Ein unendlich ausuferndes Thema!
1. Ich versuche nur ganz oberflächlich darauf einzugehen und greife mall Dein Beispiel mit der Filmusik auf.
Stell Dir vor, Du bist Filmkomponist.
Du nutzt ganz selbstverständlich alle Dir zu Verfügung stehenden Mittel und instrumentierst natürlich so, wie es Deinen Ausdruck am besten darstellt. Man verfällt leicht in Klischees die immer gut funktionierren. Dabei kommt dem Akkordeon eben eine sehr spezielle Rolle zu.
Diese Klischees zu durchbrechen ist zwar interessant, stellt aber auch ein Wagnis dar und muss "erklärt" werden.
Ich sag mal so, eine Elfe ist vielleicht mal keine Harfe, sondern eine Tuba oder verzerrte E-Gitarre.
Diese Mühe macht man sich aber nicht, wenn man nicht von starker Motivation getrieben ist, etwas ganz bestimmtes darzustellen. Sogar ich als Akkordeonfan würde es im Film eher selten einsetzen, eben nur wo es passt, nicht wo es Ersatz für etwas ist was dort besser funktioniert.
Sicher, man hätte Hannibal Lecter in seiner Kannibalenszene auch Akkordeonmusik auflegen lassen können, aber obwohl Bachs Goldbergvariationen auch irgendwie auf Akkordeon gehen, hätte es noch einen noch anderen, seltsam verschrobenen Eindruck gemacht. Es musste Klavier sein, weil dieses Instrument für Bildung steht und dieses Stück besonders für innere Zufriedenheit und Weisheit. Es musste auch Glenn Gould sein, weil er als Maß der Dinge gilt und höchste Kunst, Intelligenz und Entrücktheit bei eigenwillig ausgeprägter Persönlichkeit und Größe verkörpert.
2.
Die Nummer mit den Blondinen... dort wird so viel transportiert
- blond sein
- Lichtshow
- Animation
- Beine
- Lächeln
- programmierter Rhythmus
- uvm.
Allerdings ist es Vollplayback, geübt wurde die Choreographie, nicht die Musik! Diese wurde schon im Studio perfektioniert und so konfiguriert, dass das Durchschnittspublikum auf jeden Fall etwas erkennt und mit großer Wahrscheinlichkeit gut findet.
Ein riesen Spektakel, bei dem das Akkordeon nur in Russland auf diese Weise eine Chance hat.
Und ehrlich gesagt, auf mich wirkt das Akkordeon in dem Falle eher wie ein Störfaktor. Es verdeckt so viel von dem, was man eigentlich viel lieber sehen möchte... Es ist sperrig und unnötig.
Selbst ein Saxophon würde das kaum ändern.
Mit anderen Worten, man wird zwar vielleicht an den "Beitrag mit den Akkordeons" erinnern, das Akkordeon ist als besonderes Instrument natürlich der Aufhänger. Aber die Eltern im Publikum werden aufgrund dieser Performamce ihre Kinder trotzdem nicht unbedingt in den Akkordeonunterricht schicken, weil das Instrument so unheimlich schön, so praktisch und so modern ist. Denn wer auf solche Events steht, bevorzugt wahrscheinlich trotzdem das Notebook und präferiert eine Gesangs - oder Tanzkarriere, denn es geht kaum ums Akkordeon bei diesen Spektakeln.
3. Im Unterricht...
Du meinst, wenn das Akkordeon in den Medien in zeitgemäßem Kontext präsentiert würde, wären mehr Schüler daran interessiert.
Das könnte schon sein. Leider ist es aber so, dass die Musik selbst sich auf ähnliche Weise wie oben beschrieben immer weiter von den klassischen musikalischen Elementen Harmonie, Melodie und Rhythmus entfernt.
... ich sage nicht, dass es das nicht hin und wieder gibt, aber die Tendenz im Pop (das ist das in den Medien präsenteste Genre) geht eindeutig in immer monotonere Richtung. Loops werden immer wichtiger, zusammengeklickte Rhythmen, die einen cleveren, mehr oder weniger gesprochenen Text tragen. Vielleicht mal noch ein Refrain mit 2 oder 3 Harmonien.
Der Rest ist Image, Story, Klatsch und Werbung.
Sowas kannst Du nicht wirklich gut auf dem Akkordeon spielen.
Wenn ich danach frage, bekomme ich von den Kids haufenweise unspielbare Vorschläge.
Das war in der Blütezeit des Akkordeons eben anders. Die Musik die damals aktuell war, ließ sich ganz hervorragend damit spielen.
Ausgeprägte Melodie, Harmonien in Dur und Moll, orientiert am Quintenzirkel. Das Aussehen der Musiker hat kaum eine Rolle gespielt, es war und ist dann klasse, wenn man ohne Strom überall sofort alles aus einem Kasten holen kann.
Das geht aber heute mit nem Stick im Gesangsmikrophon viel cooler. Selbst wenn Prince mit seiner Gitarre auf die Bühne kam, wirkte das schon irgendwie überholt und wie ein unnötiger Beweis seines Talents.
Nicht zuletzt gehört zu einer anständigen Interpretation eines modernen Titels mindestens genausoviel Gespür und Feeling wie für Klassik oder Volksmusik.
Ich habe z.B.'Gangnamstyle" oder "Ein Hoch auf uns" "Pokerface", oder "Herz über Kopf" und "Happy" etc. spielen lassen und selbst gespielt. Es ist schwierig aus Wortgruppen, die sich ewig auf einem Ton austoben, klingende Musik zu machen.
Es fehlt Intonation, Sprache und spezieller Klang der persönlichen Stimme. Es bleiben auf dem Akkordeon schlimmstenfalls Morsezeichen. Notiert sieht es auch aus wie ein Morsecode, es lässt sich schwer lesen, vom absolut notwendigen rhythmischen Zusamnenspiel mit Bass ganz zu schweigen.
Wenn das Solo sein soll ist das abgefahrener Scheiss für Experten.
Das tun sich die großen Originalkünstler auch nicht an. Sie kümmern sich ja nur um einen kleinen Teil des Gesamtklangs.
Bleiben also Gruppenarrangements als Möglichkeit. Aber auch hier braucht es Timing, Phrasierungsgeschick und Technik. Gut und böse liegen da nahe beieinander, denn der musikalische Inhalt trägt es eben nicht von selbst weg wie bei Mozart oder so.
Jetzt ist es spät geworden.
Vielleicht bin ich auch schon wirr.
Mache einfach mal Schluss an dieser Stelle.
Es ist wirklich anstrengend und wenig erfolgversprechend, solchen Massengeschmack aufzuspüren und mit eigenem Willen zu kontrollieren.
Es ist immer ein künstlerisches Grundrauschen vorhanden. Wen oder was die Masse zu einem bestimmten Zeitpunkt aus diesem Rauschen plötzlich herauspickt und begeistert, ist mMn kaum vorhersehbar.