Soulagent79
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[Gitarre] Epiphone Les Paul SL - die 99€ Paula!
Worum geht's?
In den letzten Jahren sind günstige Gitarren auch bei erfahreneren Spielern auf gewisse Weise hip geworden. Nicht umsonst ist das Netz mittlerweile voll von Reviews und Diskussionen über Harley Bentons, J&Ds, Slicks und wie sie alle heißen. Da diese Instrumente immer aufwändiger produziert werden und insgesamt ein anständiges Qualitätslevel halten, ist der Hype darum dementsprechend groß. Berühmtestes Beispiel ist wohl die Anfang 2017 auf den Markt gekommene Squier Bullet Mustang, die für knapp 120€ zu haben ist. Das ist eine Gitarre, wie man sie eigentlich nicht im Preissegment für Anfänger vermuten würde, dennoch hat sie über Nacht Kultstatus erreicht und ich vermute, dass die Verkaufszahlen dementsprechend gut sind.
Das Besondere daran ist, dass sich hier erstmals ein namhafter Hersteller wie Fender/Squier an solch ein Projekt unter dem Motto „cheap but sexy“ wagt. Mit der Epiphone Les Paul SL haben wir nun das genau Gegenstück zu eben jener Squier von der Konkurrenz aus dem Hause Gibson/Epiphone vorliegen:
Ein Les Paul-artige Billigstgitarre, die aufgrund des gestylten und individuellen Outfits aber nicht nur von Anfängern gekauft werden möchte.
Die skurrile Optik mit dem ausladenden Pickguard, den strattigen Single Coils und der zweckmäßigen Wraparound-Bridge, erinnern an die günstigen amerikanischen Kauf- und Versandhausgitarren der 60er Jahre: Danelectro, Silvertone, Harmony und Konsorten lassen grüßen.
Alles Vintage-Marken, die, mit etwas gutem Willen, bestenfalls im unteren Mittelfeld der Qualitätsskala anzuordnen sind. Spielbar mit Abstrichen, klanglich Lichtjahre von den großen Vorbildern entfernt, aber dafür mit ganz viel Mojo und nostalgischem Charme, der heute auch immer noch bei anspruchsvolleren Gitarristen seinen Anklang findet.
Ich selber kann mich dem auch kaum entziehen – die SL sieht einfach klasse aus! Ich sehe alte Schülerbands vor mir, die dem Beat und Garagenrock der 60er frönen und munter vor sich hinschrammeln, auf Instrumenten, die letztes Jahr unter ihrem Weihnachtsbaum lagen.
Technisches...
Obwohl Epiphone diese Gitarre als Les Paul bezeichnet, hat sie mit selbigem Modell nicht viel gemein. Eher mit einer Les Paul Junior oder einer Melody Maker, viel mehr allerdings noch mit einer Telecaster, wenn man von der Form einmal absieht.
Der Korpus besteht aus Pappel, der verschraubte Hals aus Ahorn bzw. Mahagoni (man findet dazu unterschiedlich Angaben) und das Griffbrett aus Palisander. Optisch wirkt das Palisander leicht gräulich und ungewöhnlich schwach gemasert. Ob CITES II hier schon zugeschlagen hat und es sich um ein ähnliches Ausweichmaterial handelt? Laut Seriennummer wurde mein Exemplar im Mai 2017 gefertigt, es könnte also tatsächlich so sein, mir macht es nichts aus.
