln, aber das ist jemand, der deine Fähigkeiten gut einschätzen kann. Und der vielleicht auch weiß, wie das entsprechende Niveau an der Hochschule ist. Ein Lehrer ist nunmal nicht immer nur jemand, der motivieren soll, sondern auch jemand der realistische Einschätzungen geben muss. Es wäre eher fatal, wenn er dir da vorgaukelt, dass du das schon irgendwie schaffst und dann verschwendest du 2 Jahre deines Lebens für die Aufnahmeprüfung und hast dann immer noch keine Chance. Von daher würde ich da erstmal mit nicht so unheimlich hohen Erwartungen hingehen.
Freu dich, wenn der Professor dich positiv bestärkt, aber rechne erstmal zumindest mit einem "da müssen sie noch einiges Üben".
Zu den Stücken und dem Niveau:
Bei der Folkwang findet sich z.B. dies hier:
_________
Gitarren-Hauptfachprüfung
Dauer der Prüfung: bis zu 20 Min.
Vorzubereitendes Programm: 20 - 25 Minuten, mehrere Stücken aus vorzugsweise drei verschiedenen Zeitepochen, entsprechend dem Leistungsstand des Bewerbers im Schwierigkeitsgrad folgender Beispielkomplexe:
- Spanische Vihuelawerke (Milán, Narváez, Mudarra u.a.)
oder J. Dowland – eine Fantasie oder vergleichbare Lautenwerke
oder G. A. Brescianello, F. Corbetta, R. de Visée, G. Sanz, F. Guerau, S. L. Weiss
oder J. S. Bach – aus den Werken für Laute, Violine, Cello
- b) Ein Werk des 19. Jahrhunderts (Sonatensatz, Variationen o.ä.)
- c) Eine Originalkomposition, die nach 1950 entstanden ist.
- d) Mind. eine Etüde etwa des Schwierigkeitsgrades der folgenden Werke: F. Sor, op. 31 Nr. 12, Nr. 10 oder op. 6 Nr. 7
L. Brouwer, aus Etüden 6-20
M. Giuliani, op. 48 Nr. 16, Nr. 2
Inhalt der Prüfung: die Kommission wählt unmittelbar vor der Prüfung (Teil-)Werke des vorbereiteten Programms zum Vorspiel (möglichst auswendig) aus, ein Blattspiel- Stück
__________
Das ist jetzt vom Schwierigkeitsgrad her nicht umbedingt extrem viel höher als das, was du schon gespielt hast. Möglicherweise etwas umfangreicher als du es gewohnt bist.
20 Minuten am Stück zu spielen klingt erstmal nicht nach so viel, aber ist relativ anstrengend, wenn man ein gewisses Niveau dabei halten möchte.
Die Sache ist aber: Reine technische Schwierigkeit ist das letzte worüber du dir Gedanken machen solltest. Es geht um 90% um die Interpretation, um das Verständnis und dann 10% um die technische Umsetzung.
Es wird einfach vorausgesetzt, dass du technisch grundsätzlich kein Problem damit hast, solche Stücke zu spielen.
D.h., wenn du bisher den Großteil deiner Übezeit darauf verwendet hast die Noten zu lernen und nachzuspielen, dann ist das nicht der Anspruch, der da gestellt wird. Das ist die Basis.
Du solltest 20% der Übezeit für ein Stück in die grundsätzliche technische Umsetzung stecken und dann 80% in die Interpretation.
Wenn da steht "möglichst auswendig", dann ist das so gemeint, dass sie eigentlich erwarten, dass da niemand hinkommt und nach Noten spielt.
Mal als Beispiel für Verständnis und Interpretation eines Stückes, weil ich die Bach-Interpretationen von Jason Vieaux sehr mag und er coole Erklärvideos dafür auf Youtube hat:
Mit solchen Dingen solltest du dich den Großteil deiner Übezeit beschäftigen:
Wirklich über die Stücke nachdenken, Melodieführung, Puls, Dynamik, Zeit, Klang, Phrasierung, etc
Hier noch zwei Beispiele, weil du das Stück auch spielst:
Zwei sehr unterschiedliche Interpretationen von Capriccio Arabe.
Die erste ist technisch weitgehend korrekt, die Töne haben die korrekte Länge etc, aber so fein das auch gespielt ist: der Herr hat viele Dinge an dem Stück einfach nicht verstanden und seine Interpretation ist eher im weit unteren Bereich anzusiedeln.
Im Grunde steht er an dem Punkt, den ich oben erwähnt habe (20% grundsätzliche technische Umsetzung), an dem man anfangen kann das Stück ernsthaft zu üben.
Hingegen Kandidat Nummer zwei hat fast jede Kleinigkeit des Stückes durchdacht. Es ist eigentlich ein Präsentationsvideo für den Klang verschiedener Gitarren, aber meine Lieblingsinterpretation des Stückes.
