Tonale Zentren und Akkordprogessionen in Pop, Rock und Metal

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DreamTheater1928
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Hallo,

Ich mache jetzt mal meinen ersten Post hier :) Also ich habe mich in den letzten 12 Monaten viel mit Harmonielehre und Musiktheorie auseinander gesetzt und diverse Fachbücher zu Jazz und klassischen Harmonielehre gelesen. In den letzten Wochen habe ich versucht einige Pop und Rocksongs (auch wenn ich Popmusik zutiefst verabscheue:D) mit dem Gelernten zu analysieren. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Akkodordverbindungen oft gar keine Quintfälle besitzten und irgendwie kein klares tonales Zentrum aufweisen.

Beispielsweise die Strophe des Songs "Radioactive" hat folgende Akkorde :

Hm - D - A - E

Diese Progression besitzt keinen einzigen Quintfall, weshalb ich nicht wirklich herausarbeiten konnte in welcher Tonart dieser Song steht. Die verwendeten Akkorde könnten A-dur suggerieren, allerdings wird die Dominate (der E-Dur Akkord) ja nicht in die Tonika auf sondern zur Tonikaparallele Hm, also ein Trugschluss. Dann wird nach D-Dur gewechselt allerdings folgt keine Dominante um die Tonart zu bestätigen. Ist die Tonart nun trotzdem A-Dur? Denn ich höre nicht wirklich diesen typischen Dur-Charakter.

Ein weiteres Beispiel ist der Song Counting Stars von One Republic; Akkorde:

C#m - E - H - A

Ebenfalls keine Quintfälle und starke Ähnlichkeit mit dem vorherigen Beispiel. Wieder ein Moll-Akkord, drei Dur-Akkorde und wieder Die Tonika, Subdominate, Dominate und Tonikaparallele:gruebel:. Die Tonart könnte hier E-Dur sein aber auch hier löst sich die Dominate nicht in die Tonika auf sondern in die Subdominate A. Daraufhin folgt die Tonikaparallele C#m. Warum werden die Akkorde so angeordnet und nicht wie gewöhnlich mit der sich zur Tonika auflösenden Dominate?

Auch im Rock und Metal sind die Progressionen oft anders als man sie aus Jazz und Klassik kennt. In dieser Musik beschränkt man sich ja auf Power-Chords da gewöhnliche Moll und Durakkorde aufgrund der Dissonanz der Intervalle die mit viel Distortion nur noch nach Brei klingen :D. Häufige Progressionen ausgehend von einer Molltonika sind zum Beispiel I-VI-VII und I-III-VI-VII oder I-VII-VI. Auffällig ist hier, dass die Progressionen oft komplett auf Subdominante und Dominate verzichten und nur die Parallelen nutzen. Laut einigen von mir gelesenen Büchern braucht man in Moll allerdings einen künstlichen Leitton, den man erhält indem man die 7 Stufe um einen Halbtonschritt erhöht. Ansonsten bleibt man nicht in Moll sondern moduliert zur benachbarten Dur-Tonart. Aber die von mir genannten Progressionen haben in meinen Ohren allerdings trotz des Verzichts auf den Leitton den typischen Mollcharakter. Warum ist das so und warum werden Subdominante und Dominante nur selten benutzt?

Ich würde mich sehr freuen wenn jemand sich die Zeit nimmt und auf meine Fragen antwortet.

Gruß Julian
 
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Hallo DreamTheather1928!
Das erste Beispiel steht in A-Dur: II (hm)- IV (D)- I(A)- V(E). Das zweite Beispiel steht in E-Dur: VI (cis)-I (E)-V (H)-IV (A): Bei beiden Beispielen existieren die 3 Hauptstufen in Dur, sowie jeweils eine moll-Nebenstufe. Die leitereigenen Stufen können in beliebiger Reihenfolge miteinander kombiniert werden. Es giebt dabei keinerlei Gebote oder Verbote. Lediglich muß man in der klassischen Harmonielehre auf verbotene Quint- und Oktavparallelen achten, die im Rock-Popbereich unbedenklich sind.
MfG
habadawi
 
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Hi,

beide Stücke stehen in Moll-Tonart. Das erste in Bm und das zweite in C#m.
Bei beiden Songs aus dem gleichen Grund, nämlich dem Harmonischen Rhythmus. In beiden Songs kommt eine Dur-Stufe mit ihrer parallelen Mollstufe vor. Da beide Stufen von gleichlanger Dauer sind aber die parallele Mollstufe auf den unbedingt schwereren Takt des Zyklus fällt, heißt nun die Mollstufe Im und die darauffolgende Dur-Stufe bIII. Die Dur-Stufe wird zur Nebenstufe.
 
