Ich kann Dir ansonsten zustimmen, den Punkt sehe ich aber ein wenig anders. Natürlich ist der getriebene Künstler der insteressantere und wenn man ständig das selbe macht, dann verliert man vielleicht auch irgendwann an Relevanz.
Aber mir sind die entspannten Charaktere mindestens genauso lieb, die wissen wo sie stehen und mit sich und der Welt zufrieden sind. Frustrierend wird es aber wahrscheinlich dann, wenn man selber die Nase voll hat und was Neues machen will, aber merken muss, dass das nicht angenommen wird von den Fans.
Vielleicht hast du mich in der Hinsicht falsch verstanden - ich mag ebenfalls wie du Charaktere, die gelassen und mit sich und der Welt zufrieden sind. Da hab ich auch absolut nichts dagegen. Ganz im Gegenteil: es hat für mich sogar etwas beruhigendes an sich (auch auf musikalischer Ebene), wenn du Menschen vor dir hast, die eine gewisse Lockerheit ausstrahlen und wissen, wohin sie gehören - unabhängig von ihrer momentanen Lebenssituation. Und ich glaube, dass beides möglich ist: du kannst dich weiterentwickeln, als Mensch und auch als Künstler, aber dir dennoch im Kern treu bleiben. Das eine schließt das andere meines Erachtens nicht aus.
Ich sprach nur von solchen Charakteren, die stehen geblieben sind. Bei Manson kann man es sehr gut sehen, ob in der Musik oder auch in den Interviews. Er spricht noch von denselben Dingen, von denen er damals gesprochen hat, bringt immer und immer wieder dieselben Beispiele und zeitweise hat man sogar das Gefühl, einen rebellischen Teenager vor sich sitzen zu haben, der es nicht geschafft hat, auszubrechen, bzw. einen Schritt weiter zu gehen, Neues zu entdecken und dieses "neu Entdeckte" dann zu thematisieren - musikalisch, künstlerisch - egal in welcher Form. So ist zumindest mein subjektiver Eindruck.
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Manson ist halt schon sehr auf der Bösen-Schiene eingefahren. Aber "Marilyn Manson" ist doch irgendwie auch eine Kunstfigur, ein alter ego, findet ihr nicht? Vielleicht wirft er die eines Tages ab und macht was anderes.... die Frage ist nur, was.
Das sehe ich genauso - und ich hoffe, dass eines Tages noch irgendetwas Neues von ihm kommen wird. Wie gesagt, hätte mich der Film, den er einst drehen wollte, sehr interessiert. Und ich muss sogar zugeben, dass mich - ich glaube es war in Berlin - Manson's Burlesque-akustik-Abend neugierig gemacht hat. Das Konzept fand ich toll, nur die Umsetzung davon…war nicht ganz mein Geschmack. Aber die Begleitung nur am Klavier, verbunden mit Mansons Stimme und den zusammengebastelten "stummen" Pianistinnen im Hintergrund hatte einen gewissen Flair wie ich finde
Bell: nur kurz eine Frage - hast du mit deiner Band schon'mal ein Manson-Lied gecovert? Wenn nicht: würde es dich reizen, es mal zu versuchen?
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Ich habe mich jetzt nicht sooo sehr speziell auf Manson eingeschossen. So gut kenne ich ihn nicht. Für mich war er ehrlich gesagt einfach nur ein schriller Rockmusiker mit ein paar netten Songs. Also keine wirkliche Ausnahmeerscheinung.
Ich versuche mal, anhand einer fiktiven Rockmusiker-Bio das Problem rauszufiltern - dabei st es eigentlich völlig egal, ob es sich dabei um eine Robbie Williams oder einen Manson handelt. Diese Schritte durchlebt praktisch jeder Star.
- Du bist jung, machst Musik, hast gewisse Talente und hast auch den Ehrgeiz, irgendwie berühmt zu werden
- Du bist immer noch jung und - hoppala - irgendwie hast du plötzlich Erfolg
- Du bist immer noch jung und der Erfolg wird sogar mehr
- Du bist jung, hast Erfolg und genießt das. Du hast es geschafft.