Für die Klangübertragung sorgen zwei Single Coils im Fender-Stil, deren Weicheisen-Polepieces von unten mit Keramikmagneten magnetisiert werden. Also genau so, wie man es von sehr vielen Low- und Lowest-Budget Gitarren kennt. Für die Klangregelung sorgen ein Volume- und ein Tone-Poti, welche mit einem handelsüblichen Toggle-Switch und der Ausgangbuchse verbunden sind. Die beiden Potis haben interessanterweise keine Strat-Knöpfe, obwohl sie von weitem so aussehen, sondern man erkennt bei genauerer Betrachtung, dass es sich hierbei um eine Art Mischung aus Tophat- und Witchhat-Knöpfen handelt, die ich vorher so noch nie gesehen habe. Immerhin setzen sie damit einen kleinen Akzent, abseits des üblichen Asia-Baukastens. Ähnlich interessant und individuell ist die Saitenführung: Anstatt der klassischen Gibson-artigen Kombination aus TOM-Bridge und Tailpiece, kommt hier eine Wraparound-Bridge zum Einsatz, die quasi Bridge und Tailpiece in einem ist. Diese Konstruktion kennt man bei Gibson unter anderem von der SG Special der 60er Jahre und der Les Paul Junior, insgesamt ist sie aber doch eher selten und man findet sie traditionell bei preisgünstigeren Gitarrenmodellen vergangener Zeiten, immerhin werden dadurch ein paar Bauteile eingespart. Soundtechnisch wird dieser Art von Bridge zugeschrieben, dass sie der Gitarre bissige Direktheit verleiht – das mag stimmen oder nicht.
Die Mechaniken der SL stammen vom unteren Ende der Preis- und Qualitätsskala. Es kommen die berühmt-berüchtigten, gekapselten Tuner mit ihren aufgesteckten Hülsen zum Einsatz. Diese findet man heutzutage immer seltener. Selbst Billigmarken wie Harley Benton & Co. Haben größtenteils verstanden, dass man mit dauergeschmierten, versiegelten Mechaniken die jeweilige Gitarre spürbar aufwertet. Auch die Konkurrenz von Fender/Squier ist hier um einiges voraus, denn die Squier Bullet kommt mit Mechaniken aus der besseren Kategorie.
Der Hals der SL hat ein Slim Taper 60’s Profil und das Griffbrett ist mit seinem 12er Radius Gibson-typisch flach, was ihn auch für kleinere Hände gut greifbar macht.
Der Paintjob ist rundum gut ausgeführt, das leuchtende hellblau erinnert an die Dupont-Finishes der 50er und 60er. Ich persönlich assoziiere damit alte Cadillacs und wohlwollenden Retro-Charme von allerlei Gebrauchsgegenständen aus dieser Zeit. Das weiße, geschwungene Pickguard unterstreicht diesen Eindruck. Das Teil ist schon verdammt groovy, baby!
Praxis...
‚Out of the box‘ macht die Gitarre einen ordentlichen Eindruck. Sie ist sogar recht gut eingestellt – Halskrümmung, Saitenlage, keine vergammelten Saiten. Nicht schlecht! Der erste Dämpfer kommt allerdings, als ich sie zum ersten Mal auf den Schoß nehme, um sie anzuspielen. In diesem Moment fällt leider die Punkteinlage am fünfzehnten Bund aus dem Griffbrett auf den Boden. Als ich die Stelle genauer inspiziere, sehe ich, dass in der für den Dot gefrästen Fassung noch die eine Hälfte einer offenbar zerbrochenen Punkteinlage steckt und jemand lediglich eine Art Kappe aus Pearloid darauf gesteckt hat, um den Schaden zu kaschieren, anstatt einen komplett neuen Dot einzusetzen. Diese kleine Kappe ist es, die eben wieder aus der Fassung gefallen ist. Ich klebe sie mit etwas Holzleim wieder drauf, das sollte halten. So etwas habe ich allerdings noch nie erlebt. Bei der Produktion muss es offenbar so schnell zur Sache gehen, dass keine Zeit für große Ausbesserungen vorhanden ist.
