Vielleicht gehen wir mal einen ganz anderen Weg:
Versuchen wir, "einfachere" Tonleitern zu bilden, also Tonleitern, die bildlich gut zu erfassen sind und somit eine Symmetrie besitzen, denn die Dur- bzw. Molltonleitern sind ja "unregelmäßig", also nicht symmetrisch aufgebaut.
Betrachten wir also einige Möglichkeiten, wir starten mit der Tonleiter, die alle Töne enthält, die wir normalerweise in unserem Kulturraum nutzen - mit der
chromatischen Tonleiter:
Code:
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1
C - C# - D - D# - E - F - F# - G - G# - A - A# - H - (C)
und rückwärts:
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1
C - H - Bb - A - Ab - G - Gb - F - E - Eb - D - Db - (C)
(Die Zahlen über den Tönen sollen die Töne nummerieren.)
Die Tonleiter besteht nur aus Halbtonschritten, alle Töne haben also den gleichen Abstand.
Hier erkennt man schon, daß unsere Bezeichnung der Töne nicht einem symmetrischen Muster folgt - logisch wäre, daß zwischen E und F und zwischen H und C ebenso ein Ton sein müßte. Also hat die Namensgebung der Töne sicher nichts mit dieser Tonleiter zu tun - man kann auch feststellen, daß die Namensgebung sicher nicht symmetrisch aufgebaut ist!
Musikalisch kann man feststellen, daß es eigentlich nur den Grundton gibt, den man sich auswählt. Nach einigem Spielen kann man nicht mehr hören, was der gewählte Grundton ist. zudem ist es egal, welchen Ton man aus dieser Tonleiter als Grundton nimmt, es kann wirklich jeder Ton sein.
Testen wir eine weitere symmetrische Tonleiter, wir nehmen nun mal die Ganzton-Tonleiterleiter (GT), eine Tonleiter, die - wie der Name schon vermuten läßt - nur aus Ganztonschritten beteht. Zur besseren Übersicht ist die chromatische Tonleiter darübergestellt, damit man sieht, was passiert:
Code:
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1
C - C# - D - D# - E - F - F# - G - G# - A - A# - H - (C) (chromatische Tonleiter)
C - - D - - E - - F# - - G# - - A# - - (C) (GT mit Grundton C)
- C# - - D# - - F - - G - - A - - H - (GT mit Grundton C#)
Wie man leicht erkennen kann, hat eine GT sechs Töne, was überaus logisch ist, wenn man nur jeden zweiten Ton spielt und deren Gesamtzahl 12 ist.
Man erkennt auch leicht, daß es zwei Tonleitern geben muß, die sich in keinem Ton gleichen können.
Musikalisch passiert hier wiederum dasselbe wie bei der chromatischen Tonleiter: Man kann auch hier einen Grundton wählen, doch nach einigen Tönen wird es schwer, diesen wieder zu erkennen. Auch bei dieser Tonleiter ist es eigentlich egal, welcher Ton der Grundton ist.
Nun kann man eine Tonleiter im Kleinterz-Abstand (= 1 1/2 Tonabstand) bilden, was dann aber nicht mehr als Tonleiter aufzufassen ist, denn eine Tonleiter sollte nicht mehr als ein - im Höchstfall zwei - Kleinterzabstände haben. Eine Tonleiter, die nur aus Terzabständen gebildet wird, muß also als Akkord aufgefaßt werden, nicht als Tonleiter, daher lassen wir diese Reihe mal weg, wobei auch hier das musikalische Experiment zeigen würde, daß man keinen Grundton wirklich etablieren kann, so daß man ihn sich auch merken kann.
Es lassen sich aber zwei Tonleitern bilden, die diesen Terzabstand beinhalten, nämlich die Ganzton-Halbton-Tonleiter (GTHT) und deren Spiegelung, die HTGT (ist wohl klar, was damit gemeint ist...).