- Du bist jung, hast Erfolg - aber auch immer mehr Termine
- Du bist jung, hast Erfolg - aber auch immer mehr Termine und hast mit Leuten zu tun, mit denen du früher nicht zu tun haben wolltest. Lauter schleimige Arschgeigen, die dein Leben in die Hand nehmen.
- Jeder will was von dir - du hältst dich für den Mittelpunkt der Welt und bist schneller reizbar als früher. Warum eigentlich, wo du doch jung und erfolgreich bist?
- Die Leute lieben dich bzw. das, was sie in dir sehen zu glauben - eigentlich würdest du gern mal eine Pause machen
- Du bist immer noch jung und sehr erfolgreich - aber du wirst langsam müde, immer müder
- Du willst weiter erfolgreich und hast vor allem viele Verpflichtungen
- Du fängst an, Drogen zunehmen, um die immer mehr werdenden Verpflichtungen, das permanente Rollenspiel und das nicht vorhandene Privatleben auszuhalten
- Du fängst an, Drogen zunehmen, um zu ertragen, immer und überal ein Image zu erfüllen
- Du hast noch mehr Verpflichtungen - also nimmst du noch mehr Drogen
- Nicht mehr jeder hält dich für den Mittelpunkt der Welt. Die Musik verkauft sich nicht mehr so gut. Die Boulevardpresse schreibt, du wärst auf dem absteigenden Ast.
- Du nimmst noch mehr Drogen
- Du merkst plötzlich, dass du gar nicht mehr so jung bist, nicht mehr der Mittelpunkt der Welt ....
- ... und nimmst noch mehr Drogen
Das kann ich so nur unterstreichen und sehe es in vielen Punkten ähnlich wie du. Natürlich beeinflusst dich der Erfolg und alles, was damit zusammenhängt (Fans, Geld, Manager, Termine). Ein weiterer Punkt ist glaube ich auch, dass viele mit der nicht mehr vorhandenen Anonymität nicht klar kommen. Am Anfang ist es, wie du auch geschrieben hast, ein umwerfend tolles Gefühl, von "jedem erkannt und geliebt" zu werden. Natürlich beeinflusst dich das, pusht dich nach vorne und löst in dir ein Gefühl des "ich-will-noch-mehr-davon-haben-wolllens" aus. Bis irgendwann der Punkt kommt, wo es zu viel wird. Jeder Mensch braucht Intimität und Privatsphäre - und ich glaube, dass du das ab einem bestimmten Grad an Berühmtheit nur noch schwer pflegen und umsetzen kannst. Entweder, weil es dir von außen auferlegt wird oder weil du selbst nicht mehr zwischen äußerer (Fans, Medien, Bühne) und innerer (dein privates Leben, dein ICH) Realität unterscheiden kannst.
Bis hier ist eigentlich alles - mehr oder weniger - ähnlich. Egal ob Stones, Robbie Williams, Kurt Cobain, Marilyn Manson oder Marilyn Monroe.
Ebenfalls Zustimmung, wobei ich bei Manson und Kurt Kobain dann doch eine Ausnahme machen würde. Natürlich beeinflusst dich der Erfolg und kann dich in deine Abgründe führen, aber es kann glaube ich auch andersherum sein. Und wenn man sich Mansons Vergangenheit anschaut (sexueller Missbrauch, Überbehütung durch die Eltern, ein "nicht-loslassen-können" vom Elternhaus) dann spürt man intuitiv, dass er schon bevor er Erfolg hatte, um es "vorsichtig" zu formulieren, eine gewisse psychische Verletzlichkeit mitgebracht hat.
Das Ganze hat weniger mit Kunst zu tun, sondern eher damit, wie gut man es aushält, ein Star oder auch kein Star mehr zu sein. Um Kunst zu machen oder sich auszudrücken, muss man nicht berühmt sein.
Sehe ich absolut genauso! Lieber lebe ich in der Mittelmäßigkeit und kann mich dafür künsterlisch frei ausdrücken, ohne Grenzen, ohne Macht oder anderweitige Spielereien, als andersherum. Und ich glaube ich kann wirklich voller Ehrlichkeit behaupten, dass ich mein Leben mit dem eines "Top-Star-Künstlers" nie tauschen möchte. Mich würde dieser Erfolg und die ganzen Konsequenzen und Nebeneffekte, die damit zusammenhängen, fertig machen. Ich könnte damit (glaube ich) absolut nicht umgehen. Weder auf künstlerischer, noch auf persönlicher Ebene.
