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MikeChapman
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Äußerst skeptisch reagierte ich Anfangs auf die Nachricht, dass Charvel die Herstellung ihrer Production Models nach Japan verlegte. Und die Skepsis stieg umso mehr, als ich erfuhr, dass diese zu einem deutlich günstigeren Preis über die Ladentheke gehen als die US-Versionen. Billiger bedeutet doch schließlich auch minderwertiger - oder etwa nicht?
Ich hatte im Laufe meines Musikerdaseins schon einige Gitarren, und war mit den meisten auch zeitweise zufrieden, doch wurde hier die Stammbesetzung des Öfteren ausgetauscht. Den größten Fehler den ich hierbei allerdings beging war meine schwarze US San Dimas wegzugeben, da ich relativ schnell merkte, dass dieses Modell genau das hat was ich von einer Gitarre erwarte, was zum einen das klassische Stratocaster-Design ist, und zum anderen das für mich perfekte Neckshapping.
In gewisser Weise war die JP Pro-Mod ein Superschnäppchen für mich, doch hinterlässt der günstigere Preis gewisse Fragen denen man auf den Grund gehen sollte.
Optik und Verarbeitung:
Bei genauerer Betrachtung wirkt sie schon sehr puristisch. Der Hals wurde gelblich gewachst (-ölt?) und der Korpus ist in einem deckenden weiß lackiert. Die schwarzen, direkt in den Korpus eingeschraubten PUs und die Aluplatten auf der Rückseite, bilden einen schönen Kontrast. Locking Nut und Tremolo sind verchromt, was zwar mit der weißen Farbe gut harmoniert, doch hätte mir eine schwarze Hardware deutlich besser gefallen.
Bei meiner Amerikanerin waren einige Bundstäbchen an den Kanten nicht sauber abgerundet, (ich vermute, dass man beim Gitarrenkauf zeitweise erblindet) und als ich das Tremolofach öffnete kam mir eine ordentliche Ladung Holzstaub entgegen. An der Japanerin gibt es hingegen fast nichts zu mäkeln. Die Lackierung wurde sauber durchgeführt, die Bünde sind absolut perfekt abgerichtet und der Hals wurde aus einem hübschen Stück Ahorn hergestellt. Lediglich an der einen oder anderen Stelle ist die Wachsbehandlung nicht ganz regelmäßig und wirkt etwas fleckig, doch wird sich das nach ein paar Wochen Spielen sicherlich angeglichen haben.
Ein weiteres Sahnestück ist der schwarze SKB-Koffer. Er hat ein stylisches Design und wirkt dank qualitativer Verarbeitung und einem eingegossenen Charvel-Schriftzug sehr hochwertig. Im Innenraum ist schwarzes Plüsch zu finden und ein Staufach für Picks, Saiten, Tuner usw.
Bespielbarkeit
Das charakteristischste an der Charvel ist wohl der Hals. Sie verfügt über einen ca. 20mm schlanken Ahornhals mit einem Compound Radius von 12 auf 16 Zoll. Die stark abgerundeten Griffbrettkanten lassen ihn wie perfekt eingespielt wirken, und die fetten 22 Jumbobünde machen Bendings zu einem Kinderspiel. Auf eine Lackierung wurde komplett verzichtet, was dem Spielgefühl genauso dienlich ist wie der leichte Halswinkel.
Natürlich ist ein Neckshapping immer Geschmackssache. Während der eine auf das extrem dünne Brett steht, bevorzugt der andere den Baseballschläger, doch sind die Lobeshymnen, welche in fast ausnahmslos jedem Review zu lesen sind, keinesfalls unbegründet. Somit kann ich jedem nur empfehlen sie einfach mal in die Hand zu nehmen und anzutesten. Kurz zusammengefasst kann man den Hals als ergonomisch, modern und entgegekommend bezeichnen.
Der Volumepoti der US-Charvel hatte einen Gummiüberzug, und auch wenn die landläufige Meinung dahingehend tendiert, dass es ohne diesen mehr Spaß macht, kann ich dies, zumindest im Bezug auf die Gitarre, nicht bestätigen. Der Volumepoti wirkt wie ein recht schwergängiger und grobschlächtiger Metalklotz auf mich. Einfaden macht nicht wirklich Spaß damit. Auch der Switch schnalzt gerne mal zurück, wenn man ihn im Eifer des Gefechts nicht sauber einrasten lässt. Etwas filigranere, präzisere Bedienelemente wären durchaus wünschenswert gewesen. Auch die Verschraubung des Tremolohebels kommt mit dem oft üblichen Problem da sie im Grunde genommen nur zwei Einstellungen hat: zu fest oder zu locker.
