Da hast du natürlich Recht und es spricht nichts dagegen, eine Veränderung bzw. etwas Neues anstreben zu wollen. Es steht jedem frei, einfach drauf los zu arbeiten und dann zu gucken, ob es gefällt. Es gibt in Genres außerhalb der Klassik Massen an Musikern, die kaum Noten lesen oder Ahnung von Theorie haben und großartige Songs geschrieben haben.
Zu Schönberg und co möchte ich sagen, dass die Zwölftonmusik als zwingende Weiterentwicklung der Musik gesehen wurde. Diese Komponisten hatten durchaus Ahnung von Kontrapunkt und Harmonielehre und haben sie, nachdem sie sie studiert haben, bewusst durchbrochen und dies auch begründet getan. Gerade die Zwölftonmusik ist kein Produkt von spontaner Idee, sondern von wissenschaftlicher Überlegung und Überzeugung.
Es stellt sich aus deinem Beitrag für mich die Frage, wozu man komponieren möchte:
a) Verkäuflichkeit: Wer Geld verdienen will (z.B. durch Musik für Werbung oder Filme), ist gezwungen, sich an der Meinung der Masse zu orientieren. Da wäre der Ansatz, sich beliebte Werke hörend oder durch theoretische Analyse zu erschließen und ähnliches zu probieren. Da unsere Filmmusik (das fällt mir beim Thema epische Orchestermusik ein) auf der europäischen "klassischen" Musik basiert, ist das Aneignen von Kenntnissen dieser Musik mit Sicherheit hilfreich. Kenntnisse anderer Stile (Jazz, Rock, Pop, etc.) können dann zu einem eigenen Stil führen. Wichtigstes Argument für gute Komposition in diesem Fall: Die Masse muss es mögen und es muss eine gewisse Variabilität in Bezug auf Zweck und Zielgruppe vorhanden sein.
b) Kunst: Kunst ist ein höchst abstrakter Begriff, den man ewig diskutieren kann. Von John Cage gibt es den schönen Satz: "If you open a door and you celebrate it, it's art" (Wenn du das Öffnen einer Tür zelebrierst, ist es Kunst). Auch die kleinsten, alltäglichsten Kompositionen, auch die abstraktesten und einfachsten Geräusche können Kunst sein, wenn man sie als solche behandelt. Dementsprechend nimm ernst, was du schreibst. Werte es nicht ab, nur weil es noch "zu schlecht" ist.
Um deiner Kunst eine Daseinsberechtigung gegenüber anderen zu geben, musst du sie selbstbewusst vertreten können. Dabei kann es wieder hilfreich sein, sich mit anderen Stilen auseinandergesetzt zu haben. Zum Beispiel mal einen Ausschnitt aus Wikipedia zum Reqiuem von Jenkins (ein Werk von 2005):
"Das Requiem weist insgesamt 13 Sätze auf (in der japanischen Kultur eine göttliche Zahl, der besonderer Segen zuteilwird) und zeichnet sich besonders dadurch aus, dass einige Textelemente des üblichen lateinischen Requiemtextes ersetzt werden durch japanische Haiku-Gesänge bzw. mit diesen kombiniert werden. Es enthält auch die (wie auch schon von Gabriel Fauré und Maurice Duruflé in ihre Requiems eingefügten bzw. hervorgehobenen) Sätze Pie Jesu und In paradisum. " https://de.wikipedia.org/wiki/Requiem_(Jenkins)
Der Komponist wird sich hier mit Sicherheit mit der Tradition des Requiems auskennen, sich mit japanischer Musik, Lyrik und Totenkult auseinandergesetzt haben, sowie sich mit den verschiedenen europäischen Musikstilen auskennen. Und daraus erschafft er in der Mischung seinen ganz eigenen Stil, den er aber begründen kann. Solch eine musikwissenschaftlich basierte Beschreibung der eigenen Musik macht gegenüber Konsumenten mehr Eindruck als "Ich finde das schön. mir doch egal, wie du es findest."
