Warum wird Johann Helmich Roman so selten aufgeführt?

T
Toni Bernet
Registrierter Benutzer
Zuletzt hier
08.01.25
Registriert
28.05.23
Beiträge
12
Kekse
0
Als Geiger, langjähriger Leiter der Hofkapelle am Stockholmer Hof und als Komponist war Johann Helmich Roman ein wichtiger Akteur des spätbarocken Hoflebens in Schweden. Während seiner Studienjahre in England 1716-21 (Studium bei Pepusch) und während einer ausgedehnten Reise nach England, Frankreich, Italien und Deutschland 1735-37 erwarb er detaillierte Kenntnisse über die musikalischen Strömungen der Zeit zwischen Barock und galantem Rokoko. Zu seinen vielen Werken im Dienst als Hofkomponist zählen die 35-sätzige «Drottingholmmusik» (komponiert 1744 für die Heirat des Kronprinzen Adolf Fredrik mit Lovisa Ulrika geschrieben), die 45sätzige Golowin-Musik (geschrieben für ein Fest im Jahr 1728 beim russischen Minister Golowin), rund 30 anspruchsvolle Sinfonien, geistliche Werke, Triosonaten sowie Konzerte, unter denen 5 gesicherte Violinkonzerte herausragen. Als bedeutender, leider wenig bekannter Beitrag zur barocken Solo-Literatur zählen auch seine Assagi für Violino solo. Romans Werk zeigt auch, wie breit die barocke Musikkultur das damalige fürstliche Europa prägte.
Mehr zu seinem Violinkonzert d-moll vgl.
 
Warum wird Johann Helmich Roman so selten aufgeführt?
Einen genauen Grund kann ich auch nicht sagen, aber er teilt das Schicksal vieler Hofkomponisten an den damaligen Höfen. Hofkomponisten wurden dann bedeutend, wenn der Herrscher z.B. wichtige Verbindungen hatte, viele Kriege gewann, viele familiäre Verbindungen zu anderen Herrscherhäusern bestanden oder wenn die kulturelle bzw. wirtschaftliche Bedeutung des Landes groß war. Wenn davon wenig der Fall war, blieb auch der Hofkomponist oft weniger bedeutend.

Wir kennen ja aus der (Spät-)Barock-/Frühklassikzeit die bekannten großen Namen wie Händel und Haydn, aber daneben gab es zweite und dritte Reihen von Hofkomponisten, die heute kaum noch bekannt sind. Beispielsweise war Johann Adolph Hasse in seiner Zeit weltbekannt, heute nur noch Liebhabern und Spezialisten ein Begriff. Er hatte im aktuellen ARD-Film "Bach - Ein Weihnachtswunder" einen Gastauftritt als Dresdner Hofkapellmeister. Auf Wikipedia gibt es die Liste Bekannter Hofkomponisten, da kann ja jeder mal selbst schauen, wie viele er davon kennt.

Siehst du denn selbst Gründe, warum Roman so selten aufgeführt wird? Sollte er mehr aufgeführt werden? Hat sein Werk eigenständige Qualitäten bzw. einen Personalstil?
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Ich denke, Johann Helmich Roman ist unterschätzt. Deine politischen Gründe leuchten mir ein. Doch Romans Qualität scheint mir bedeutender als die Stellung des schwedischen Hofes damals innerhalb Europas. Immerhin hat Roman viel von Händel und Vivaldi gelernt, aber daraus einen eigenen freien Personalstil entwickelt. Im Violinkonzert d-moll lässt sich zeigen, wie kunstvoll die Ritornelli strukturiert sind. Die Solostimme entfaltet sich danach sehr frei, indem sie Elemente des Ritornells übernimmt, wie etwa bei Vivaldi oder Händel. Doch entfaltet sich die Violine vielfältig, nicht nur in Figurationen, sondern bereits in eigenen galanten Melodien. Mich spricht diese Spannung zwischen Diatonik und galanter Melodie sehr an. Wie immer, je mehr man hinhört, desto mehr entdeckt man.
 