Daher wird es auch bei Herrn Manson eher ein Ego- oder Identitätsproblem sein als ein künstlerisches. Sein Problem ist wohl nicht, dass ihm nichts Neues einfiele. Sein Problem ist, dass er keinen Bock mehr hat, Marilyn Manson zu sein. Verständlich. Aber das ist solange sein Job, bis er ihn kündigt. Und davor hat er schiss, weil er dann ja nicht mehr so berühmt ist. Er befürchtet - vielleicht zu recht - dass sich kein Schwein für Brian Hugh Warner interesieren könnte. Also nimmt er lieber Drogen und ist weiterhin Marilyn Manson.
Diesen Gedanken finde ich hingegen äußerst interessant - darüber habe ich noch gar nie nachgedacht, dass er auf seine selbst geschaffene Kunstfigur keine Lust mehr hat und dass es im Kern letztenendes dann doch um das eigene Ego geht. Kann ich so jetzt nicht beurteilen, ich habe bei ihm wie gesagt das Gefühl, dass er stehen geblieben ist und immer noch "der kleine Junge" von nebenan ist, der rebelliert. Das sieht man auch besonders gut darin, wie sein Verhältnis zu seinen Eltern aussieht. Er nimmt seinen Vater zB. heute noch zu seinen Konzerten mit, spricht sich mit seinem Vater sexuell aus, bezieht ihn in seinen Aftershow-Partys ein und wahrscheinlich tauschen die beiden auch den ein oder anderen "Joint" zusammen aus. Nennt mich prüde und komisch, ich liebe meine Eltern, aber gewisse Dinge teile ich dann doch nicht (mehr) mit ihnen.
... ist nicht heutzutage alles eine psychische Erkrankung?
hehe
ich glaube heutzutage ist es komisch, einfach nur "normal" zu sein
Ich mag das aber auch nicht, wenn man jede Macke, die man hat, sofort pathologisiert und sie in eine abstruse und vollkommen abstrakte Diagnose einbettet. Allerdings muss ich zugeben, dass eine gewisse emotionale Sensibilität sehr kreativitätsfördernd sein kann.
Nee - im Ernst: ich wehre mich gegen solche verallgemeinernden Aussagen. Es gibt zwar die durchaus nachvollziehbare These, dass viele so genannte Genies wie Einstein oder Mozart starke soziale Defizite haben (logo, wenn man sich dermaßen intensiv und auch schon sehr früh mit bestimmten Themen beschäftigt, bleibt kaum Zeit, den Umgang mit Menschen zu lernen), aber ich glaube der psychische Stress (oder die Erkrankung) und dessen Kompensation kommt eher mit der völlig surrealen Aufmerksamkeit (und den Forderungen), die einem "Star" entgegengebracht wird.
Sehe ich genauso - man sagt ja mittlerweile auch, Bach wäre Autist gewesen, Glenn Gould und Karl Richter sowieso
und wenn du in irgendeiner Art und Weise "super" bist, kann das "nicht normal sein" und man steckt dich in irgendeine kranke Ecke, so nach dem Motto: "ein Genie kann nicht normal sein.". Ich glaube, es kommt auf die Definition an
vielleicht waren Glenn Gould, Mozart oder Bach wirklich Autisten, wer weiß das schon. Aber ist Autismus wirklich eine Krankheit? Mit Sicherheit gibt es Ausprägungen die schlimm sind. Aber es gibt auch Menschen, mit dem Asperger-Syndrom zB., die vollkommen normal leben können. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie die Welt anders wahrnehmen, als der Otto-Normalverbraucher. Aber rechtfertigt das die Bezeichnung einer Erkrankung? Was ich damit eigentlich sagen will ist, dass wir uns im Moment in einem Super-Duper-ich-will-immer-total-gesund-und-fit-bleiben-Zeitalter befinden und jedes Ziepen und Zappen sofort verkränkeln. Sowas mag ich nicht. Egal ob in der Kunst oder mitten im Leben.