Gerade die Möglichkeiten der "U-Musik", unterm Strich zu spielen wie mann will, können leicht dazu verführen sich Dinge zu vereinfachen. Die strenge klassischer Musik lässt solch einen Gestaltungsspielraum nicht zu.
Vielleicht ist es aber auch die Frustration derer, die einen für sie "steinigen" Weg gewählt haben, der durch Täler der Tränen führte, die eigentlich gar nix mit dem zu tun hatten, was sie tun wollten, dass sie nicht zulassen können, dass andere einen direkteren, oder gar "angenehmeren" Weg gehen?
Musik soll Spaß machen. Und wenn nu jemand Pop und Boogie Spaß machen, Klassik aber nictht? Uh. Literatur mit geeignetem Schwierigkeitsgrad, technischen Finessen u.v.m. gibt es in vielen verschiedenen Stilistiken. Und grade wenn's in Richtung Boogie geht, liegen Tonnen technischer Übungen und Figuren auf dem Weg, die hervorragend geeignet sind, eine gute Technik zu entwickeln. Die Strenge einer Latin-Piano-Ausbildung ließe z.B. manchen "rubatösen" Gestaltungsspielraum nicht zu, oder die rhythmischen Anforderungen von Stride- und Boogie-Piano sind mit einer romantischen Phantasie kaum zu vergleichen.
Warum hat eine Ausbildung "streng" zu sein? Ich versteh das nicht. Das ist ein, sorry, typisch deutsches Abschreck-Argument, am besten noch mit erhobenem Lehrmeister-Zeigefinger. Hier muss es schon "weh tun", wenn's was taugen soll. Das motiviert weder, noch macht's Spaß. Jeder soll so viel Motivation und Strenge aufbringen, dass er den meisten Spaß dran hat. Nur dann hat das eine Zukunft. Das ist eine Balance zwischen "Spaß am Üben", und "Spaß mit dem Ergebnis des Übens".
Es geht um ein Hobby, nicht darum, einen Meister aus Stein zu meißeln. Andernorts hat man schon begriffen, dass Motivation nicht dadurch funktioniert, dass man Menschen von ihren ursprünglichen Motiven möglichst geschickt ablenkt, sondern dass man sie auf dem Weg, für den sie natürliche Motivation besitzen, sie möglichst gut unterstützt und ihnen hilft, die Steine aus dem Weg zu schaffen, so dass die Motivation erhalten bleibt. Dann braucht man gar nicht "motivieren", sondern vermeidet einfach die permanente Demotivation.
Ich kann das mit der Klassik noch *halbwegs* nachvollziehen, wenn man nun überhaupt nicht weiß, welche musikalischen Vorlieben jemand hat. Allerdings wenn jemand die schon so definiert auf den Punkt äußert, was ich im übrigen toll find, dann find ich's daneben, erst mal etwas überhaupt ganz anderes zu empfehlen, wenn's auch anders geht, und es geht anders. Das ist einfach "Thema verfehlt".
Ich empfehle einem, der Jazz-Trompete spielen mag, ja auch nicht, erst mal 5 Jahre Bach zu spielen. Ich empfehle auch einem Gitarristen, der Rock-Gitarre lernen mag nicht, erst mal 5 Jahre Klassik auf einer akustischen Gitarre zu spielen, sondern "hey, ein paar einfache Lieder, die Spaß machen, und zu denen man vielleicht noch singen kann". Und irgendwann werden die Lieblings-Songs nachgespielt. Vielleicht erst mal in einer einfachen Version. Aber auf dem Klavier, da wird immer wieder und immer noch dieser "jahrelang Klassik"-Reflex gezückt. Für mich heute echt unverständlich. Das hat schon vielen Menschen die Lust am Klavierspielen verdorben, die überhaupt kein Interesse an Klassik hatten.
Vor 100 Jahren hätte ich dir vielleicht Recht gegeben. Da gab's noch kein Stride. Da gab's noch keinen Acid-Jazz. Da gab's noch keinen Blues und keinen Boogie. Da gab's auch noch keinen Rock. Da gab's noch keinen Progressive-Metal, keinen Funk, keine EBM, keinen Disco-Pop. Da musste man sich noch nicht mit Synthesizern und Technik beschäftigen, um "zeitgenössische" Musik machen zu können. Allerdings ist heute das musikalische Repertoire so riesig, dass man sich spezialisieren *muss*. Ausbildungswege, die zum gleichen Ziel führen, gibt es viele. Ich weiß nicht, warum wir immer so am Weg, anstatt am Ziel festhalten. Vielleicht sollte man eher fragen: Warum wird immer die Klassik empfohlen? Wenn mal die wahren Argumente auf den Tisch kämen, dann könnte man schlicht und einfach dafür sorgen, dass diese "Befürchtungen" eben auf einem anderen Weg nicht vernachlässigt werden, und gut ist. Ich glaube, dass man in der Musik von Vince Weber oder Axel Zwingenberger genug technische Schwierigkeiten finden kann, um eine gute Klaviertechnik zu entwickeln.
Wir könnten uns ja darauf einigen: "Nach ein paar Jahren kannst auch mal ein paar klassische Stücke spielen."
Liebe Grüße
Dana