Sound
Hier habe ich eigentlich mit Sparmaßnahmen gerechnet, und ging davon aus, dass die JP-Version wohl ein minderwertigeres Holz spendiert bekam. Die Amerikanerin hatte trocken gespielt einen spritzigen, direkten, klaren und ausgewogenen Klang. Und die Japanerin? Ebenso. Die Klangeigenschaften sind tatsächlich identisch, also schließen wir die San Dimas an unser Axe-Fx an um zu testen, was sie soundtechnisch auf dem Kasten hat.
Cleanbetrieb:
Obwohl sie nicht direkt dafür ausgelegt ist, zaubert sie hier schöne, saubere und brauchbare Klänge. Auffällig ist hier besonders die Substanz des Instruments. Trotz des 9er Saitensatzes der mir an vielen Gitarren fast schon etwas zu dünn im Sound ist, liefert sie einen sehr vollen Klang mit dem ich kaum gerechnet hätte. Die dickeren Drähte bleiben mir somit schonmal erspart, was dem Spielkomfort wieder zugute kommt.
Der JB-Humbucker am Steg näselt etwas bissig vor sich hin, und ist dann wohl doch eher für leicht countryeske Sonderaufgaben zu gebrauchen. Die Mittelstellung des 3-Wegeschalters sorgt für mehr Ausgewogenheit und hat eine leicht perlende Note. In dieser Stellung erzeugen die PUs einen Sound der deutlich vielfältiger ist, und am Hals haben wir einen bluesig warmen 59er, der trotz des vollen Soundes klar bleibt und auch im Rhythmus eine gute Figur macht.
Doch lassen wir die Gitarre mal ihren Heimvorteil ausspielen, und stellen ihr eine ordentliche Portion Gain zur Verfügung.
Als erstes fällt hier auf wie leicht die Tonformung von der Hand geht. Wozu einen Tonepoti umständlich bedienen, wenn man ähnliche Klangspektren durch das Spiel an sich erzeugen kann? Also spätestens hier vermisst man diesen tatsächlich nicht mehr, den während ein leichter Anschlag noch weich vor sich hintönt, wird bei rabiaterer Handhabung der Sound deutlich spitzer. Diese Eigenschaft macht die Charvel zu einer dynamischen Soundmaschine und lässt ein ausdrucksstarkes Spiel zu.
Der Steg-PU ist druckvoll, transparent und differenziert. Er schiebt beim Riffing ordentlich an und gibt eine gute Figur im Solospiel. Meine San Dimas hat ihren Sweetspot auf der B- und der hohen E-Saite zwischen dem fünften und achten Bund. Lange Singlenotes klingen hier einfach traumhaft.
Die Zwischenstellung ist hier, vor allem bei mehr Gain nicht mehr ganz so klar und wird etwas kratzig.
Der Hals-PU liefert einen (Überraschung!) wärmeren Sound, der trotzdem schön klar bleibt. Ich finde dass die Tonformung hier nochmal besser zur Geltung kommt, was diesen PU perfekt für Solos macht.
Die Eigenschaften die diese Gitarre trocken mit sich bringt bleiben auch am Amp erhalten. Die Charvel tönt immer ausgewogen und hat auch am Steg-PU eine ordentliche Portion Bass.
Falls Euch dieses Sensorikgeschwafel nun weniger interessiert, dann seht Euch am besten das Review an welches am Ende dieses Threads zu finden ist.
Resümee
Ich mag den Begriff "Arbeitstier" bei einer Gitarre nicht sonderlich, doch gewissermaßen ist dieser hier zutreffend. Der Stärken der San Dimas liegen beim Sound und bei der Bespielbarkeit. Sie hat keine Gold-Hardware, funkelnde Inlays, oder aufwendige Bindings, doch wer sich eine Charvel kauft will eine fette 80s Rockstrat und keinen Weihnachtsbaum.
Wenn man ein faible für die klassische Strat hat und mit dem Floyd Rose klarkommt, sollte man sie sich auf alle Fälle ansehen. Hier bekommt man wirklich eine Top-Gitarre zum Mittelklassepreis.
+ Sound
+ Bespielbarkeit
+ Koffer
+ Preis
- Bedienelemente könnten wertiger sein
- Tremolohebel nur sehr bedingt einstellbar
http://www.musik-service.de/Search-charvel%20san%20dimas-SECx0xI-src0de.aspx
- Eigenschaft