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Hallo,
Vielen Dank für eure Antworten! Hat mir wirklich sehr geholfen, denn mit dem harmonischen Rhytmus hatte ich mich noch nicwieauseinandergesetzt und, dass man dir Akkorde im Pop anordnen kann wie man möchte und nur auf sein Ohr vertrauen kann war mir auch nicht klar.
Gruss Julian
 
...heißt nun die Mollstufe Im und die darauffolgende Dur-Stufe bIII. Die Dur-Stufe wird zur Nebenstufe.

Hallo,

... wenn ich da eine Verständnis-Frage anschließen darf: die ganze Folge wäre dann als Im - bIII - IV(IV) - IV zu verstehen?

danke & lg
 
Hallo,

... wenn ich da eine Verständnis-Frage anschließen darf: die ganze Folge wäre dann als Im - bIII - IV(IV) - IV zu verstehen?

danke & lg

Das erste Stück:
Im bIII bVII IV


Das Zweite:
Im bIII bVII bVI
 
Ich hab eine Frage zu den Erklärungen.. die Schreibweise der Tonstufenbezeichnungen kenn ich, nur sind mir die Buchstaben davor/danach (Im - bIII usw) noch nie begegnet.. wofür stehen diese? :nix:
 
Diese wunderschöne Akkord-Folge wurde von Frauen erfunden, die uns einerseits eine gewissensorientierte politische Botschaft überbringen, aber zugleich die Schönheit der Musik mit einem klaren harmonischen Konzept näherbringen wollen, welches in der Klassischen Musik seinesgleichen sucht.

Witz beiseite, das ist eine Umstellung von I V vi IV, von mir als "Alphaville-Kadenz" bezeichnet (die Auflistung auf Wikipedia listet auch Alphaville an erster Stelle, und ich denke, sie waren die ersten, die diese Folge so prägnant in Szene gesetzt haben mit "Forever Young" ). Nun sind Alphaville nicht unbedingt die Erfinder, und in Verbindung mit der Tendenz zur Endlosschleife fällt mir da auch der "Canon in D" (inkl. einer iii) ein. Setzt man I V vi IV I V vi IV I V vi IV immer schön nacheinander, gibt es auch keinen Grund, nicht auf der vi anzufangen - und wenn wir auf der vi anfangen, kriegen wir noch die sonst nur verdeckte Quintanstiegssequenz (plagale Sequenz) IV I V mit rein. V wird als rückwirkende Dominante gehört - außerdem setzt sie trugschlüssig, nämlich auf die tP , fort.

Wikipedia: http://en.wikipedia.org/wiki/I-V-vi-IV_progression

Dein zweites Beispiel von One Republic entspricht diesen tonalen Zusammenhängen.

Bei Ace of Base wird im Chorus vi IV I V auch deutlich in Szene gesetzt (Tonart D-Dur), und kurzzeitig taucht sogar die (Zwischen-) - Dominante zu Hm auf. Aber geschlossen wird, und das ist entscheidend, auf D-Dur. Welches eben keine Modulation ist.

http://www.youtube.com/watch?v=KoEcUfhTvvE

- - - Aktualisiert - - -

Ich hab eine Frage zu den Erklärungen.. die Schreibweise der Tonstufenbezeichnungen kenn ich, nur sind mir die Buchstaben davor/danach (Im - bIII usw) noch nie begegnet.. wofür stehen diese? :nix:

Im steht für "Tonika-Dreiklang in Moll" i (oder Im)

und das b bedeutet: ein Halbton tiefer als die III. In reinem Moll sind die dritte, sechste und 7te Tonstufe herabgesetzt und erklingen als b3,b6,b7. Also auch die Akkorde - welche leitereigen alle in Dur stehen. Wenn ein Akkord mit römischen Ziffern bezeichnet wird, kann man Kleinschreibung wählen für Moll: Also z.B. iv, v für IVm, Vm.
 
