Workshop Selbstbau eines Kunstkopfmikrofons, binaurale Tonaufnahme

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Der Workshop zum Selbstbau eines Messmikrofons mittels der günstig verfügbaren Elektretkapseln bereitet natürlich auch den Boden für andere Mikrofon-Basteleien.

Zum Verständnis ist es sinnvoll, den Messmikrofon-Workshop vorab zu lesen, auf dort genannte Punkte gehe ich hier nur noch kurz ein.
https://www.musiker-board.de/faq-wo...smikrofone-selbstbau-eines-messmikrofons.html

Grundsätzliches zu binauraler Tonaufnahme und Kunstkopfverwendung bitte in den entsprechenden Wikipedia-Artikeln nachlesen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Binaurale_Tonaufnahme
http://de.wikipedia.org/wiki/Kunstkopf
http://de.wikipedia.org/wiki/HRTF
Ebenfalls interessant sind zwei Sengpiel-Artikel.
www.sengpielaudio.com/GehoerenOhrsignaleInLautsprecher.pdf
www.sengpielaudio.com/GegensaetzlicheStereo-Verfahren.pdf

[Links ausgebessert. Banjo]

Aufs knappste reduziert: binaurale Tonaufnahme gestattet eine sehr präzise räumliche Darstellung, allerdings nur über Kopfhörer.
Bei der Wiedergabe sollte jeglicher Raumeinfluss ausgeschlossen sein, ebenso ist eine möglichst starke Kanaltrennung von Ohr zu Ohr nötig. Vorteilhaft ist der Ausschluss des Einflusses des Aussenohrs - damit bleibt dann eben fast nur noch Kopfhörer.
Über konventionelle Lautsprecher abgehört, entsteht ein stark verfärbter und räumlich unklarer Eindruck.

Neben dem Kunstkopf arbeitet auch das Originalkopfmikrofonverfahren und die Jecklin-Scheibe mit ihren Abarten nach dem binauralen Verfahren.

Der Kunstkopf ist eine Nachbildung des Kopfes und verwendet zwei diffusfeldentzerrte omnidirektionale Mikrofonkapseln in den nachgebildeten Ohren. Üblicherweise kommen Kondensatorkapseln zum Einsatz.
Beim Originalkopfverfahren werden in die Gehörgänge Mikrofonkapseln eingebracht. In den letzten Jahren hat dieses Verfahren nicht zuletzt durch die Produkte der Fa. Soundman und die Verfügbarkeit günstiger mobiler Recorder deutlich an Beliebtheit gewonnen.
http://www.soundman.de/

Die Gestaltung der Kunstkopfnachbildung nimmt tatsächlich sehr großen Einfluss auf die Qualität insbesondere der räumlichen Abbildung. Aber bereits sehr grobe Annäherungen erlauben eine sehr ordentliche Darstellung.

Beliebt sind für erste Experimente die sehr günstigen Styroporperückenköpfe (http://www.google.at/search?q=perüc...&rls=org.mozilla:de:official&client=firefox-a), Schaufensterpuppenköpfe oder alte Hutmacherköpfe aus Holz.

Der Kopf sollte aber schon normaler Kopfgröße entsprechen, vor allem bei den Perückenköpfen gibt es deutlich zu kleine und schlanke Köpfe.
Ebenso machbar sind Aufbauten aus einzelnen Holz- oder Schaumwerkstoffscheiben. (z.B. so: http://www.studio96.de/artikel04/art020612 kunstkopfaufnahmen.html)

Wichtig ist die Ausformung und Lage der Ohren.
In der Praxis ergeben zweischichtig aufgebaute und leicht übertriebene Ohren den besten Effekt.
Wichtig ist die Ausformung des Tragus oder Ohrknorpels vor dem Gehörgang.
http://de.wikipedia.org/wiki/Tragus

Gut geeignet sind Schaumwerkstoffe wie Styrodur, ausgehärteter Bauschaum oder Schwerschaum.
Interessant sind auch aus dem Kostüm- und Spielzeugbereich stammende ausgeformte Silikonohren (Segelflieger- oder Spockohren). Diese sind eigentlich gedacht über die eigenen Ohren gezogen zu werden, ergeben aber mit Gips oder Acryl verfüllt und leicht nachgearbeitet gute Kunstkopfohren.
Natürlich kann man auch das eigenen Aussenohr abformen, gut geeignet ist Flüssiglatex.
Bei mir hat sich bewährt, vor die Kapseln noch eine dünne Lage Windschutzschaum zu setzen.

Die Mikrofonkapseln sollten im Kopf versenkt werden.

Als Mikrofonkapseln eignen sich ausgezeichnet diffusfeldentzerrte Elektretkapseln.
Die im Messmikrofon-Workshop genannten Modelle, insbesondere MCE-2002, eignen sich sehr gut, beim Kunstkopf muss aber nicht so sehr auf Linearität geachtet werden. Vor allem der Hochton darf gerne kräftig repräsentiert sein.

Gut geeignet ist die bei Monacor International vertriebene MCE-4500 mit einer relativ starken Anhebung bei ca. 10kHz. Ebenfalls sehr gut geeignet ist die 9mm große MCE-401 mit flacherer Charakteristik und leichter Welligkeit, aber höherem Grenzschalldruck und etwas weniger Eigenrauschen.
Die kleinen Kapseln haben ein erhöhtes Eigenrauschen, das liegt bei MCE-2002 und MCE-4500 aber nicht über dem Niveau der Soundman OKMs.