Machen wir uns also nichts vor: Wir haben hier eine sehr billige Gitarre vor uns und so spielt sie sich auch. Die Enden der Bundstäbchen sind nicht scharf, aber deutlich spürbar, das Griffbrett färbt beim ersten Gebrauch die Fingerspitzen schwarz, die Bundstäbchen sind stellenweise nicht gut abgerichtet, so dass ich am siebzehnten Bund mit der Bundfeile etwas nacharbeiten musste. Die Tuner halten die Stimmung mehr schlecht als recht, sie laufen ungleichmäßig und sind schwergängig. Will man nachstimmen, merkt man immer erst einen kleinen Ruck, sobald man an einer Mechanik dreht – und Nachstimmen muss man leider alle fünf Minuten. Eventuell liegt die schwache Stimmstabilität auch an der billigen Plastiknut, mit ihrer Standard-Kerbung.
Der Trussrod lässt sich zunächst nicht bewegen. Das Gewinde steckt fest, wie einbetoniert. Ich will nicht zu viel Kraft dafür aufwenden und sprühe etwas WD-40 als Schmiermittel in die Öffnung. Nach ein paar Minuten Einwirkzeit bewegt er sich dann doch.
Unter der Schraubenmutter, die die Kabelbuchse auf dem Pickguard fixiert, lugt ein kleines Stück Alufolie heraus. Hier hat wohl jemand aus Versehen ein Stück des Shieldings von der Unterseite des Schlagbretts mit eingeschraubt. Hey, aber immerhin gibt es ein Shielding!
Diese Mankos mache die Gitarre natürlich nicht unspielbar, ein Anfänger würde sie gar nicht sonderlich stark bemerken, aber trotzdem will ich sie nicht unerwähnt lassen, weil es natürlich den Gesamteindruck schmälert.
Die Pickups sind recht outputstark, klingen schwül-warm, mittenlastig und wenig definiert. Eine klare Saitentrennung ist auch bei cleanem Amp nicht vorhanden. Man muss schon mit extremem EQing alles unter 500hz wegschneiden, um mehr Brillanz zu erzeugen. Für eine Gitarre mit Garagenrock-Ambitionen geht das allerdings voll in Ordnung und der Klang ist natürlich auch immer Geschmackssache. Technisch sind die Pickups von ordentlicher Qualität. Die Spulen sind gewachst, es tritt keine Mikrofonie auf, selbst, wenn man die Pickups mit dem Plektrum kräftig antippt, kracht es nicht im Amp. Sie sind sogar unterschiedlich gewickelt, so dass in der Mittelstellung jegliche Brummgeräusche eliminiert werden. Da gibt es eigentlich nichts zu meckern.
Obwohl die Single Coils vom Marketing als „Einspuler-Version“ der soundso Keramik-Humbucker angepriesen werden ist klar, dass hier Epiphone wohl auf Standard OEM-PUs aus der Teilekiste zurückgegriffen hat, die nicht extra auf die Gitarre abgestimmt sind. Das kann man allerdings bei einem Preis von 100€ wohl auch nicht erwarten.
Sehr erfreulich ist übrigens das geringe Gewicht der SL! Auf der Badezimmerwaage bringt sie es auf genau 2,5 KG. Dabei ist sie etwas kopflastig, hängt am Körper wie eine SG, aber es hält sich im Rahmen.
Insgesamt spielt sich die SL ähnlich wie eine Tele. Der Pappel-Korpus und die Schraubhalskonstruktion sind dafür verantwortlich. Macht euch allerdings keine großen Illusionen:
Das ist hier natürlich billiges Holz, welches nichts weiter als Konstruktionsmaterial ist. Hier schwingt und resoniert nichts großartig. Aber immerhin Echtholz, kein MDF, kein Schichtholz oder Kunststoff (wie z.B. bei den alten Danelectros).
Das Herstellungsland ist China, der Epiphone Factory-Code ist 13. Leider ist es bisher noch niemandem gelungen, herauszubekommen, welches Werk sich hinter dieser Nummer verbirgt.
