Hier meine Methode, die ich über die Jahre entwickelt habe und die ich persönlich als sehr effizient empfinde:
1. Sorgfältig das Solo aussuchen, das Du lernen möchtest und Dir auch Gedanken darüber machen, warum Du es lernen möchtest. Möchtest Du den Stil eines Gitarristen analysieren? Möchtest du eine bestimmte Technik üben? Oder möchtest Du es einfach lernen, weil Du den dazugehörigen Song in Dein Repertoire aufnehmen möchtest? Wie auch immer: Du solltest Dir realistische Ziele setzen und nicht gleich mit einem Mörder-Fingerbrechern anfangen. Wenn du z.B. den Stil von Jimi lernen möchtest, dann lass erst einmal Voodoo Chile und versuche Dich an Hey Joe. Oder wenn du Tapping lernen möchtest, dann lieber die frühen Sachen von Eddie van Halen als Stanley Jordan. Wenn du Dir nicht gründlich überlegst, ob das Solo wirklich Deinem technischen Niveau entspricht, dann ist der Frust praktisch unvermeidbar. Ärgerlich ist hier natürlich, dass häufig einfach klingende Soli viele kleine Tücken haben, die einen zur Weißglut treiben können. Ich sage nur Angus Young oder James Burton... Mit der Zeit entwickelt man aber ein Feeling dafür, was man lernen kann und womit man noch warten sollte.
2. Das Solo aus der Vogelperspektive analysieren. Ich glaube, dass ich es schon einmal hier geschrieben habe: Noten sind Buchstaben. Licks sind Sätze. Ein Bluesschema oder ein ähnlicher "Block" ist ein Absatz. Und der Text besteht aus mehreren Absätzen, die sich gegenseitig ergänzen und nur gemeinsam einen Sinn ergeben. Es macht also m.E. relativ wenig Sinn, sich gleich auf die einzelnen Licks zu stürzen und das Solo zu zerpflücken. Das ist so, wie in die Mitte der Geschichte einzusteigen, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht und in welchem Genre man ist.
Also: erst einmal zurücklehnen und das Solo - am besten mit Kopfhörern - mehrere Male anhören. Die ersten Male ruhig einfach entspannen und nur die Musik auf sich wirken lassen, später bewusster hören: was will der Gitarrist eigentlich ausdrücken? Wie klingt das Solo? Hell? Dunkel? Fröhlich? Traurig? Welches Tonmaterial verwendet der Gitarrist, um diese Grundstimmung zu schaffen? Mit der Zeit entwickelt man ein natürliches Gefühl dafür, wie z.B. die Dur- oder die Moll-Pentatonik im jeweiligen Kontext klingt und welche musikalische Farbe die verschiedenen Töne haben.
Dann ein wenig bewusster hören, also immer noch in der Vogelperspektive bleiben, aber "tiefer fliegen": Wie ist die Grundstruktur des Solos? Wie viele Takte hat es? Hat das Solo eine bestimmte Architektur oder ist es eher freie Improvisation? Als Paradebeispiel für die erste Schublade fallen mir als erstes die Soli von Duane Allman und Dickey Betts auf dem Fillmore-Album, die meisten Live-Soli von Clapton oder die längeren Slow Blues von Stevie Ray Vaughan ein. Hör Dir z.B. mal die ersten 3x12 Takte von Stevie Ray Vaughans Live-Version von Texas Flood aus Montreux (1982) an. Du merkst sofort, dass SRV hier relativ frei improvisiert, aber einen roten Faden durch das Solo zieht und sich strikt an ihn hält: er fängt ganz leise mit fast abgedrehter Gitarre und T Bone Walker-Licks an und steigert dann langsam die Intensität, indem er die gleichen Licks Chorus für Chorus mit mehr intensität und lauter spielt. Oder hör Dir generell eric Claptons Blues an: Slowhand ist der Großmeister, wenn es darum geht, Soli eine schlüssige Struktur zu geben, Höhepunkte auszuarbeiten und diese dann ausklinken zu lassen. Dramatik erzeugt Eric, indem er entweder - für ihn ja eher untypisch - schnell spielt oder lauter/härter anschlägt.
Natürlich ist diese Analyse nicht immer leicht und manchmal auch fast unmöglich. Jimis Solo aus "Machine Gun" z.B. lässt sich eigentlich gar nicht analysieren, weil es komplettes Chaos ist - aber man sollte trotzdem erkennen, dass es gerade dieses Chaos - das Chaos des Krieges - ist, das Jimi ausdrücken wollte. Auch freier improvisiertge Soli haben oft eine gewisse Logik.
Bei dieser Analyse ist ein wenig Kreativität und Eigeninitiative erforderlich. Wichtig ist eigentlich nur, dass Du am Ende dieser Phase eine "Landkarte" hast, die Dir erlaubt, durch das Solo zu navigieren und dass Du so immer weisst, wo Du gerade bist und warum Du dort bist. Es ist auch sehr nützlich, wenn du Dir Stellen, die offensichtlich technisch schwierig sind, gedanklich markierst und ihren "Ort" abspeicherst.
