George Russell - The Lydian Chromatic Concept und der modale Jazz.

@ Claus:

Danke für Deine Erläuterungen !

LG
Thomas
 
Danke, die diminished scales gehören natürlich zu den bekannten Verdächtigen.
Die muss man in der Tat lernen häufiger einzusetzen.
Diese Holdsworth-Musik mag ich allerdings nicht, da fehlt mir das Bluesige darin, ist halt Geschmacksache...
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
In gar keines. Ich erlaubte mir einen Witz, nichts sonst.
alles klar, ich stand mal wieder auf der Leitung.

Mit eher unbekannten Theorien muss man schon etwas vorsichtig sein. Um es mit einem Bild zu beschreiben,
man will was über Telekommunikation erfahren und merkt erst nach einigen Stunden, dass man nur Telefonbücher auswendig lernt...
:stars:
 
@Claus Danke für deinen erstklassigen Beitrag, die Zusammenfassung und die Links und Hinweise. Ich darf dich aktuell grade nicht bekeksen aber fühl dich bekekst ;)



Wenn ich mal trotz bruchstückhaften Wissen spekulieren darf:
Ich kann mir vorstellen, dass Russell's Ideen innerhalb des "progressiven Jazz" auch deshalb die Runde machten, weil sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort bekannt wurden.
Neuartige musikalische Systeme waren seit Jahrzehnten Arbeitsfeld verschiedener klassischer Komponisten.

Den fruchtbaren Boden bereitete für den Jazz die mit dem Bebop vollzogene empanzipatorische Wende weg von der tanzbaren "Unterhaltungsmusik" hin zur (nun offensichtlich) virtuosen Kunstform.
Bekanntlich konnten selbst professionelle "Jazzkritiker" erst einmal nicht folgen, als Charlie Parker und Kollegen ihrer Genialität Mitte der 40er Jahre freien Lauf ließen.

Das heißt du siehst meine These in Bezug auf die "legitimation als Kunstmusik" (in ermangelung einer besseren formulierung ) durchaus nicht als völlig abwegig an?

Abgesehen davon gebe ich Herrn Kissenbeck dahingehend recht, dass wohl in der etablierung dieses Skalen-Akkord Denkens ( oder zumindest der Einbringung dieses Denkens in den Jazz-Theorie-Diskurs ) dann Russel eigentliche Leistung bestand.


Typisch für jene Dekade nach Ende des zweiten Weltkriegs ist auch die Gründung des Berklee College, das sich zunächst Schillinger House of Music nannte und nicht etwa die Erforschung und Lehre der Popularmusik, sondern die mathematische Kompostionslehre des in den USA damals populären Joseph Schillinger zum Auftrag nahm.

Gruß Claus

Das ist ein interessanter Umstand, den ich auch gern noch näher verfolgen möchte. Immerhin gilt Berklee ja in seiner heutigen Form durchaus als eine der Institutionen deren Köpfe die heutie übliche Akkord-Skalen denkweise mitgeprägt haben, richtig?
Ich kann mich aber an einen anderen Thread erinnern in dem selbst Cudo den Schillinger als sehr schwer nachvollziehbar bezeichnet hat. Es geht aber ja auch vll weniger drum den komplett zu lesen sondern um die Theoriegeschichtlichen Zusammenhänge, mit der Entstehung von Institutionen und universitären Strukturen in Sachen Jazz.

Doch schon, aber ich wollte dich nicht ärgern. Weil: "Nix neues unter der Sonne". Die Bevorzugung der lydischen Skala ergibt sich schon daher, dass die Quintfortschreitung, vom Grundton ausgehend, nicht etwa Dur, sondern lydisch ergibt. Beethoven z.B, hegte in der Tonart C eine beträchtliche Abneigung gegen das f. Stattdessen wurde eindeutig, wenn immer möglich, das fis verwendet. Damit landet man automatisch bei lydisch, oder wie sonst erhält man in einer auf C aufbauenden Skala das fis ? Eben. Wenn man mal von lokrisch, dann aber als ges, absieht. (Lokrisch wurde in der Klassik/Romantik aber nie verwendet.) Wie macht man das in Moll? Man nimmt Lydisch vermindert. Wie hört sich das an? "Strange". Wie z.B. in Beethoven 7. Sinfonie, Satz 2.

Ja oder eben z.b. über die Doppeldominante. Das sich aus einer Quintschichtung lydisch und nicht Dur ergibt steht bei Russel quasi auf Seite 1 und ist die Grundlage der ganzen Überlegung. Da gibts es nichts womit du mich indem Zusammenhang ärgern könntest, wie auch? Verstehe also diesen Abschnitt nicht so ganz.