Alle diese Kapseln benötigen Versorgungsspannungen zwischen 1,5V und 10Volt Gleichspannung und eignen sich damit zum direkten Betrieb an sehr vielen mobilen Recordern. Da die Einspeisung nicht standardisiert ist, sind die Spezifikationen des jeweiligen Gerätes zu beachten. Bei Fragen bitte PN an mich... Bitte den Workshop zu Messmikrofonen beachten.

Damit lässt sich auf einfachste Art und Weise ein komplettes binaurales Aufnahmesystem aufbauen.
Verkabelung der Kapseln wie im Messmikrofon-Workshop beschrieben, Überschrumpfen, Einkleben mit dauerelastischer Klebemasse in den Kunstkopf, Anschlussbelegung steckerseitig nach den Spezifikationen des Geräts, fertig...

Bietet das Aufnahmegerät keine Speisespannung wird der Aufbau einer Batteriespeisuung nötig, wie im Messmikrofonworkshop beschrieben. Natürlich sind auch die dort beschriebenen Alternativen möglich.
Steht der Kunstkopf mehrere Meter vom Aufnahmegerät entfernt, ist eine Beschaltung auf Phantomspeisung oder direkte Vorverstärkung mit anschließender Symmetrierung sinnvoll.

Natürlich ist auf dieselbe Weise der Aufbau eines Originalkopfmikrofons möglich, die oben genannten Kapseln bieten sich auch hier an.
Im einfachsten Fall werden die verkabelten und überschrumpften Kapseln mit einer dünnen Lage dauerelastischem Klebeband umklebt und unter dem Tragus in den Gehörgang geklemmt. Ebenso ist es möglich, die Kapsel in die gelben Shure Schaumstoffohrpolster für InEar-Hörer zu setzen (Shure PA750). Dabei sollte die Öffnung in der Mitte freibleiben, um weiterhin halbwegs unverfärbtes Hören zu erlauben.
Eine weitere Methode wäre der Umbau eines günstigen In-Ear-Hörers. Entfernung der Wiedergabekapseln und Einkleben der Mikrofonkapseln in eine Bohrung im Rücken des Gehäuses, teilweise kann hier die ursprüngliche Verkabelung des Hörers gleich genutzt werden. Allerdings wird hier das Hören gestört.
Einfach und gut, aber gewöhnungsbedürftig ist die Verwendung einer kleinen Scheibe aus 2cm starkem Lautsprecherfrontschaum. Die Scheibe wird so zugeschnitten, das sie die Ohrmuschel gut ausfüllt, ohne rauszufallen. Von der Rückseite wird die Mikrofonkapsel so aufgeklebt, dass sie im Gehörgang zu liegen kommt. MCE-4500 mit der stärkeren Hochtonanhebung eignet sich hierfür sehr gut.

Bei Verwendung des Originalkopfverfahrens macht sich natürlich jede Kopfbewegung sofort bemerkbar. Das kann als bewusster Effekt eingesetzt werden, ist oft aber sehr störend, vor allem bei unmotivierter Bewegung.

Persönlich setze ich solche selbstgebauten Kunstköpfe sehr häufig und gezielt ein.
Zum einen erlauben sie mir einfach eine ausgezeichnete Beurteilung in Beschallungszonen, die ich nicht persönlich aufsuchen kann.
Beispielsweise habe ich sehr oft Set-Ups mit mehreren Delay-Lines, abgeschlossenen Nebenbeschallungsflächen/-räumen, Emporen mit eigener Beschallung usw.. Ab und an habe ich Fälle mit FoH neben oder hinter der Bühne oder in einem abgetrennten Raum (Regieraum).
Oft bin ich in solchen Situationen in der eigenen Bewegungsfreiheit eingeschränkt ("Pultpflicht"). Hier geben mir Kunstköpfe ein realistisches Abbild der Beschallungssituation und trennen auch die einzelnen Schallquellen sehr gut.
Konventionelle Raummikros trennen in vielen Fällen die Schallquellen nicht ausreichend und geben vor allem die Auswirkung der Raumakustik nicht angemessen wieder - und machen einfach weniger Spaß!
Da darf man natürlich anderer Meinung als ich sein... ;)

Zum anderen erlauben mir Kunstköpfe bei Workshops mit angehenden Technikern oder Bandcoaching eine realistische Dokumentation der Situation im Raum.
Es ist sehr gut unterscheidbar, was von der Bühne kommt und was von der Anlage. Es ist sehr gut beurteilbar, wie sich Bühnen- und Frontsound ergänzen oder stören.
Effektarbeit ist sehr realistisch bewertbar.
Ebenso ist sehr gut beurteilbar, wie einzelne Quellen miteinander harmonieren und ob die einzelnen Quellen ausreichend Raum im Mix haben.
Pultmitschnitte können das nicht leisten, Raummikros s.o....

Damit sind Kunstköpfe prinzipiell auch eine gute Möglichkeit für Bands und Techniker zur Selbstkontrolle (für Letztere insbesondere mit zusätzlichem Pultmitschnitt). Das gilt für Bands besonders für Situationen ohne eigenen Techniker oder Mix von der Bühne, hier bieten Kunstköpfe auch unmittelbare Kontrolle.

Für Recordingzwecke kann sicher jeder für sich Anwendungen finden.
Interessant ist sicher der Hörspielbereich, lohnend sind Versuche Kunstkopfsignale bei konventioneller Einzelmikrofonierung als Ambienteeffekt zuzumischen.
Bei allen Anwendungen sollte man aber die Einschränkungen über die Wiedergabe per Kopfhörer im Hinterkopf haben.

Soweit erstmal, es folgen später natürlich noch Abbildungen und Schaltpläne zu beiden Workshops...
 
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