Code:
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1
C - C# - D - D# - E - F - F# - G - G# - A - A# - H - (C) (chromatische Tonleiter)
C - - D - D# - - F - F# - - G# - A - - H - (C) (GTHT)
C - C# - - D# - E - - F# - G - - A - A# - - (C) (HTGT)
Beide Tonleitern enthalten
acht Töne. Von beiden Tonleitern müssen drei Varianten existieren: Neben dem Starton C eine auf dem Ton C# und D.
Spielen wir sie, merken wir auch hier, daß sich z.B. bei der GTHT mit dem Startton C ebenso der Ton D#, F# und A als Startton anbieten, die dann als Grundton fungieren können und das stets auch
gleichzeitig tun.
Allen Tonleitern ist eines gemein: Sie klingen sicher nicht nach harmonischer Musik...
Woran liegt das?
An der Symmetrie!
Denn bei einem symmetrischen Tonabstand ergibt sich für das Ohr das Problem, daß
kein eindeutiges tonales Zentrum mehr ausgemacht werden kann, weil das Ohr keinen Anker hat, an dem es sich orientieren kann.
Jetzt sollte auch klar sein, warum die Dur-Tonleiter nicht symmetrisch ist! Übrigens ist die natürliche Moll-Tonleiter nur eine Variante der Dur-Tonleiter, die man bekommt, wenn man die Dur-Tonleiter auf dem 6. Ton beginnt. Analog dazu findet man die Dur-Tonleiter, wenn man mit dem 3. Ton der Moll-Tonleiter beginnt. Beide Tonleitern sind also untrennbar miteinander verknüpft, es ändet sich nur der Grundton.
Bsp:
C - D - E - F - G - A - H => C-Dur, deren parallele Moll-Tonart ist A-Moll:
A - H - C - D - E - F - G
Ein Vorzeichenwechsel findet hier logischerweise nicht statt, es sind ja die gleichen Töne...
Bleibt der Grundton derselbe und baut man statt eine Dur- eine Molltonleiter auf bzw. umgekehrt, spricht man von einem Tongeschlechtswechsel:
C - D - E - F - G - A - H => C-Dur (Moll-Paralelle ist A-Moll)
C - D - Eb - F - G - Ab - Bb => C-Moll (Dur-Parallele ist Eb-Dur)
Bei einem Tongeschlechtswechsel springt man also drei Quintenzirkelgrade nach links (in Richtung der Subdominante!), d.h. es ändern sich drei Vorzeichen.
Der eigentliche Unterschied zwischen Dur und Moll findet sich in der Terz. Bei einer Dur-Tonleiter und also auch bei einem solchen Akkord ist das Charakteristische der große Terzabstand zwischen Grundton und Terz, also dem 1. und dem 3. Ton, der hier 4 Halbton
schritte beträgt, bei einer Moll-Tonleiter und dem Moll-Akkord aber nur in kleiner Terzabstand ist, also 3 Halbton
schritte beträgt.
Die Blues-Tonleiter gibt es so nicht, da findet man ganz unterschiedliche Meinungen zu, gerade was die Literatur angeht. Als blue-Notes werden im Allgemeinen die Kleine Terz, die vermindete Quinte und die kleine Septime angesehen, legt man eine Dur-Tonleiter zugrunde, wobei auch das relativ ist. So kann man die blue-Terz auch als einen Zwischenton zwischen der kleinen und der großen Terz ansehen und spielen...
Die Harmonielehren gehen - was den Blues angeht - so fundamental auseinander, daß man hier von keiner gemeinsamen Sprache sprechen kann.
Ich denke, es ist besser, sich erst einmal mit den Grundlagen genauer zu befassen, und das heißt, sich mit der Dur-Tonleiter und ihren 6 Varianten genau zu befassen.
Nur zur Ergänzung:
Diverse Moll-Varianten wie Harmonisch Moll (HM) und Melodisch Moll (MM) sind zum Verstehen des Denkmodells anfangs nicht relevant, man kann sie auch einfach als eine Variante der natürlichen Moll-Tonleiter betrachten, was den Umgang mit ihnen enorm vereinfacht, denn man muß sie dann nicht als eine gesonderte Art von Tonleitern betrachten (sonst gibt´s nochmal 2 mal 6 Varianten davon, mit Grundton also insgesamt 14 Stück...).