Ich glaube, man kann "gut klingen" u.U. auch ohne richtige Atmung/Technik usw. - zumindest insofern, dass Nicht-Sänger keinen Unterschied merken und andere Sänger trotzdem zu deinem Konzert gehen würden
Was "gut klingen" ist, ist meines Erachtens extrem subjektiv. Manche mögen hohe, zarte Stimmen, andere wiederum kräftige, schwere Stimmen mit viel Masse. Die einen hören gern Opernstimmen, die anderen lieben rauchige, rauhe, eigentlich "kaputte" Stimmen. Aber es geht beim Singen auch nicht nur um den "schönen" oder "angenehmen" Klang. Singen hat wahnsinnig viel mit Sich-Öffnen zu tun, mit Präsenz durch die Stimme, und da gibt es grundsätzlich sehr verschiedene Begabungen. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass Menschen aus von Natur aus "extrovertierten" Kulturen, wo im Gegensatz zur mitteleuropäischen Kultur nicht so viel Wert auf das Vermeiden einer potenziellen Ruhestörung und ein vorsichtig-leises gesellschaftliches Miteinander gelegt wird, von klein auf einen unverkrampfteren Umgang mit dem Einsatz der eigenen Stimme haben als der gemeine Mitteleuropäer. Nicht alle diese Leute sind natürlich musikalisch oder fürs Singen begabt, aber allein das Klangvolumen der Stimme ist da oft viel ausgeprägter, weil es nie künstlich unterdrückt wurde. Dabei entsteht scheinbar ganz von Natur aus die "richtige Atmung/Technik", die unsereins mühsam wieder lernen muss.
Das andere ist, dass sich auch die Wahrnehmung des Gehörs verändert, wenn man sich länger mit dem eigenen Stimmklang und dem Training dieses Klanges auseinandersetzt. Man fängt zum Beispiel an zu hören, welche Profi-Sänger Knödeln oder Pressen, bei wem künstlich nachgeholfen werden muss, damit der-/diejenige so klingt, wie man es gerne hören möchte, etc. pp. Dass Nicht-Sänger also keinen Unterschied bemerken, heißt erst einmal nicht viel. Und auch nicht jeder Sänger legt bei "Kollegen" unbedingt Wert darauf, ob die Stimme im klassischen Sinne "gut geschult" klingt. Manchmal mag man auch einen bestimmten Klang, auch wenn man hört, dass er nicht perfekt produziert ist.
Abgesehen davon glaube ich aber (ich habe jetzt seit rund 2,5 Jahren Gesangsunterricht, nicht ganz regelmäßig, aber doch kontinuierlich), dass man seiner Stimmfunktion mit professionellem Unterricht schon was Gutes tut. Das gilt besonders dann, wenn man von Natur aus (oder selbst antrainiert) zu richtigen Technikfehlern neigt, die die Stimme überbeanspruchen und einen immer wieder heiser werden lassen. Meine Stimme ist immer noch weit davon entfernt, "professionell" (egal in welchem Genre) zu klingen, aber ich werde zum Beispiel nicht mehr heiser, kann Kopf- und Bruststimme ohne Übergang mischen, habe im Laufe der Zeit ein leichtes Vibrato entwickelt und kann meinen Atem vernünftig regulieren. Das hat bei mir für meinen Geschmack lange gedauert, ich bin ein ungeduldiger Mensch und darüberhinaus ziemlich verkopft. Aber letztendlich hat es nur das kontinuierliche Training über all die Zeit gebracht. Ich bin z. B. niemand, bei dem der Knoten "über Nacht" geplatzt ist, bei mir kommen die Fortschritte graduell.
Wie das bei dir sein wird, wird sich zeigen. Es gibt definitiv Leute, die haben am Anfang schon einen großen physiologischen (oder psychologischen) Vorsprung und kommen schnell so weit, dass sie bühnentauglich singen. Die allermeisten, die ich so aus meinem Sing-Umfeld kenne, trainieren aber hartnäckig über viele Monate und Jahre an ganz bestimmten Knackpunkten und überwinden diese langsam.
LG
Nicole