
hans-jürgen
Registrierter Benutzer
Moin, hier und da wurde in diesem Forum natürlich schon über diese Mikrofonaufstellung geschrieben, aber ein eigenes Thema scheint es nicht zu geben, jedenfalls habe ich keines gefunden. Deshalb mache ich mal eins auf, anstatt mich an ein anderes dranzuhängen.
Eigentlich wollte ich hauptsächlich berichten, daß es fantastisch klingende Klassikaufnahmen von Decca aus den 50er und 60er Jahren auf Spotify zu hören gibt, also kann der Thread auch ins Klassikforum verschoben werden bzw. würde da auch passen. Ich bin vor einigen Tagen zufällig darauf gestoßen, als ich auf der Suche nach Aufnahmen aus dem Großen Musikvereinssaal in Wien war, den die meisten wahrscheinlich aus dem Fernsehen kennen, zumindest vom Neujahrskonzert, das jedes Mal live von dort übertragen wird. Fälschlicherweise war ich nämlich davon ausgegangen, daß der Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern und Hans Schmidt-Isserstedt sowie Wilhelm Backhaus am Klavier natürlich dort aufgenommen sein musste - bei dieser tollen Akustik, die ich deutlich beim eben gespielten Album auf Spotify hören konnte. Und der Große Musikvereinssaal ist bekanntlich einer der besten Konzertsäle der Welt, also konnte es ja gar nicht anders sein - diese Wärme, diese Durchsichtigkeit bis ganz nach hinten usw.
Da ich nach einem Albumcover für die gehörte Aufnahme suchte, stolperte ich bei Discogs.com über die Details des Albums, wo eindeutig "Sofiensaal" angegeben wurde, der mir schon bekannt war als Aufnahmeort von Georg Soltis berühmter erster Stereo-Gesamteinspielung des kompletten Ring-Zyklus von Richard Wagner, ebenfalls von Decca, die damals großes Aufsehen erregt hatte u.a. wegen der eingefangenen Akustik. Der Sofiensaal in Wien war eine ehemalige Badeanstalt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die im Winter als Konzert-, Tanz- und Veranstaltungssaal genutzt wurde, indem das Wasser abgelassen und das 30 m lange und ca. 15 m breite Becken mit Holzbohlen und Brettern abgedeckt wurde. Also hatte man einen riesigen Resonanzboden, der einer der Gründe für den Klang war. Und das bewegte die Decca damals in den Anfangsjahren der Stereoära wahrscheinlich dazu, diesen Saal quasi komplett als Aufnahmestudio in Beschlag zu nehmen bis in die 80er Jahre hinein, wenn sie in Wien etwas aufnehmen wollten. Möglicherweise war auch die Konkurrenz (Deutsche Grammophon usw.) dauernd mit ihren Spitzenkünstlern im Musikvereinssaal, so daß die Decca deshalb in den Sofiensaal ausgewichen war.
Langer Rede kurzer Sinn: Beim weiteren Googlen fand ich also heraus, daß die dort eingesetzte Mikrofonierung der besagte Decca-Tree war, den die Toningenieure immer weiter entwickelten. Hauptsächlich bestand er aus drei Kugelmikros Neumann M50 in einem gleichschenkligen Dreieck über dem Dirigenten, leicht nach vorn Richtung Orchester plaziert. Die drei Mikros wurden ebenfalls angewinkelt in Richtung der Streicher, da sie aufgrund ihrer Bauart mit Plexiglaskugel als Membrangehäuse in den Präsenzen eine Richtwirkung hatten. Links und rechts davon wurden noch je ein weiteres M50 benutzt, die ebenfalls die räumliche Abbildung in der Breite und Tiefe unterstützen sollten. Das Center-Mikro des Decca-Trees wurde in die Mitte des Stereopanoramas gelegt, die beiden Seitenmikros nach halb links und rechts, die Außenmikros entsprechend hart links und rechts. Jedenfalls erzählt das einer der beteiligten Ings in einem Interview, da es auch andere Berichte gibt - alles außer Center nach ganz außen, Center entweder gleichlaut wie die Seiten oder doch leiser usw. Wie gesagt wurde damit viel experimentiert, so daß es für verschiedene Aufnahmesituationen auch abweichende Lösungen gab, z.B. noch Stützmikros für leise Instrumente etc.
