Was macht ein Orchester (noch) einzigartig?

luzil
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Hallo,

ich bin beim recherchieren auf ein virtuelles/reines Software Orchester gestossen, dass akklamiert in der Qualität nicht von echten Orchestern unterschieden werden zu können. Hier mal ein paar Links und Soundbeispiele zu der Thematik:

http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,482082,00.html
Fauxharmonic Orchestra Interview | EM Interview With Paul Henry Smith's Fauxharmonic Orchestra
Fauxharmonic Orchestra | Listen …
Interview in Beat Magazine

Ich möchte jetzt weniger hier eine Diskussion von Zaun brechen, ob Orchestermusiker noch nötig sind, als vielmehr mich die Frage interessiert, was den speziellen Klang eines Orchesters in der Spielweise/Instrumentation ausmacht und wieweit mit exaktem Midi Editing und detailierten Sound-Libraries das artikulierte Spiel eines Orchesters emulierbar ist. Ich selbst hab in meiner Kindheit eine Zeit lang im Orchester gespielt (Volksmusik ;)), höre auch privat Klassik und träume auch etwas von orchestraler Musik mit Verbindung von akust. & elektr. Klangerzeugern, da es mir soundmässig v.a. Synths und Möglichkeiten von Midi sehr angetan haben. Grossen qualitat. Unterschied zu akustisch eingespielten Orchester Aufnahmen vermag ich nicht auszumachen. Von daher find ich das Angebot von Fauxharmonic so interessant, da für experimentell orchestrale Musik mit fleischgewordenen Musikern wohl wirklich das Geld zu fehlen scheint bzw. sehr teuer ist und das die einzige Möglichkeit scheint, Musik dieser Richtung mit hoher Qualität zu produzieren. Aufmerksam wurde ich durch eine neue Version von Cubase, in der durch die "note expression" Technologie in Verbindung mit einer detaillierten Sample Library wie Vienna Symphonic IMHO eigentlich auch diffizile Artikulationen von Einzelinstrumenten in einem Orchester kontrollierbar werden, evtl sogar variabler als mit Menschenhand. Ich vermute in Filmproduktionen mit nicht Multi Millionen $ Budget kommt ein elektr. Orchester wahrscheinlich schon vereinzelt zum Einsatz.

Also z.B. will man jetzt elektr. Instrumente in Gruppen anordnen, doppelt man sie nicht nur auf mehrere Spuren, was sind die Parameter in denen sich das Spiel/Artikulation von einzelnen Instrumenten einer Instrumentengruppe im Orchester unterscheiden. Allein durch die leicht versch. Bauweise/Material von versch. akust. Instrumten kommt es wohl schon zu bestimmten klanglichen Phänomenen (Schwebungen, Vibrato, Tremolo...). Ich werd wohl nicht drum rumkommen mich auch etwas mit Orchestration zu beschäftigen (Principles of Orchestration: Amazon.de: Nikolay Rimsky-Korsakov, Rimsky Korsakov: Englische Bücher hier empfehlbar?), allerdings wär ich mehr an den hinterliegenden Prinzipien interessiert ( z.B. warum klass. Orchester von Instrumentgruppen räumlich so angordnet sind, warum man Untergruppen in homogenen Instrumtengruppen macht (Streicher))statt einer Bauanleitung, da ich ja versuchen will diese Prinzipien auf ein elektr. Orchester, in dem Synths wieder beliebige Klänge und Artikulation durch Programmierung haben können, zu übertragen um orchestrale Effekte/Klang zu erzielen.

Vielleicht überinterpretier ich das aber auch etwas und dieser emergente Effekt, das Orchester ist mehr als die Summe seiner Teile, ist garnicht so gross

Egal. Danke schon mal bis hierhin. Ich warte erst mal auf etwas Input bevor ich zu spezielle/unsinnige weitere Fragen stelle...
 
Eigenschaft
 
Ganz einfach. In einem Richtigen Orchester sitzen Leute die ihr Instrument geübt haben, und zusammen musizieren. Je nach Akustik wird die Dynamik, Tempo usw. vom Dirigenten angepasst. Der Live Sound von einem Richtigen Orchester ist einfach nicht zu vergleichen mit Konserven Mucke. Versuch mal irgendne Sinfonie elektrisch "herzustellen" nimm, die beste anlage der welt stell sie in einen Konzertsaal, dann machst du das gleiche mit einem Orchester, dann wirst du schon den Unterschied merken ;) .
 
