... die Idee einer "Zugangsvorraussetzung" (selbstständiges "Vorspiel" eines einfachen Stückes?) finde ich gut, das gibt einen zusätzlichen Anreiz zum Üben und das Lager ist dann eine Belohnung für gute Arbeit. Dem Kasper wird dann schnell klar, dass er üben bzw. mitarbeiten muss, um mitzudürfen. Wenn er weiter macht wie bisher, dann hast du ein klares Argument, ihn nicht mitzunehmen, weshalb auch? Das Prinzip "von nichts kommt nichts" dürfen auch Grundschüler schon lernen, hilft fürs spätere Leben.
....
Ob der selbständige Vortrag eines einfachen Stückes das richtige Zugangskriterium für das von Klangbutter geplante Orchesterlager ist, wäre in der Tat noch zu klären. Zugangskriterien sollen ja sicherstellen, dass die geplanten Aufgaben grundsätzlich durchführbar sind. Dazu muss meines Erachtens nicht nur überlegt werden, wie der Stoffplan für das Orchesterlager aussieht, sondern auch, von welchen Verhaltensweisen (!) der Schüler es abhängt, ob dieser Stoffplan durchführbar ist oder nicht. Im vorliegenden Fall stört ein schwieriger Schüler durch verschiedene Verhaltensweisen die Unterrichtsarbeit. Wichtiges Zugangskriterium wäre demnach, störendes Verhalten abzulegen. Um das positiver auszudrücken, könnte man einen "Wenn-Dannn-Katalog" aufstellen, in dem ganz klar definiert wird, welches Verhalten in welcher Situation erwartet wird. Das betrifft in der Regel nicht nur die schwachen Schüler!
Beispiel:
Es ist klar, das der Unterrichtserfolg der gesamten Gruppe unter anderem davon abhängt, wie sehr die Schüler bereit sind, sich im Unterricht zu investieren. Dazu gehört wesentlich mehr, als Zuhause ein Stück zu üben und dann alleine vorzutragen. Jeder Einzelne muß auch bereit sein, das Zusammenspiel der Gruppe zu unterstützen und zwar im weitesten Sinne. Das kann begabten Schülern unter Umständen schwerer fallen, als unbegabten. Ein Schüler mit Wissensvorsprung oder jemand, der einfach schneller "schaltet" als die anderen, kann durch unentwegtes Vorpreschen die methodische Erschließung des Unterrichtsstoffs völlig zunichte machen. Und das kann den Fortschritt der Gruppe genau dadurch extrem verlangsamen! Das durchschauen die Kinder naturlich nicht von allein. In so einem Fall ist es sinnvoll, das Problem so frühzeitig wie möglich in einem Vier-Augen-Gespräch zu klären und dabei Strategien zu vereinbaren, durch die dieser Schüler besondere Anerkennung und Leistungsmotivation erfährt, ohne dies der Gruppe permanent "vorzuführen". Meine persönliche Strategie ist, mit solchen Schülern eine Art nonverbalen "Geheimcode" zu vereinbaren, der vor allem dazu gedacht ist, Lob und Anerkennung zu vermitteln, damit sich so ein Schüler nicht "ausklinkt". Details sind extrem situationsabhängig. Wenn die Gruppe zusammen musiziert, müssen diejenigen die gut und fehlerfrei musizieren akzeptieren und tolerieren lernen, dass einige Gruppenmitglieder das nicht schaffen. Wer das "packt", hat dafür besondere Anerkennung verdient. Die kann aber aus "strategischen" Gründen nicht ständig laut "herausposaunt" werden. Es wäre aber ein falsches Signal, sich ständig um die "Fehlerproduzenten" zu kümmern und die Leistung der "Fehlerfreien" nicht weiter zu erwähnen. Die guten Schüler fühlen sich dann ignoriert und fallen in ihrer Leistung unweigerlich ab. Daher sind das Vier-Augen-Gespräch und die nonverbalen Signale für Anerkennung sehr wichtig. Durch sie erfahren die guten Schüler aktive positive Zuwendung. Klangbutter fragte ganz am Anfang mal sinngemäß, warum die Schüler nicht selbst erkennen können, ob sie richtig oder falsch gespielt hätten und ihn immer so fragend angucken. Ohne die Situation jetzt mangels persönlicher Kenntnis einschätzen zu können, neige ich zu der Annahme, dass diese Schüler vor allem die Anerkennung des bewunderten Meisters suchen. Das ist etwas ganz anderes bzw. viel mehr als nur die Bestätigung für richtig oder falsch.