3. Mit dieser Landkarte im Kopf kannst Du nun anfangen, das Solo in möglichst kleine Einzelteile zu zerpflücken. Je kleiner diese Happen sind, desto leichter wird es Deinem Gehirn und Deinen Ohren fallen, sie zu verdauen. Hierfür musst Du auch ein wenig Eigeninitiative entwickeln und lernen zu erkennen, welche Teile leicht erlernbar sind und welche mehr Arbeit erfordern. Hier aber bitte nicht schlampig oder übermütig werden: oft so, dass Du bei den langsameren Teilen mit weniger Noten besonders sorgfältig vorgehen musst. Lernst Du z.B. Soli von Billy Gibbons oder Angus Young - die ja oft relativ langsam sind - musst du sehr auf Feinheiten wie Dynamiken und Bendings achten, weil sonst die Wirkung dieser einfachen Licks oder Melodien verloren geht. Auch können z.B. Sachen wie Open String-Licks oder Chicken Picking sehr tückisch sein, obwohl sie auf den ersten Blick nicht allzu schwer erscheinen.
4. Bei schwierigen Passagen gehe ich persönlich wie folgt vor:
a) Den schnellen oder schwierigen Lauf sorgfältig analysieren. Oft sind z.B. schnelle pentatonische Läufe einfachen, als sie sich anhören, da ein relativ symetrisches Pattern verwendet und dies entweder horizontal oder vertikal auf dem Griffbrett bewegt wir (ich sage mal ganz subtil Zakk W.). Dann den Lauf in ganz kleine Häppchen aufteilen (je kleiner desto besser).
b) Ein Paar Minuten Zeit nehmen, un den richtigen Figersatz zu finden und zu lernen, wo die Finger eigentlich hinsollen. Ohne Metronom und ganz langsam. Nicht darauf auchten, flüssig oder in time zu spielen, sondern einfach nur den Fingern beibringen, wohin sie später müssen.
c) Dann das Fragment einige Male ganz langsam zum Metronom spielen. Mit ganz langsam meine ich etwa Viertelnoten auf 50 bis 60 bpm. Diesen Punkt nicht vernachlässigen, er ist extrem wichtig.
d) Das Tempo langsam steigern bis man ein komfortables Tempo erreicht hat, bei dem man das Fragment spielen kann. Als Richtwert würde ich mal 75 bis 100 bpm für Sechzehntel angeben.
e) Das Tempo langsam steigern. Immer 2 Stufen mit dem Metronom nach oben und eine Stufe nach unten. So wird man schonend an das schnelle Tempo herangeführt. Wenn man merkt, dass man anfängt Fehler zu machen, dann sofort das Tempo um etwa 20 bpm drosseln und wieder hocharbeiten. Dies ggf. mehrere Male wiederholen.
f) Bei längeren Läufen, die man zuvor in mehrere Fragmente zerstückelt hat bei Punkt b) wieder anfangen - diesmal aber mit zwei, drei, etc. Fragmenten zusammen und fließend hintereinander.
Bei rhythmisch komplizierten Licks hilft es mir persönlich daneben sehr viel, den Rhythmus zu analysieren und ggf. sogar zu klatschen. Auf jeden Fall auch hier langsam anfangen. Einen Rhythmus wirklich verinnerlicht hast Du nur dann, wenn du ihn auch sehr langsam perfekt spielen kannst.
Sehr wichtig ist es auch, dass man die Flitzelicks nicht jeden Tag übt. Nach höchstens 5 Tagen solltest Du Dir einen oder besser zwei Tage nehmen, an denen Du andere Sachen übst, die technisch weniger anspruchsvoll sind. Dein Gehirn hat so die nötige Ruhe, um alles zu verarbeiten. Danach wird es deutlich besser klappen als davor!
5. Hat man alle Licks gelernt, kann man Anfangen, die Mosaiksteine zusammenzusetzen. Bei längeren Soli also zunächst üben, die ersten beiden Licks fließend hintereinander zu spielen, dann die ersten drei, und so weiter, bis man das ganze Solo spielen kann. Hier gilt auch die Devise: sehr viel Zeit damit verbringen, langsam zu spielen, und nur dann schneller werden, wenn es sich nicht unangenehm anfühlt und man beim Spielen entspannt bleiben kann.
6. Wenn möglich, dann den Backing Track besorgen. Mit einer Software wie z.b. Amazing Slow Downer zunächst etwas verlangsamen und dazu spielen, dann schneller werden, am Ende sogar schneller als das Originaltempo spielen. Dies ist sehr wichtig, da Du hierdurch quasi einen "Überschuß" an Übung bekommst und somit auch in brenzligen Live-Situationen entspannter spielen kannst.
So, dies ist meine Methode. Sie kommt mir selbst oft ein wenig zu "militärisch" und wissenschaftlich vor, aber bei mir war sie immer sehr wirksam. Vor allem sollten es die Leute mal probieren, die nur eine begrenzte Zeit zum Üben haben und diese deswegen sorgfältig einteilen müssen.
Mark