Eine interessante Diskussion. Beuys lässt grüßen. Schön, dass das auch mal gesagt wurde. Bringt uns das nun weiter?
Na ja - das ist halt manchmal das was passiert, wenn rhetorische oder eine abstrakte Fragen in den Raum geschmissen werden ...
Was einen Text zur Kunst macht oder Worte zu einem songtext ist eben abhängig von dem Begriff von songtext oder Kunst oder auch nur was man persönlich bezweckt.
Und klar: spätestens seit der Postmoderne kann auch ein Kontext einen Text, der ansonsten keine Kunst ist, zur Kunst machen. Beispielsweise, wenn die Herstellung von Drogen verboten wären und der Künstler die Freiheit der Kunst nutzt, dieses Verbot zu umgehen oder zu thematisieren, indem er eine Rezeptur rapt oder oder oder ...
Was hier konkret weiter hilft, hat mit dieser Frage meines Erachtens gar nichts zu tun. Sondern die hat mit der Auffassung von Explizit zu tun, was er mit dem Text will bzw. beim Zuhörer erreichen will. Eventuell noch, wie er sich eine Umsetzung vorstellt. Da Explizit sich schon in seiner Ankündigung vom Genre "Rap" entfernt, weil der Text nur halbwegs rapbar sein muss und weil er im Übrigen den Text nicht im Rap/HipHop-Berich postet, hilft im Grunde auch eine Genre-Diskussion nicht weiter. Nur so viel: ich halte den Text zu sehr geringen Anteilen für Rap, weil das Typische vom Rap nicht die Endreime sind, sondern ein Rhytmus und ein Flow der Sprache, Reimen und Alliterationen innerhalb der Zeilen und noch weiteren Elementen wie Sprachspielereien, Ironie etc.
Rap-Bestandteile sind m.E. die Endreime, wobei die für mich dazu führen, dass zu oft der Inhalt dem Reim gebeugt wird. Beispielsweise:
Früher war alles besser | ihr seid dumme Aasfresser, Leute, die vorbeigehen |wenn sie fucking Leid sehen, zerfressen von Missgunst |ohne Verifikation zur Dichtkunst.
Inhaltlich sehe ich die ersten 5 Zeilen auf einer inhaltlichen Ebene, dort werden nämlich moralische Kriterien für Menschen thematisiert, die sechste Zeile bezieht sich dagegen auf die Fähigkeit oder Unfähigkeit, zu dichten. Meiner Vermutung nach war hier vor allem der Wunsch nach einem Reimwort für Missgunst prägend.
Ein anderes Rap-Element, jedenfalls für bestimmte Formen des Rap, sehe ich in dem Dissen, also der bewußten Herabsetzung / Diffamierung anderer Menschen, bevorzugt - und so sehe ich das teilweise - der kollegialen Dichter/Rapzunft bzw. den Konkurrenten. Wenn ich das recht vor Augen habe, geht es in dieser Form des Rappens dabei darum, vor einem anwesenden oder gedachten Publikum zu punkten, indem man sie erstens textlich und musikalisch von den eigenen Qualitäten überzeugt und indem man zweitens die Konkurrenz lächerlich macht, abstraft, schmäht etc.
Auch wenn mir das insgesamt nicht sonderlich zusagt, muss ich sagen: wer sich halt in diesen Ring begibt, tut es bewußt und dann soll man auch gewinnen wollen.
Und da habe ich halt so meine Zweifel, ob das mit diesem Text in dieser Form gelingt. Um beim Anfang anzufangen, frage ich mich beispielsweise, was überhaupt das Thema ist. Ich bin mir nicht sicher - die Schmähung der Konkurrenz oder doch was ganz anderes?
Wir versuchn Mit falschen Absichten | über jene Menschen richten, die denken und dichten | es sind unsere Ansichten, denn Ihr müsst einsehen | es wird Zeit sich einzugestehen, dass wir Wege gehen | die Manche nicht verstehen.