Hör das einfach mal im Vergleich:
Um das nochmal an einem Knackpunkt festzumachen, der leicht zu verstehen und erklären ist:
Im ersten Video, der Lauf ab 3:17, im zweiten Video ab 2:52.
Video 1: Alle Töne gleich laut und mit gleichem Klang (alle mit Zeige- und Mittelfinger angeschlagen), das Tempo bleibt konstant. Es wirkt wie ein Zwischenteil, der mit dem anschließenden Teil nichts zu tun hat. Am Ende des Laufes kommt ein harter Bruch in den letzten Ton des Laufes, das A, zusammen mit dem begleitenden Basston. Abgehakt, zwei Teil separat.
Video 2: eklatante Unterschiede:
- er spielt nicht alle Töne gleich: die ersten drei Töne spielt er mit dem Daumen, marcato, lauter als die anderen, wie einen Anlauf, dann wechselt er zu i-m-Wechselschlag und auf der hohen E-Saite schlägt er das F an, slidet dann zum F# und macht Hammer-Ons auf G und G# um dann das A wieder anzuschlagen. Wieso macht er sich solche Mühe? Es ist ein Klangbogen von hart nach weich: Am Anfang vom harten Daumen bis hin zu weichen Hammer-Ons. Gleichzeitig ist es ein Bogen von abgehackt (marcato) zu legato am Ende. Das alles bereitet den letzten Ton vor, als klares Ziel des Laufes. Jeder weiß, dass er da aufhören will.
- gleichzeitig stellt er diesem Bogen einen Kontrast entgegen: Er verändert das Tempo: Er wird zwischenzeitlich ein wenig schneller, um dann am Ende im legato-Teil extrem zu verzögern. Er verzögert so weit, dass der Zielton (das A) eigentlich nicht mehr korrekt im Tempo sitzt. Es ist zu spät. Der begleitenden Basston erklingt kurz vorher (und ist korrekt im Tempo), wodurch das A quasi als Nachschlag wirkt.
--> Was bewirkt das Ganze? Wir haben einen Lauf, mit einem Ziel, das angesteuert wird, aber gerade dann, wenn wir es eigentlich erwarten, kommt es gar nicht, sondern wird uns vorenthalten und erst nachgeliefert. Das ist ein absolutes Spannungsmoment, was da erzeugt wird. Gleichzeitig verbindet er hier auf extrem geschickte Weise den Lauf mit dem anschließenden Teil, weil sie quasi über das Tempo ineinandergehakt werden. Der Basston gehört schon zum neuen Teil, während das A des alten Teils noch nicht gespielt ist. Quasi zwei Abschnitte miteinander verwoben.
Und diese Prinzipien der Kontraste, von hart-weich, schnell-langsam, laut-leise, die Nachschläge und alles findet sich konstant im ganzen Stück wieder. Der Typ hat jede Kleinigkeit des Stückes genau durchdacht, seine Fingersätze angepasst, sich überlegt, wie er was interpretieren will etc. Und das Ergebnis ist äußerst kunstvoll. (und ungefähr 10x so schwierig zu spielen, wie die Version aus dem ersten Video...).
Aber darum geht es.
Man muss das Stück nicht so spielen wie Dylla. Es gibt eine Menge andere Interpretationen, die genauso ihre Berechtigung haben. Aber man sollte eine Idee und eine Vorstellung des Stückes haben und präsentieren. Das wollen die Prüfer sehen.
Deswegen spielt der grundlegende Schwierigkeitsgrad kaum eine Rolle. Der Anspruch ist durch die jeweilige Interpretation eventuell viel viel höher als die Noten suggerieren.
Ich glaube der Mensch aus dem ersten Video würde nicht umbedingt eine Aufnahmeprüfung bestehen. (ist jetzt natürlich nur geraten) Einfach weil sein Spiel zeigt, dass er sich nicht sonderlich viel mit dem Stück auseinandergesetzt hat und den Gestus nicht verstanden hat. Es ist technisch ordentlich gespielt, aber nicht sonderlich künstlerisch interpretiert.
Und zumindest meine Prüfer haben kleine technische Unsauberkeiten (die bei der klassischen Gitarre nahezu Zwangsläufig bei 20 Minuten Vorspiel einfach mal passieren) immer leicht verziehen, wenn sie gemerkt haben, dass die Interpretation gut gedacht war.
Es mag auch sein, dass man in solch einer Prüfung auch mal über Interpretationen redet. Oft wollen die Prüfer auch den Menschen hinter der Gitarre etwas kennenlernen. (Manchmal gibt es dafür noch ein separates Gespräch) Und da macht es dann vermutlich guten Eindruck, wenn man ein wenig erzählen kann, was man sich gedacht hat. Aber sowas kommt dann letztlich auf die Prüfungskommision und die Gegebenheiten der jeweiligen Hochschule an.