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Das erste Stück:
Im bIII bVII IV

Das Zweite:
Im bIII bVII bVI

Hallo,

vielen Dank für die Antwort. Beim zweiten Stück sollte es natürlich bVI und nicht IV heißen (dummer Fehler meinerseits, sorry).

Aber zur 3. Position: Da meine Frage "IV(IV)" von dir mit "bVII" beantwortet wurde, nehme ich einmal an, dass dies funktional den Unterschied darstellt zwischen Doppel-Subdominante (bezogen auf Im) und Primär-Dominante (bezogen auf deren Durparallele bIII, also als deren V/I), obwohl der dahinter liegende Akkord doch aus den gleichen Tönen besteht???
Aber wie kann man "feststellen", in welcher Funktion dieser (gleiche) Akkord nun tatsächlich zu verstehen ist? Und besteht da ein Unterschied zwischen den beiden angeführten Beispielen? Im zweiten Beispiel wirkt es ja fast wie eine (temporäre) Verschiebung des tonalen Zentrums von Im hin zu bIII (wäre diesfalls lokal zu interpretieren als: VIm - I - V - IV).
Aber auch im ersten Beispiel besteht ja an der 4. Position eine enge Verwandtschaft zwischen bVI und IV...
... und dann wurde der bVII7 andernorts im Forum (wegen der darin enthaltenen b6) auch noch als SDM dargestellt...

... oder ist das nicht nur klanglich sondern auch "theoretisch" eigentlich vollkommen egal? Und jeder "hört" eben das was er will...

(Bitte um Entschuldigung wenn meine Frage vielleicht zu laienhaft gestellt ist, aber das interessiert mich wirklich...)

DANKE & lg,
Walter
 
Hallo,

vielen Dank für die Antwort. Beim zweiten Stück sollte es natürlich bVI und nicht IV heißen (dummer Fehler meinerseits, sorry).

Aber zur 3. Position: Da meine Frage "IV(IV)" von dir mit "bVII" beantwortet wurde, nehme ich einmal an, dass dies funktional den Unterschied darstellt zwischen Doppel-Subdominante (bezogen auf Im) und Primär-Dominante (bezogen auf deren Durparallele bIII, also als deren V/I), obwohl der dahinter liegende Akkord doch aus den gleichen Tönen besteht???
Aber wie kann man "feststellen", in welcher Funktion dieser (gleiche) Akkord nun tatsächlich zu verstehen ist? Und besteht da ein Unterschied zwischen den beiden angeführten Beispielen? Im zweiten Beispiel wirkt es ja fast wie eine (temporäre) Verschiebung des tonalen Zentrums von Im hin zu bIII (wäre diesfalls lokal zu interpretieren als: VIm - I - V - IV).

DANKE & lg,
Walter

Du kannst die Akkorde gerne auch bII , bIII und bVI nennen - es kommt immer auf das gleiche raus: Du hast drei quintverwandte Durakkorde und einen funktionell schwachen Akkord (schwach, da moll) - die funktionalen Spannungsverhältnisse zwischen den drei Durakkorden machen den mittleren zur Tonika. Im Fall von bII, bIII und bVI ist das die bVI.

Interessant wird die Sache erst, wenn vier quintverwandte Durakkorde auftauchen: etwa I, bVII, IV und V. Dann erst hat es auch Sinn, von einer Doppelsubdominanten zu reden, und auch nur dann, wenn IV und bVII unmittelbar nebeneinander stehen.
 
Hallo,


... und dann wurde der bVII7 andernorts im Forum (wegen der darin enthaltenen b6) auch noch als SDM dargestellt...

Das wurde von mir als Frage an CUDO gerichtet, und CUDO hatte wohl klargestellt, dass die bVII7 keine SDM-Funktion ist. (Bei einer bVII7 würde man ja auch eher eine Dominante zur bIII vermuten)
 
(1) CUDO hatte wohl klargestellt, dass die bVII7 keine SDM-Funktion ist. (Bei einer bVII7 würde man ja auch eher eine Dominante zur bIII vermuten)
(2) die funktionalen Spannungsverhältnisse zwischen den drei Durakkorden machen den mittleren zur Tonika
(3) Interessant wird die Sache erst, wenn vier quintverwandte Durakkorde auftauchen: etwa I, bVII, IV und V. Dann erst hat es auch Sinn, von einer Doppelsubdominanten zu reden, und auch nur dann, wenn IV und bVII unmittelbar nebeneinander stehen.

Hallo,

danke für die Antwort(en). Auf den ersten Blick erscheinen sie mir stichhaltig. Aber auf den zweiten... (und einen solchen habe ich darauf geworfen - denke ich zumindest), also möchte ich noch einmal kurz "hinterfragen":

zu (1) CUDO II hat in https://www.musiker-board.de/harmonielehre-analyse-muth/554919-subdominantische-qualitaeten.html#post6796684 mE NICHT festgestellt, dass bVII7 an sich keine SDM-Funktion haben kann (siehe auch seine Übersicht unter https://www.musiker-board.de/harmonielehre-analyse-muth/558929-passende-akkorde-fuer-eine-tonart.html#post6789435 ), sondern NUR DANN, wenn sich nicht durch deren Rückwirkung (auf die entsprechende "I") eine Dominant-Funktion ergibt. Und genau das ist Kern meiner Frage, nämlich ob dies in den beiden Beispielen gegeben ist, oder nicht. Wenn man bIII als (temporäres) Zentrum versteht, dann wirkt sie (rückwirkend) dominantisch, wenn aber I(m) das gehörte Zentrum "bleibt", dann...?

zu (2) diese Aussage trifft zwar für das zweite Beispiel zu (bIII als Tonika),
für Beispiel 1 dürfte sie aber NICHT relevant sein, weil dann wäre ja die bVII als Tonika anzusehen...

zu (3) im Beispiel1 stehen eben gerade auch beide IV und bVII "unmittelbar nebeneinander"! Und auch im Beispiel2 ist die bVI ja auch nur eine "vermollte IV7"... Auch diesfalls scheint deine "Nebeneinander-Bedingung" daher erfüllt. Aber da die bIII zur Im nur terzverwandt ist, dürfte damit wohl der erste Teil deiner Bedingung (4 quintverwandte hintereinander) NICHT erfüllt sein. Wenn das tatsächlich die (ausschließliche???) Ratio ist, dann ergäbe sich daraus wohl schlüssig, dass keine Doppel-Subdominate vorliegen KANN. Ist dies also der "Knackpunkt"?

Meine Frage wäre damit beantwortet!

Vielen Dank & lg,
Walter
 
Hallo,

zu (1) CUDO II hat in https://www.musiker-board.de/harmon...subdominantische-qualitaeten.html#post6796684 mE NICHT festgestellt, dass bVII7 an sich keine SDM-Funktion haben kann (siehe auch seine Übersicht unter https://www.musiker-board.de/harmon...nde-akkorde-fuer-eine-tonart.html#post6789435 ), sondern NUR DANN, wenn sich nicht durch deren Rückwirkung (auf die entsprechende "I") eine Dominant-Funktion ergibt.

Walter

Du hast recht, bVII7 hat SDM - Funktion , das hatte CUDO ausdrücklich so benannt und nur die bIII im Zusammenhang ausgeschlossen, da dann die bVII als Dominante gehört wird. Hatte ich jetzt nicht mehr so richtig in Erinnerung. Doch das ist ein anderer Thread (und ich werde dort die SDM-Funktion noch einmal aufgreifen...)

