Ich stieß heute auf diesen Thread, ist ja noch nicht so alt ;-)
Aber erstmal auch Glückwunsch zur bestandenen Prüfung.
'Four on Six' war einer meiner ersten 'Standards', begleitet mich also schon ein paar Jährchen. Damals stieg ich ohne große theoretische-Harmonielehre-Kenntnisse in eine Jazz-Band ein, und manövrierte mich durch dieses Stück (und auch andere) mittels Gehör.
Nach einer Weile stellte ich fest, dass da eigentlich immer alles so um das Zentrum G-Moll / G-Blues (auf Moll-Basis) funktioniert, die Akkorde sich bloß ab und an davon wegbewegen, und sich daher, sofern man G als tonales Zentrum versteht und konsequent 'denkt', eine interessante Spannung aufbaut.
Im Grund ist 'Four on Six' eine Form, die sich aus vier jeweils viertaktigen Sätzen aufbaut. Man kann hier auch gut das Frage und Antwort Prinzip erkennen, dass ja ein sehr typisches Merkmal der afroamerikanischen Musik ist.
Satz 1: vielleicht auch kann man es These nennen: G-Moll
Satz 2: die Auseinandersetzung, die Antwort (Gegenthese) zu Satz 1: Geht weit von G-Moll weg, erzeugt Spannung, bewegt sich aber sukzessive dahin zurück
Satz 3 die Wiederholung von Satz 1, das nochmalige Einwerfen der These, das 'Nachhaken'
Satz 4: die Lösung, die Synthese aus These und Gegenthese, die Bewegung geht nicht mehr so weit von G-Moll weg - im Grunde verbirgt sich hinter der Akkordbewegung eine absolut klassische Blues- Endung.
Wenn man es nun weiter reduziert, auf das Phänomen Spannung-Ruhe, könnte man es auch so sehen:
Satz 1: Ruhe
Satz 2: Spannung
Satz 3: Ruhe
Satz 4 Spannung
Nachdem ich also dieses Prinzip "feststellte", mogelte ich mich damals durch diese Form, indem ich auf G-Moll basierend, "Spannungstöne" (z.B. die b5 von G) in den Spannungssätzen anwendete, und in den "Ruhesätzen" eher melodisch arbeitete. Natürlich nicht stereotyp, irgendwie nach Gehör und Geschmack, aber mit dieser 'Mini-Theorie' klappte es schon mal sich einigermaßen musikalisch und der Idee der Komposition einigermaßen angemessen durch das Stück zu bewegen (ohne zu 'wissen' was für ein Intervall ich jetzt genau über welchen Akkord spielte).
Mittlerweile bin ich theoretisch 'gebildeter', wenn auch nicht unbedingt überzeugt von dem, was einem da in in vielen Publikationen zur Jazz-Theorie angeboten wird (meiner Meinung nach wird die Einflussnahme der Klangerzeugung auf die Klangwahrnehmung, was eine statisch aufgefasste Harmonittherorie as absurdum führt, unterschlagen)
Mein Ansatz ist daher immer noch eher 'hausgemacht'.
Ich versuche stets einen neuen Jazz-Standard auf seine rudimentären Akkordbewegungen herunter zu kürzen. Das heißt Akkorde rausstreichen, herausfinden wo handelt es im Grunde um keine echte Akkordbewegung, sondern mehr oder weniger nur um Umdeutungen, und wo finden sich echte Akkordbewegungen, das heißt: wo bewegt es sich zu anderen Akkordqualitäten.
Und hier zeigt sich: 'Four on Six' ist im Grunde ein Blues.
Ein 16-Taktiger eben, aber er basiert auf der gleichen Form wie Gershwins Summertime. Das lässt sich einigermaßen gut herausfinden, wenn man das Stück mal in erwähnter Weise kürzt (Schrägstiche sind Taktstriche):
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / G-Moll /
C-Moll / Eb-Dur 7/ D-Dur 7/ D-Dur 7/
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / G-Moll /
/ G-Moll / Eb-Dur 7_ D-Dur 7/ G-Moll / D-Dur 7 /
ein jeder halbwegs musikalisch fortgeschritten Mensch kann über diese Akkordfolge Summertime (das man im Ohr hat oder?) summen oder singen, probiers aus.
Das ist das imho Rückgrat der 'Four on Six' Form: simpelster Blues at his best.
Das Merkmal des Blues schlechthin (wenn ich jetzt mal von dem, was sich später als musikalische Form daraus entwickelte, rede), ist von ganz ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, die Subdominante im 5. Takt. Der Rest- wie dahinkommen - wie davon wegbewegen- hat allergrößten Spielraum.
Noch festzuhalten: D-Dur 7 führt als Dominante immer auf G-Moll zurück. Diese Kräftebewegung ist in 'Four on Six' enthalten, selbst wenn sie an einer Stelle wenig offensichtlich zu Tage tritt.