Das erste Wir ist unverständlich, und schließt konsequenterweise den Autor/das Lyrische Ich aus, denn es geht weiter mit: über jene Menschen zu richten, die denken und dichten ... Also entweder der Autor denkt und dichtet NICHT, dann kann er Teil des WIR sein, oder er denkt und dichtet, dann kann er eben nicht Teil des WIR sein.
Folge: das WIR funktioniert nicht - weder als Differenzierung zwischen rappenden Dichtern und Denkern und den anderen Leuten, noch als Differenz zwischen dem Lyrischen Ich und den Rap-Konkurrenten.
Ist das Thema also Einsicht? Nämlich eine Einsicht zu verbreiten, dass Leute über Rapper richten ohne dies wirklich beurteilen zu können, wie man den Zeilen entnehmen könnte? Beziehungsweise dem Rappen eine Lanze zu schaffen, der die Ignoranz des Publikums durchbricht? Aber kann das Publikum eines Rap-Songs im Ernst ein Publikum sein, dass keine Rap-Songs hört, weil es - vorurteilsbedingt oder zu Recht - Rap für schlecht hält? Wie soll das funktionieren?
Hungersland und Weltmacht | wird Zeit das ihr aufwacht Lügen halten dich am Boden | wie die irdische Schwerkraft.
Hmmm - ist das Thema, dass es eine - um mal tacheles zu reden - verblödete, abgestumpfte Menschheit gibt, die nicht schnallt, wie schlecht es um die Welt bestellt ist? Das sind dann die IHR. Also sind notwendigerweise die WIR und das ICH die Checker, also die, die es besser wissen und Durchblick haben. Und auch hier die Frage: Erreicht man die anvisierten abgestumpften Menschen durch einen Rapsong und indem man sie ordentlich beschimpft und abmeiert? Warum sollten die denn überhaupt zuhören wollen? Aber wer ist denn das DU, das von Lügen zu Boden gehalten wird? Das Lyrische Ich? Andere Rapper? Oder das angesprochene abgestumpfte Publikum?
Mein Wahnsinn nimmt gestalt an, ich reiße euch in meinem Bann, von meinem Worten bessessen, von Gewissensbissen zerfressen, rennt ihr dem Abgrund entgegen, das ist das letzte eurer Leben.
Zum Ende wird noch mal die große Keule rausgeholt: das Lyrische Ich ist der Alles-Checker, das Publikum kann nicht anders als gebannt zuzuhören und wird durch genau diesen konkreten Rap erreicht und von Gewissensbissen zerfressen, auch wenn es ansonsten nie was geschnallt hat und abgestumpft ist und ... tja was? Ändert sich? Eher nicht, sondern es rennt weiter dem Abgrund entgegen und verpaßt folgerichtig die letzte Ausfahrt Richtung Menschlichkeit ...
Ohne an die Magie von Worten zweifeln zu wollen: das ist schon ein gehöriges Maß an Größenwahn, das uns hier präsentiert wird - kombiniert mit einem Abgesang, denn eine Wendung im positiven Sinne scheint nicht vorstellbar zu sein.
Das wiederum widerspricht meines Erachtens dem am Anfang vorgestellten Ziel, die Kollegen zum "tacheles-Reden" zu animieren: denn wozu, wenn es eh nix hilft? Und es widerspricht auch dem Ziel, ein abgestumpftes Publikum aufzuklären, denn ihm wird ein Untergang prophezeit.
So läßt mich dieser Text - unabhängig, wie stark er sich als Rap-Text definiert - ratlos zurück: alles am Ende und nur das Lyrische Ich überlebt - und alle anderen sollen, von den Worten gebannt, zuhören und dann dem Untergang entgegenrennen?
Anders herum: Für einen ersten Text, gleich ob Rap oder nicht, sind etliche Formulierungen und Stellen, die ich gut finde, stellenweise auch ein guter Flow. Aber mir scheint gerade die assoziative Art, in dem ein Thema, eine Zuhörerschaft, ein Forderung oder Aussage an die oder das nächste gereiht wird, ein Teil des Problems zu sein: den roten Faden finde ich nicht oder es gibt deren zu viele.
just my two cents ...
x-Riff