Zunächst mal ist es immer aktuell. Ich bin nicht darauf angewiesen, ständig mit Uralt-Installationen auszutauschen, außerdem kommt es auch schon mal vor, daß ein Linux-Distributor eine Tex Live-Version freezet, die Bugs in gewissen Paketen hat, und dann bleibt das so bis zum nächsten Distributions-Release.
Bei Zwei-Jahres-Releasezyklen, wie sie Debian Stable und Ubuntu LTS (Nicht-LTS gilt ja neuerdings als Bleeding Edge, höchstgradig instabil und nicht für die Produktivnutzung zu verwenden) verwenden, bringen es auch schon mal mit sich, daß man 2013 immer noch TeX Live 2009 hat, weil der TeX Live-Verantwortliche bei Debian neue TeX Live-Versionen entweder erst verspätet oder (im Falle von etwa TeX Live 2010) überhaupt nicht in Debian-Pakete verwandelt. Es ist an sich schwierig genug, etwas wie TeX Live in Pakete für eine Linux-Distribution zu verpacken, aber das ist dann eben der Nebeneffekt. Nun ist allerdings in den letzten vier Jahren eine ganze Menge passiert. Es gibt neue Möglichkeiten, schon ältere Sachen wie XeTeX haben sich deutlich weiterentwickelt. Ich sage nur
microtype mit XeTeX, das ist im Fluß, da soll noch einiges passieren, und da ist schon einiges passiert. Und vielleicht will man als LaTeX-Privatnutzer darauf nicht verzichten.
Weil ich LaTeX tatsächlich nur privat nutze und nicht im akademischen Bereich, wo ich darauf vorbereitet sein muß, auch mal auf irgendeiner Uni-LaTeX-Maschine auf ein TeX Live von Debian Oldstable oder noch älter zu treffen, weil keiner upgraden will ("Never change a running system"), kann ich es mir auch erlauben, ein aktuelles TeX Live zu fahren.
Gegenüber MiKTeX hat TeX Live Vorteile, wenn man - was man eigentich sollte, was aber laut einer Umfrage 95% der Privatnutzer nicht tun - Windows als eingeschränkter User verwendet. Bei MiKTeX stoßen zwei Probleme zusammen. Zum einen ist MiKTeX immer eine recht minimale Installation, die nur in Form von Einzelpaketen erweitert werden kann. TeX Live verwendet ganze Bundles und kann diese auch von vornherein vorinstallieren.
Wenn man jetzt als eingeschränkter User ein LaTeX-Dokument kompilieren will, das keine Minimalst-Präambel hat, sondern ein paar Pakete mit drin, die nicht in jeder Lehrbuch-LaTeX-Präambel stehen, geht's los:
- Das Frontend meldet, daß das Paket titlesec nicht installiert ist, und reicht das an MiKTeX weiter.
- MiKTeX lädt titlesec automatisch runter und versucht es zu installieren.
- MiKTeX kann titlesec nicht installieren, weil es als eingeschränkter User gestartet wurde.
- Der Benutzer muß den Paketmanager von MiKTeX händisch als Admin starten, titlesec händisch suchen und händisch installieren.
- Das kann sich pro Dokument auch mehrfach wiederholen. Man kann von vornherein die Präambel durchgehen, alle darin eingetragenen Pakete abchecken, ob sie installiert sind, und sie per Hand nachinstallieren, aber auch das ist ziemlich unbequem.
Wenn man TeX Live nicht gerade minimalst installiert hat, hat man
titlesec von vornherein dabei.
Jetzt wird natürlich die Puristenfraktion sich darüber echauffieren, daß ich LaTeX nicht schön vanilla fahre, immer die Computer Modern oder Latin Modern als Schrift nehme und auch sonst auf Frills verzichte, die nicht schon von Knuth und Lamport eingebaut wurden, weil man damit nur Probleme kriegt, wenn man das Dokument auf einer seit 16 Jahren nicht aktualisierten Kiste kompilieren will. Will ich aber gar nicht, ich will LaTeX ausreizen, und ich will schöne Dokumente.
Martman