Zunächst denke ich, dass die bekannten Komponisten natürlich öfter gespielt werden, weil sie schon bekannt sind, und dadurch werden bzw. bleiben sie bekannter ...

Ich habe mir die Drottingholmmusik mal angehört. Klingt schön, aber für mich fehlt ein bisschen das Besondere, was ihn wirklich herausheben würde.
Man müsste jetzt schauen, ob er wirklich wenig aufgeführt wird im Verhältnis zu anderen Komponisten seiner Zeit.
Wahrscheinlich könnte man Helman in Deiner Frage mit x anderen Komponisten austauschen.
Telemann ist ja zB viel bekannter und wird auch nicht so häufig öffentlich gespielt. Oder Monteverdi. Gut, der ist bisschen älter. Aber selbst Händel ist jetzt nicht ständig auf dem Programm. Corelli, Scarlatti, Dowland oder Krebs und x andere Barockkomponisten habe ich persönlich auch noch nie auf einem Programmzettel gesehen. Charpentiers Te Deum kennt fast jeder, aber seine restliche Musik wird auch nicht gespielt. Warum sollte dann gerade Roman öfter gespielt werden ...

Immerhin gibt es ja Einspielungen auf CDs (s. youtube) und dieses Jahr kam er im Radio.

Mal zurückgefragt: Wie oft wird seine Musik denn aufgeführt? Und wie oft müsste sie deiner Meinung nach aufgeführt werden?
Es gibt halt Hunderte Komponisten und Tausende gute Werke und das zahlende Publikum will zufriedengestellt werden ;)

Offensichtlich hast Du Dich auf Deiner Homepage schon ein bisschen mit ihm beschäftigt. Du könntest ja einfach ein paar Orchester oder Ensemble oder Solisten anschreiben und ein bisschen Werbung für ihn machen. Manche suchen auch immer mal nach neuen unbekannten Komponisten/Stücken. Vielleicht kommt das eine oder andere Konzert dabei zustande. Grade Violinkonzerte mit kleinem Streichorchester + Cembalo sind ein dankbares Repertoire für Barockkonzerte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Johann Helmich Roman teilt das Schicksal geschätzt einiger Tausend weiter Kollegen (und einigen Kolleginnen) der früheren Epochen, die heute kaum bis gar nicht bekannt sind und kaum bis gar nicht gespielt werden. Sie sehen neben den "Großen" oft etwas blass aus, weil sie oft eben nicht die beondere Ausgefeiltheit, Finesse, den Erfindungsreichtum, Phantasie und einen unverkennbaren persönlichen Stil bieten wie eben jene "Großen". Gerne werden diese vielen am Rande stehenden auch "Kleinmeister" genannt, handwerklich hatten sie jedenfalls in der Regel etwas drauf, Können darf man ihnen auf keinen Fall absprechen.
Das "Concerto für Violine" aus dem Link in Post #1 ist definitiv hörenswert und weiß zu gefallen. Allerdings hätte man mir es auch als ein Werk von Telemann unterjubeln können - wobei das weder eine Kritik sein soll und schon gar nicht abwertend gemeint ist, ja eher als Kompliment. Der Stil ist nun mal in der zeittypischen barocken Tonsprache, und auf Individualität wurde seinerzeit auch kein allzu großer Wert gelegt (auch wenn es meistens erkennbare individuelle Züge gibt, auch hier bei J.H. Roman).