Zu deinen anderen Fragen: Akkorde setzen sich quintfällig fort. Wir haben im Ohr keinen eingebauten "Dominantfinder", nicht einmal einen Tonartfinder, sondern beurteilen den Klang insgesamt. Also ist es z.B. Moll oder Dur, hat es eine "dorische Farbe" etc.... Darüberhinaus tendieren Quintfallsequenzen nach Dur, ab der V: z.B. IIIm VIm IIm V I IV bVII bIII bVI bII - und dann könnte man mit bV etc immer so weitermachen, bis der tonale Vorrat erschöpft ist - mehr als 12 mal geht mit dem Keyboard nicht. Das Ohr hört aber Tritonus-Zusammenhänge sehr deutlich, etwa bei IIm V die 4 (zur Tonika) steht im Tritonus zur Terz der V. Vergleichbar : Im IV (im Dorischen), oder : I bVII : Der Grundton der bVII "dominantisiert" die I, so dass die beliebte Folge I bVII IV der IV eine subdominantische Position zukommen lässt. Man muss dann aber immer schön bei der Folge bleiben - ein Variieren der Funktionen , evtl. mit Nebenfunktionen, wird die Subdominante schnell in eine Tonika verwandeln - weil das die Spannungsverhältnisse zwischen den Akkorden ergeben.
 
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Zu deinen anderen Fragen: Akkorde setzen sich quintfällig fort. Wir haben im Ohr keinen eingebauten "Dominantfinder" ... sondern beurteilen den Klang insgesamt. ... Das Ohr hört aber Tritonus-Zusammenhänge sehr deutlich

Hallo,

OK, DANKE für die ausführliche Erklärung!

Abschließende Anmerkung: Ist der von dir als NICHT im Ohr eingebaut behauptete "Dominantfinder" nicht doch eigentlich ident mit dem von dir bezeichneten Umstand, dass "das Ohr den Tritonus-Zusammenhang sehr deutlich hört"? Wenn der Klang also insgesamt beurteilt wird, erkennen wir darin (über die Tritonus-Spannung) doch auch "deutlich" den zur I strebenden Dominantklang - ist das nicht auch irgendwie ein "Dominantfinder"???

lg,
Walter
 
Ich denke, daß ist eine Sache der subjektiven Hörgewohnheiten. Im Jazz z.B. gibt es durchaus auch Tritoni auf der I, also I7-Akkorde, und da erwarte ich dann keinesfalls eine Auflösung, sondern erfreue mich einfach an der Spannung ... wie lange auch immer sie liegen bleibt.

Thomas
 
Wo ist der Tritonus in Im bVI bIII bVII versteckt? Na, im Paar bVI bVII, da ist (tonikabezogen) Ton 2 mit Ton b6 im Tritonus. Wir könnten diesen Tritonus, den man versucht zu verstecken - indem die bIII eingeschoben wird - subdominantisch hören - d.h. wir akzeptieren die b6 als b6. Doch das Ohr ist schlau und lässt sich die b6 nicht als b6 verkaufen, sondern als schnöde 4. Der Songwriter denkt also, er ist in Moll - das Ohr denkt es nicht, egal wie oft noch die Im eingebracht wird.

Die Klassik macht es auf die brutale Tour: Der Tritonus 2 b6 wird nicht in zwei Akkorde verpackt, sondern zusammengeführt: und zwar mit IVm6 (Sixte Ajoutee): Die IVm6 signalisiert: "Ich bin mit meinem Tritonus b6 auf 2 immer noch Subdominante und will gar nichts anderes sein!" Und weil die Klassik diesem Tritonus nicht traut, haut sie später einen "harten" Gegenklang rein: Nämlich den Dur-Gegenklang zur bIII, das ist die V. Und der bringt einen weiteren Tritonus: den von 4 auf 7. Dann ist die Sache klar - wir sind definitiv in der Moll-Chromatik. Obwohl beide Progressionen, d.h. Im VIm6 und bIII V jeweils für sich eine typische chromatische Färbung haben, welche einen Bezug zu Moll hat. Auch I III hat diese Färbung, selbst wenn die VIm gar nicht folgt und damit die III nicht als Zwischendominante auftritt (III ist dann Ellipse)

Ton b6 ist also ein Problembär. Im Song von Radiohead: Street Spirit

https://www.youtube.com/watch?v=IrTB-iiecqk

wird mit der Moll-Pentatonik begonnen, dann zusätzlich 2 bzw Isus2 als Dominante (damit ist Moll etabliert) , dann gefolgt von Vm. Die dom. Funktion aber, so wie ich sie höre, liegt in der Isus2 (bzw. die Melodie, die von 4 auf bIII 2 1 absteigt, ). Erst sehr spät im Song erscheint auch der "Leitton" 7, der den Schluss ankündigt. Es gibt aber keine Schluss-Kadenz - der Song hört so auf, wie er angefangen hat.

