Hallo möchtegernbach!
möchtegernbach;5503952 schrieb:
Ich beschäftige mich ein wenig mit Palestrina und der hatte was gegen diesen diatonischen Querstand. Nun bleibt immernoch die Frage wann S - D ,Dp - S, D - Sp, Dp - Sp ... möglich ist (wegen dem Querstand).
Die Frage sollte man nicht losgelöst vom historischen Kontext beantworten.
Du hast Symbole aus der Funktionstheorie verwendet. Diese wurde erst durch
Riemann (1849-1919) entwickelt.
Palestrina (1514-1594) kannte weder die Funktionstheorie noch eine Dur-Moll-tonale Musik mit Kadenzharmonik. Auch eine "Harmonielehre" war ihm nicht bekannt. Eine solche wurde erstmals von
Rameau (1683-1764) entwickelt.
Wichtige Stufen der musikalischen Entwicklung:
13.Jahrhundert:
Ars antiqua: Walter Odington (1228 Bischof von Canterbury) gibt vom Rondellus die Definition: "Wenn das, was einer singt, (dann) alle der Reihe nach vortragen". Ältestes bekanntes mehrstimmiges Stück dieser Art:
Sumer is icumen in (
anhören)
In der Praxis nimmt die Einstimmigkeit mit Lied und Choral immer noch den größten Raum ein.
14. Jahrhundert: Die
Ars nova entsteht, eine hochentwickelte, zum großen Teil mehrstimmige Vokalmusik.
um 1400: Der Kontrapunkt wird benannt
um 1430: Entstehung einer dominantischen Tonalität
um 1550: Erstmals treten alle drei Hauptfunktionen (T, D und S) auf.
erst ab 1600: Beginn der Kadenzharmonik (mit dem Generalbass) in Italien und den Niederlanden in der konsequenten Abkehr von der mittelalterlichen Harmonik der Kirchentonarten. Die Verbindung Domiantseptakkord - Tonika wird verwendet.
Literatur
http://de.wikipedia.org/wiki/Kontrapunkt
http://de.wikipedia.org/wiki/Ars_antiqua
http://de.wikipedia.org/wiki/Sumer_is_icumen_in
http://de.wikipedia.org/wiki/Ars_nova_(Musik)
Carl Dahlhaus: "Tonalität" in MGG, S. 626
http://de.wikipedia.org/wiki/Kadenz_(Harmonielehre)#Geschichtliches
S.W. Dehn: Lehre vom Contrapunkt, dem Canon und der Fuge (1859)
Palestrina sah also noch nicht das Problem, funktionelle Akkorde ohne Querstand zu verbinden, denn die Musik folgte noch nicht einem harmonischen Konzept.
möchtegernbach;5503952 schrieb:
Also in dem Wiki Beispiel ist ja kein f-h sondern ein c-fis (also D-dur).
Die Tonart wäre wohl eher G-Dur, nicht D-Dur.
Ein solcher Querstand entsteht immer, wenn zwei große Terzen aufeinander folgen, die dann, melodisch auf zwei Stimmen verteilt, einen Tritonusschritt bilden. Sie wären also auch in den von Dir genannten Akkordverbindungen enthalten.
Offenbar stammt das Verbot des Querstands aus dem zweistimmigen Kontrapunkt.
Der Harmonielehrer
S.W. Dehn schreibt in seiner "
Lehre vom Contrapunkt, dem Canon und der Fuge, nebst Analysen von Duetten, Terzetten etc. von Orlando di Lasso, Marcello,
Palestrina ..." im Kapitel "Einfacher Contrapunkt zu zwei Stimmen oder zweistimmiger Satz":
In der antiken Schreibart ... Orlando di Lasso, Palestrina ... dürfen die beiden Stimmen nur Consonanzen bilden...
Man vermeide übel auftretende Querstände aller Art...
Aus diesem Grund ist die unmittelbare Folge von zwei grossen Terzen, die um einen Ton weiterschreiten, nicht zulässig...
Das Verbot löst sich allerdings im Lauf der Geschichte immer mehr auf, zunächst wird in erlaubte und unerlaubte Querstände differenziert, allerdings werden die Grenzen unterschiedlich gezogen.
Ausführungen von S.W. Dehn zum Querstand in seiner "Theoretisch-Praktischen Harmonielehre" werden von
G.W. Fink ausführlich und kritisch kommentiert in:
"ALLGEMEINE MUSIKALISCHE ZEITUNG" Nr.39 (1841)
Riemann Musiklexikon (Auszug):
Da dem Querstand entweder ein nichtleitereigener Ton (z. B. chromatischer Nebenton) oder ein Tritonusschritt zugrunde
liegt und diese den eindeutigen Ablauf einer Harmoniefolge zu stören scheinen, wird er von der Musiklehre im allgemeinen verboten. Dieses Verbot gilt jedoch einzig im Bereich des strengen Kontrapunkts als verbindlich.
Die Musiklehre der Barockzeit, die den Tritonus-Qu. in Anlehnung an die Hexachordlehre als -> Mi contra Fa bezeichnet, klassifiziert die verschiedenen Arten der Relationes non harmonicae bereits in tolerabiles und intolerabiles (WaltherL).
...
Eine exakte Definition für erlaubte und unerlaubte Relationes wird im Hinblick auf die Kompositionen jedoch nicht gegeben, "weil die Auctores so wohl, als der gout der Zuhörer hierinnen nicht einig sind" (WaltherL).
Helmholtz (1821-1894) erklärt die
Querstandsregeln ausführlich, in: "Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik (1863)" und schließt mit den Worten:
Wo die Musik heftigere Anstrengung und Aufregung ausdrücken soll, verlieren diese Regeln ihren Sinn. Auch findet man sowohl verdeckte Quinten und Oktaven, als auch
Querstände von falschen Quinten in Menge selbst bei dem als Harmoniker sonst so strengen Sebastian Bach in seinen Chorälen, in denen die Bewegung der Stimmung aber auch freilich viel kräftiger ausgedrückt ist, als in der alten italienischen Kirchenmusik.
http://www.uni-leipzig.de/~psycho/wundt/opera/helmhltz/toene/TonEmK18.htm
Viele Grüße
Klaus