Um zur Montgomery Komposition zu kommen, muss man ein paar Modifikationen vornehmen:
1die Tritonussubstitution
In einem Dominantseptakkord ist der Tritonus der entscheidende Klangträger, der Grundton selbst ist eher eine "Farbe", die Quinte interessiert vorerst gar nicht. Insofern lässt sich z.B. ein G7 durch ein Db7 ersetzen. Eine absolut häufig angewendetes Mittel im Jazz, zumindest nach meiner Hörerfahrung.
Geschieht bei 'Four on Six' in Takt 8:
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / G-Moll /
C-Moll / Eb-Dur 7/ D-Dur 7/ Gb-Dur 7/
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / G-Moll /
/ G-Moll / Eb-Dur 7_ D-Dur 7/ G-Moll / D-Dur 7 /
2umdeutungen
adie erste wäre: die Gleichsetzung von Dur und Mollparallele. G-Moll als 5 stimmiger Akkord aufgebaut, (was nur die Klangfarbe, nicht die Akkordqualität oder Funktion tangiert) enthält einen 4-stimmigen Bb Major Akkord. Man kann diese Akkorde 'vertauschen'.
Passiert in Takt 13
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / G-Moll /
C-Moll / Eb-Dur 7/ D-Dur 7/ Gb-Dur 7/
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / G-Moll /
/ Bb-Major 7 / Eb-Dur 7_ D-Dur 7/ G-Moll / D-Dur 7 /
bdie Gleichsetzung von Moll-Vorhalt und Dominante
im Grunde die 'berühmte' II-V Bewegung die eigentlich keine echte Akkordbewegung darstellt, sondern eine Klangfarbenänderung, selbst wenn das eine höhere Hörtoleranz abfordert als die Tritonussubstitution.
Bpsw einem D-7 Akkord (die Quinte wieder außen vorgelassen) A als Basston zu unterlegen, bringt mich zu dem Akkord A-Moll-6. Werden die Akkorde mehrstimmig, also 4-stimmig oder noch höher, wird ihre klangliche und qualitative Nähe umso offensichtlicher. Ein D7/9 klingt einem A-Moll-6 doch schon außerordentlich ähnlich. In bestimmten Situationen kann man auch diese Akkorde zur Klangfarben-Bereicherung einfach "austauschen". Eine echte, qualitative Akkordbewegung verbirgt sich allerdings nicht dahinter. Es ist Klangfarbe.
Passiert in Takt 6, 7 und 8
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / G-Moll /
C-Moll / Bb-Moll7_Eb-Dur 7/ A-Moll7_D-Dur 7/ Eb-Moll7_Gb-Dur 7/
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / G-Moll /
/ Bb-Major 7 / Eb-Dur 7_ D-Dur 7/ G-Moll / D-Dur 7 /
3die 'Vorschaltung' einer Dominante
um mit einer größeren Spannung (Leitton) auf einen Akkord überzuleiten. Passiert hier vor Takt 6, vor Takt 12 und in Takt 16 (also vor Takt 1):
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / G-Moll /
C-Moll_F-Dur7 / Bb-Moll7_Eb-Dur 7/ A-Moll7_D-Dur 7/ Eb-Moll7_Gb-Dur 7/
/ G-Moll / G-Moll / G-Moll / C-Moll_F-Dur7/
/ Bb-Major 7 / Eb-Dur 7_ D-Dur 7/ G-Moll / A-Dur7_D-Dur 7 /
Das wäre es eigentlich.
Meiner Meinung nach ist Takt 12 auch G-Moll, hier kurz eine Dominante einzufügen ist nicht tragend (Realbook macht den Spezialfall zum Standard häufig).
Da ließe sich ferner noch einiges dazu sagen. z.B. das F-Dur7 im Takt 5 sowohl als Dominante zu Bb-Moll leitet, andererseits durch die "Gleichschaltung" C-Moll ~ F-Dur7 die Subdominante in der Tonart dieses Stückes stell-vertritt.
Die verminderten oder übermäßigen Quinten, die in diesem Stück auftauchen, und die ich bis jetzt unterschlug, sind imho nicht funktionstragend für das Stück selbst. Sie spielen eher unter Gesichtspunkten des Leittones eine Rolle. Man könnte sie auch als Upper-Struction interpretieren, aber das führt dann jetzt zuweit.
Mir ging es darum aufzuzeigen, auf welch einfacher Grundform auch so ein schwierig erscheinendes Jazz-Stück basieren kann.
Nur ein Vorschlag. Viele Wege führen nach Dingens...
Ich glaube jedenfalls die Kräfteverhältnisse innerhalb eines Stückes zu kennen, ist eine gute Möglichkeit um fernab von kontextlosen theoretischen Skalenmöglichkeiten ein Stück verstehen und musikalisch interpretieren zu lernen.