Kann mir jemand sagen, ob ich mit meiner Analyse so richtig liege? Oder gibt es irgendwo Dinge, die man definitiv anders deuten sollte?
Wie würdest du denn die Funktionen deuten, die ich als Tg und Dp gedeutet habe?
Hallo,
ich würde Wagner eher über Stimmführung und die Oktavregel erklären. Dazu habe ich dir am Ende des Beitrages noch Literatur verlinkt.
Im ersten Takt vom Arbeitsblatt erklingt ein Es-Dur-Akkord als Orgelpunkt. Darüber werden mit den Tönen
fis und
a jeweils die Töne
g und
b tonikalisiert (Vgl. Heinrich Schenker; er würde dieses Phänomen als Miniatur-Tonikalisierung bezeichnen. Das bedeutet, dass die Nebennoten über dem Es-Dur-Akkord als siebte Stufen bzw. Leittöne zu den Tönen
g und
b gehört werden können.
Du bist ab T. 1 in B-Dur. Das tonikalisierte
g ist die Paralleltonart von B-Dur. Der Akkord Es-Dur in T. 1 ist eine prolongierte (= verlängerte) 4. Stufe in B-Dur.
In T. 2 ist der 2. Akkord als Diminution zu deuten, da der Ton as eine harte dissonante Durchgangsnote (Verbindungston zwischen g und b ist; hart bedeutet,
dass sich diese Durchgangsnote auf betonter Zählzeit befindet. Der gesamte T. 2 besteht, wenn man diese Diminution weglässt nur aus dem Grundakkord auf der 4. Stufe in B-Dur.
In T. 3 ist der erste Akkord als Sextakkord auf der 3. Stufe in B-Dur zu deuten. Der zweite Akkord ist ein Durchgangs-Terzquartakkord. Bei diesem Akkord ist der Terzton
es eine dissonante Durchgangsnote. Dieser tritt noch eine Terzmixtur-Stimme im Bass (Ton
c) hinzu (Mixtur = Parallelführung zu einer Stimme). Auch der Basston ist eine dissonante Durchgangsnote (zwischen
d und
b).
Dieser Durchgangsterzquartakkord auf c löst sich in einen Grundakkord der ersten Stufe, B-Dur, auf. Im Anschluss folgt der Grundakkord der vierten Stufe, Es-Dur.
Der Akkord auf der letzten Viertel in T. 4 ist stimmführungstechnisch ein Durchgangs-Quartsextakkord zwischen dem Grundakkord Es und Septakkord auf C.
Der Ton
d im Bass ist hierbei die dissonante Durchgangsnote zwischen den Tönen
es und
c.
Die Septe
c-b wurde dissonanztechnisch als Synkopendissonanz eingeführt (im Grundakkord und Durchgangsquartsextakkord war der Ton
b konsonant
und wird als patiens-Stimme verzögert in das Komplementärintervall der Terz
f-a aufgelöst.
Den letzten Akkord in T. 5 würde ich als Chopin-Akkord (Tredezime
d als klanglichen Zusatz im Dominantseptakkord) bezeichnen. Man würde statt der 6 im Akkord eine 13 schreiben, da es sich nicht um einen Sextakkord im eigentlichen Sinne handelt. (die 13 ist nur ein Vorhaltston und löst sich ja noch über dem Akkord in die 12 (Duodezime) (Ton
c) auf. Der Ton
c ist eine Tenorklausel zur Finalis
b.
Akkord Es-Dur in T. 6 ist eine prolongierte 1. Stufe (Orgelpunkt). Über diesem Akkord wird mit dem Ton
e auf der 6. und 7. Sechszehntel rückwirkend der Ton
f (Oberquint-Tonart von B-Dur) tonikalisiert.
Den g-Moll-Akkord ist ein Grundakkord auf der 6. Stufe in B-Dur. An dieser Stelle setzt Wagner einen Grundakkord, da die Bassstufe G sprungweise erreicht und sprungweise verlassen wurde. Wenn das der Fall ist gilt die Regola nicht. Der Akkord darauf über dem Basston c ist kein Grundakkord, sondern ein Sextakkord und der Ton g ist eine konsonante Überbindung bzw. ein Vorhaltston zum a.
Die T. 7-8 werden in T. 9-10 sekundweise abwärts sequenziert. Das erste Taktpaar steht noch in B-Dur und das zweite Paar weicht in die Paralleltonart g-Moll aus.
Bei dem Akkord auf der letzten Viertel erklingt der Grundakkord als vierte Stufe von g-Moll. Bei den Akkorden in den folgenden zwei Takten erklingen
die Stufen 3 (Sextakkord), 2 (Terzquartakkord) und 1 (Grundakkord).
Nach der Ausweichung nach g-Moll erklingt mit dem Ton as (4. Skalenton von Es-Dur) eine Unterquintmodulation motivo di cadenza nach Es-Dur.
Mit dem zweimaligen erklingen des Leittones
a (T. 11-12) entsteht eine cadenza doppia und dient als Schlussformel des Formabschnittes.
Von Es-Dur aus gesehen, ist dieser Abschnitt in B-Dur als Oberquinttonart zu deuten. Die Ausweichungen von B-Dur nach g-Moll und anschließend nach Es-Dur
ergeben ein Terzgang-Satzmodell (Eine Akkord- oder Tonartendisposition ergibt eine diatonischen Terzachse (
B-g-Es).
Ein ausgedehntes Terzgang-Satzmodell erklingt auch im Präludium des 1. Aktes von Wagners Parsifal:
(Zeitangabe 4:22)
Die Akkorde dieses Blechbläser-Chorals sind jeweils Grundakkorde auf den Bassstufen As, F, D und B.
Literatur zum Nachvollziehen:
https://musiktheorie.kug.ac.at/file...okumente/Abschlussarbeiten/Egger_Theorien.pdf
http://musikanalyse.net/tutorials/regola/
http://musikanalyse.net/tutorials/kadenz/