Fazit:
Das Resümee ist leicht zu ziehen. Wir haben hier eigentlich eine der absoluten Anfänger-Paulas vor uns, die Epiphone im Prinzip schon seit vielen Jahren im Programm hat, allerdings in neuem, außergewöhnlichem Gewandt – und an dieser Stelle wird sie auch für fortgeschrittene Gitarristen interessant. Trotz der qualitativen Mängel und offensichtlichen Schwächen, muss man sagen, dass die SL tierisch geil aussieht und eine gute Grundlage für Upgrades bietet, wenn man bereit ist, ein bisschen an ihr zu arbeiten. Das Konzept, hier im untersten Preissegment etwas Außergewöhnliches zu bieten, geht in dieser Hinsicht voll auf!
Ich bin mir sicher, dass der geneigte Modder mit hochwertigen Upgrades an der SL noch einiges verbessern kann. Sie kostet ja auch nicht viel und steckt man denselben Betrag nochmal in zwei bessere Pickups und hochwertigere Mechaniken, hat man eine ausgefallene Spaßgitarre, die sehr originell ist.
Das Zeug zum Kultobjekt hat die SL sowieso – man denke beispielsweise an die Squier 51, die Mitte der 2000er in eine ähnliche Kerbe schlug und mittlerweile eine richtige Fangemeinde hat, wodurch die Preise für die alten Modelle spürbar in die Höhe gehen. Würde Epiphone die Produktion der SL in ein paar Monaten wieder einstellen, könnte ihr ein ähnliches Schicksal wie der Squier 51 bevorstehen.
Also, wenn ihr von ein wenig Bastelarbeit nicht abgeneigt seid, dann kauft das Teil!
Soundbeispiele:
Ich gehe jeweils mit jedem Soundbeispiel alle drei Pickup-Positionen durch, also immer Steg, Steg und Hals, Hals.
Beispiel 1: Clean
Beispiel 2: Overdrive
Beispiel 3: Distorion
Beispiel 4: Distortion
https://soundcloud.com/jaybee1979/epiphone-sl-demo
Das Rig: Laney Cub 8 Vollröhre, mit diversen Pedalen über SM57 ins Pult und Interface.
Worum geht's?
In den letzten Jahren sind günstige Gitarren auch bei erfahreneren Spielern auf gewisse Weise hip geworden. Nicht umsonst ist das Netz mittlerweile voll von Reviews und Diskussionen über Harley Bentons, J&Ds, Slicks und wie sie alle heißen. Da diese Instrumente immer aufwändiger produziert werden und insgesamt ein anständiges Qualitätslevel halten, ist der Hype darum dementsprechend groß. Berühmtestes Beispiel ist wohl die Anfang 2017 auf den Markt gekommene Squier Bullet Mustang, die für knapp 120€ zu haben ist. Das ist eine Gitarre, wie man sie eigentlich nicht im Preissegment für Anfänger vermuten würde, dennoch hat sie über Nacht Kultstatus erreicht und ich vermute, dass die Verkaufszahlen dementsprechend gut sind.
Das Besondere daran ist, dass sich hier erstmals ein namhafter Hersteller wie Fender/Squier an solch ein Projekt unter dem Motto „cheap but sexy“ wagt. Mit der Epiphone Les Paul SL haben wir nun das genau Gegenstück zu eben jener Squier von der Konkurrenz aus dem Hause Gibson/Epiphone vorliegen:
Ein Les Paul-artige Billigstgitarre, die aufgrund des gestylten und individuellen Outfits aber nicht nur von Anfängern gekauft werden möchte.
Die skurrile Optik mit dem ausladenden Pickguard, den strattigen Single Coils und der zweckmäßigen Wraparound-Bridge, erinnern an die günstigen amerikanischen Kauf- und Versandhausgitarren der 60er Jahre: Danelectro, Silvertone, Harmony und Konsorten lassen grüßen.