Interessant ist auch, daß diese Mikrofonierung immer noch aktuell ist, da sie für Surround-Aufnahmen ideal als Basis dienen kann, indem man die benötigten Surround-Mikros und Encoder ergänzt:
Hier nun ein paar Links zu den erwähnten Aufnahmen, Artikeln und Interviews:
Beethoven - Collector's Edition (Anspieltipps: 3. Sinfonie "Eroica", 4. Klavierkonzert, 3. Leonoren-Ouvertüre): https://open.spotify.com/album/7BLfFkT7oXFKeJNYdrLew0
Alternative Aufnahme der Beethoven-Sinfonien mit René Leibowitz und dem Royal Philharmonic Orchestra in London (auf mehreren CDs von Naxos wiederveröffentlicht, z.B. die 3. Sinfonie):
https://open.spotify.com/album/11E79awvSH28NCQ0xm3qr7
https://de.wikipedia.org/wiki/Sofiensäle
http://www.esoteric.jp/products/esoteric/essd90021_34/indexe.html
http://www.esoteric.jp/products/esoteric/essd90021_34/img/photo_2le.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Decca_Tree
https://en.wikipedia.org/wiki/Decca_tree
http://web.archive.org/web/20111001044347/http://www.wikirecording.org/Decca_Tree
http://www.mixonline.com/news/profiles/decca-tree/365206
http://www.uni-koeln.de/phil-fak/muwi/ag/tec/deccatree.pdf
http://www.opusklassiek.nl/audiotechniek/deccatreed2.pdf
http://www.mikecollins.plus.com/PUBLICATIONS/PDFS/John Pellowe Interview.pdf
http://www.better-records.com/product.aspx?pf_id=beethsym5_RDG_0713_1
Eigentlich wollte ich hauptsächlich berichten, daß es fantastisch klingende Klassikaufnahmen von Decca aus den 50er und 60er Jahren auf Spotify zu hören gibt, also kann der Thread auch ins Klassikforum verschoben werden bzw. würde da auch passen. Ich bin vor einigen Tagen zufällig darauf gestoßen, als ich auf der Suche nach Aufnahmen aus dem Großen Musikvereinssaal in Wien war, den die meisten wahrscheinlich aus dem Fernsehen kennen, zumindest vom Neujahrskonzert, das jedes Mal live von dort übertragen wird. Fälschlicherweise war ich nämlich davon ausgegangen, daß der Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern und Hans Schmidt-Isserstedt sowie Wilhelm Backhaus am Klavier natürlich dort aufgenommen sein musste - bei dieser tollen Akustik, die ich deutlich beim eben gespielten Album auf Spotify hören konnte. Und der Große Musikvereinssaal ist bekanntlich einer der besten Konzertsäle der Welt, also konnte es ja gar nicht anders sein - diese Wärme, diese Durchsichtigkeit bis ganz nach hinten usw.
