Hallo hillo,
grundsätzlich ist Deine Frage ja nicht unberechtigt, aber ich überlege gerade, ob Du nicht ein wenig das Pferd vom Schwanz her aufzäumst...

Natürlich gibt es viele mögliche Vorgehensweisen und es ist sicher auch sehr verbreitet, auf der Gitarre einfach mal ein paar Akkorde vor sich hin zu spielen.
Aber eigentlich würde ich zunächst von einer Melodie ausgehen, die ich dann im nächsten Schritt harmonisiere.
Ein wesentlicher Aspekt, den
@zonquer schon angedeutet hat, ist: es gibt in jedem Takt
betonte und unbetonte Zählzeiten und als Faustregel stehen auf betonten Zählzeiten meist Akkordnoten, auf unbetonten Zählzeiten sehr oft auch andere (die müssen nicht einmal in der "Tonleiter" vorhanden sein).
Relativ unbetonte Durchgangsnoten stören überhaupt nicht, selbst dann nicht, wenn sie sich mit dem Akkord "reiben". Einfaches Beispiel (das auch kein Copyright-Problem hat

) wäre "Alle meine Entchen" oder "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" - da hat man genau den Fall, daß über den Grundakkord (Tonika) die zugehörige Tonleiter gespielt wird.
Außerdem sollte man nicht vergessen, daß es auch Akkorde gibt, die aus mehr als drei Tönen bestehen, man kann einen Klang also absichtlich einfärben, indem man bewußt und betont "dreiklangfremde" in die Melodie einbaut. Diese Töne würde man zwar im allgemeinen dann ins Akkordsymbol einfließen lassen (Akkordsymbole sollten ja immer den Gesamt-Zusammenklang aller beiteiligten Instrumente darstellen) und evtl. auch in den "Begleitinstrumenten" mitspielen (oder eben auch nicht).
Ein G-Dur-Akkord auf der Gitarre mit einem gesungenen fis kann als Gmaj7 durchaus beabsichtigt sein. In der Regel würde man dieses fis auch auf der Gitarre mitspielen, dann wäre man allerdings schon über den Dreiklang hinaus.
Kurzum:
Ich dachte bis jetzt, dass wenn man z.B. auf der Gitarre einen Akkord spielt, darf man nur die drei Töne singen, die der Akkord beinhaltet, aber anscheinend ist das nicht so.
Genau: dem ist nicht so. Wenn man nur die Akkord-Töne singen dürfte, würden alle Melodien nur aus gebrochenen Akkorden bestehen. Oder die Akkorde würden hektisch mit praktisch jedem gesungenen Ton wechseln müssen.
Welche Töne darf man denn alles singen z.B. bei Emoll, Edur, Amoll, Adur?? Doch wohl nicht die entsprechenden Tonleitern??
Warum nicht? Das genannte Entchen-Beispiel ist genau das: Wenn Du über E-Dur anfängst, die ersten fünf Töne der E-Dur-Tonleiter zu singen, hast Du den Anfang von "Alle meine Entchen" oder eben den Fuchs.
Auf die betonten Zählzeiten ("
Al-le
mei-ne
Ent-
chen") kommen tatsächlich die E-Dur-Dreiklangs-Töne e, gis und h. Die akkordfremden Tonleitertöne fis und a liegen auf den unbetonten Zählzeiten.
Die Melodie geht mit cis weiter, das wäre aber auf Zählzeit 1 voll betont und ist nicht Bestandteil des E-Dur-Akkords. Was tut man da? Richtig - man wechselt den Akkord: zur Subdominante (A-Dur) paßt das cis nämlich wunder bar.
Viele Grüße
Torsten