Hi Vlad,
wenn Du mit dem Pick die Saite anschlägst, übergibst du der Saite einen Energiebetrag.
Diese Menge Energie wird in Summe nicht mehr mehr oder weniger, es finden nur noch Energieumwandlungen statt.
So wird beispielsweise die Energie in der Saite durch Reibung in der Saite selbst bzw. dem Schnodder, Erdbeermarmelade, Nutella usw. was man über die Finger in die Saite schmiert, in Wäremeenergie umgesetzt.
Ebenso stösst die Saite direkt Luftmoleküle an und verliert dadurch Energie (zugegeben sehr wenig - aber dennoch vorhanden).
Wie Der Onkel in seinem Artikel schreibt, wird die Schwingung an der Auflagern (Brücke / Steg) reflektiert. Das Maß der Reflektion ist der Reflexionsfaktor. Dieser liegt bei Gitarren deutlich über 99 %, d.h. mehr als 99 % der Energie
wird zurückreflektiert. Und dies ist auch gut so, denn wäre es weniger, würde die Gitarre nicht klingen, sondern es
würde nur Plop machen. Dazu eine kurze Rechnung.
Du schlägt ein A an, also 440 Hz, d.h. die Saite schwingt in einer Sekunden 440 mal. Würde der Reflexionsfaktor
99 % sein, d.h. bei jeder Schwingung geht 1% Energie verloren, beträgt nach einer Sekunde (440 Schwingungen) die Energie der Saite nur 1,2 % der Ursprungsenergie (0,99^440) => kein gutes Sustain. Bei 99,9 % Reflektionsgrad, beträgt die Restenergie immerhin noch 64% => schon besser...
Die Folge dieses Beispiels ist, dass nur ein sehr geringer Anteil an Energie pro Schwingung an der Hals und Body abgegeben werden. Würde es mehr sein, hätte die Gitarre kein Sustain.
Jede Körper hat mindestens einen Resonanzfrequenz. Bei dieser Frequenz entzieht die Gitarre dem anregenden System - hier der Saite - maximal Energie. Da die Energie des Gesamtsystems konstant bleibt,
wird bei der Resonanzfrequenz der Saite unwiderbringlich Energie entzogen => das Sustain verkürzt sich.
Wenn also eine Gitarre supertoll schwingt, bedeutet das, dass sie gerade der Saite maximal Energie enzieht
und das Sustain verkürzt. Auch wenn es sich gut in der Hand anfühlt wenn die Gitarre super schwingt, für
das Sustain ist das nicht so toll - außerdem ist eine Gitarre kein Vibrator !
Weit verbreitet ist ja der Gedanke, das die Energie wieder vom Body und Hals an die Saite zurückgegeben wird.
Dies ist theoretisch richtig, jedoch praktisch vernachlässigbar, allein schon, weil nur geringe Mengen Energie pro Schwingung in Body und Hals gelangen, vgl. oben. Zudem wird der Hals und der Body durch die Hand und Bauch sehr stark bedämpft, d.h. die Energie wird unwiderbringlich in Wärmeenergie umgewandelt und kann nicht mehr zurückfliessen.
Man kann dies auch testen, indem man eine Saite sehr hart anschlägt. Nun müsste ja sehr viel Energie in den Body und Hals fliessen. Stoppt man nun die Schwingung der Saite mit der Fingerspitze ab und lässt sie sofort wieder freischwingen, müssten der Legende nach Unmengen an Energie aus Hals und Body wieder zurückfliessen und die Saite
wieder hörbar zu schwingen beginnen, jedoch was hört man ? Nix ! Weil keine Energie im nennenswerten Umfang zurückfliesst.
Der Hals und der Body haben sicherlich bei der Art wie eine Gitarre klingt Einfluss, weil sie bestimmte Frequenzen filtern, aber meiner Meinung nach keinen entscheidenden Einfluss. Für mich stehen hier, die Saite selbst, die exakte Ausformung der Saitenauflage, die Pickups an erster Stelle.
Vielleicht noch ein kurzer aber interessanter Hinweis.
Die Firma Flaxwood baut aus einem Composite-Material (Harz / Holz Gemisch) hochgelobte Gitarren und zwar
für die Highgain-Metal-Shredder-Fraktion (Modell Äijä) bis hin zum Charlie Christian Jazz-Gitarrenmodell aus ein
und dem selbsen Material mit der identischen Bodyform und exakt gleichem Hals, d.h. die Gitarren unterscheiden sich nur durch die Pickups und teilweise dem Modell des Vibratos bzw. Bridge.
Ich denke das zeigt, welchen Einfluss der Body selbst hat, geschweige denn Haarrisse im Lack oder speziellen
mit Jungfrauenblut vermischte Lacke oder noch besser nach Walzrichtung des Stahls sortierte Vibratoblöcke...
Gruß
Jürgen
P.S. Das Gewicht eines Körper ist keine Materialeingenschaft. Soweit ich mich noch erinnern kann, ist die
Ausbreitungsgeschwindigkeit von Wellen in Festkörpern nicht abhängig von der Masse,
sondern von der Dichte und Elastizitätsmodul.