Beethoven muss über eine Akkord-Skalentheorie verfügt haben (sonst könnte man viele seiner Progressionen gar nicht analysieren)
Warum ?!? Da möchte ich vorsichtige Zweifel anmelden. Aber auch das führt wohl aus dem Thema raus


Vom Standpunkt der Romantik aus sind sowohl Kontrapunkt als auch Kadenz anachronistisch. Man nehme bei "Kadenz" die Teufelsmühle. Diese kann man funktional deuten - aber nicht mit Kadenzen. Übrigens kann man schon den übermäßigen Quintsextakkord (Italian, French, German) Sixth nicht mehr kadenziell deuten. Man kann ihn aber sehr wohl funktional deuten. Die Kadenz im Barock ist letztlich dem Klausel-Denken verhaftet. Typisches Klausel-Denken ist z.B. der obligat geforderte Quintfall.
Die übermäßigen Quintsextakkorde lassen sich durchaus aus der phrygischen Wendung kontrapunktisch herleiten. Viele der großen Romatik Komponisten (namentlich z.B. Chopin, Schumann, Mendelssohn) haben sich sehr intensiv mit Bach und kontrapunktischen Strukturen beschäftigt wodurch das durchaus nicht unbedingt nur anachronistisch ist. Das kommt doch letztlich auf das Stück und die Passage an, was bringt da eine generalisierung?

Abgesehen davon war das ein "Bild" um @FrankH zu erläutern warum das unter Umständen wichtig ist bzw. welcher Art mein Interesse in Bezug auf einen bestimmten Aspekt ist.
Das ganze führst also abermals ziemlich an der Fragestellung vorbei...


Kissenbeck selbst hat einen sehr starken Bezug zu lydisch-chromatischer Denkweise. Bei Kissenbeck funktioniert alles, das Schöne dabei: Es funktioniert nicht wegen, sondern trotz seiner Erklärungen.



Danke, ich werde da mal reinsehen.


Ich habe begonnen anhand von Kind of Blue die Solos zu analysieren und werde versuchen dass ganze auch nach Russels Methode zu machen und dann gegenüber zu stellen um zu sehen ob da was brauchbares bei rumkommt. Wenn ich ernsthafte Ergebnisse erkenne, teile ich Sie mit...

lieben Dank an alle Diskutierenden... :)


grüße B.B.
 
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Ich habe begonnen anhand von Kind of Blue die Solos zu analysieren und werde versuchen dass ganze auch nach Russels Methode zu machen und dann gegenüber zu stellen um zu sehen ob da was brauchbares bei rumkommt. Wenn ich ernsthafte Ergebnisse erkenne, teile ich Sie mit...
Da hast Du Dir ja einiges vorgenommen.

Du könntest vielleicht auch mal in das Buch "The making of kind of blue" von Eric Nisenson, 2001 schauen. Da geht es nicht direkt um Harmonielehre-Details.
Das ist so ein "wer, wann, was, mit wem und warum"-Buch. Darin gibt es ein Kapitel "The lydian Odyssey of George Russell". Sicher interessant für Dich.

und/oder noch so eines:
Kind of Blue: The making of the Miles Davis Masterpiece, Ashley Kahn, new. Ed. 2007

Grundsätzlich ist ja nicht gesagt, dass Solos, die einwandfrei mit der Russell-Methode erklärt werden können, auch mithilfe dieser zustande gekommen sind.
Deshalb wäre es vielleicht nicht schlecht in eines dieser Bücher zu schauen.
Auch das Giant Steps Solo von Coltrane lässt sich gut mit der Russell-Methode erklären, aber wahrscheinlich war das für Coltrane nicht ausschlaggebend.

Ich glaube Miles Davis war vielmehr von Russell beeinflusst wie John Coltrane, aber Coltrane war wiederum von Davis stark beeinflusst...
 
Die übermäßigen Quintsextakkorde lassen sich durchaus aus der phrygischen Wendung kontrapunktisch herleiten. Viele der großen Romatik Komponisten (namentlich z.B. Chopin, Schumann, Mendelssohn) haben sich sehr intensiv mit Bach und kontrapunktischen Strukturen beschäftigt wodurch das durchaus nicht unbedingt nur anachronistisch ist. Das kommt doch letztlich auf das Stück und die Passage an, was bringt da eine generalisierung?

Herleiten kann man die übermäßigen Quintsextakkorde aus dem phrygischen Wechsel schon, so sind diese auch historisch entstanden. Aber funktional sind diese Akkorde als alterierte II zu deuten; und deren Skala ist lydisch-dominant. Somit sind Bezüge zu deiner Fragestellung sehr wohl gegeben!