Die haben auch Tests gemacht mit Dirigenten und Komponisten und ihnen das gleiche Stück einmal von echten Orchester und einmal mit dem virtuellen vorgespielt und die Fachleute tippten falsch herum :) Natürlich muss ein Profi dieses virt. Orchester einstellen, da täte mich gerade interessieren bei welchen Parametern er besonderes Wissen einfliessen lässt für orchestralen Effekt. Hab jetzt aber noch etwas gegoogelt, evtl. auch hier nicht wirklich die passende Rubrik weil mehr Hörer als Komponisten mit Erfahrung Orchester unterwegs, evtl. in Komposition besser aufgehoben, aber da gehts meist um kleinere Stücke von der Instrumentenanzahl. Es gibt wahrscheinlich auch subtile kaum elektronisch zu reproduzierende Feinheiten wie versch. Holzarten/leicht Resonanzräume bei Streichern die besondere feine Chorus Effekte hervorrufen, wie weit es da ins Detail geht würd mich interessieren bzw. die Intonation aufeinander abgestimmt werden muss, scheinbar Klingt ein Stück mitten im Orchester auch daher anders als bei den Zuhörern, der Klang entfaltet und vermischt sich noch mehr.

Waynes interessiert

http://www.hp-haller.homepage.t-online.de/heft2.html
http://www.musiktreff.info/showthread.php?345-Physikalische-Betrachtungen-der-Obert-ouml-ne
http://www.bassic.ch/forum/topic.asp?TOPIC_ID=14805890

Vielleicht entwickelt sich ja noch Diskussin hier, wenn nicht evtl. in andere Rubrik verschieben, ich hab erstmal etwas Lesematerial...
 
Hi Luzi

Die Töne an sich sind wie DU schon sagtest nicht von echten zu unterscheiden, da sie ja echt sind. Deswegen funktionieren auch pizzicato und staccato Artikulationen sehr gut (Hört man oft bei Anfängern die gerne Soundtracks schreiben wollen). Tonrepetitionen sind das Schwierigste, das sich schnell der Effekt einstellt, den man kennt wenn die CD hängt ;)
Bei zusammenhängenden Noten (legato) wirds schwierig. VSL ist da momentan Marktführer aber es ist ne komplizierte Software.

Ich denke ein riesiges Gewicht, in der "Echtheitsfrage" bekommt der Reverb Effekt. Stichwort Tiefenstaffelung. Beispiel:
Ist ein Instrument, etwa die Pauke weit weg vom Hörer/Dirigenten so hat der Direktschall, der von der Pauke zum Hörer kommt aufgrund seines "langen Weges" Einbußen in den hohen Frequenzen. Der Schall"effekt" selbst aber, nehmen wir mal an er wird von der Wand hinter der Pauke zum Hörer zurück geworfen, einen vergleichsweise(!) kurzen Weg und büßt nicht so viele Höhenanteile ein.
Bei den Violinen ist es anders herum, der Direktschall ist durch den kurzen Weg zum Hörer fast unverändert, aber der "Effektschall" von der Wand hinter den Violinisten hat einen viel längeren Weg zum Hörer (als die Pauke).
Das Ergebnis: Man muss den Direkschall und den Effektweg in der Produktion verschieden einstellen. Noch dazu kommt das Echo des Schalls - durch die unterschiedlich langen Wege - zu unterschiedlichen Zeiten beim Hörer an. Verliert mit mehr Entfernung seinen Stereoeffekt und so weiter.

=> Eine Wissenschaft für sich und es braucht ewig bis man da etwas realistisches hin bekommt. Allerdings muss ich sagen, wenn jemand etwas davon versteht, dann klingt die Posaune auch wirklich irgendwann weiter weg als die Bratsche.

Naja ich beschäftige mich damit und experimentiere da etwas - wenn Du mal was von mir hören willst:
http://soundcloud.com/fastel/squeeze

Dieses Echtheitsgejage nervt mich aber, daher investiere ich auch nicht so viel Zeit in die Optimierung des Sounds.
Viele "Computer-Symphoniker" lassen Ihre Produktionen echter klingen indem sie ein echtes Instrument dazu spielen. In dem Fauxpasorchester ist das doch auch so oder? Sind da nicht auch Solisten angegeben die z.B. das Solocello über das künstliche Orchester spielen?

