Ich hab den klassischen Gesang tatsächlich als "goldenen Stimmkäfig" empfunden und bin daher auch nicht dabei geblieben.
Dazu muss ich sagen, dass ich das Gefühl dieser völligen Uneingeengtheit, dass ich jetzt (fast
) immer beim singen empfinde, natürlich auch nicht von Anfang an vorhanden war.
Zu Beginn meiner GU-Zeit, obwohl es da um Technik pur ging, kam so viel neues Spannendes auf mich zu, dass ich gar keine Zeit hatte, mich eingeengt zu fühlen. Und wenn man dann merkt, wie sich die Stimme Schritt für Schritt entwickelt, nimmt man gewisse Regeln gern in Kauf. So war das in der ersten Zeit bei meiner vorherigen Lehrerin. Schwierig wurde dann aber die letzte Phase bei ihr. Da es diverse "technische Knoten" gab, die sich einfach nicht lösen wollten, gab es mehr als genug Situationen wo ich reichlich unzufrieden war. Zwar ging ich immer noch halbwegs gerne in die Stunde, zuhause geübt habe ich aber so gut wie nie, weil das eben meist mehr Frust als Lust gewesen wäre
Da für mich ein Wechsel in einen anderen Stil aber nie zur Diskussion stand, gabs nur 2 Möglichkeiten, entweder mit der Solo-Singerei ganz aufhören oder sich durchbeissen. Und zum Glück habe ich mich fürs zweite entschieden. Es war mir aber klar, dass ich nur mit einer neuen GL eine Chance auf Weiterentwicklung habe. Und seit dem GL-Wechsel von vor 2 Jahren gehts jetzt eigentlich nur noch bergauf
. Die Stimme hat sich auf eine Weise entwickelt, dass ich die im klassischen Gesang vorgegebenen technischen "Leitplanken" nicht mehr als solche empfinde (meist jedenfalls
, schlechte Tage/Momente hat ja jeder mal, gibts wohl auch bei anderen Stilen).
Je weiter sich die Stimme entwickelt, umso weniger nimmt man diesen Rahmen wahr. Und irgendwann (d.h. auf dem Stand eines guten Profis) ist die klassische Art des Singens vermutlich so sehr zu einer zweiten Haut geworden, dass man wohl wirklich das Gefühl hat, man singt, wie einem der Schnabel gewachsen ist und ganz vergisst, dass das alles mal erlernt werden musste.
Nur daß man mit der Stimme alles machen darf: anzerren, hauchen... eben alles, was ich im klassischen Gesang nicht darf.
Ich weiss, dass hauchen bei Pop ein Stilmittel sein kann, wobei es mir persönlich auch da nicht sonderlich gefällt, aber das ist Geschmackssache. Beim klassischen Singen wäre es aber einfach nur unschön und deshalb kein Verlust, dass nicht erlaubt
Zudem steht ja nicht immer nur ein technischer Mangel dahinter, sondern ab und zu auch eine effektive Stimm-Störung.
... auch der Lebensstil, der dir abverlangt wird, hätte nicht zu mir gepaßt: nicht rauchen, kein Alkohol, immer genug schlafen, stundenlanges Üben am Tag ... das wäre auch schon ein Käfig gewesen.
Das sehe ich für mich nicht so eng. Rauchen tue ich sowieso nicht, nicht nur wegen dem Singen sondern weil ich es nicht mag. Alkohol: unmittelbar vor dem Singen tatsächlich nie (auch das oft propagierte halbe Glas Weisswein vor dem Auftritt hat bei mir keinen positivenn Effekt), aber danach, weshalb nicht? o.k. bin kein Profi, aber ich glaube, auch die sehen das nicht immer ganz so stur. Sicher nicht saufen ohne Ende, das ist ja klar
, aber ab und zu ein gutes Glas Wein... glaube nicht, dass da was ernsthaft dagegen spricht. Stundenlanges Üben (wobei "stundenlang" relativ ist, gibt ja Grenzen die einem die Stimme da setzt): ich bin mittlerweile dermassen "singsüchtig", dass das längst kein "müssen" mehr ist sondern ganz klar ein "dürfen"
. Ist natürlich auch ein Vorteil, den man als Amateur hat, man kann immer genau soviel singen wie man möchte.
Ich hab schon oft Vorurteile an den Kopf geworfen bekommen: Was ich mache sei kein Singen, yaddayaddayadda.
Das ist natürlich absolut arrogant. Von den klassischen Sängern in meinem Umfeld (Amateure wie Profis) habe ich noch nie so was gehört. Wir haben zwar nie explizit über andere Gesangs-Stile gesprochen, aber so wie ich sie als offene Menschen einschätze, glaube ich nicht, dass sie so was denken, geschweige denn äussern würden. Und in Interviews mit Weltklasse-Opernsängern habe ich schon mehr als einmal gelesen, dass sie in ihrer Freizeit auch ganz gerne Rock/Pop hören.
Ich weiss aber, z.B. aus Bemerkungen in Klassik-Foren, dass es Klassiker gibt, die denken, ihre Art des Singens sei das einzig wahre und alles andere tauge nichts. Das hat aber meiner Ansicht nach nichts mit der klassischen Musik an sich zu tun, sondern viel mehr damit, dass es überall bornierte dumme Menschen gibt. Geht dabei ja nicht mal darum, dass man was anderes unbedingt schön finden muss, man muss es nur respektieren. Und genug neugierig sein, auch mal einen Blick über die Grenze zu werfen, dabei kann man immer auch was für sich selbst gewinnen.
So genug der Philosophie und des O.T