Einige sehr schöne Antworten, vielen Dank dafür. Und nein, ich finde weder die Überschrift des Threads und erst recht nicht die Idee dazu irgendwie "doof". Im Gegenteil, schöne Sache, auch das mal zu besprechen.
Für mich ist Singen zuerst einmal etwas, das Regelmäßigkeit und Struktur in mein Leben bringt. Samstags habe ich um 11.15 Uhr Unterricht. Das Hinfahren mit dem Rad, der Unterricht, das Zurückfahren, das ist Ritual. Dann ist Wochenende. Dann habe ich alles abgelegt, was ich aus der Woche mitgenommen habe. In mind. 9 von 10 Fällen fühle ich mich danach besser als vorher oder besser: Ich fühle mich super!
Womit wir beim zweiten Aspekt wären: Singen tut mir gut. Es ist hier schon mehrfach angeklungen, dass es geeignet ist, Stress abzubauen, dann man es macht, um zu Entspannen, Abzuschalten, Energie - möglicherweise aufgestauten Ärger oder auch Wut und Stress - loszuwerden. Ich würde sagen, mental ist es unglaublch befreiend und auflockernd. Aber was ich für mich persönlich auch vor allem festgestellt habe ist, dass es auch körperlich einen Effekt hat, dass es mir körperlich, rein physich, gut tut. Dass sich Verspannungen lockern, Kopfschmerzen verschwinden, Nebenhöhlen sich öffnen, die Nasenatmung besser wird, Bauchschmerzen verschwinden, der Atem ruhiger und gleichmäßiger wird, ich spüre Muskeln, wo ich vorher nie welche gespürt habe
, was meinen Gesangslehrer dann auch immer dazu animiert, sie mich noch ein bisschen mehr spüren zu lassen
- und das ist in Ordnung. Es ist eine ganz körperliche und handwerkliche Arbeit, sehr physisch, sehr handfest, mit Anfassen, mit "Kniffen", die man kennen muss, mit "Handgriffen", die sitzen müssen. Es gefällt mir, das zu lernen und zu beherrschen, das interessiert mich und das tut mir gut.
Der dritte Teil ist der, für den man letztendlich doch alles tut: Der Auftritt. Zu merken, dass sich die Arbeit gelohnt hat, dass man es, egal wie schwierig ein Song manchmal zu erarbeiten ist, schaffen kann, dass es funktioniert. Das finde ich immer wieder großartig. Einen neuen Song zu singen, der dann plötzlich "fluppt". Aber auch bei Songs, die man schon öfter gesungen hat, findet man - zumindest geht es mir so - immer mal wieder etwas neues, eine neue Phrase, ein neues Wort, die man plötzlich "versteht" oder anders versteht, die man anders bringt und denkt: "Warum habe ich das vorher nicht gesehen und so gemacht?" So etwas finde ich ganz interessant. Merkwürdigerweise passiert mir das eher vor Publikum, warum auch immer.
Schön ist es dann natürlich auch zu spüren, dass, wenn man etwas gibt, auch etwas zurückkommt. Dass die Impulse, die man sendet, auf Empfänger stoßen und zurück kommen zu einem. Nun, ich bin noch nicht vor 20.000 Leuten aufgetreten (auch nicht vor 1.000 oder 500
), aber so eine gewisse "Crowd" reicht schon, um Feedback zu erzeugen und das sehr deutlich zu spüren. Und ich denke, dass ein richtig großes Publikum auch einfach etwas mit einem macht, dass einen süchtig danach werden lässt, wenn man dafür empfänglich ist und möglicherweise auch angewiesen ist darauf. Manchmal singt man einen Song - und beim ersten Mal hat mich das etwas irrirtiert für einen Augenblick - und plötzlich gehen die Leute mit, jubeln irgendwie, wenn sie den Song erkennen oder singen Teile mit und klatschen.
Oben schrieb jemand was von wegen, er sei eigentlich ein eher Stiller, aber auf der Bühne würde sich das ändern. Und dann der Begriff von der "Rampensau". Lustig, weil Leute teilweise sagen, dass es bei mir ganz ähnlich sei. Dann wird mir gesagt, ich sei so anders und würde mich verändern, aber ich spüre das so gar nicht. Ich mache nur mein Ding, das, was in meinem Kopf abgeht, aber das ist nicht nur da, wenn ich auftrete, sondern natürlich immer, nur da kommt es dann raus. Generell dir größte Sache ist aber m. E. zu spüren, dass etwas zurück kommt, dass ein Austausch da ist. Ich finde, das ist wichtig in einer Zeit, wo man im Job vielfach Dinge nur für sich macht, ohne immer direkt Feedback und vor allem
die Form von Feedback (nämlich eine unmittelbare) zu haben. Ich denke schon, dass es auch durchaus mit Selbstbestätigung zu tun hat, mit einem gewissen Narzissmus und dem Wunsch danach, solche Anerkennung zu bekommen bzw. dem Wissen, dass man sie
so eben bekommen kann.
Aber ich finde, da ist nichts schlimmes dran. Vielleicht gäbe es keine Kriege, wenn alle Menschen das so handhaben könnten, wer weiß. Es macht einen auf jeden Fall ruhiger, relaxter und ausgeglichener.
Meine Umgebung sagt dazu eigentlich gar nichts großes. Was sollten sie auch sagen? Viele Freunde haben mich einmal auftreten sehen und ich denke, da gab es dann keinen Grund für sie, das irgendwie zu belächeln oder dumme Sprüche zu machen. Sie bestätigen mich eher darin, finden es gut und würden es teilweise sicherlich auch ganz gerne selbst so machen. Da frage ich mich dann immer, warum sie es nicht machen? Ich meine, ich bin, wie gesagt, eigentlich nicht der Typ, der sich immer und gerne und lauthals produziert, aber das kann ich dann merkwürdigerweise.
Es hat aber auch viel damit zu tun, dass ich weiß, dass ich das kann, weil ich vorbereitet bin. Weil ich mich in der Hinsicht auf mich verlassen kann. Und das wäre übrigens mal ein Punkt, wo mich interessieren würde, wie ihr das erlebt: Wenn ich einmal beim Auftritt angekommen bin und endlich auf der Bühne bin, dann bin ich eigentlich locker und relaxt, weil ich weiß, jetzt endlich kann ich das machen, was ich geprobt habe, woran ich gearbeitet habe. Ich bin vorher meist ziemlich nervös, aber auf der Bühne? Eigentlich nicht. Da passiert dann vielmehr eigentlich oft etwas, was mich immer wieder erstaunt und was ich oben schon ansatzweise beschrieben habe: Plötzlich läuft es - wie von allein ...
Es ist ganz komisch, plötzlich kommt der Text geflossen, plötzlich sitzen Atempausen und ich singe die Bögen so, wie es sein sollte, aber vorher nicht (immer) geklappt hat. Plötzlich "verstehe" ich den Song dann auch und kann ihn viel besser gestalten als im Probenraum. Wisst ihr, was ich meine? Auf einmal singe ich Sachen, wo ich sonst textliche Probleme hatte, voll durch, die Atmung ist voll da, ich
spüre mein Zwerchfell arbeiten und kann es sogar kontrollieren, plötzlich passt das alles. Schwer zu beschreiben, vielleicht wissen manche, was ich meine. Es ist echt so, dass das genau der Punkt ist, an dem es klappen musst, für den du es gemacht hast. Und wenn du auf den Punkt abliefern kannst, dann ist es das, wofür sich alles gelohnt hat. Dann gibt einem das eine ungeheure Genugtuung. Für mich ist das fast noch wichtiger als der Applaus. Wenn ich merke, dass ich gut gesungen habe, ist mir irgendwo "egal", wie sehr es den Leuten nun gefallen hat, versteht ihr?
Ich habe mal
Green Green Grass Of Home gebracht, das war schwierig zu vermitteln, wenn ihr versteht. Es ist eine Country-Schnulze (aber halt eine erstklassige) und nicht jeder kommt mit der Sorte Song klar. Aber ich - wenn ich das so sagen darf, ohne dass es missverstanden wird - fand mich selbst "so gut", ich habe gemerkt, dass da alles gepasst hat, dass es geklappt hat, dass ich Dinge erreicht und gehört und umgesetzt habe, die vorher nicht da waren, dass ich am Ende völlig alle war. Das Ganze kam auch einigermaßen an, das ist nicht die Frage. Trotzdem kam nachher jemand und sagte "Tolle Sache, aber der Song ist nicht so meine Tasse Tee ... Kannst du nicht was anderes machen?" Ganz ehrlich, ich habe nur gedacht "Na, und?", weil ich zufrieden war - und es abgesehen davon ein großartiger Song ist.
Kann das jemand nachvollziehen oder ist es irgendwie egoistisch?
Das war jetzt viel Text. Vielen Dank, wenn ihr es bis hierhin geschafft habt!