Naja ich strebe aber das Computerdasein in der Musik ehrlich gesagt nicht so an aber die Tendenz geht eindeutig in Richtung billig und daher Computer.

Was die Untereinander leicht verstimmten Instrumente betrifft: das hab ich auch gehört... ist mit VSL auch möglich aber ich glaube in "echt" und bewusst ist das nur bei Blechbläsern üblich oder?

Naja wie gesagt: der Trend geht in richtung Computer-Orchester oder direkt Livemusik. In Filmen und anderen Medien ist meistens der Komponist auch gleich der Produzent und bekommt viel zu wenig Geld um ein echtes Orchester zu engagieren. Da aber die Software heute recht erschwinglich ist, kann auch jeder "irgendwas" machen und das "Komponisten"-Lohndumping grassiert und führt diesen Berufsstand schon bald in die finanzielle Bedeutungslosigkeit (mit Ausnahme einiger einzelner Größen). Ein paar Jahre gehts vielleicht noch aber die Fähigkeiten der Programme steigen stetig.

Wenn Ihr des Englischen mächtig seid, schaut euch dazu mal uuuuuunbedingt dieses tolle Video an (Danke an den Mod UranusXP):
http://www.youtube.com/watch?v=mj5IV23g-fE


ps: Ok das Ende war etwas Offtopic :)
Aber irgendwie hoffe ich, dass die Orchesterprogramme nicht noch realistischer werden. Es wird immer schwieriger für den echten Musiker finanziellen Nutzen aus seiner langjährigen Ausbildung zu ziehen.
 
Nun, Orchester sind Luxus und werden es auch immer sein. Ein großer Haufen Berufsmusiker, die benötigsten Locations, die Koplexität der Aufnahme... das ist für die meisten Film und Computerspielsoundtracks kaum machbar.

Von daher haben die virtuellen Orchester auf jeden Fall ihre Berechtigung. Aber ich denke echte Orchester brauchen sich wenig Gedanken zu machen. Erstens ist das Live Erlebnis eben auch nur Live zu erzeugen und zweitens werden sie ja jetzt schon nicht nach marktwirschaftlichen Maßstäben bezahlt.


Was dazu kommt: Unterscheid mag das ganze nicht sein (was mir allerhöchsten Respekt vor dem Typen der das programmiert hat und auch vor der Qualität der Libary abringt), aber die wirklich überragenden Leistungen entstehen dann doch meistens wenn viel talentierte Menschen zusammen kommen. Ist ja beim Film ähnlich. Dort kann man auch schon virtuelle Schauspieler erstellen die man nicht als solche erkennt - es sind dann meistens nur keine überragenden Schauspieler.
Aber vielleicht ändert sich das ja noch.
 
@fastel

Danke nochmal für deine ausführliche Antwort, das was du ansprichst hab ich jetzt auch soweit in den verlinkten Quellen wiedergefunden teilweise. Der Raumhall ist sehr wichtig und überhaupt muss ein Orchester seine Spielweise auch einem Raum angleichen bzw. der Dirigent reagiert während der Aufführung auf die Reflektionen und leitet den Einsatz früher/später ein um keine störenden Überlagerungen zu kreieren scheinbar, wusste ich garnicht, dass es so interaktiv ist. Smith spricht auch davon, dass er dieses Problem mit genauen stereo positioning, EQ und Reverb Software wie Altiverb emuliert, das scheint keine grosse Probleme mehr zu bereiten. Die räumliche Wirkung von best. Instrumenten (dein Paukenbsp.) in abh. dieser Parameter werd ich mal untersuchen, schonmal guter Anhaltspunkt.

Bei VSL hab ich mir mal die Manuals runtergeladen um zu sehen, was es da überhaupt für Einstellmöglichkeiten gibt, anschaffen möcht ich mir das nicht, da ich ja eher auf Synth-Orchester aus bin. Das Plugin ist schon ne Wissenschaft für sich. Der Hall und Mikrofonierung aus versch Positionen scheint auch wie bei East West grosse Rolle zu spielen. Zu deiner Frage ob bei Fauxharmoic auch echte Einzel Instrumente recordet und dann virtuell zu einem Ensemble gedoppelt werden, afaik nicht, Smith nutzt nur VSL, das bietet auch bestimmte Instrumente als Solo und Ensemble, wahrscheinlich wg. der Mikrofonierung und Hall, eine Solo Instrument software vervielfacht zum Ensemble in einem Raum mit viel Hall hört sich wohl sehr versch. zu einem entspr. recorded Ensemble an. Wieweit hier Feinheiten wie leicht versch. Intonation und physik. Eigenschaften nicht absolut baugleicher Violinen miteinspielen kann ich nicht berurteilen, aber da ich auch ein paar physical modeling Synths habe werd ich damit auch bei Ensemble etwas rumexperimentieren wieweit minimale Änderung der phys. Eigenschaften statt Mehrfachspuren Effekt zeigen.

Bei der Intonation muss ich noch etwas recherieren, teilweise heisst es da es wird viel mit Vibrato gespielt um zu kaschieren, dass Musiker nicht genau und wiederholt intonieren können, andere sagen wiederum, der orchestrale Chorus-Effekt tritt eher dann auf, wenn ein Ensemble sehr genau und gleich intoniert, die feinen Schwebungen die den Sound flächig und dick machen resultieren dann wohl wieder aus den leicht vershc. Klangeigenschaften/Obertonspektren, da kein akust. Instrument absolut gleich gebaut werden kann. Auch bilden sich scheinbar bei sehr exakter Intonation eines Ensemble Kombinations/Differenztöne wenn in versch. Oktaven z.B. gespielt wird.

Es ist ja auch gerade interessant das man mit VSL virtuelle Anordnungen von Instrumenten machen kann, die mit einem realen garnicht möglich wären, Violinen sehr sehr nah beieinander, 3D Verteilung im Raum. In einem der Interviews steht, dass mit Fauxharmonic eben eine Stück für 800€ statt 50000 für reales Orchester produziert werden kann und darunter eben auch die Experimentierfreudigkeit der heutigen Klassik leidet. Es werden immer wieder eingeübte alte Stücke aufgeführt etc. So haben doch gerade junge Komponisten überhaupt erstmal die Möglichkeit ihre Stücke zu hören und wenn das Durchschnittsalter bei klass. Konzerten mir auch über 40 scheint, ist das imo höchste Zeit für die Entwicklung dieser Technik gewesen. Es sind dann eben doch nur Bands wie Fanta4 und Metallica, die sich ein Orchester leisten können um Kombination von Pop/Rock Instrumenten mit klassischen zu verwirklichen für Produktionen/Live-Auftritte mit grossen Erfolg gerade bei jüngeren Hörern.

@matthias

ja ich glaub für Ottonormal Produzent ist VSL nicht wirklich bedienbar wenn es das erstellen qualitativ hochwertiger klass. Orchesterstücke geht, Smith sagt auch selber, dass eine Menge Erfahrung mit Raumklang und Instrumentenkenntnis wie jeder gute Dirigent sie hat miteinfliesst. Und die jahrelang ausgebildeten Musiker nehmen auch viel Arbeit ab, die man sonst als Einzelperson in minutiösen Midi-Editing einarbeiten muss für überzeugende Artikulationen.

Dein Schauspieler Analogon hat mich an einen TED Talk erinnert über Benjamin Button Film

http://www.ted.com/talks/ed_ulbrich_shows_how_benjamin_button_got_his_face.html

Der Film als Gesamtwerk wurde erst durch eine revolutionär neue Technik möglich die es schaffte Brad Pitts schauspielers Können/Mimik zu extrahieren und dann auf seine vollständig computeranimierten Filmcharaktere jünger und älter als der echte Brad Pitt zu übertragen. Ähnlich seh ich dass mit Fauxharmonic, es öffent vor allem Pforten zu neuen musikalischen Ideen, Arpeggions die schneller sind als sie ein menschl. Orchester spielen könnte, Instrument-Ensembles von 100 und mehr auf sehr geringen Raum etc., versch. Positonierung von Instrumenten während eines Stücks
 