Im Song "Karma Police"

https://www.youtube.com/watch?v=IBH97ma9YiI

wird in Dorisch begonnen. bVI wird nur als (Zwischen)Neapolitaner zur Vm genutzt.
Später erklingt eine VI, eine Zwischendominante zur IIm , doch die IIm folgt nicht direkt (elliptische Konstruktion). Dann wird mit Akkorden fortgesetzt, die sowohl zur IIm als auch zur Im (dorisch) passen. Sind wir nun auf der Im oder IIm? Den Beweis, dass wir auf der IIm angekommen sind, liefert die V7 (Edur, Dom. zu Amoll) - doch da das Ohr bereits die VI als Dominante zur IIm gehört hat, erklingt nun die V7 nicht als V7, sondern als IV7 (zur IIm). Die mollchromatische Färbung wurde durch den Gegenklang IV VI (Ddur Fisdur) hervorgebracht - obwohl wir da noch gar nicht wissen konnten, dass wir nun zur IIm gehen.

Dem einleitenden Satz "Dabei ist mir aufgefallen, dass die Akkodordverbindungen oft gar keine Quintfälle besitzten und irgendwie kein klares tonales Zentrum aufweisen." kann man also insofern zustimmen, indem man ergänzt: "Das ist ja gerade der Trick dabei". Die Harmonien funktionieren eben rückwirkend. Viele Stücke von Beethoven muss man mindestens 2 mal hören, um den "Sound" wirklich zu erfassen. Da können die korresporrendieren Akkorde bzw. harmonischen Wendungen auch mal 20 Takte (oder mehr) auseinanderliegen.

- - - Aktualisiert - - -

Ich denke, daß ist eine Sache der subjektiven Hörgewohnheiten. Im Jazz z.B. gibt es durchaus auch Tritoni auf der I, also I7-Akkorde, und da erwarte ich dann keinesfalls eine Auflösung, sondern erfreue mich einfach an der Spannung ... wie lange auch immer sie liegen bleibt.

Thomas

Dem liegt wohl das Missverständnis zu grunde, dass bestimmte Akkorde bestimmte Fortschreitungen, vor allem melodischer Natur, bestimmen. Deshalb werden ja auch "German Sixth" und kleiner Septakkord unterschieden - es gibt unterschiedliche Fortsetzungen, obwohl die harmonische Spannung in beiden Fällen auf dem Tritonus beruht. Auch das Leittonkonzept entspringt nicht dem harmonischen, sondern dem melodischen Denken. Man nehme nur die extrem ausgelutschte Schluss- Wendung: Grundton - kl. Sekunde drunter - Grundton - mit welchem sich auch der Dominantvorhaltquartsextakkord begründen lässt.

Ich "erwarte" keine Auflösung eines dom7 Akkordes. Ich mag "Blues moll" mit Im(7) IVm(7) bVI7 V7 Im(7), er kommt mir schlüssig vor. Ich mag weniger I7 IV7 V7 I7, egal in welcher Reihenfolge die Akkorde nun angeordnet werden.
 
Ich glaube, vor allem Dein letzter Satz könnte gut als Nachweis für meine Behauptung (verschiedene Hörgewohnheiten ...) herhalten.

LG - Thomas
 
Wo ist der Tritonus in Im bVI bIII bVII versteckt? Na, im Paar bVI bVII ..., Doch das Ohr ist schlau und lässt sich die b6 nicht als b6 verkaufen, sondern als schnöde 4...
Die Klassik macht es auf die brutale Tour...Und weil die Klassik diesem Tritonus nicht traut...
Ton b6 ist also ein Problembär...

Hallo,

jetzt habe ich wohl erhalten, was ich mit all meiner Fragerei vermutlich auch "verdient" habe :weep: (Scherz!). Die detaillierten Ausführungen muss ich jetzt einmal erst "verdauen"... (was ich mit großem Genuss machen werde).
Jedenfalls, aufrichtigen DANK für deine Bemühungen!

lg,
Walter
 

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