Alles Vintage-Marken, die, mit etwas gutem Willen, bestenfalls im unteren Mittelfeld der Qualitätsskala anzuordnen sind. Spielbar mit Abstrichen, klanglich Lichtjahre von den großen Vorbildern entfernt, aber dafür mit ganz viel Mojo und nostalgischem Charme, der heute auch immer noch bei anspruchsvolleren Gitarristen seinen Anklang findet.
Ich selber kann mich dem auch kaum entziehen – die SL sieht einfach klasse aus! Ich sehe alte Schülerbands vor mir, die dem Beat und Garagenrock der 60er frönen und munter vor sich hinschrammeln, auf Instrumenten, die letztes Jahr unter ihrem Weihnachtsbaum lagen.
Technisches...
Obwohl Epiphone diese Gitarre als Les Paul bezeichnet, hat sie mit selbigem Modell nicht viel gemein. Eher mit einer Les Paul Junior oder einer Melody Maker, viel mehr allerdings noch mit einer Telecaster, wenn man von der Form einmal absieht.
Der Korpus besteht aus Pappel, der verschraubte Hals aus Ahorn bzw. Mahagoni (man findet dazu unterschiedlich Angaben) und das Griffbrett aus Palisander. Optisch wirkt das Palisander leicht gräulich und ungewöhnlich schwach gemasert. Ob CITES II hier schon zugeschlagen hat und es sich um ein ähnliches Ausweichmaterial handelt? Laut Seriennummer wurde mein Exemplar im Mai 2017 gefertigt, es könnte also tatsächlich so sein, mir macht es nichts aus.
Für die Klangübertragung sorgen zwei Single Coils im Fender-Stil, deren Weicheisen-Polepieces von unten mit Keramikmagneten magnetisiert werden. Also genau so, wie man es von sehr vielen Low- und Lowest-Budget Gitarren kennt. Für die Klangregelung sorgen ein Volume- und ein Tone-Poti, welche mit einem handelsüblichen Toggle-Switch und der Ausgangbuchse verbunden sind. Die beiden Potis haben interessanterweise keine Strat-Knöpfe, obwohl sie von weitem so aussehen, sondern man erkennt bei genauerer Betrachtung, dass es sich hierbei um eine Art Mischung aus Tophat- und Witchhat-Knöpfen handelt, die ich vorher so noch nie gesehen habe. Immerhin setzen sie damit einen kleinen Akzent, abseits des üblichen Asia-Baukastens. Ähnlich interessant und individuell ist die Saitenführung: Anstatt der klassischen Gibson-artigen Kombination aus TOM-Bridge und Tailpiece, kommt hier eine Wraparound-Bridge zum Einsatz, die quasi Bridge und Tailpiece in einem ist. Diese Konstruktion kennt man bei Gibson unter anderem von der SG Special der 60er Jahre und der Les Paul Junior, insgesamt ist sie aber doch eher selten und man findet sie traditionell bei preisgünstigeren Gitarrenmodellen vergangener Zeiten, immerhin werden dadurch ein paar Bauteile eingespart. Soundtechnisch wird dieser Art von Bridge zugeschrieben, dass sie der Gitarre bissige Direktheit verleiht – das mag stimmen oder nicht.
Die Mechaniken der SL stammen vom unteren Ende der Preis- und Qualitätsskala. Es kommen die berühmt-berüchtigten, gekapselten Tuner mit ihren aufgesteckten Hülsen zum Einsatz. Diese findet man heutzutage immer seltener. Selbst Billigmarken wie Harley Benton & Co. Haben größtenteils verstanden, dass man mit dauergeschmierten, versiegelten Mechaniken die jeweilige Gitarre spürbar aufwertet. Auch die Konkurrenz von Fender/Squier ist hier um einiges voraus, denn die Squier Bullet kommt mit Mechaniken aus der besseren Kategorie.
Der Hals der SL hat ein Slim Taper 60’s Profil und das Griffbrett ist mit seinem 12er Radius Gibson-typisch flach, was ihn auch für kleinere Hände gut greifbar macht.
