smartin
HCA-Gitarrenbau
Diese wirklich hübsche und außergewöhnliche Gitarre landete heute auf meinem OP-Tisch und ich komme nicht darum herum etwas dazu in der Öffentlichkeit zu sagen.
Was habe ich in der Vergangenheit geschimpft und gemeckert, Gibson solle sich endlich voran entwickeln und wichtige Modernisierungen an ihren Gitarren vornehmen...
Meine Gebete wurden erhört und Gibson stellte die Dusk Tiger her: "Die modernste Gitarre der Welt" soll sie sein... Auto-Tuning, Akustik-Sounds auf Knopfdruck und multiple Pickupschaltung bei einfacher Bedienung waren die Hintergedanken der Entwickler. Das haben sie auch umgesetzt und diese Gitarre klingt tatsächlich großartig und ihre Bedienung ist wirklich schön gelungen - auch die Materialauswahl ist wirklich Sahnestück-tauglich.
Im Laden kostete diese auf 1000Stk. limitierte Gitarre etwa 3000€ (Baujahr 2009), was angesichts ihrer Materialauswahl und Optik auch gerechtfertigt wäre.... wenn da nicht wieder die Summe der kleinen "ABER"s wäre, wie ich sie leider seit anno 2000 immer wieder anmerken muss.
Zunächst mal die Verarbeitung... ich weiß nicht wer bei Gibson in den letzten 15 Jahren das Lackieren übernimmt, aber er hat es einfach nicht drauf - Blubberblasen im Lack, einlackierte Haare und unsauber abgerichtete Bindings. Man muss nicht lange suchen... so wie bei vielen (zum Glück nicht allen) Gibsons seit dem wir das Jahr 2000 schreiben. Die eigentlich hübschen Potiverzierungen verließen ihren Träger leider auch schon etwas zu zügig:
Optische Mängel hin oder her, darüber kann man hinwegsehen und über die Jahre bekommt so eine Gitarre sowieso allerhand Schäden dazu.
Aber genau dieses "über die Jahre" ist bei dieser Gitarre ein großes Problem. Wir alle kennen ja die übliche Halbwertszeit von elektronischen Produkten - und wer hier mal einen Blick ins "E-Fach" (oder besser "Schaltzentrale") wirft, bekommt erstmal große Fragezeichen über dem Kopf.
Der wunderschöne, leicht zu bedienende Klang wird nämlich durch eine äußerst komplexe Mikrocontroller-Einheit realisiert. Wer hier auch nur den kleinsten Defekt hat, bekommt ein großes Problem. Wie dieser/mein Kunde nämlich auch, versucht man sich mit seinem Problem an eine "Gibson authorized"-Werkstatt zu wenden. Dem Kollegen vor Ort war dieser Patient allerdings etwas zu heiß und er verwies den Besitzer an eine Elektronikwerkstatt für Digitalamps - die haben allerdings keinen Schimmer von Gitarren und ohne Schaltplan geht da sowieso nichts
Inzwischen war klar wo der Fehler lag und wir schauten uns die Sache genauer an. Die Entwicklungsabteilung von Gibson hielt es für einen gute Idee den klassischen Kippschalter zur Pickupwahl um zusätzliche Kontakte zu erweitern.... aber es sollte scheinbar das gleiche Basismodell sein, weshalb man einfach am beweglichen Teil des Kippschalters ein paar Drähte zog und sie mit reichlich Klebstoff zumindest ein bisschen vor dem Reißen bewahrte . Wie lange das gut geht, kann ich euch sagen... 5 Jahre ...
Da es diese Schalter natürlich nicht so leicht als Ersatzteil gibt, blieb mir dabei nichts anderes übrig als die Kontakte freizufräsen, die Kabel wieder anzulöten und es immerhin mit einem besseren Kleber dem Hersteller gleichzutun - eine "Gibson authorized"-Werkstatt würde das übrigens nicht machen bzw. nicht machen dürfen. Dort heißt es (teure) Teile tauschen, bis es wieder läuft. Und bei diesem Schalter geht gleich noch der ganze Kabelstrang mit raus, was den Ausbau beider Tonabnehmer, sowie Neubesaitung zur Folge hat. Dass das etwas teurer wird als ein Drähtchen wieder anzulöten, ist wohl klar.
Einen Vorteil hat diese Konstruktion für mich... es gibt 3 dieser Kabel und es war nur eins von ihnen gerissen. D.h. er wird in Zukunft wohl öfter, wenn nicht gar regelmäßig kommen.
Zurück zur "modernsten Gitarre der Welt"... günstige, leicht austauschbare 9V-Blöcke oder zumindest A-Zellen sind scheinbar nicht mehr modern genug.... Wie das in einer mehrwöchigen Tour ausgehen soll, ist mir nicht klar. Ladestation am Roadie-Toolcase?! Oder nimmt man die Gitarre mit in die Nightlinerkoje um sie an der Bett-Steckdose zu laden?!
