Die Frage ans Forum wäre, ist das gerechtfertigt? Kann der "alte" Nord Lead 2 mehr als der Korg und klingt besser? Wobei mir die Frage nach Klang bei synthetischen Instrumenten immer noch ein Rätsel ist.
Weit verbreitete Attitüde in der Synthesizer-Szene: So, wie der Minimoog der bestklingende Analogsynthesizer aller Zeiten ist, sind die Nord Leads – und zwar alle – die bestklingenden VAs aller Zeiten. Es hieß lange und heißt manchmal heute noch, daß die ganzen anderen Synths ihre Effektsektionen auch brauchen, weil sie sonst einfach langweilig klingen, und die Nords alle ohne Effekte viel geiler klingen.
Daß das hochgradig subjektiv ist, muß ich wohl nicht groß erwähnen.
Hab mir die anderen Synths auch nochmal angeschaut. Der Fusion hat ja VA-Synthese, FM und auch Physical Modeling. Ist der nur aufgrund des Image schlecht oder warum so wenig vertreten?
Zunächst mal ist es das Image. Viele trauen dem Ding immer noch nicht über den Weg.
Dann ist es die Ergonomie. Das Teil war damals unter den Workstations das mit Abstand größte Featuremonster, hat aber nicht unbedingt mehr Bedienelemente als Triton, Motif & Co. Im Gegenteil. Ich meine, mit der Fusion hat Alesis im Grunde das Workstation-Nirwana erreicht: eine Maschine, mit der man in the box ganze Produktionen bis hin zum Downmix der Audiospuren machen kann, wenn nicht gar auch gleich das Mastering. Können kann man schon, aber mit der Oberfläche bricht man sich einen ab.
Letzten Endes hat die Fusion zumindest im muckerrelevanten samplebasierten Preset-Bereich ab Werk ziemlich zweifelhafte Sounds; ein Grund mehr, warum die Fusion als in der Band unbrauchbar galt. Das hat sich dank Hollow Sun und Klaus Schulze geändert, aber bei einer Gebrauchtfusion müssen deren Sounds schon dabei sein, nachträglich kriegt man sie meines Wissens nicht mehr.
Die Elektronikfrickelfraktion kauft sich für gewöhnlich eh keine Workstations. Selbst als der Music Store Köln die 6HD für 777 Taler verschleudert hat und die 8HD für einen knappen Tausender, haben die das Geld eher in andere Sachen gesteckt. Da setzte man schon verschärft auf den PC, und im Club ist alles mit mehr als 37 Tasten eh zu groß.
Na ja, und wer heute eine Fusion hat, gibt sie nicht wieder her.
Also ne Kiste ohne Effektsektion kommt auch nicht in Frage. Der Virus hab ich schon dran gedacht, bietet der denn auch die Vorzüge des Korg oder eher ne reine "Schrauberkiste" für Fortgeschrittene?
Der Virus imitiert im Gegensatz zum King Korg keine Vintage-Synthesizer aus den 70er oder frühen 80er Jahren, sondern hat seinen eigenen Charakter. Manche sagen, du muß ihm den Techno/Trance mit Gewalt austreiben, weil er in diesen Genres überdurchschnittlich viel eingesetzt wurde. Das liegt auch an den Presets: Fast alles, was nicht von Rob Papen ist, ist Techno oder Trance oder mit ganz viel Glück "harmloser" House.
Gleichzeitig ist der Virus ein Parametergrab. Schon der b hat aberwitzige Möglichkeiten, aber die auf eine vollbeknopfte Oberfläche zu legen, ist aussichtslos, auf 19" Breite erst recht. Viele Untermenüs hat er nicht, die sind dafür um so länger. Beispielsweise die Modulationsmatrix: Zum einen hast du pro Modulationsslot eine Seite für die Quelle und für jedes Ziel, sofern eine Quelle angewählt wurde, eine Seite für die Zielanwahl und, sofern auch ein Ziel angewählt wurde, eine für die Intensität. Der b hat einen Slot mit einem Ziel, einen mit zwei, einen mit drei; der C hat einen mit einem, einen mit zwei und vier mit drei; ab dem TI gibt's meines Wissens sechs Slots mit drei Zielen. Zum anderen gibt es mehr Parameter im Virus, die Modulationsziele sein können, als solche, die keine sein können.
Der Virus ist so ein Synth, bei dem man schon genau wissen muß, was man machen will, und dann, wo man das findet. Du hast zwar schon viel auf der Oberfläche, aber daran, wie oft Access die umgepflügt hat, erkennt man, daß sie selbst vor der Parameterflut des Virus kapituliert haben – so einen Synth kriegst du nicht so übersichtlich wie einen Nord Lead oder Microbrute. Und was die Kiste wirklich kann, kannst du der Oberfläche nicht ablesen. Ohne Init-Patches wärst du beim Soundeigenbau verloren, weil du erst suchen müßtest, was bei welchem Sound so alles "an" ist, was du "aus" haben mußt. Bei Vocodersounds wärst du wiederum ohne Presets verloren, weil die Anleitung des Virus ausdrücklich davon abrät zu versuchen, Vocoderpatches from scratch zu bauen, weil zu kompliziert, und man lieber Presets umbauen sollte.
Daß er so flexibel ist, wie er ist, ist Fluch und Segen. Einerseits hat er eine ziemliche klangliche Bandbreite, man
kann ihm also Teile seines Charakters austreiben. Andererseits macht ihn das um so schwieriger zu bändigen. Ich hab gestern auf meinem b etwas vergleichsweise Simples gebaut, nämlich Simmons-Drums, und mich dabei ertappt, wie ich ständig zwischen vier, fünf Menüs rumgesprungen bin. Ich hab den Virus schon wirklich lange, hatte aber sogar einen "Ach, guck mal, das kann der auch"-Moment.
Für den ambitionierten Einsteiger könnte ein Virus tatsächlich was sein, wenn man sich mit der Materie beschäftigen will. Die wichtigsten Sachen liegen ja in Hardware zum Anfassen vor. Im Vergleich dazu muß man beim MicroKorg sich für alles durch die Matrix schalten. Dafür hat der MicroKorg zumindest die Matrix aufgedruckt, aus der hervorgeht, was das Ding so alles kann – beim Virus kratzt die Oberfläche gerade mal an der Oberfläche.
Wer fix und fertige Presets sucht, die Vintage-Synths von ca. 1970 bis 1985 emulieren, ist beim Virus falsch. Der hat nicht nur die Presets nicht, sondern auch nicht die Charakterverbiegemöglichkeiten wie emulierte Vintage-Filter. Auch die diversen Third-Party-Soundpakete, die es so gibt, orientieren sich eher in Richtung Gegenwart und Zukunft der EDM als in Richtung Moog, ARP, Polysix, Jupiter, Oberheim & Co. (wobei ich einige gar nicht mal schlechte Jarre-Sounds hab).
Martman