Extreme "Fehlerproduzenten" produzieren eine Art "Störfeuer", durch das sie im Allgemeinen recht zuverlässig sehr schnell aktive Zuwendung (fortgesetzte Extrahilfen, Ermahnungen ...) erfahren und sogar "Anerkennung" (Gekicher der Mitschüler) ernten. Der Verdacht, dass der besonders auffällige Schüler es (unbewußt) darauf anlegen könnte, auf diese Weise Zuwendung zu erhalten, kam hier bereits auf. Da obendrein bestätigt wurde, dass dieses Kind auch in anderen Fächern auffällig ist, liegt der Verdacht nahe, dass hier bereits ein eingefahrenes Verhaltensmuster entstanden ist, das nur noch schwer zu korrigieren ist. Dafür, wie man solchen Situationen am besten begegnet, kann man nur schwer Tipps geben, wenn man die Unterrichtssituation nicht aus eigener Anschauung kennt. Denn es ist ein sehr schwieriger Balanceakt zwischen Ignorieren und Zuwendung gefragt. Meine Strategie ist: je stärker mich ein Schüler durch Fehlverhalten herausfordert, um so mehr lobe ich die Schüler, die dieses Fehlverhalten ignorieren, unbeirrt mitarbeiten und gute Leistung bringen. Ich ignoriere diesen Schüler aber nicht völlig. Das würde ihn ja herausfordern, sich noch mehr zu produzieren, um meine Aufmerksamkeit irgendwann doch noch zu erreichen. Um also der Eskalation vorzubeugen, quittiere ich seine Aktionen mit passenden (möglichst emotionslosen - wichtig!) Bemerkungen und spende wenn irgendwie möglich im gleichen Atemzug (sehr wichtig!!!) einem guten Schüler oder der ganzen Gruppe ein sachlich nachvollziehbares Lob. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass unentwegte "Fehlerproduzenten" irgendwann dagegen aufbegehren, ständig zur "Falsch-Gruppe" zu gehören ("Nie sagst Du zu mir richtig/gut etc. !") Das ist ein sehr wichtiger Moment, weil das zeigt, dass es dem Schüler nicht mehr allein darauf ankommt, überhaupt Zuwendung zu erfahren. Denn die bekommen die anderen ja auch. Jetzt will er ein "Richtig!" hören, also nicht nur Zuwendung, sondern auch Anerkennung bekommen und fühlt sich extrem ungerecht behandelt, wenn das in einem Moment, wo er tatsächlich etwas richtig gemacht hat, nicht kommt. (... und wenn ich dann mal was richtig machte, merkst Du es nicht ...) Es ist oft schwer, diese nicht selten winzigen Momente im Eifer des Gefechts nicht zu übersehen und zugleich ungeheuer wichtig, diese zu erwischen. Auch deshalb finde ich Videoprotokolle wichtig. Denn als Lehrer habe ich durchaus die Chance zum "Nachbessern". So tut es einem Problemschüler ungeheuer gut, wenn man später auf ihn zugeht und ein Lob im Nachhinein für etwas ausspricht, was man z.B. im Videoprotokoll entdeckt hat. In der Regel zeige ich bei so einem Gespräch gleichzeitig Möglichkeiten für das "Einheimsen" weiterer Pluspunkte auf ( wenn du als nächstes das und das schaffen könntest, fänd ich das ganz toll ... ) Der Schüler muss aber auch akzeptieren lernen, das falsch eben falsch ist und er ein richtig oder gut erst dann zu hören bekommt, wenn das gerechtfertigt ist. Und wenn er mit ins Orchesterlager will, dann muss er lernen bestimmte Spielregeln zu akzeptieren. Und dazu gehört unter anderem, sich bestimmte Grundlagen zu merken, sie ohne "Bohai" abrufen zu können und andere konkret zu nennenden Bedingungen regelmäßig zu erfüllen. Eine einzelne punktuell abgerufene Leistung wäre mir persönlich als Zulassungskriterium zu wenig.
Gruß
Lisa