@ sing-it.de
An dem was du schreibst ist viel Wahres dran und gilt, entsprechend angepasst, auch für uns Klassiker.
Zwei Einwände hätte ich aber trotzdem:
Erstens müsste zuerst definiert werden, was man unter "üben" genau versteht
"Üben" bezogen auf ein konkretes Stück beinhaltet für mich alles, was es braucht, bis dieses Stück im Endeffekt aufführungsreif ist. Das beginnt (in der Klassik) mit Detailarbeit an Technik und Ausdruck zuhause und im GU, geht über die Arbeit mit dem Korrep bis zu den Proben mit den Instrumentalisten/dem Dirigenten. Das Ganze wird sozusagen zwiebelartig aufgebaut, es kommt Schicht für Schicht hinzu. Und es ist doch natürlich, dass immer dann, wenn wieder eine neue Komponente mit ins Spiel kommt, das bisher Erarbeitete auch mal wieder etwas (oder manchmal sogar ziemlich viel) schlechter funktionieren kann wie vorher. Jeder neue "Zwiebelschicht" muss halt dann so oft wiederholt werden, bis sie im Schlaf sitzt.
Bei uns Klassikern ist das i.d.R. bis und mit Korreparbeit möglich. Proben mit den Aufführungs-Mitmusikern werden aus finanziellen und terminlichen Gründen dann allerdings meist nur sehr beschränkt angesetzt. Da sollte man sich als Gesangssolist keine grösseren Patzer mehr leisten, will man auch später wieder vom entsprechenden Dirigenten gebucht werden
Und einen solchen Aufbau mit verschiedenen "Schichten" gibt es ja sicher auch beim nichtklassischen Musikmachen(?)
Man muß also die Unterschiede zwischen den beiden Situationen (zu Hause vs. Praxis) überwinden, indem man für die Praxis bzw. den Ernstfall übt.
Aha!
Man beachte das letzte Wort des obigen Satzes: "übt"! Genau das meine ich: das gehört genauso zum üben dazu wie die Arbeit im stillen Kämmerlein!
Dabei ist einer der wichtigsten Punkte, daß man NICHT abbricht, wenn ein Versuch daneben geht - oder allgemein nicht nur kurze Bröckchen singt, sondern mindestens komplette Passagen oder gleich den ganzen Song.
Logisch! Sobald bei mir die einzelnen Phrasen eines Stücks so halbwegs sitzen, singe ich sowohl zuhause wie auch im GU und beim Korrep immer auch ganze Durchläufe (und kurz vor der Aufführung sowieso fast nur noch so.)
Das Ganze kann man noch auf die Spitze treiben und gezielt üben, indem man sich selbst absichtlich Steine in den Weg schmeißt
Das ist immer eine gute Übung. z.B. spielt der GL oder der Korrep absichtlich falsche Töne, macht Rhythmuspatzer, verschlampt einen Einsatz. So sieht man sehr schnell, ob es bei einem selber wirklich zu 100% sitzt. Und manchmal passiert es auch unabsichtlich. Als ich einmal mit einem Korrep übte, hat es plötzlich überhaupt nicht mehr gepasst (wohlgemerkt, der Mann ist Berufsmusiker, Klavierlehrer etc.) Ich habe aber stur mein Ding durchgezogen - und er auch
. Hat nicht so toll getönt
und wir waren beide doch ziemlich erleichtert, als wir merkten worans lag: der gute Mann hatte eine falsche Reihenfolge bei seinen Notenseiten
Eine zweite Sache ist, einfach draufloszusingen
Improvisation ist immer ein gute Sache, auch in der Klassik, wo man normalerweise stark an fixe Noten gebunden ist. Mache ich ab und zu, auch im GU. Fördert die musikalische Kreativität und kann zudem sehr gut über technische Knoten hinweg helfen. Und dort wo es Möglichkeiten zu Verzierungen und Kadenzen gibt: ohnehin perfekt
Mein zweiter Einwand: viele der Probleme die auftauchen können sind genau genommen keine "Übe-Probleme" sondern rein psychologischer Natur (sofern man das überhaupt sauber trennen kann)
Stichworte die mir da einfallen und ev. helfen:
sich selber nicht allzu wichtig nehmen / nicht den grossen Star herauskehren müssen
singen, v.a. um dem Publikum eine Freude machen zu wollen
live ist live, da kann immer mal was passieren / sich nicht an perfekten Tonträgern messen wollen, wo alles mehrmals wiederholt werden konnte und ev. nachbearbeitet wurde
mit Freude singen/Musik machen
eine gesunde Mischung zwischen Perfektionismus und "auch mal 5 gerade sein lassen" finden
Was auch sehr hilft ist, wenn der GL, der Korrep, die Instrumentalisten oder der Dirigent (bei letzteren zwei, sofern man immer mal wieder mit den gleichen Leuten zusammenarbeitet) im Prinzip wissen, dass man "es" kann. Man geht dann viel lockerer an die Sache ran, hat weniger das Gefühl, irgendwem was beweisen zu müssen und natürlich klappt dann automatisch alles besser!
Bezüglich GL sollte das zwar ohnehin kein Problem sein, denn schliesslich ist der dafür da, einem weiterzuhelfen, auch in Bezug auf selbstgemachten Stress/Lampenfieber! Ich habe aber tatsächlich schon von Leuten gehört, die sagten, zuhause beim üben ginge es immer sehr viel besser als in der Stunde! Ich würde da empfehlen, sich einen neuen GL zu suchen!