Da ich nach einem Albumcover für die gehörte Aufnahme suchte, stolperte ich bei Discogs.com über die Details des Albums, wo eindeutig "Sofiensaal" angegeben wurde, der mir schon bekannt war als Aufnahmeort von Georg Soltis berühmter erster Stereo-Gesamteinspielung des kompletten Ring-Zyklus von Richard Wagner, ebenfalls von Decca, die damals großes Aufsehen erregt hatte u.a. wegen der eingefangenen Akustik. Der Sofiensaal in Wien war eine ehemalige Badeanstalt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die im Winter als Konzert-, Tanz- und Veranstaltungssaal genutzt wurde, indem das Wasser abgelassen und das 30 m lange und ca. 15 m breite Becken mit Holzbohlen und Brettern abgedeckt wurde. Also hatte man einen riesigen Resonanzboden, der einer der Gründe für den Klang war. Und das bewegte die Decca damals in den Anfangsjahren der Stereoära wahrscheinlich dazu, diesen Saal quasi komplett als Aufnahmestudio in Beschlag zu nehmen bis in die 80er Jahre hinein, wenn sie in Wien etwas aufnehmen wollten. Möglicherweise war auch die Konkurrenz (Deutsche Grammophon usw.) dauernd mit ihren Spitzenkünstlern im Musikvereinssaal, so daß die Decca deshalb in den Sofiensaal ausgewichen war.
Langer Rede kurzer Sinn: Beim weiteren Googlen fand ich also heraus, daß die dort eingesetzte Mikrofonierung der besagte Decca-Tree war, den die Toningenieure immer weiter entwickelten. Hauptsächlich bestand er aus drei Kugelmikros Neumann M50 in einem gleichschenkligen Dreieck über dem Dirigenten, leicht nach vorn Richtung Orchester plaziert. Die drei Mikros wurden ebenfalls angewinkelt in Richtung der Streicher, da sie aufgrund ihrer Bauart mit Plexiglaskugel als Membrangehäuse in den Präsenzen eine Richtwirkung hatten. Links und rechts davon wurden noch je ein weiteres M50 benutzt, die ebenfalls die räumliche Abbildung in der Breite und Tiefe unterstützen sollten. Das Center-Mikro des Decca-Trees wurde in die Mitte des Stereopanoramas gelegt, die beiden Seitenmikros nach halb links und rechts, die Außenmikros entsprechend hart links und rechts. Jedenfalls erzählt das einer der beteiligten Ings in einem Interview, da es auch andere Berichte gibt - alles außer Center nach ganz außen, Center entweder gleichlaut wie die Seiten oder doch leiser usw. Wie gesagt wurde damit viel experimentiert, so daß es für verschiedene Aufnahmesituationen auch abweichende Lösungen gab, z.B. noch Stützmikros für leise Instrumente etc.
Interessant ist auch, daß diese Mikrofonierung immer noch aktuell ist, da sie für Surround-Aufnahmen ideal als Basis dienen kann, indem man die benötigten Surround-Mikros und Encoder ergänzt:
Hier nun ein paar Links zu den erwähnten Aufnahmen, Artikeln und Interviews:
Beethoven - Collector's Edition (Anspieltipps: 3. Sinfonie "Eroica", 4. Klavierkonzert, 3. Leonoren-Ouvertüre): https://open.spotify.com/album/7BLfFkT7oXFKeJNYdrLew0
Alternative Aufnahme der Beethoven-Sinfonien mit René Leibowitz und dem Royal Philharmonic Orchestra in London (auf mehreren CDs von Naxos wiederveröffentlicht, z.B. die 3. Sinfonie):
https://open.spotify.com/album/11E79awvSH28NCQ0xm3qr7
https://de.wikipedia.org/wiki/Sofiensäle
http://www.esoteric.jp/products/esoteric/essd90021_34/indexe.html
http://www.esoteric.jp/products/esoteric/essd90021_34/img/photo_2le.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Decca_Tree
https://en.wikipedia.org/wiki/Decca_tree
http://web.archive.org/web/20111001044347/http://www.wikirecording.org/Decca_Tree
http://www.mixonline.com/news/profiles/decca-tree/365206
http://www.uni-koeln.de/phil-fak/muwi/ag/tec/deccatree.pdf
http://www.opusklassiek.nl/audiotechniek/deccatreed2.pdf
http://www.mikecollins.plus.com/PUBLICATIONS/PDFS/John Pellowe Interview.pdf
http://www.better-records.com/product.aspx?pf_id=beethsym5_RDG_0713_1
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