....und abschließend natürlich noch zu den "verbesserten" Tronical PT V 2.0 - diese Tuner sind nämlich jetzt etwas schneller als ihr Vorgänger.... wer sich jemals in seinem Leben mit Technik und Präzision befasst hat der weiß leider auch, dass Geschwindigkeit und Präzision in einem durchaus schwierigen Verhältnis zueinander stehen. Diese superschnellen Tuner schießen leider gern übers Ziel hinaus und unter 2 Stimmvorgängen kann man die Gitarre nicht gebrauchen. Wer denkt er könne das dann doch schneller per Hand (so wie ich auch) sei gewarnt... dreht man die Tronicals zu schnell per Hand, zerstört man auf Dauer das Getriebe . Ein winziger Schlag auf einen Stimmwirbel hat übrigens die gleichen Konsequenzen, weshalb die 1000er-Limitierung eventuell auf 999 reduziert werden muss, denn ein Modell ging nach wenigen Monaten bereits zum Hersteller zurück: Totalausfall der Elektronik durch eine angestubste Mechanik.
Fazit: In einem kurzen Smalltalk mit dem Besitzer fragten wir uns, ob die Gibson-Entwickler jemals auf Tour waren oder eine echte Bühnensituation erlebten. Fakt ist nämlich, dass diese "modernste Gitarre der Welt" leider vollkommen über das Ziel hinausschießt und so bühnentauglich ist, wie ein Smartphone outdoortauglich. Der Besitzer fand die Gitarre im Laden auch sehr toll - bis die ersten Konzerte kamen. Inzwischen ist er so unglücklich, dass er die Elektronik nur wenig benutzt um sie möglichst lange am Leben zu erhalten. Wäre die Gitarre nicht ein limitiertes Sammlerstück, wäre sie sicherlich wieder passiv und klassisch verkabelt.
Ich für meinen Teil werde meine Gebete in Zukunft definitiv konkretisieren, damit nicht wieder solche Cyborgs aus den Fabriken marschieren.
Für alle, die sich jetzt in ihren Gefühlen verletzt sehen sei angemerkt, dass das hier kein Gibson-Bashing ist. Es ist eine Mängelliste, bis Gibson endlich wieder zu der Qualität zurück kehrt, wie ich sie aus den Jahren vor 2000 noch selbst an der Wand hängen habe und regelmäßig mit einem Lächeln wieder instand setze.
Sorry Leute... aber sowas braucht kein Mensch... (oder doch?! )
Grüße,
Martin
Was habe ich in der Vergangenheit geschimpft und gemeckert, Gibson solle sich endlich voran entwickeln und wichtige Modernisierungen an ihren Gitarren vornehmen...
Meine Gebete wurden erhört und Gibson stellte die Dusk Tiger her: "Die modernste Gitarre der Welt" soll sie sein... Auto-Tuning, Akustik-Sounds auf Knopfdruck und multiple Pickupschaltung bei einfacher Bedienung waren die Hintergedanken der Entwickler. Das haben sie auch umgesetzt und diese Gitarre klingt tatsächlich großartig und ihre Bedienung ist wirklich schön gelungen - auch die Materialauswahl ist wirklich Sahnestück-tauglich.
Im Laden kostete diese auf 1000Stk. limitierte Gitarre etwa 3000€ (Baujahr 2009), was angesichts ihrer Materialauswahl und Optik auch gerechtfertigt wäre.... wenn da nicht wieder die Summe der kleinen "ABER"s wäre, wie ich sie leider seit anno 2000 immer wieder anmerken muss.
Zunächst mal die Verarbeitung... ich weiß nicht wer bei Gibson in den letzten 15 Jahren das Lackieren übernimmt, aber er hat es einfach nicht drauf - Blubberblasen im Lack, einlackierte Haare und unsauber abgerichtete Bindings. Man muss nicht lange suchen... so wie bei vielen (zum Glück nicht allen) Gibsons seit dem wir das Jahr 2000 schreiben. Die eigentlich hübschen Potiverzierungen verließen ihren Träger leider auch schon etwas zu zügig:
Optische Mängel hin oder her, darüber kann man hinwegsehen und über die Jahre bekommt so eine Gitarre sowieso allerhand Schäden dazu.
Aber genau dieses "über die Jahre" ist bei dieser Gitarre ein großes Problem. Wir alle kennen ja die übliche Halbwertszeit von elektronischen Produkten - und wer hier mal einen Blick ins "E-Fach" (oder besser "Schaltzentrale") wirft, bekommt erstmal große Fragezeichen über dem Kopf.