Der Paintjob ist rundum gut ausgeführt, das leuchtende hellblau erinnert an die Dupont-Finishes der 50er und 60er. Ich persönlich assoziiere damit alte Cadillacs und wohlwollenden Retro-Charme von allerlei Gebrauchsgegenständen aus dieser Zeit. Das weiße, geschwungene Pickguard unterstreicht diesen Eindruck. Das Teil ist schon verdammt groovy, baby!
Praxis...
‚Out of the box‘ macht die Gitarre einen ordentlichen Eindruck. Sie ist sogar recht gut eingestellt – Halskrümmung, Saitenlage, keine vergammelten Saiten. Nicht schlecht! Der erste Dämpfer kommt allerdings, als ich sie zum ersten Mal auf den Schoß nehme, um sie anzuspielen. In diesem Moment fällt leider die Punkteinlage am fünfzehnten Bund aus dem Griffbrett auf den Boden. Als ich die Stelle genauer inspiziere, sehe ich, dass in der für den Dot gefrästen Fassung noch die eine Hälfte einer offenbar zerbrochenen Punkteinlage steckt und jemand lediglich eine Art Kappe aus Pearloid darauf gesteckt hat, um den Schaden zu kaschieren, anstatt einen komplett neuen Dot einzusetzen. Diese kleine Kappe ist es, die eben wieder aus der Fassung gefallen ist. Ich klebe sie mit etwas Holzleim wieder drauf, das sollte halten. So etwas habe ich allerdings noch nie erlebt. Bei der Produktion muss es offenbar so schnell zur Sache gehen, dass keine Zeit für große Ausbesserungen vorhanden ist.
Machen wir uns also nichts vor: Wir haben hier eine sehr billige Gitarre vor uns und so spielt sie sich auch. Die Enden der Bundstäbchen sind nicht scharf, aber deutlich spürbar, das Griffbrett färbt beim ersten Gebrauch die Fingerspitzen schwarz, die Bundstäbchen sind stellenweise nicht gut abgerichtet, so dass ich am siebzehnten Bund mit der Bundfeile etwas nacharbeiten musste. Die Tuner halten die Stimmung mehr schlecht als recht, sie laufen ungleichmäßig und sind schwergängig. Will man nachstimmen, merkt man immer erst einen kleinen Ruck, sobald man an einer Mechanik dreht – und Nachstimmen muss man leider alle fünf Minuten. Eventuell liegt die schwache Stimmstabilität auch an der billigen Plastiknut, mit ihrer Standard-Kerbung.
Der Trussrod lässt sich zunächst nicht bewegen. Das Gewinde steckt fest, wie einbetoniert. Ich will nicht zu viel Kraft dafür aufwenden und sprühe etwas WD-40 als Schmiermittel in die Öffnung. Nach ein paar Minuten Einwirkzeit bewegt er sich dann doch.
Unter der Schraubenmutter, die die Kabelbuchse auf dem Pickguard fixiert, lugt ein kleines Stück Alufolie heraus. Hier hat wohl jemand aus Versehen ein Stück des Shieldings von der Unterseite des Schlagbretts mit eingeschraubt. Hey, aber immerhin gibt es ein Shielding!
Diese Mankos mache die Gitarre natürlich nicht unspielbar, ein Anfänger würde sie gar nicht sonderlich stark bemerken, aber trotzdem will ich sie nicht unerwähnt lassen, weil es natürlich den Gesamteindruck schmälert.
Die Pickups sind recht outputstark, klingen schwül-warm, mittenlastig und wenig definiert. Eine klare Saitentrennung ist auch bei cleanem Amp nicht vorhanden. Man muss schon mit extremem EQing alles unter 500hz wegschneiden, um mehr Brillanz zu erzeugen. Für eine Gitarre mit Garagenrock-Ambitionen geht das allerdings voll in Ordnung und der Klang ist natürlich auch immer Geschmackssache. Technisch sind die Pickups von ordentlicher Qualität. Die Spulen sind gewachst, es tritt keine Mikrofonie auf, selbst, wenn man die Pickups mit dem Plektrum kräftig antippt, kracht es nicht im Amp. Sie sind sogar unterschiedlich gewickelt, so dass in der Mittelstellung jegliche Brummgeräusche eliminiert werden. Da gibt es eigentlich nichts zu meckern.