Warum ?!? Da möchte ich vorsichtige Zweifel anmelden. Aber auch das führt wohl aus dem Thema raus

Wie schade. Ich hätte dir ein Klangbeispiel nennen können, welches am besten mit einer lydischen Skala + M.I.-Akkord beschrieben werden kann, welches dann in einer lupenreinen lydisch-verminderten Skala mündet, welche zugleich als Modulation und Auflösung gehört werden kann. Mehr Skalentheorie - im Sinn eines überzeugenden Klangergebnisses - geht gar nicht. Aber zeitlich ist das am Ende des 18. Jahrhunderts, und du hast wohl mehr nach der Zeit nach Russel gefragt. Sei's drum.
 
Da hast Du Dir ja einiges vorgenommen.

Du könntest vielleicht auch mal in das Buch "The making of kind of blue" von Eric Nisenson, 2001 schauen. Da geht es nicht direkt um Harmonielehre-Details.
Das ist so ein "wer, wann, was, mit wem und warum"-Buch. Darin gibt es ein Kapitel "The lydian Odyssey of George Russell". Sicher interessant für Dich.

und/oder noch so eines:
Kind of Blue: The making of the Miles Davis Masterpiece, Ashley Kahn, new. Ed. 2007

Grundsätzlich ist ja nicht gesagt, dass Solos, die einwandfrei mit der Russell-Methode erklärt werden können, auch mithilfe dieser zustande gekommen sind.
Deshalb wäre es vielleicht nicht schlecht in eines dieser Bücher zu schauen.
Auch das Giant Steps Solo von Coltrane lässt sich gut mit der Russell-Methode erklären, aber wahrscheinlich war das für Coltrane nicht ausschlaggebend.

Ich glaube Miles Davis war vielmehr von Russell beeinflusst wie John Coltrane, aber Coltrane war wiederum von Davis stark beeinflusst...

Danke für die Hinweise. Das Buch von Ashley Kahn habe ich schon mittels Register nach Russel durchsuch, da findet sich wiederum wenig konkretes und Aufschlussreiches. Ich werde mal sehen ob ich das andere in einer Bibliothek finden kann.

Grundsätzlich ist das nicht gesagt, das stimmt, und das stimmt leider für fast alle Musikanalyse-Konzepte. Man muss sich wohl auch leider von dieser verlockenden Idee verabschieden einen Denkweg "beweisen" zu können. Aber einen Einfluss nach verfolgen sollte man doch durchaus können.

Herleiten kann man die übermäßigen Quintsextakkorde aus dem phrygischen Wechsel schon, so sind diese auch historisch entstanden. Aber funktional sind diese Akkorde als alterierte II zu deuten; und deren Skala ist lydisch-dominant. Somit sind Bezüge zu deiner Fragestellung sehr wohl gegeben!
Ja da hast du nicht ganz unrecht. Aber der Punkt ist der: Die Skala heißt Mixo#11 oder Lydisch Dominant, was ja das selbe ist. Das ist ja ein Problen: beides mal haben wir ein gleiches Ergebnis aber einen andere Referenzpunkt, richtig? Das ist mit einigen Skalen die Russel vorschlägt so. Deswegen kann ich aber noch keine Aussage über die Denkweise des Spielers machen. Zweitens konstruiert man Mixo#11 in dem Zusammenhang klassischerweise über den Bezug zurTonart des Stücks oder,über die#11, zum Grundton der ersetzten Dominate ( nach funktionstheoretischer Deutung) . Ansich aber schon ein Interessanter Fall, da ja Alteriert einen noch engeren Tonartbezug hätte...

Der Punkt ist aber auch der: Bringen wir hier nicht 2 Denkweisen durcheinander. Das obige Beispiel ist ja ein funktionsharmonisches und keine Modales. Wenn Russel auf dem Level der "Vertical Tonal Gravity", wie er es nennt, einen Septakkord sieht spielt er sein Skalenmaterial von der b7 aus, weil das die "Lydian Tonic" dieses Akkords ist. Ob das notwendigerweise voraussetzt das der Septakkord als statische Modale Fläche auftritt habe ich selbst noch nicht ganz begriffen. Auf jeden Fall bekommst du dann wenn du Lydian Dominant von der b7 aus spielst in unserer gängigen Denkweise Mixolydischb13 oder MM5.

So ich ihn richtig verstanden habe....
@Claus bitte um kritsche Durchsicht

Wie schade. Ich hätte dir ein Klangbeispiel nennen können, welches am besten mit einer lydischen Skala + M.I.-Akkord beschrieben werden kann, welches dann in einer lupenreinen lydisch-verminderten Skala mündet, welche zugleich als Modulation und Auflösung gehört werden kann. Mehr Skalentheorie - im Sinn eines überzeugenden Klangergebnisses - geht gar nicht. Aber zeitlich ist das am Ende des 18. Jahrhunderts, und du hast wohl mehr nach der Zeit nach Russel gefragt. Sei's drum.