Ist schon teilweise mit anderen worte gesagt worden:
bei musik auf digitalen tonträgern mag man orchster live und synthetisch schwer unterscheiden können, obwohl jedes sample ein restdefizit hat. Auch ein noch so vieleckiges gebilde wird kein kreis.
Der unterschied offenbart sich im konzertsaal, überhaupt bei jedem live-spiel. Was ich am piano in einem bestimmten raum spiele, klingt in der digitalen aufnahme anders, auch wenn ich entsprechenden hall simuliere. Ich muss anders spielen, manches übertreiben, manches zurücknehmen, mal mehr, mal weniger pedal, um halbwegs zufrieden zu sein mit einer halbwegs lebendigen wiedergabe.
Das war auch noch analog so: als ich meine erste aufzeicchnung mit dampf-mikro machte, sagte der tonmeister "spielen Sie bloß nicht ein achtel wie das andere!" Seitdem bin ich rubato-freund, phrasiere und akzentuiere oft synkopisch, da begegnen sich Bach und jazz.. Das irritiert freilich manchen kammermusikpartner.
Ich habe viele konzerte des SW-sinfonieorchesters gehört, bei Gielen spielte es präzise aber seelenlos, den funkorchestern sitzt immer der tonmeister im nacken, aber nicht jede musik verträgt höchste präzision, Cambreling brachte sie wieder zum klingen. Da gab es einen oboer in der Staatskapelle Weimar, da freute man sich auf jedes solo, weil es individuell gestaltet war, aber nicht jeder dirigent lässt so etwas zu.
Ein anderes problem ist die kompression der lautstärke , live hat einen ganz anderen bereich, manches wird aber auch auf stets gleichem niveau abgedudelt, da unterscheiden sich die genres. und die technikr lieben keine klassische musik, sie macht viel arbeit.
Kurzum, musik machen, ist immer eine gratwanderung, aber eine faszinierende, und warum naturklänge nachahmen wollen, statt mit elektronischen zu experimentieren und sich am anders-sein erfreuen?
Eine andere sache ist, dass man schnell und billig produzieren und auf milli-sekunde zuschneiden kann, kompatibel zu anderen medien.
 
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@fastel

Es ist ja auch gerade interessant das man mit VSL virtuelle Anordnungen von Instrumenten machen kann, die mit einem realen garnicht möglich wären, Violinen sehr sehr nah beieinander, 3D Verteilung im Raum.

Es sind dann eben doch nur Bands wie Fanta4 und Metallica, die sich ein Orchester leisten können um Kombination von Pop/Rock Instrumenten mit klassischen zu verwirklichen für Produktionen/Live-Auftritte mit grossen Erfolg gerade bei jüngeren Hörern.
Das Erste verstehe ich nicht ganz. Das ist doch nur Panoramaspielerei. Außerdem will man das ja in den meisten Fällen gar nicht. Die meisten virtuellen Orchesterprogramme sind ja schlicht und einfach dazu da um ein echtes Orchester so gut es geht zu immitieren. Das geht soweit, dass man Ungenauigkeiten einbaut und auch grade die 3D Verteilung. Also Effecte erzielen die eben NICHT möglich sind, für ein echtes Orchester kommt mir eigentlich nicht so unter :)

Das 2. Ich bin kein Freund dieser Pop meets Orchestra Sachen. Man hörts heute ja laut von David Garrett. Bei Metallicas Orchestersache hat mich immer entweder die Band oder das Orchester gestört.
Es gibt aber auch einige Aufnahmen auf der Platte etwa http://www.youtube.com/watch?v=900sezVVDtI&feature=related
 
Orchester wird es immer geben, denn Musik aus dem Lautsprecher wird immer ein künstliches Produkt bleiben, das seine ursprüngliche Herkunft nicht verdrängen wird.

Ich habe die VSL (Basic Edition oder so ähnlich) und habe diverse Playbacks für Dinnershows, Sängerinnen und Kindermusicals damit gemacht (und mit Hardware-Synthesizern). Von der Ausbildung her bin ich aber Posaunist & Pianist und habe live sehr viel mit echten Instrumenten zu tun, von daher habe ich den Unterschied oft real vor mir.

Um ein Orchester auf höchstem Niveau zu simulieren, sehe ich 3 Arbeitsbereiche, wenn die Komposition schon abgeschlossen ist:
  1. man muss alle wesentlichen Details kennen, die beim Entstehen eines Orchesterklangs eine Rolle spielen. Dazu zählen alle Spieltechniken und physikalischen Eigenschaften aller Instrumente, ihre Traditionen bezüglich Instrumentation und die Interaktion zwischen den Spielern. Ein umfassendes Wissen über Orchestration und Arrangement ist notwendig
  2. um das dann nachzumachen und aufzunehmen, braucht man ein Werkzeug wie eben eine DAW mit der VSL (vorzugsweise die größte Ausbaustufe), das man beherrschen muss. Das bedeutet aktuell Investitionen von 10.000 Euro und mehr
  3. man muss das Endergebnis mischen und mastern

Jetzt kommt das Entscheidende ;): jeder der drei Punkte ist eine Lebensaufgabe, wenn man höchstes Niveau anstrebt. Von einem einzelnen Musiker sind alle 3 Arbeitsbereiche nicht zu leisten, wenn es um maximalen Realismus geht. Wenn man an irgendeinem der Punkte Abstriche macht, wird es nicht mehr nach maximal realistischem Orchester klingen. Letztlich kann nur im Umfeld von hochwertigen Computerspielen und Filmproduktionen so ein Niveau angestrebt werden.

Wenn man's richtig machen will, muß man ja jeden einzelnen Ton überdenken: mit welcher Artikulation, welcher Lautstärke, welcher Phrasierung soll gespielt werden? Das muß man bei der VSL alles einzeln programmieren. Die Version, die ich habe, hat leider keine unterschiedlichen Bogenstrichrichtungen und Vibratogeschwindigkeiten für die Streicher, was sie für hohe Ansprüche schon mal disqualifiziert. Wenn man das aber alles nachprogrammiert, sitzt man mehrere Wochen an einem Instrument. Und in einem Orchester gibt's ~80 Instrumente.

Das Bedienen der VSL auf höchstem Niveau ist genauso schwierig, wie das echte Instrument zu erlernen. Man muß das Programmieren lernen und üben. Und es wird niemals einen Weg geben, diese Bedienung so zu vereinfachen, daß automatisch und variabel gute Musik entsteht, dazu ist Musik zu komplex.

Ein echtes Orchester lebt natürlich dadurch, daß die Spieler ihre Persönlichkeit in den Klang hineinlegen. Orchestermusiker sind (im Idealfall...) aufmerksame und extrem variable Menschen, die in einer Probe ständig zu verstehen suchen, wie das Stück gemeint ist und mit welchen Spieltechniken man die Absicht des Komponisten und des Dirigenten am besten unterstützen kann. Dabei spielen Gruppenprozesse eine Rolle, z.B. wenn der 1.Hornist nonverbal durch sein Spiel den anderen Hornisten klarmacht, wie er über eine Stelle denkt und mit welchem Lautstärkeverlauf und welcher Artikulation er sie anzugehen gedenkt.

In dem Moment, wo (wie bei Filmmusik oft üblich) Komponist und Produzent ein und dieselbe Person sind, wird der emotionale Neuzugang verhindert, den ein Interpret (der Orchestermusiker) vollzieht, wenn er zum ersten mal die Noten auf dem Pult liegen hat. Dieser emotionale Neuzugang bewirkt aber eine Objektivität, denn erst dann stellt sich heraus, ob die Absichten und Ideen des Komponisten funktionieren, ob sie scheitern, oder ob eine geplanter Klang vielleicht in der Realität ganz anders klingt - und möglicherweise sogar interessanter oder besser.

Goethe wäre vielleicht auch nicht sein eigener bester Schauspieler gewesen. Ein Architekt ist vermutlich kein guter Betonmischerfahrer für das von ihm geplante Gebäude. Spezialisten wie Schauspieler und Betonmischerfahrer bringen ihre spezielle Ausbildung mit hinein - und vor allem: sie bringen einen Abstand zum Endprodukt mit, der das Endprodukt objektiviert und besser macht, als es der Planer hätte ausführen können.

Daher kann IMHO produzierte Musik nie die ästhetische Tiefe von komponierter und gespielter Musik haben, denn die interpretatorische Objektivität fehlt, wenn ein einzelner Musiker im Studio komponiert und produziert. Aber ästhetische Tiefe, die sich in authentischen Gefühlen und zielstrebig verfolgten Ideen äußert, wird immer gefragt sein - denn das ist es, worauf wir Menschen ansprechen.

Harald
 
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