Der wunderschöne, leicht zu bedienende Klang wird nämlich durch eine äußerst komplexe Mikrocontroller-Einheit realisiert. Wer hier auch nur den kleinsten Defekt hat, bekommt ein großes Problem. Wie dieser/mein Kunde nämlich auch, versucht man sich mit seinem Problem an eine "Gibson authorized"-Werkstatt zu wenden. Dem Kollegen vor Ort war dieser Patient allerdings etwas zu heiß und er verwies den Besitzer an eine Elektronikwerkstatt für Digitalamps - die haben allerdings keinen Schimmer von Gitarren und ohne Schaltplan geht da sowieso nichts
Inzwischen war klar wo der Fehler lag und wir schauten uns die Sache genauer an. Die Entwicklungsabteilung von Gibson hielt es für einen gute Idee den klassischen Kippschalter zur Pickupwahl um zusätzliche Kontakte zu erweitern.... aber es sollte scheinbar das gleiche Basismodell sein, weshalb man einfach am beweglichen Teil des Kippschalters ein paar Drähte zog und sie mit reichlich Klebstoff zumindest ein bisschen vor dem Reißen bewahrte . Wie lange das gut geht, kann ich euch sagen... 5 Jahre ...
Da es diese Schalter natürlich nicht so leicht als Ersatzteil gibt, blieb mir dabei nichts anderes übrig als die Kontakte freizufräsen, die Kabel wieder anzulöten und es immerhin mit einem besseren Kleber dem Hersteller gleichzutun - eine "Gibson authorized"-Werkstatt würde das übrigens nicht machen bzw. nicht machen dürfen. Dort heißt es (teure) Teile tauschen, bis es wieder läuft. Und bei diesem Schalter geht gleich noch der ganze Kabelstrang mit raus, was den Ausbau beider Tonabnehmer, sowie Neubesaitung zur Folge hat. Dass das etwas teurer wird als ein Drähtchen wieder anzulöten, ist wohl klar.
Einen Vorteil hat diese Konstruktion für mich... es gibt 3 dieser Kabel und es war nur eins von ihnen gerissen. D.h. er wird in Zukunft wohl öfter, wenn nicht gar regelmäßig kommen.
Zurück zur "modernsten Gitarre der Welt"... günstige, leicht austauschbare 9V-Blöcke oder zumindest A-Zellen sind scheinbar nicht mehr modern genug.... Wie das in einer mehrwöchigen Tour ausgehen soll, ist mir nicht klar. Ladestation am Roadie-Toolcase?! Oder nimmt man die Gitarre mit in die Nightlinerkoje um sie an der Bett-Steckdose zu laden?!
....und abschließend natürlich noch zu den "verbesserten" Tronical PT V 2.0 - diese Tuner sind nämlich jetzt etwas schneller als ihr Vorgänger.... wer sich jemals in seinem Leben mit Technik und Präzision befasst hat der weiß leider auch, dass Geschwindigkeit und Präzision in einem durchaus schwierigen Verhältnis zueinander stehen. Diese superschnellen Tuner schießen leider gern übers Ziel hinaus und unter 2 Stimmvorgängen kann man die Gitarre nicht gebrauchen. Wer denkt er könne das dann doch schneller per Hand (so wie ich auch) sei gewarnt... dreht man die Tronicals zu schnell per Hand, zerstört man auf Dauer das Getriebe . Ein winziger Schlag auf einen Stimmwirbel hat übrigens die gleichen Konsequenzen, weshalb die 1000er-Limitierung eventuell auf 999 reduziert werden muss, denn ein Modell ging nach wenigen Monaten bereits zum Hersteller zurück: Totalausfall der Elektronik durch eine angestubste Mechanik.
Fazit: In einem kurzen Smalltalk mit dem Besitzer fragten wir uns, ob die Gibson-Entwickler jemals auf Tour waren oder eine echte Bühnensituation erlebten. Fakt ist nämlich, dass diese "modernste Gitarre der Welt" leider vollkommen über das Ziel hinausschießt und so bühnentauglich ist, wie ein Smartphone outdoortauglich. Der Besitzer fand die Gitarre im Laden auch sehr toll - bis die ersten Konzerte kamen. Inzwischen ist er so unglücklich, dass er die Elektronik nur wenig benutzt um sie möglichst lange am Leben zu erhalten. Wäre die Gitarre nicht ein limitiertes Sammlerstück, wäre sie sicherlich wieder passiv und klassisch verkabelt.
Ich für meinen Teil werde meine Gebete in Zukunft definitiv konkretisieren, damit nicht wieder solche Cyborgs aus den Fabriken marschieren.
Für alle, die sich jetzt in ihren Gefühlen verletzt sehen sei angemerkt, dass das hier kein Gibson-Bashing ist. Es ist eine Mängelliste, bis Gibson endlich wieder zu der Qualität zurück kehrt, wie ich sie aus den Jahren vor 2000 noch selbst an der Wand hängen habe und regelmäßig mit einem Lächeln wieder instand setze.
Sorry Leute... aber sowas braucht kein Mensch... (oder doch?! )
Grüße,
Martin
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