c) Scheiß auf andere: Auch diese Einstellung hat ihre Berechtigung: Natürlich kann man nur für sich selbst komponieren, sich ohne Regeln einen eigenen Weg suchen und Vorblder verschmähen. Und wenn man ein Genie ist oder ganz viel Glück hat, dann wird man damit berühmt und die Leute werden es lieben. Die meisten Künstler bewegen sich aber in einer Weiterentwicklung oder dem Willen, einen Kontrast zu schaffen zu dem, was es gerade gibt. Aber versuchen aus dem Nichts einen ganz neuen Stil zu schaffen, kann man allemal. Vielleicht ist das auch mal ein guter Weg, wenn man sich zu nah an anderen Künstlern fühlt und ausbrechen will. Hauptsache, man zelebriert seine eigene Kunst.
d) Eigenen Stil finden: Der "eigene Stil" ist so etwas wie das Schlachtwort schlechthin. Er soll etwas außergewöhnliches sein, wiedererkennbar für die Fans und demonstrieren, dass man sich selbst treu ist. Der eigene Stil ist Musik, die man selbst liebt. Um Musik so schreiben zu können, wie man sie liebt, muss man aber zunächst Erfahrungen sammeln. Was macht die Musik aus, die man liebt? Wo gibt es vielleicht in anderen Stilen auch Elemente, die man mit einbinden möchte? Wie schreibe ich das auf, was ich mir vorstelle? Welche Möglichkeiten zur Instrumentierung gibt es (vllt mal Orchester mit Band kombinieren oder ganz etwas neues schaffen?). Aufgabe ist es, immer näher an das ranzukommen, was man für perfekt hält. Das ist ein langer Weg, weil er sehr viel Wissen und technische Fähigkeiten benötigt. Dieses Wissen muss nicht unbedingt klassische Harmonielehre sein, man kann auch ohne tonales Zentrum und oder sogar nur mit Geräuschen arbeiten, aber für eine "qualitative" Arbeit ist immer ein gewisses Wissen nötig, was man sich aneignen muss. Und warum da nicht auf das zurückgreifen, was andere schon mal rausgefunden haben? Es muss ja nicht jeder das Rad neu erfinden...
Für mich sind die Wege zum Komponieren:
Entweder, man beschäftigt sich mit dem, was es schon gibt und entwickelt es weiter oder man bricht die Regeln bewusst auf oder man ist ein Genie und schafft aus dem Nichts etwas ganz Neues und Wunderbares.
es sind große Traeume von mir, die mangels Kraetivitaet fast unmoeglich sind.
Große Träume sind etwas tolles und man sollte sie nicht aufgeben, nur weil andere sagen, dass man sie eh nicht erreicht. Was hindert eine sechsjährige Klavierschülerin daran, von einer großen Bühne in New York zu träumen, einem schönen Kleid und tausenden Menschen, die ihr zujubeln? Die Gedanken motivieren doch, warum sollte man sie sich verbieten?
An mangelnde Kreativität glaube übrigens ich nicht. Kreativität wird von den meisten Menschen überschätzt. Um kreativ zu sein, musst du nichts neues erschaffen, sondern alte Sachen miteinander verbinden und daraus Neues erschaffen. Nimm ein Blatt, schreibe deinen Lieblingsmusikstil auf, zwei Instrumente, die ein Solo bekommen sollen, einen Gegenstand, den du gerade siehst, zwei Emotionen und eine Tempoangabe. Jetzt musst du das ganze nur in ein Musikstück bringen und schon hast du etwas ganz Besonderes und Einzigartiges geschaffen. Die Probleme, auf die du triffst, sind eher die technischen, weil es nicht immer einfach ist, alles sinnvoll zu verbinden, aber die Kreativität sollte nicht das Problem sein. Und die Möglichkeiten, Verbindungen zu schaffen ergeben sich, je mehr man schon kennt. Ein kreativer Moment ist nämlich der, wo der Kopf zwei Sachen, die er kennt neu verknüpft.
Herzliche Grüße,
Annino