Nicht wenige hatten zu ihrer Zeit sogar ein großes Renommee, als Beispiel möchte ich einen anderen "Johann" anführen: Johann Wilhelm Wilms [J.W. Wilms] (1772-1847). Geboren im Bergischen Land, machte er später Karriere in Amsterdam, aufgrund seines Könnens wurde er auch schon mal als der "Bergische Beethoven" bezeichnet.
Wenn ich nicht zufällig vor etlichen Jahren mal dem (seinerzeitigen) Vorsitzenden der "Internationalen Johann Wilhelm Wilms Gesellschaft begegnet wäre [IJWWG], die sich für die (Wieder-)Aufführung seiner Werke einsetzt, hätte ich vielleicht bis heute keine Kenntnis von ihm.
Selbst von einem seinerzeit außerordentlich berühmten Komponisten (und Kompositionslehrer! - siehe Link) wie Antonio Salieri werden heute nur noch wenige Werke aufgeführt, wenn überhaupt. Und - wenn überhaupt, so werden viele seinen Namen nach wie vor nur als einen, ja den Widersacher von Mozart gehört haben, und, schlimmer noch, als denjenigen, der Mozart vergiftet haben soll um ihn als Konkurrenten auszuschalten. Im Übrigen beides grober Unfug und historisch absolut falsch. Im Gegenteil hat Salieri Mozarts Musik bewundert und nach Mozarts Tod immer wieder Werke von ihm zur Aufführung gebracht [Salieri].

Warum gerieten so viele dieser alten Meister in Vergessenheit?
Zum einen ist das Bessere der Feind des Guten. Die "großen Namen" bilden in ihrer Qualität einfach eine eigene Kategorie, und da es auch an bedeutenden Namen nicht mangelt, und diese insgesamt ein riesiges Oeuvre hinterlassen haben, die zudem für riesige Repertoires gut sind, treten die "Kleineren" hinter den "Großen" im Laufe der Zeit einfach zurück.
In dem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es bis ins 19. Jahrhundert hinein sehr unüblich war, Werke vergangener Epochen in öffentlichen Konzerten aufzuführen. Bis in die Zeit des bürgerlichen Konzertbetriebs, der ja erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts richtig Fahrt aufnahm, hat man sozusagen fast nur "zeitgenössische Musik" gehört.
Als Mozart den Auftrag bekam, Händels "Messias" aufzuführen, hat er erst mal eine Bearbeitung angefertigt für die für ihn und seine Zeit übliche Orchesterbesetzung, aber vor allem etliche Chorpartien den Gesangssolisten gegeben, da es in Wien seinerzeit keine großen Chöre der nötigen Qualität gab (wie sie in England bis heute Tradition sind nebenbei erwähnt). Vieles war einfach gar nicht mehr so ohne weiteres aufführbar. Mozart hat auch Bach-Fugen bearbeitet - als Lernstoff, nicht eigentlich für´s Konzert.
Bach war nämlich nur noch (weitgehend) in Komponisten-Fachkreisen bekannt, von seiner Musik und vor allem seinen komplexen kontrapunktischen Stil wollte das Publikum nichts wissen.
Bekanntlich wurde die große Bach-Renaissance erst von F.Mendelsohn Bartholdy ausgelöst, mit der Wiederaufführung der "Matthäuspassion" am 11. März 1829.
F. Liszt fertigte von den Beethoven-Sinfonien (recht virtuose) Klavierauszüge an, die er in seinen Konzerten aufführte - um diese Sinfonien einem breiteren Publikum vorzustellen, das sie auch nicht kannte.

Es fällt nicht schwer, vorzustellen, dass es einfach passieren musste, dass so viele Komponisten älterer Epochen sozusagen in der Versenkung verschwanden. Wenn ihre Werke überhaupt aufgelegt und gedruckt wurden, waren die Noten nicht mehr erhältlich und, viele Noten waren sicher schlicht verschollen oder schlummerten unter einer immer größer werdenden Staubschicht in irgendeiner unbekannten (fürstlichen) Bibliothek.

Immerhin gibt es heute nicht wenige Musiker, Solisten, Dirigenten, Musikwissenschaftler, Verlage und nicht zuletzt Vereine und Gesellschaften die diese historisch "blinden Flecken" aufhellen und viel Gutes wieder zu Gehör bringen.
Dennoch wird es nach wie vor nicht leicht sein, den Konzertsaal voll zu bekommen, wenn auf dem Plakat steht "... mit Konzerten von J.H. Roman, J.W. Wilms, J. Stamitz" ...
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer

Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben