Johann Helmich Roman teilt das Schicksal geschätzt einiger Tausend weiter Kollegen (und einigen Kolleginnen) der früheren Epochen, die heute kaum bis gar nicht bekannt sind und kaum bis gar nicht gespielt werden. Sie sehen neben den "Großen" oft etwas blass aus, weil sie oft eben nicht die beondere Ausgefeiltheit, Finesse, den Erfindungsreichtum, Phantasie und einen unverkennbaren persönlichen Stil bieten wie eben jene "Großen". Gerne werden diese vielen am Rande stehenden auch "Kleinmeister" genannt, handwerklich hatten sie jedenfalls in der Regel etwas drauf, Können darf man ihnen auf keinen Fall absprechen.
Das "Concerto für Violine" aus dem Link in Post #1 ist definitiv hörenswert und weiß zu gefallen. Allerdings hätte man mir es auch als ein Werk von Telemann unterjubeln können - wobei das weder eine Kritik sein soll und schon gar nicht abwertend gemeint ist, ja eher als Kompliment. Der Stil ist nun mal in der zeittypischen barocken Tonsprache, und auf Individualität wurde seinerzeit auch kein allzu großer Wert gelegt (auch wenn es meistens erkennbare individuelle Züge gibt, auch hier bei J.H. Roman).
Nicht wenige hatten zu ihrer Zeit sogar ein großes Renommee, als Beispiel möchte ich einen anderen "Johann" anführen: Johann Wilhelm Wilms [
J.W. Wilms] (1772-1847). Geboren im Bergischen Land, machte er später Karriere in Amsterdam, aufgrund seines Könnens wurde er auch schon mal als der "Bergische Beethoven" bezeichnet.
Wenn ich nicht zufällig vor etlichen Jahren mal dem (seinerzeitigen) Vorsitzenden der "Internationalen Johann Wilhelm Wilms Gesellschaft begegnet wäre [
IJWWG], die sich für die (Wieder-)Aufführung seiner Werke einsetzt, hätte ich vielleicht bis heute keine Kenntnis von ihm.
Selbst von einem seinerzeit außerordentlich berühmten Komponisten (und Kompositionslehrer! - siehe Link) wie Antonio Salieri werden heute nur noch wenige Werke aufgeführt, wenn überhaupt. Und - wenn überhaupt, so werden viele seinen Namen nach wie vor nur als einen, ja
den Widersacher von Mozart gehört haben, und, schlimmer noch, als denjenigen, der Mozart vergiftet haben soll um ihn als Konkurrenten auszuschalten. Im Übrigen beides grober Unfug und historisch absolut falsch. Im Gegenteil hat Salieri Mozarts Musik bewundert und nach Mozarts Tod immer wieder Werke von ihm zur Aufführung gebracht [
Salieri].
Warum gerieten so viele dieser alten Meister in Vergessenheit?
Zum einen ist das Bessere der Feind des Guten. Die "großen Namen" bilden in ihrer Qualität einfach eine eigene Kategorie, und da es auch an bedeutenden Namen nicht mangelt, und diese insgesamt ein riesiges Oeuvre hinterlassen haben, die zudem für riesige Repertoires gut sind, treten die "Kleineren" hinter den "Großen" im Laufe der Zeit einfach zurück.
In dem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es bis ins 19. Jahrhundert hinein sehr unüblich war, Werke vergangener Epochen in öffentlichen Konzerten aufzuführen. Bis in die Zeit des bürgerlichen Konzertbetriebs, der ja erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts richtig Fahrt aufnahm, hat man sozusagen fast nur "zeitgenössische Musik" gehört.
Als Mozart den Auftrag bekam, Händels "Messias" aufzuführen, hat er erst mal eine Bearbeitung angefertigt für die für ihn und seine Zeit übliche Orchesterbesetzung, aber vor allem etliche Chorpartien den Gesangssolisten gegeben, da es in Wien seinerzeit keine großen Chöre der nötigen Qualität gab (wie sie in England bis heute Tradition sind nebenbei erwähnt). Vieles war einfach gar nicht mehr so ohne weiteres aufführbar. Mozart hat auch Bach-Fugen bearbeitet - als
Lernstoff, nicht eigentlich für´s Konzert.
Bach war nämlich nur noch (weitgehend) in Komponisten-Fachkreisen bekannt, von seiner Musik und vor allem seinen komplexen kontrapunktischen Stil wollte das Publikum nichts wissen.
Bekanntlich wurde die große Bach-Renaissance erst von F.Mendelsohn Bartholdy ausgelöst, mit der Wiederaufführung der "Matthäuspassion" am 11. März 1829.
F. Liszt fertigte von den Beethoven-Sinfonien (recht virtuose) Klavierauszüge an, die er in seinen Konzerten aufführte - um diese Sinfonien einem breiteren Publikum vorzustellen, das sie auch nicht kannte.
Es fällt nicht schwer, vorzustellen, dass es einfach passieren musste, dass so viele Komponisten älterer Epochen sozusagen in der Versenkung verschwanden. Wenn ihre Werke überhaupt aufgelegt und gedruckt wurden, waren die Noten nicht mehr erhältlich und, viele Noten waren sicher schlicht verschollen oder schlummerten unter einer immer größer werdenden Staubschicht in irgendeiner unbekannten (fürstlichen) Bibliothek.
Immerhin gibt es heute nicht wenige Musiker, Solisten, Dirigenten, Musikwissenschaftler, Verlage und nicht zuletzt Vereine und Gesellschaften die diese historisch "blinden Flecken" aufhellen und viel Gutes wieder zu Gehör bringen.
Dennoch wird es nach wie vor nicht leicht sein, den Konzertsaal voll zu bekommen, wenn auf dem Plakat steht "... mit Konzerten von J.H. Roman, J.W. Wilms, J. Stamitz" ...