Obwohl die Single Coils vom Marketing als „Einspuler-Version“ der soundso Keramik-Humbucker angepriesen werden ist klar, dass hier Epiphone wohl auf Standard OEM-PUs aus der Teilekiste zurückgegriffen hat, die nicht extra auf die Gitarre abgestimmt sind. Das kann man allerdings bei einem Preis von 100€ wohl auch nicht erwarten.
Sehr erfreulich ist übrigens das geringe Gewicht der SL! Auf der Badezimmerwaage bringt sie es auf genau 2,5 KG. Dabei ist sie etwas kopflastig, hängt am Körper wie eine SG, aber es hält sich im Rahmen.
Insgesamt spielt sich die SL ähnlich wie eine Tele. Der Pappel-Korpus und die Schraubhalskonstruktion sind dafür verantwortlich. Macht euch allerdings keine großen Illusionen:
Das ist hier natürlich billiges Holz, welches nichts weiter als Konstruktionsmaterial ist. Hier schwingt und resoniert nichts großartig. Aber immerhin Echtholz, kein MDF, kein Schichtholz oder Kunststoff (wie z.B. bei den alten Danelectros).
Das Herstellungsland ist China, der Epiphone Factory-Code ist 13. Leider ist es bisher noch niemandem gelungen, herauszubekommen, welches Werk sich hinter dieser Nummer verbirgt.
Fazit:
Das Resümee ist leicht zu ziehen. Wir haben hier eigentlich eine der absoluten Anfänger-Paulas vor uns, die Epiphone im Prinzip schon seit vielen Jahren im Programm hat, allerdings in neuem, außergewöhnlichem Gewandt – und an dieser Stelle wird sie auch für fortgeschrittene Gitarristen interessant. Trotz der qualitativen Mängel und offensichtlichen Schwächen, muss man sagen, dass die SL tierisch geil aussieht und eine gute Grundlage für Upgrades bietet, wenn man bereit ist, ein bisschen an ihr zu arbeiten. Das Konzept, hier im untersten Preissegment etwas Außergewöhnliches zu bieten, geht in dieser Hinsicht voll auf!
Ich bin mir sicher, dass der geneigte Modder mit hochwertigen Upgrades an der SL noch einiges verbessern kann. Sie kostet ja auch nicht viel und steckt man denselben Betrag nochmal in zwei bessere Pickups und hochwertigere Mechaniken, hat man eine ausgefallene Spaßgitarre, die sehr originell ist.
Das Zeug zum Kultobjekt hat die SL sowieso – man denke beispielsweise an die Squier 51, die Mitte der 2000er in eine ähnliche Kerbe schlug und mittlerweile eine richtige Fangemeinde hat, wodurch die Preise für die alten Modelle spürbar in die Höhe gehen. Würde Epiphone die Produktion der SL in ein paar Monaten wieder einstellen, könnte ihr ein ähnliches Schicksal wie der Squier 51 bevorstehen.
Also, wenn ihr von ein wenig Bastelarbeit nicht abgeneigt seid, dann kauft das Teil!
Soundbeispiele:
Ich gehe jeweils mit jedem Soundbeispiel alle drei Pickup-Positionen durch, also immer Steg, Steg und Hals, Hals.
Beispiel 1: Clean
Beispiel 2: Overdrive
Beispiel 3: Distorion
Beispiel 4: Distortion
https://soundcloud.com/jaybee1979/epiphone-sl-demo
Das Rig: Laney Cub 8 Vollröhre, mit diversen Pedalen über SM57 ins Pult und Interface.
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