Na dann, warum nicht. Ich bitte darum.... :) Ich wollte nur vermeiden das wir abdriften, no offense.

einen schöne Fußballabend an diejenigen die es verfolgen.

liebe grüße B.B.
 
Ich kann deinen Gedankengängen zwar zustimmend folgen, habe allerdings das Original von Russell nie gelesen bzw. erarbeitet, lesen reicht da wahrscheinlich nicht.

Wenn Russel auf dem Level der "Vertical Tonal Gravity", wie er es nennt, einen Septakkord sieht spielt er sein Skalenmaterial von der b7 aus,...
Genau, wegen der Tritonus-Fixierung von Russells System.
Das führt dann aber auch zu einem Problem, wenn Russell einen Eb7 Akkord ab der b7 mit der "Auxiliary Diminished Blues" skalar formuliert, wobei ihm der Akkordgrundton abhanden kommt und sowohl b7 wie auch maj7 zur Tonleiter gehören.
Sehr frei zitiert nach Kissenbeck, der sich auf Russells Ausgabe des Lydian Chromatic Concept von 1959 bezieht.
Von mir konkret formuliert erhält man unter Beachtung aller Vorgaben: Db D E F G Ab Bb B Db für Eb7.

Gruß Claus
 
Hei, Alle!
Russels Theorie ist mir natürlich dem Namen nach schon seit vielen Jahren ein Begriff, das Buch (Vol.I) selber ist mir aber erst jetzt in die Hände gefallen.
Grade durchgeackert, bin am üben wie ein Bekloppter, ob´s was bringt, wird sich erst erweisen; jedenfalls: viele neue Aspekte für mich.
Nun aber meine Frage: weiss irgendjemand hier, wie man an die folgenden Bände kommt? Weder als Kopie, noch im Buchladen, nicht bei Amazon, nirgends zu finden;
Hat irgendjemand Bd. II und III?
 
Gib es nicht....

Die Erstauflage ist von 1953, weitere auflagen gibt es von 1959, 1964 und 2001.

Die Erstauflage habe ich absolut nirgends in Europa gefunden. Die von 1959 konnte ich zumindest per Fernleihe bestellen. Die von 2001 dürfte die sein, die du hast...die kenne ich auch.

Die Auflage von 1959 ist wesentlich kürzer, prägnanter und verständlicher geschrieben. Die würde ich eher empfehlen. Die von 2001 ist schon in vielerlei Hinsicht stark überarbeitet und hat eine Menge zustäzlicher Erweiterungen, Analysebeispiele und, leider bei Russell, esoterisches Geplänkel das nicht wirklich zum Verständnis beiträgt.....

Die Auflage von 2001 trägt als einzige den "Volume I" Zusatz. Soweit ich informiert bin wurde Volume II nie fertig gestellt, bzw nie veröffentlicht/verlegt. Russell ist ja auch 2009 dann verstorben.
Selbst die Auflage von 2001 kann man aktuell, glaube ich, nicht käuflich erwerben....

Einige Ausgaben stehen aber doch in den Universitätsbibliotheken verteilt

Ich habe mich damit in der Zwischenzeit länger beschäftigt, eher aus musikwissenschaftlichem Interesse heraus, und muss sagen: In der Praxis bringt das keine neue Erkenntnis. Es dauert ziemlich lange bis man da durch ist... Letztlich ist aber alles was Russell in dem Buch vorschlägt von der Jazztheorie, insbesondere der Akkord/Skalen-Theorie, adaptiert worden und an heute übliche, allgemein verständliche Begrifflichkeiten angepasst worden.

Ob jetzt Russell der "Erfinder" des Akkord-Skalen-Ansatzes ist, kann ich auch nicht sicher sagen, es deuten aber ein paar Dinge darauf hin, dass sein Einfluss auf die heutige Jazztheorie so kelin gar nicht ist....

Nur wesentlich neues Skalenmaterial wirst du im LCC nicht finden, wenn dann vll eher einen etwas anderen "Approach". Ich für mich fand die Beschäftigung mit dem Buch aus Musikpraktischer Sicht nicht gewinnbringend. Letztlich kannte ich alle vorhandenen Skalen bereits unter eine anderen Namen.

Wenn es dich interessiert, kann ich vll ein Video dazu machen. Das ganze ist schriftlich schwer zu erklären. Was spielst du für ein Instrument ?
Könnte aber eine Woche dauern, bin zurzeit leider recht beschäftigt....

grüße B.B.
 
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